INTERVIEW

Produzent Antonin Svoboda im Gespräch über Hotel und Die fetten Jahre sind vorbei

 

Sowohl bei Hotel als auch bei Die fetten Jahre sind vorbei konnten wir bei der Substanz des Inhalts bleiben. Das ist das Kino, das wir wollen. Entweder irritieren oder stören, andere Dimensionen aufwerfen oder Fragezeichen setzen. Ein Kino, das motiviert, aber auch Kino, das irgendwie abschweift. Es sind zwei Enden, eines Versuchs, Kino als Dialog zu produzieren. Antonin Svoboda, Produzent der coop 99 filmproduktion  im Gespräch über ihre Beiträge in Cannes 2004.

 

Die fetten Jahre sind vorbei, ein Film mit einer klaren antikapitalistischen Aussage wurde in Cannes zum begehrten Objekt der Einkäufer. Gerät man da als Produzent nicht in Gewissenskonflikte?

ANTONIN SVOBODA: Wir haben uns viele Gedanken gemacht, welche Kombinationen am besten sind, um einer (politischen) Haltung gerecht zu werden. Ein Film, der Anti-Globalisierung thematisiert, sollte nicht unbedingt von einem Major geschluckt werden, wo es kleine Verleiher gibt, die ihn gerne aus emotionalen Beweggründen herausbringen würden. Eine interessante Entwicklung und Entscheidung. Wir haben uns schließlich für das Individuelle und eher Nicht-Globale das heißt ausschließlich für einzelterritoriale Verleiher entschieden.

 

Zwei Filme in der Sélection officielle in Cannes, was hat das an Arbeitspensum beim Festival selbst bedeutet?

ANTONIN SVOBODA:Für eine junge Firma bedeutet das vor allem Erstbegegnungen, es gibt noch nichts, worauf man aufbauen kann. Da wird geschnuppert. Da kommen große Firmen, die mich inhaltlich interessieren, denen ich auch Fragen stellen kann. Konkret führten wir Gespräche für Palm Beach, das Projekt von Florian Flicker, das wir vorbereiten und Grbavica, ein zweites Projekt, das wir in Bosnien realisieren wollen.

 

Hat die hohe Aufmerksamkeit vor allem von Die fetten Jahre sind vorbei die coop99 in eine neue Position gebracht?

ANTONIN SVOBODA: Natürlich ist es einzigartig, etwas in der Hand zu haben, mit dem man nicht hausieren gehen muss, von dem man weiß, die Menschen wollen es. Das ist einfach schön. Es ist halt unglaublich, wenn der Boss von MTV Europe herkommt und sagt: "I liked your picture, you know, 20 years ago, I was like Jan and now I vote for Bush, but I like your film." Es führt auch vor Augen, wie absurd dieses Business ist. Aber plötzlich werden große Firmennamen transparent, man sieht, welche Menschen dahinter stehen. Das vermindert vor allem die Angst davor. Falls es eine höhere Liga ist, möchte ich gar nicht wissen, was die Spielregeln dieser Liga sind. Wir sind in einem relativ märchenhaften Moment in diese Liga gestoßen. Es ist aber jetzt keinesfalls so, dass wir uns in dieser Liga etabliert haben und nur mehr dort arbeiten wollen. Im Gegenteil, es ist so, dass wir sie auch gerne wieder verlassen, an der "Basis" arbeiten und die kleinen Dinge vorbereiten. Es ist da unheimlich viel Geld im Spiel, das bedeutet auch sehr viel Verantwortung, das ist nicht immer angenehm. Es geht ja auch darum, die Arbeitsbedingungen möglichst unhabhängig zu halten. Wenn wir die Möglichkeit bekommen, ein bisschen Geld in die Hand zu nehmen, Vertrauen im Ausland zu gewinnen und Investitionen leichter zu kriegen, werden wir das auch tun. Ich habe aber stets betont, dass wir kein Interesse haben, uns zu verkaufen oder als Executive zu fungieren. Wir haben einen Spirit, den kann man sich in unseren Filmen gerne anschauen. Und wenn es Interesse nach unseren oder ähnlichen Inhalten gibt, dann kooperieren wir gerne. Das Schöne an Cannes ist, dass man das Gefühl bekommt, für den internationalen Markt zu produzieren, man ist endlich über dem Zaun und bekommt die Möglichkeit, verschiedenste Kulturen und Mentalitäten wirken zu lassen und zu erleben.

