Es ist ein kleiner Film über fünf Artisten und deren Leben. Ich hatte niemals die Absicht, einen politischen Abriss von Afrika
                                                   mitzuliefern. Das ist unmöglich. Es ging mir in erster Linie darum, ein Lebensgefühl zu transportieren und ein kleines Fenster
                                                   in diese Kultur zu öffnen. Das wird in BACK TO AFRICA teilweise sichtbar, gerecht werden kann man dem nie.
                                                
                                                
Sie haben in vorangegangenen Filmen schon oft Künstler portraitiert oder deren Arbeiten zum Thema einer filmischen Darstellung
                                                      gemacht. Was machte das Besondere am Projekt BACK TO AFRICA in Zusammenhang mit Africa!Africa! aus?
OTHMAR SCHMIDERER: Die Idee zum Film entstand, als ich zufällig Zeuge vom Beginn der Proben zur Show wurde. Ich arbeitete zu diesem damaligen
                                                   Zeitpunkt gerade an einem Portrait über André Heller fürs Fernsehen und erlebte diese ersten Proben in einer Industriehalle
                                                   in Mannheim mit, wo 150 Artisten, die gerade aus Afrika kamen, eine Atmosphäre von einer unbeschreiblichen Dichte erzeugten.
                                                   Diesem Feuerwerk an energetischen Entäußerungen konnte ich mich einfach nicht entziehen und so entstand die Idee zum Film.
                                                   Die Show als solche hat mich dabei nie interessiert, sondern Fragen wie – aus welchem Umfeld kommen diese Menschen? Was sind
                                                   ihre Beweggründe? Was hat sie zu dem gemacht, was sie heute sind? Und vor allem faszinierte mich ihre tiefe Verwurzelung mit
                                                   Afrika. Ich wage zu behaupten, dass sie eine viel stärkere Bindung zu ihren Wurzeln haben als wir. Dieser Energie ? auch wenn
                                                   es bereits ein strapaziertes Wort ist ? diesem Lebensgefühl wollte ich nachspüren. Was das Ganze für mich umso interessanter
                                                   machte, war, dass es eine erste Gelegenheit war, mich mit sehr unterschiedlichen Artisten aus einem komplett unbekannten Kulturkreis
                                                   und ihren sehr unterschiedlichen Lebenssituationen auseinanderzusetzen.
Was hat Sie bewogen, diese fünf Leute als Protagonisten auszuwählen?
OTHMAR SCHMIDERER: Es hat eine Weile gedauert, bis sich das aufgrund ihrer Biografien herauskristallisiert hat. Ich wollte ursprünglich eine
                                                   zweite Frau, die ich auch hatte, deren Teilnahme aber dann leider an Geldforderungen gescheitert ist. Ich habe mich dann für
                                                   diese fünf Personen entschieden, die eine sehr interessante Biografie und eine starke Präsenz haben. Sie decken außerdem ein
                                                   ganzes Spektrum ab, sie kommen aus unterschiedlichen Kulturen, aus unterschiedlichen Schichten. In dieser Art der Auseinandersetzung
                                                   stellt sich immer die Frage, was für eine Beziehung kann ich zu solchen Menschen aufbauen, letztendlich ist es eine intuitive
                                                   Entscheidung. Da ich keine Möglichkeit hatte, auf Recherchereise zu gehen und mir ein Bild von den verschiedenen Ländern zu
                                                   machen, waren ihre Umfelder entscheidend.
Wie kann man sie charakterisieren?
OTHMAR SCHMIDERER: Da war zum einen der Musiker Tata Dindin, der aus einer Griot-Familie stammte. Dann Huit Huit, der Kontorsionist, der sehr
                                                   viel mehr im Westen lebt und immer noch einen sehr starken Bezug zu Afrika hat. Er ist auch von seiner Erscheinung her ein
                                                   außergewöhnlicher Typ. Sonko ist keine Solistin im eigentlichen Sinn, sie kommt aus sehr einfachen Verhältnissen, ihre Teilnahme
                                                   am Film war für mich sehr schnell klar. Waterman hat mich insofern gereizt, als ich wusste, dass er auch seine Tochter nach
                                                   Europa bringen wollte, was eine interessante Begegnung bedeuten konnte. Georges Momboye interessierte mich als Tänzer und
                                                   auch als Choreograph der Show. Und natürlich spielten die unterschiedlichen Herkunftsländer und Kulturen eine Rolle.
