«Angetreten war ich mit dem Anliegen, Bilder zu finden auf die Frage, wie schön Zukunft sein kann. Bilder habe ich gefunden
- aber gelöst habe ich das Paradoxon nicht. Ein Gespräch mit Edgar Honetschläger.
Verfolgt man Ihr bisheriges filmisches Schaffen, so ist AUN ein klarer Schritt in ein anderes Erzählen, weg vom Essayistischen
hin ins Fiktive und dabei in eine besondere, sehr symbolhafte Fiktion. Gab es präzise Quellen, die Sie dazu inspiriert haben
EDGAR HONETSCHLÄGER: Für mich ist AUN ein Gedicht - aus Bildern. Ich halte den Film eher für eine Rückkehr - Milk war aus dem Leben gegriffene
Fiktion und auch AUN entwickelte sich anfänglich aus meinem Erleben, wie der mit Wasser betriebene Motor, um den es zu Beginn
geht. Dieser ist eine Erfindung von Yukika Kudos (sie ist die Produzentin und Darstellerin der Hikari) Vater. Den Motor gibt
es, aber wie die Figur Sekai im Film sagt: "Es reicht nicht, das ist zuwenig. Wir müssen noch weiter gehen, um uns zu retten."
Einflüsse kommen vom italienische Anthropologen Fosco Maraini, den ich als den feinsten Reflektor zum Thema Shintoismus, der
Urreligion Japans, betrachte. Ebenso Claude Lévi-Strauss: Die Anfangsszene, Auns Geburt mag wie griechisches Theater anmuten,
aber eigentlich geht sie auf ein von Strauss beschriebenes indianisches Ritual zurück, bei dem eine Urwaldsippe um eine gebärende
Frau steht und (Tier-)Namen rezitiert. Jenen, den sie in dem Moment aussprechen, in dem das Kind zur Welt kommt, wird zum
Namen des Kindes. Weiters ist die brasilianische Schriftstellerin Clarice Lispector zu nennen, eine weißrussische Jüdin, die
als Kind nach Brasilien kam und zur Nationaldichterin wurde. AUN nährt sich aus Er-Lesenem, Erlebtem und rein Fiktivem - wie
jeder Film - um eine märchenhafte Traumwelt zu schaffen. Ich meine, dass man nur in seltenen Fällen die Handlung eines Filmes
behält. Spätestens nach einem Monat bleibt nur ein Gefühl und wenn es länger zurück liegt - umso mehr. Das hat mich interessiert.
Wer bereit ist, sich auf diesen Film einzulassen, wird das Kino mit einem wohligen Gefühl verlassen. Die Bilder sprechen eine
Sprache, die im Kopf des Zuschauers haften bleibt. Wenn das gelungen ist, habe ich gewonnen.
Kann man dennoch einen kurzen roten Faden durch die Geschichte ziehen?
EDGAR HONETSCHLÄGER: Die Frau des Gelehrten Sekai stirbt bei der Geburt ihres Sohnes Aun. Eines Tages findet dieser am Strand eine eigenartige
Meeresschnecke. Sekai, in der Hoffnung eine lebenswerte Zukunft zu schaffen, stirbt, indem er Experimente am eigenen Körper
mit Substanzen der Schnecke durchführt. Zwanzig Jahre später setzt der Wissenschafter Euclides diese Experimente fort. Da
ihm eine essentielle Komponente fehlt, hält er seine Frau Nympha dazu an, Aun zu suchen, von dem er meint, das Geheimnis zu
kennen. Aun, nun Priester in einem Shinto Schrein führt Nympha in eine Parallelwelt, von der Euclides glaubt, in ihr die Zukunft
zu finden.
Mit dem ersten Bild taucht man in eine Traumwelt ein, man ist von Beginn an dem Alltag, aber auch der Zeit entrückt. Es spielen
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich in die Handlung hinein.