 

Wie sieht dieser Spirit aus?
ANTONIN SVOBODA:
Cannes war ein gutes Beispiel dafür. Sowohl bei Hotel als auch bei Die fetten Jahre sind vorbei konnten wir bei der Substanz des Inhalts bleiben. Hotel hat einen sehr anspruchsvollen, irritierenden Inhalt mit einer stilistisch eigenwilligen Bildsprache, die sicherlich kontrovers, bei der französischen Presse z.B. sehr positiv aufgenommen wurde. Die fetten Jahre sind vorbei war umgekehrt, aber da konnte man sich auch auf den Kern des Inhalts berufen und sagen, das ist das Kino, das wir wollen. Entweder irritieren und stören oder andere Dimensionen aufwerfen oder Fragezeichen setzen. Ein Kino, das motiviert, aber auch Kino, das irgendwie abschweift. Es sind zwei Enden, eines Versuchs, Kino als Dialog zu produzieren.

 

Mit Philippe Bober besteht eine Kooperation sowohl mit dem Weltvertrieb als auch mit der Produktionsfirma Essential Films?

ANTONIN SVOBODA: The Coproduction Office ist ein kleiner, feiner Weltvertrieb, der Filme von Ulrich Seidl und Jessica Hausner vertritt. Bei den Koproduktionen mit Essential Film ist es einfach gut, dass er von Beginn an intensiv an der Entwicklung mitarbeitet. Das hat uns immer wieder geholfen, in Gesprächen geschult und für den Markt sensibilisiert. Man muss auf alle Fälle das Bewusstsein haben, dass man Nischenprodukte herstellt. Man kann hin und wieder so einen Big Shot landen, aber das ist wirklich eine Glücksstunde für eine Firma. Es kommt ja nicht jeder mit dem Drehbuch und Daniel Brühl, den er noch dazu selber aufgebaut hat, im Handgepäck daher.

 

Wie kam es zum Kontakt mit Hans Weingartner?

ANTONIN SVOBODA:Ich kenne ihn seit 15 Jahren, wir haben beide am Anfang unseres Studiums eine Ausbildung in Method Acting gemacht, es war eine sehr leidenschaftliche, aber ungezielte Beschäftigung mit Theater. Dann haben wir uns aus den Augen verloren, Ich sah Das weiße Rauschen in Saarbrücken, fand es toll und habe ihm daraufhin eine Art Liebesbrief geschrieben, und wir blieben in Kontakt. Dann kam alles sehr kurzfristig, er schickte mir das Treatment, mit der Frage, ob wir uns vorstellen könnten einzusteigen. Er hat sich in Deutschland mit Das weiße Rauschen das nötige Vertrauen erarbeitet, und auch in Österreich ließ sich das gut argumentieren, zumal nicht so viel Geld beansprucht wurde.

 

Was wurde in Österreich gemacht?

ANTONIN SVOBODA: Das halbe Buch wurde in Tirol gedreht, und dann die Bildfertigstellung, Tonmischung bis zur Kopie. Es war sicher einer der am schnellsten finanzierten, organisierten und abgedrehten – wenn auch nicht geschnittenen – Filme. Im Frühjahr 2003 wurde eingereicht, im Sommer gedreht, aber zuvor wurde zwei Jahre am Drehbuch gearbeitet.

 

Die Firma besteht jetzt seit fünf Jahren. Ist Ihr Konzept aufgegangen?

ANTONIN SVOBODA: Wenn es ein Konzept gegeben hat, dann war es "leidenschaftlich Filme machen". Die Möglichkeit haben wir bekommen, vielleicht sogar etwas über die Maßen. Es sind in den letzten Jahren sehr viel Energie und Zeit hineingeflossen, weil wir viele Dinge nicht gewusst haben und es ein Learning by Doing war. Schwierig war sicherlich, dass wir mit dem größten Umweg beginnen mussten, nämlich über internationale Koproduktionen eine Basis zu schaffen: Lovely Rita, Kaltfront, Böse Zellen, Darwin's Nightmare. Es ist sehr aufwändig, für eine junge Firma ständig in Koproduktionen involviert zu sein, Geldflüsse sind stockend, Diskussionen lähmend, die Parameter sind nicht selbst bestimmbar, man ist in vielen Abhängigkeiten mit vielen juristischen und ökonomischen Gefahren. Aber es hat sich letztlich ausgezahlt, denn dadurch gibt es Kontakte, dadurch mussten wir uns hinausbewegen, jetzt machen wir das mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, wir haben wenig Scheu nach außen zu gehen, kennen ein paar Spielregeln und wir wissen auch, dass es ein Bedürfnis nach Partnern wie uns für internationale Koproduktionen gibt.

 

Ist es anzustreben, einen rein österreichischen Kino- oder Fernsehfilm zu machen?