Wenn es keine Recherchereise gab, heißt das, dass sich das Team gemeinsam mit den Künstlern jeweils auf eine „ungewisse“ Reise
                                                      begeben habt?
OTHMAR SCHMIDERER: Ja, so ist es gewesen. Was ja auch das Faszinierende am Dokumentarfilm ist, dass man sich auf das Unvorhersehbare einlassen
                                                   kann und muss. Es war nicht einfach – die Künstler hatten nicht einmal zehn Tage Urlaub, jeweils dann, wenn der Zirkus abgebaut
                                                   und in einer anderen Stadt aufgebaut wurde. Die Dreharbeiten fanden über ein Jahr verteilt statt. Es war schwierig, da wir
                                                   oft in fünf, sechs Drehtagen eine Nähe aufbauen und eine Geschichte finden mussten. Angesichts dieser Umstände bin ich mit
                                                   dem Ergebnis recht zufrieden. Bei Drehbedingungen, wo in kürzester Zeit eine Konzentration geschaffen werden muss und man
                                                   noch dazu in intime Familienatmosphären hineingeht, ist das Team – wir waren insgesamt fünf – entscheidend.
Der Film behandelt drei Aspekte – das Casting, die Künstler und ihren familiären Hintergrund, und schließlich die Show. Wie
                                                      hat sich die Gewichtung dabei ergeben? 
OTHMAR SCHMIDERER: Beim Casting ging es um neue Artisten, nicht für die laufende Show. Als ich erfuhr, dass Georges vorhatte, nach Guinea zu
                                                   fahren, sagte ich spontan, da fahren wir mit. Er hat in drei Tagen zehn Gruppen gecastet und das Spannende an diesen Auditions
                                                   war, dass sie einen sehr guten Einblick in die Tanzkultur von Guinea gewährten. Dass die Show möglichst im Hintergrund bleiben
                                                   sollte, war von Anfang an klar. Im Dokumentarfilm entsteht ja bekanntlich das Buch erst im Schnitt und es hat in der Gewichtung
                                                   natürlich Variationen gegeben. Wir hatten insgesamt siebzig Stunden Material, und irgendwann entscheidet man sich für einen
                                                   bestimmten Weg. Mir ging es in erster Linie darum, ein bestimmtes Lebensgefühl zu vermitteln und ich glaube, dass es zum Teil
                                                   gelungen ist. Man muss immer davon ausgehen, dass man einer anderen Kultur gegenüber steht und sich nur ganz behutsam annähern
                                                   kann. Und letztendlich wird man als Europäer Afrika ohnehin nie begreifen, auch wenn man lange dort leben würde.
Wie haben Sie diese Begegnung mit Afrika persönlich erlebt?
OTHMAR SCHMIDERER: Ich habe Nordafrika sehr viel bereist, in West- und Zentralafrika war ich vor einigen Jahren, um für ein anders Projekt zu
                                                   recherchieren, aus dem schließlich nichts geworden ist. Für mich war die Auseinandersetzung mit Afrika immer schwierig, weil
                                                   sich ständig die Frage stellt, welche Position kann ich als Europäer überhaupt einnehmen. Durch dieses Projekt habe ich die
                                                   Möglichkeit eines Zugangs bekommen, über diese Artisten in dieses afrikanische Lebensgefühl einzutauchen. Das Reizvolle an
                                                   einer Auseinandersetzung mit Afrika ist die Tatsache, dass man – wenn man sich darauf einlässt – in der eigenen Kultur komplett
                                                   in Frage gestellt wird.
Inwiefern ist man in der eigenen Kultur in Frage gestellt?
OTHMAR SCHMIDERER: Bei uns ist alles genormt, eingeteilt. In Afrika hat allein schon die Wahrnehmung von Zeit eine ganz andere Dimension und
                                                   das führt einen auch immer wieder an die eigenen Grenzen im Umgang damit. Das waren für mich sehr spannende Momente und Auseinandersetzungen.