EDGAR HONETSCHLÄGER: Die Wirklichkeit interessiert mich nicht. Mein Leben ist ein Traum, darum träume ich nie. Aber für die Zuschauer suche ich,
einen Traum zu zaubern. Ich bin an einer zeitpolitischen Debatte als Person sehr interessiert, aber als Künstler erscheint
mir eine weiterreichende Debatte viel fruchtbarer. Die Dinge geschehen zwischen den Frames, was evident ist, wird versteckt,
das Politische, wie das Philosophische. Ich spiele mit Zeitebenen. Man sieht es anhand des Hauptdarstellers Aun, der ein ganzes
Leben im Film durchläuft. Man erlebt ihn bei der Geburt, mit sieben, mit siebzehn, mit 40 und mit 80. Gegen Ende des Films
lasse ich ihn von einer Szene auf die andere von 40 auf 80 altern. Das gehört zu den wunderbaren Dingen am Filmemachen – dass
man Herr über die Zeit ist
Welche philosophischen Fragen wolltest du mit AUN aufwerfen?
EDGAR HONETSCHLÄGER: AUN entstand vor dem Hintergrund, den Mythos von der Apokalypse, die der Mensch fürchtet, seitdem er ist, als Bedrohungsszenario
nicht mehr akzeptieren zu wollen. Der Charakter Sekai [=die Welt] ist ein Widerspruch in sich selbst, weil er einerseits auf
die Tradition im Sinne des Orients pocht und dann plötzlich auf dem Wasser sitzt wie Jesus Christus und damit genau das verkörpert,
was er im Dialog moniert, nämlich "wie weit wir den Individualismus noch treiben wollen". Er handelt wie ein westlicher Wissenschafter
und will doch aus östlicher Sicht neu erfinden. Sein Sohn Aun [= der Anfang und das Ende aller Dinge], ein Gott, widerspricht
ihm, indem er meint das Leben sei ihm von Außen, von der Welt, geschenkt. In der Folge begeht er auf einer metaphorischen
Ebene (im Traum) Inzest mit seiner bei der Geburt verstorbenen Mutter Hikari [=das Licht]. Also die Ewigkeit paart sich mit
dem Licht. Dazu fügt sich das Faust'sche Thema gleich zweimal – einmal angewendet am japanischen Gelehrten und das andere
mal am westlichen Wissenschafter aus Brasilia, der Klimax der Moderne. Der heißt Euclides im Film [nach dem antiken Mathematiker
benannt], ein Stummer, der vom 01 Code besessen ist. Von ihm fühlen sich die Geister des Waldes bedroht, die in AUN von einem japanischen Großstadtphänomen verkörpert werden: Den Maids aus den Manga Cafes. Ihr Meister ist der 40-jährige
Aun - der als Priester in einem Shinto Schrein dient. Shinto ist Animismus - es gibt Millionen von Göttern, die täglich mehr
werden. Alles ist Gott - weil alles Natur ist, auch das, was der Mensch schafft. Genau das Gegenteil von monotheistischen
Denkprinzipien. Japan ist in AUN aber nur Backdrop, auch wenn japanische Vorstellungen von der Welt durchaus ausgebreitet
werden.
Ist Japan in der Tat so wenig präsent?
EDGAR HONETSCHLÄGER: Präsent schon – aber es ist keine japanische Welterklärung. Man darf nicht vergessen, dass ich seit zwanzig Jahren zwischen
Japan und Europa pendle, mehr als die Hälfte der Zeit in Tokyo verbracht habe, dort zu Hause bin. Mir ist alles vertraut dort,
es gibt nichts mehr, was für mich exotisch wäre. Auf den Zuschauer mag das anders wirken, das kann ich nicht abschätzen. Dass
die Natur Gott ist und der Mensch mit ihr, hat nicht nur der ferne Osten erfunden. Es wird im Film sowieso nie ausgesprochen.
Ich hoffe dennoch, dass man über die im westlichen Auge entstandene Exotik hinaus tiefere Schichten wahrnimmt. Ich bin bei
meinem alten Thema, nämlich Rituale zu erfinden, um der Wirklichkeit zu widersprechen - das war bei Milk schon so. Ich erfinde
Dinge, die der Phantasie entspringen, dann aber so wirken, als gäbe es sie und als würden sie gelebt. Das Erfinden von Symbolen
kommt dem Erfinden einer neuen Welt gleich.
Wenn von Symbolen die Rede ist, so tragen sicherlich die Namen der Figuren ihre Bedeutungen?