ANTONIN SVOBODA: Wenn der Inhalt danach ist, spricht nichts dagegen. Fernsehen ist nur eine andere Disziplin, und ist von uns noch nie dämonisiert worden, im Gegenteil: Fernsehen ist ein anderes Medium und hat eine Reichweite, die Kino national nie erreichen kann. Deshalb hat es für mich eine wichtige Funktion, was Geschichten-Erzählen und das Übermitteln von Informationen bedeutet. Im Prinzip sind wir sind sehr willig und interessiert, für dieses Medium etwas zu machen, nur wollen wir nicht reproduzieren, was ohnehin schon gemacht wird. Wir sind eine Generation von Fernsehkonsumenten, die mit einem ganz eigenwilligen Bedürfnis an das Medium herangehen. Für uns stellt es ein Medium des Dialogs dar, nicht ein bloßes Unterhaltungsmittel.

 

Welches sind die Vor- und Nachteile des Modells Regie und Produktion personell in einer Firma zu vereinen.

ANTONIN SVOBODA: Die entscheidende Frage ist, wie schaffst man es als Produktionsfirma, nach außen möglichst die Spielregeln zu erfüllen und nach innen Freiraum und Schutz zu bieten. Alles kostet wahnsinnig viel Geld, wir haben fixe Angestellte, der Zähler läuft. Man müsste die Budgets mal kürzen auf das, was tatsächlich zum Produzieren überbleibt. Unsere Firmenstruktur ist eine langsam wachsende, entscheidend ist zu erkennen, wann ist der Zeitpunkt für den nächsten Schritt, wann müssen wir erweitern. Wir arbeiten rund um die Uhr, damit es eine Kontinuität gibt. Wir arbeiten auch an Projekten, die sich sehr langsam entwickeln, das ist ein Teil des Filmemachens. Die fetten Jahre sind vorbei in Cannes ist ein Pay-Off, wo wir die Früchte ernten. Man muss aber auch die Zeit und Geld und die Energie haben, Projekte zu entwickeln. Die von da kommen und in eine ganz andere Richtung gehen. Die muss man begleiten und das ist wirklich schwierig.

 

Sie selbst haben ein Regie-Projekt kurz vor Drehbeginn. Ist es nicht schwierig, sich als Regisseur auf sein Projekt einzustellen und gleichzeitig als Produzent bei einem anderen zu sein?

ANTONIN SVOBODA: Neurologisch gesehen kann der Mensch sieben Dinge gleichzeitig machen. Kubelka sich einmal in einer seiner Vorlesungen als Entspezialisierungsmensch bezeichnet. Was wir hier tun, ist auch eine Art von Entspezialisierung. Bücher werden nicht besser, indem man wie eine Henne auf ihnen sitzt. Ich finde es sehr gut, den Markt zu kennen und sich auch mit den Schauspielern in ihren Nöten zu unterhalten. Ich bekomme viele Bücher auf meinen Schreibtisch, bekomme Tendenzen und Trends mit. Es hat etwas von einer Werkstatt. In einer Werkstatt wird etwas hergestellt und das hat auch etwas mit Leben zu tun. Jedes künstlerische Unterfangen ist autistisch. Ist man aber so schizophren, und ist Autist und Familienmensch zugleich, dann lässt sich das sehr gut vereinen und brennt auch wie ein Familienbetrieb, im guten Sinne. Es gibt relativ wenige Abhängigkeiten, es ist ein Füreinander-, Miteinander- und Zueinanderarbeiten. Es gibt für jedes Projekt zwei Zuständige, einer ist mehr inhaltlich, der andere mehr produktionstechnisch zuständig. Wir haben uns in den fünf Jahren einen Work-Flow überlegt, der auch für unser Gegenüber nach außen eine transparente und klare Zuständigkeit darstellt.

 

Worum geht es in Ihrem Projekt Spiele Leben?

ANTONIN SVOBODA:  Ich wollte schon immer eine Geschichte über einen Spieler machen. Es steht für eine Metapher, was das Leben bieten könnte und was es an Süchten gibt. Es geht um Getriebenheit und Suchtverhalten und welche Fragen sich damit auftun. Ich mag Systemunterwanderer, Menschen, die es vorziehen, ihren ganz spezifischen Weg zu gehen. Das Thema "Spieler" repräsentiert für mich ein schönes, einsames Kino. Er unterwandert viele Moralsysteme und beginnt zu einem bestimmten Zeitpunkt um seine Entscheidungen zu würfeln und macht das Brett zum Spiel seines Lebens. Es interessiert mich dabei diese bedeutungslose Weltanschauung. Es gibt so viele Filme, wo es darum geht, entscheiden sich die Leute richtig oder falsch, dann kommt die Reue oder auch nicht. Das möchte ich auf gewisse Weise aushebeln und in einem taoistischen Sinne sagen, es ist relativ schwer vorhersehbar, welche Konsequenzen welche Entscheidungen wirklich haben. Was heißt es, Dinge fließen lassen? Es gibt so simple Parabeln, diese dann aber wirklich in einen Lebensalltag umzusetzen, das ist das Mysterium. In dieser Geschichte habe ich versucht, damit zu spielen.

 

Interview: Karin Schiefer (2004)