                                                   Und dann sind da auch die Vorstellungen von Afrika, die man selber mitbringt. Man ist ja nie davor gefeit, seinen eigenen
                                                   Klischeevorstellungen zu erliegen, das merke ich auch jetzt an den Reaktionen auf den Film. Auch so mancher Kritiker folgt
                                                   in den Vorwürfen, die zum Film geäußert wurden, seinen eigenen Klischees. Man muss es letztendlich realistisch sehen – alles
                                                   kann nur eine Annäherung an eine uns fremde Kultur sein.
Haben Sie das Gefühl, die eigenen Klischees relativiert zu haben?
OTHMAR SCHMIDERER: Ich glaube schon. Der Vorwurf, der während der Diagonale geäußert wurde, war, dass in BACK TO AFRICA  trommelnde und tanzende
                                                   Afrikaner gezeigt werden. Ich finde es interessant, dass der Film so wahrgenommen wird, es ist nun mal ein Film über Artisten,
                                                   zu dem muss ich auch stehen. Wenn ich einen Film über Tänzer und Musiker mache, dann ist wohl klar, dass ich das auch zeige.
                                                   Mir zu sagen, das ist alles Klischeehaft, das ist mir zu einfach.
Der Vorwurf ging ja eher in die Richtung, dass die „afrikanische Kultur“ zu pauschal als Ganzes abgehandelt wird.
OTHMAR SCHMIDERER: Das hat auch wiederum mit Erwartungshaltungen der Menschen zu tun. Man sieht ja nur einen kleinen Ausschnitt, es ist ein kleiner
                                                   Film über fünf Artisten und deren Leben. Es ist mir nicht darum gegangen, einen politischen Abriss von Afrika mitzuliefern.
                                                   Das ist unmöglich. Es war mir ein besonderes Anliegen, der europäischen Erwartungshaltung von Armut und Not ganz bewusst ein
                                                   positives Bild gegenüberzustellen. Ich habe von Beginn an mit diesen Reaktionen gerechnet und es war mir auch klar, dass BACK
                                                   TO AFRICA kein Kritikerfilm wird. Darum ist es mir nicht gegangen. Es ging mir in erster Linie darum, ein anderes Lebensgefühl
                                                   zu transportieren und ein kleines Fenster in diese Kultur zu öffnen. Das wird im Film teilweise sichtbar, gerecht werden kann
                                                   man dem nie.
Wie haben sich die Drehbedingungen in den verschiedenen Ländern dargestellt.
OTHMAR SCHMIDERER: Wir haben hauptsächlich in Westafrika gedreht, da gibt es von der Lebensart und der Mentalität her zwischen den verschiedenen
                                                   Ländern nicht so große Unterschiede. Ganz anders war es im Kongo mit Huit Huit. Das war viel schwieriger, die Stimmung dort
                                                   ist deprimierend, während in Westafrika ein Lebensgefühl herrscht, das bei einem Europäer teilweise Sehnsüchte erweckt, so,
                                                   wie sie mit dem Leben umgehen.
Inwiefern Sehnsüchte?
OTHMAR SCHMIDERER: Die Menschen haben noch Zeit. Sie sind nicht so im Zeit- und Termindruck eingeengt. Ein einfaches Beispiel, Leute kommen vorbei,
                                                   man setzt sich hin und plaudert, da muss man nicht vorher anrufen, um einen Termin zu bekommen. Es herrscht ein sehr warmes
                                                   Gefühl von Zusammenleben, das uns abhanden gekommen ist und das in seiner Einfachheit Qualität hat. Natürlich kämpfen diese
                                                   Menschen alle ums Überleben und es hat für sie eine unheimliche Bedeutung, wenn es da jemanden gibt, der es schafft, im Ausland
                                                   Geld zu verdienen, weil damit die Existenz einer Großfamilie von bis zu dreißig, vierzig Leuten verbunden ist.
Leben die Menschen in einem Widerspruch zwischen dem Wunsch hinauszuwollen und im Westen zu reüssieren und dieser starken
                                                      Verbundenheit mit den eigenen Wurzeln?
OTHMAR SCHMIDERER: Das hängt auch mit einer europäischen Erwartungshaltung zusammen, zu glauben, die Afrikaner wollen alle nach Europa, um da
                                                   zu leben und zu arbeiten. Natürlich möchten sie raus, natürlich möchten sie Geld verdienen. Aber ihr Herz und ihre Seele sind
                                                   in Afrika und sie wollen dort ihre Existenz aufbauen und dort leben. Der Westen bietet halt eine Möglichkeit – falls sie es
                                                   schaffen, hinauszukommen – wirklich Geld zu verdienen.