EDGAR HONETSCHLÄGER: Ja, denn zu den bereits erwähnten kommt noch Nympha hinzu, die Frau des Wissenschafters, die sich mit ihm gemeinsam auf die
Suche nach Aun [der Anfang und das Ende aller Dinge] begibt. Und AUN, der Film selbst, ist eine Suche, so wie alle Charaktere
des Films ständig nach etwas suchen. Von Schwammerln bis Sinn, von Zeit bis Zukunft. Nympha steht für Verpuppung und Verwandlung.
Darum kommt auch immer wieder der Schmetterling vor, der sie lockt. Dieser steht für die Eitelkeit, denn er ist schön, sein
Leben kurz, darum sucht er, alle zu verführen. Euclides, der Zahlenfreak, kümmert sich nur um Zahlen, er kann die Welt nur
über diese begreifen und scheitert letztendlich an seiner eigenen Körperlichkeit. Er sucht verbissen nach einer lebbaren Zukunft
– er will wie die Wissenschaft Gott spielen – aber nur Aun kennt den Schlüssel. Euclides ringt ihm diesen ab, aber er weiß
ihn nicht richtig zu nutzen und schafft dann doch mit seinem letzten Atemzug eine neue Welt, die dann ebenso ambivalent daher
kommt, wie die, die wir kennen. Hikari [=das Licht], Auns Mutter, verflüchtigt sich und Sekai [=die Welt/die Erde] richtet
sich selbst zugrunde. Nochmal: Alles, was der Mensch schafft, ist Natur. Der Glaube an die Zerstörung der Welt ist eine Hybris.
Und selbst wenn es gelänge – wie unbedeutend die Erde in dem großen Universum war...
Ist der Satz: Alles was der Mensch schafft, ist Natur nicht ironisch gemeint?
EDGAR HONETSCHLÄGER: Nein, ganz und gar nicht. Alles, was uns umgibt, alles, was wir als Natur empfinden, ist Sekundärnatur, vom Menschen geschaffen.
Aber im Osten geht man noch weiter: Alles, was wir machen ist Natur. Das widerspricht dem, was in hiesigen Breitengraden Usus
ist - nämlich dem Beweinen dessen, was der Mensch zerstört – vollkommen. In diesem Spannungsfeld befinde ich mich mit AUN,
denn ich liebe die Natur und trauere um ihren Verlust. Gleichzeitig bin ich um die Zivilisation sehr glücklich - ich möchte
nicht im Dschungel leben. AUNs Charaktere verkörpern die Dichotomie Mensch-Natur. Der Film glaubt an die Menschen, an ihre
Fähigkeit Probleme zu lösen. Aber ich wäre kein Mitteleuropäer, wenn ich das unhinterfragt stehen ließe. Pollen atmet Euclides
aus, die auf ein vergangenes, von ihm geschaffenes Stück Zukunft fallen, von dem er meinte, dass es die Welt retten könnte
und daraus entsteht eine neue Welt. Es ist eine sehr ambivalente Aussage, weil ich für mich weder eine Antwort gefunden habe,
noch mir eine zutraue. Dem Film lag sehr lange die Idee zugrunde, eine sehr positive Zukunft zu zeichnen. Allein im Angesicht
dessen was in den letzten Monaten in der Welt geschah, ist es sehr schwierig sich vorzustellen, dass das alles noch gut ausgehen
kann. Ich will keineswegs einstimmen in den Chor der Defätisten, oder in den Kanon der Wissenschafter – im Film von ihnen
selbst dargestellt – ich liege irgendwo dazwischen. Darum ist der Schluss auch offen. Das Ansinnen dieses Projekts war ein
Kunstwerk zu kreieren, das innerhalb des intellektuellen Spektrums ein breiteres Publikum ansprechen kann, als meine bisherigen
Filme. Ich hoffe, dass es gelungen ist, weil ich mir wie alle Regisseure ein möglichst großes Publikum wünsche. Ich hoffe,
dass sich die Zuschauer berauschen lassen und in die Sinnlichkeit des Films eintauchen.
Der Film spielt gänzlich in einem japanischen Kontext, in den Sie zwei brasilianische Figuren gesetzt haben. Was hat Sie nach
Brasilien geleitet?
