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KRANKHEIT DER JUGEND – eine Regiecollage

 

Michael Hanekes Regiestudenten an der Wiener Filmakademie haben einen Theatertext als filmisches Kammerspiel aufgelöst und versucht, eine unter neun Regisseuren aufgeteilte Inszenierung, zu einem geschlossenen Ganzen wachsen zu lassen.  Regie führtenHenning Backhaus, Karl Bretschneider, Peter Brunner, Stefan Brunner, Albert Meisl, Andrea Mracnikar, Alex Trejo, Henri Steinmetz und Tobias Dörr.

 

Marie kniet am Boden und schrubbt ihr Zimmer sauber. Man würde nicht glauben, dass sie noch am selben Tag zum Doktor der Medizin promovieren sollte. Am großen Festtag soll es sauber sein, sagt sie. Aber Marie geht auch sonst oft in die Knie, freiwillig oder unter Zwang, am Ende unter Gewalt. Krankheit der Jugend hat Ferdinand Bruckner 1926 sein Theaterstück genannt und das triste Bild einer emotional entleerten Generation gezeichnet, die zwischen Zynismus und Selbstzerstörung im erlittenen und anderen Menschen zugefügten Schmerz nach Empfindungen und Lebendigkeit sucht.

Michael Hanekes Regiestudenten an der Wiener Filmakademie haben einen Theatertext als filmisches Kammerspiel aufgelöst und versucht, eine unter neun Regisseuren aufgeteilte Inszenierung, zu einem geschlossenen Ganzen wachsen zu lassen. Der große Schwerpunkt dieser Übung galt aber der Arbeit mit den Schauspielern. Input dazu kam aus allererster Hand. Susan Baton, selbst Schauspielerin und gefragter Coach, die Kolleginnen wie Nicole Kidman oder Juliette Binoche bereits mit ihrem Rat zu Seite stand, kam für zehn Tage nach Wien, um in die Techniken der Rollenerarbeitung und Improvisation einzuführen. „Sie hat“, so Ursula Strauss, die bereits zum Zeitpunkt des Seminars als Darstellerin der Marie feststand, „einen unglaublich genauen Blick und ein fast übernatürliches Gespür für Menschen. Sie hat uns zwar einen sehr geschützten Raum für die Arbeit geschaffen, aber uns auch sehr gefordert und niemanden aus der Verantwortung entlassen.“ Das Feedback funktionierte auch ohne gemeinsame Sprache, denn die amerikanische Lehrerin verstand die Improvisationen auch ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, immer genau so lange, solange authentisch gearbeitet wurde. Für die neun RegisseurInnen hieß es die Seite wechseln, sich eine der Figuren aussuchen und den Findungsprozess einer Rolle selbst erleben. Zehn Tage intensives Arbeiten ließ auch eine Vertrauensbasis für die späteren Dreharbeiten entstehen, von denen Ursula Strauss besonders profitieren konnte. „Es ist ein riesiger Lernprozess“, so die Schauspielerin, „sich in so kurzer Zeit auf neun Regisseure einzustellen und interessant zu sehen, wie jemand am Set Atmosphäre schafft oder das Team unter Kontrolle hat. Mit nur einem Raum, den wir zur Verfü-gung hatten, gab es nicht unendlich viele Möglichkeiten der Auflösung. Ich bin sicher, der ganze Film von jedem der neun Regisseure hätte er jedes Mal komplett anders ausgesehen. Nach einer ersten Präsentation im Wiener Gartenbaukino, hatte Krankheit der Jugend beim Filmfestival in Hof seine internationale Premiere. (ks)

2007