 
                                                
                                                Wie sieht es für die Artisten mit den künstlerischen Perspektiven nach Africa!Africa aus?
OTHMAR SCHMIDERER: Das ist ganz unterschiedlich. Teilweise unterrichten sie im eigenen Land, so wie Sonko als Tanzlehrerin. Tata ist als Musiker
                                                   auch in Gambia sehr bekannt. Sie versuchen, sich eine Existenz aufzubauen. Tata spricht auch im Film davon, dass er versuchen
                                                   wird, dort eine Struktur aufzubauen für seine Musiker. Der Weg nach Europa ist für die immer wichtig, weil das Business anders
                                                   läuft als in Afrika. Ihre Kunst hat in Afrika eine Alltäglichkeit, die in der Kultur ausgelebt wird. Tata spricht das auch
                                                   an, er sagt, bei uns ist es Kultur und in Europa ist alles Business.
...was wiederum eine sehr eingleisige Klischeevorstellung eines Afrikaners von Europa ist?
OTHMAR SCHMIDERER:  Es stimmt aber in gewisser Hinsicht. Gerade in der Musik, wird in Europa sofort versucht, Business zu machen. Das muss man
                                                   nicht gleich negativ betrachten. Die Musik ist in Afrika mit einer Selbstverständlichkeit in den Alltag integriert. Das Theater
                                                   findet im Hof und auf der Straße statt, bei uns gibt es dafür die Institutionen.
Gab es unter den Protagonisten jene, die leichter zu portraitieren waren als andere?
OTHMAR SCHMIDERER: Huit Huit ist natürlich ein gewiefter Selbstdarsteller und Showman, das spürt man im Film. Dennoch ist es uns an manchen Stellen
                                                   gelungen, in der Geschichte auch durchzukommen. Sonko ist in ihrer Offenheit und Einfachheit natürlich authentischer. Sie
                                                   hat ja auch nicht diese langjährige Erfahrung des Arbeitens im Westen wie Huit Huit, der ein Star ist. Er lebt in Paris, hat
                                                   aber einen starken Bezug zum Kongo. Er hat es geschafft, wirklich eine Unmenge Geld zu verdienen, weiß aber auch ganz genau,
                                                   das kann er jetzt noch drei, vier Jahre machen, dann ist es vorbei, das muss er ausnutzen. Er ist sehr engagiert und er denkt
                                                   auch daran, wieder dorthin zurückgehen. Tata verdient dagegen nur ein Durchschnittsgehalt im Zirkus.
Es gibt inzwischen schon wieder ein neues Filmprojekt, das bereits gedreht ist und das auch im Bezug zu Afrika steht. Haben
                                                      sich durch die Arbeit an BACK TO AFRICA wieder neue Themen aufgetan? 
OTHMAR SCHMIDERER: Es ist ein Film über Voodoo, den ich überhaupt nicht geplant hatte, sondern der einfach auf mich zukam. Wir sind bereits
                                                   in Postproduktion. Es ist ein Film bei dem ich wieder selber die Kamera mache, der mit einem sehr kleinen Team zusammen mit
                                                   einem Spezialisten, der sich schon seit über zwanzig Jahren mit Voodoo in Benin beschäftigt, entstanden ist. Das neue Projekt
                                                   hat nochmals eine andere Dimension, weil es noch viel tiefer in die afrikanische Kultur eindringt, wobei ich mir jetzt nicht
                                                   anmaße, darüber zu urteilen. Das ist auch die Grundproblematik ? welche Haltung nimmt man ein. Da die richtige Position zu
                                                   finden, ist sicherlich nicht immer leicht.  Es ist aber eine tolle Geschichte, weil ich auf BACK TO AFRICA eine ganz andere,
                                                   weitere Antwort geben kann, was Afrika betrifft. Dieses Jahr war durch diese Arbeiten eine wesentliche Bereicherung und Konfrontation
                                                   mit mir selbst. Es ist schön, wenn man seinen Horizont erweitern kann. Ich habe das Gefühl, es ist viel im Wandel begriffen,
                                                   auch in meiner filmischen Arbeit. Eine spannende Zeit!
                                                
                                                
Interview: Karin Schiefer
2008