EDGAR HONETSCHLÄGER: Die Moderne. Ich hielt die Hauptstadt Brasilia für einen spannenden Versuch des Menschen nach der Zukunft, weil das ja im
Grunde lächerlich ist – so wie die Vergangenheit. Vor einigen Tagen ist mir das bei einem Ausstellungsbesuch wieder klar geworden,
weil ein Museum so gut vor Augen führt, wie kleinmütig der Konservierungswille ist. Das alte Rom liegt gerade mal 70-80 Generationen
zurück und was ist geblieben? Ein Haufen Steine. Wir binden uns ans Material und dabei bleibt nichts als Ideen und Konzepte.
Es ist rührend, was der Mensch konserviert, was er sucht und wie er sich ums Festhalten an den Dingen bemüht. Es gibt in AUN
einige Sätze der japanischen Schriftstellerin Yoko Tawada, die schon sehr lange in Deutschland lebt und in deutscher Sprache
schreibt. Als ich mit ihr u.a. wegen der Genehmigungen einiger Sätze telefonierte, hat sie mir mit einer unglaublichen Kaltschnäuzigkeit
gesagt: "Ich interessiere mich nicht für die Zukunft." Das hat mir gefallen. Angetreten war ich mit dem Anliegen, Bilder zu
finden auf die Frage, wie schön Zukunft sein kann. Bilder habe ich gefunden – aber gelöst habe ich das Paradoxon nicht. Allein
schon wegen der nicht vorhandenen Mittel. (lacht).
Wie ließ es sich dennoch realisieren?
EDGAR HONETSCHLÄGER: Viel haben wir dank Yukika Kudos Überredungssgabe erreicht. Wir haben mit den besten Filmleuten, die Japan zu bieten hat,
zusammengearbeitet. Das Licht ist nicht umsonst so schön. Wir hatten Top Beleuchter, gleichwie Ausstatter, die schon mit Akira
Kurosawa zusammengearbeitet haben. Rosanne Mulholland, die die Nympha spielt, wurde 2008 zur besten Schauspielerin Brasiliens
gewählt und so ließe sich die Liste fortsetzen. Wir hatten nur die Crème de la crème zur Verfügung, die, wie so oft, nur deshalb
bereit war, um einen Spott mitzuarbeiten, weil das Projekt sie interessiert hat. Dazu haben die Produzentinnen volle Arbeit
geleistet - darum konnte das Ganze in der Form überhaupt entstehen. Es gibt zwei Möglichkeiten, die ich den Investoren immer
wieder kommuniziert habe – viel Geld und schnell oder wenig Geld und langsam. Wenn man mit den besten Leuten zusammenarbeiten
will, dann muss man warten, bis die eine Lücke haben und aus reiner Lust mitmachen.
War Brasilien, nachdem Sie in Japan wie in Europa wie in den USA zu Hause sind, auch ein Land, das auch für Sie etwas Fremdes
und Rätselhaftes repräsentiert?
EDGAR HONETSCHLÄGER: Ja, bestimmt spielt auch eine neue Form von Exotik da hinein. Mich sprechen vorwiegend Kulturen an, die starke Eigenheiten
aufweisen. Brasilien hat etwas ganz Eigenständiges entwickelt, etwas Ingeniöses, was die Moderne betrifft. Das lässt sich
nicht nur auf die Architektur, sondern auch auf die Musik und die Fotografie anwenden. Die Stadt Brasilia ist mit der europäischen
und amerikanischen Moderne unvergleichbar und die Brasilianer haben wirklich Großartiges geleistet als Volk, als Nation, als
Kultur, als Mentalität. Da war der Sprung von Japan her wiederum nicht so groß, das ja auch eine sehr starke Identität hat.
Die Menschen in AUN sprechen alle ihre Sprache, ob Japanisch, Brasilianisch oder Zeichensprache und sie verstehen einander
problemlos. Ein ironisches oder ein utopisches Moment?
EDGAR HONETSCHLÄGER: Brasilianisches Portugiesisch und Japanisch klingen sehr schön zusammen. Das ging so wunderbar, obwohl die Schauspieler Angst
davor hatten, weil sie meinten einander nicht verstehen zu können. Aber ihr Timing war perfekt, ohne dass der eine verstand,
was der andere gerade gesagt hatte. Natürlich kannten sie das mit Reinhard Jud erarbeitete Drehbuch in ihrer eigenen Sprache
und wussten, was, wer wann sagte. Am Set gab es, wie bei allen meinen Produktionen keine einheitliche Kommunikationssprache,
die perfekte babylonische Sprachverwirrung.
Der Film hat eine sehr eindrucksvolle Bildersprache, die in manchem auch an ein Universum aus der Kinderwelt erinnern, ich
denke an die kleinen Mädchen im Wald.
EDGAR HONETSCHLÄGER: Die Mädchen kommen so zuckerlsüß und naiv daher, sie sind aber die Herrinnen des Waldes und sie vernichten Euclides, der für
den Wald und damit für sie eine Bedrohung darstellt. Sie haben große, weite Manga-Augen und ihre "Kunden" sind nicht müde
Büroangestellte in den Straßenschluchten der Megametropole Tokyo, sondern die Flora und Fauna des Waldes am Fuße des heiligen
Berges Fuji. Ich kehre sie um, diese Blüten der Großstadtkultur. Ich musste die Natur sprechen lassen, aber wie? Wir Menschen
scheinen alles, was nicht menschlich ist, immer nur dann zu begreifen, wenn wir es vermenschlichen. Die Maids/Feen und Aun
als Shinto-Priester verleihen der Natur eine Stimme. Gleichzeitig stellen sie für mich auch ein Element aus der commedia dell'arte
dar und sind somit das Antipodium zum "Chor der Wissenschafter?".
Der Film besteht aus sehr eindrucksvollen, starken Bildern. Können Sie etwas über die Bildgestaltung und die Zusammenarbeit
mit dem Kameramann erzählen.
EDGAR HONETSCHLÄGER: Ich hatte hervorragende Kameraleute für alle drei Teile. Ich arbeite grundsätzlich nur mit solchen, die sich darauf einstellen,
dass ich das Framing mache - das gebe ich nicht aus der Hand. Ich bin dankbar über jeden guten Vorschlag, aber letztendlich
bestimme ich, weil ich mit der Kamera male. Ich habe immer einen großen Monitor, über den ich die Kamera auf den Millimeter
genau einstelle. Von einem Kameramann erwarte ich, dass er die Technik beherrscht und weiß, mit dem Licht umzugehen um dies
mit den Beleuchtern zu kommunizieren. Das hat sicherlich damit zu tun, dass ich auch bildender Künstler bin. Deshalb entstehen
auch Bilder, die bis ins kleinste Detail durchkomponiert sind. z.B. von der aufgehenden Frucht haben wir in Wien 50.000 Fotos
gemacht und sie dann zu der Sequenz zusammengehängt. Mein Atelier verwandelte sich in ein Labor, ganz gleich dem Film - es
geht immer um Verwandlung.
Und dann gab es auch die Mikroskopbilder...
EDGAR HONETSCHLÄGER: Ja, aber dass hier kein Missverständnis entsteht, in AUN gibt es CGI, aber vieles, von dem man meint, es käme aus dieser Ecke,
ist analog geschaffen. Die Mikroskop-Szenen sind alle real gedreht – wenn Sekai durchs Mikroskop schaut, dann hieß das für
uns wochen- und monatelange Versuche, wie man so etwas mit dem gegebenen Budget realiter erschaffen kann und das war dementsprechend
mit vielen Verzweiflungen verbunden. Für die computergenerierten Bilder habe ich mit Computergrafikern in Wien und Tokyo zusammengearbeitet.
Das Ende des Films ist reine CGI-Arbeit. Die Zusammenarbeit mit den Computergrafikern war keine leichte. Sie sprechen eine
andere Sprache, eine, die ich mir erst aneignen musste. Ich hatte lange überlegt, ob ich alles selbst zeichnen sollte, kam
aber immer wieder zu dem Schluss, dass meine Zeichnungen allein zu naiv wären. Es war spannend mit diesen Leuten eine Welt
zu kreieren und sei es nur für wenige Minuten. Die Lehre aus der Geschichte jedoch ist, dass ich den nächsten Film ohne die
Hilfe von Computergrafik machen möchte.
Das Sounddesign von Christian Fennesz ist auch ein sehr wesentliches Element in AUN geworden?
EDGAR HONETSCHLÄGER: Es war eine langjährige, intensive, ja herrliche Auseinandersetzung. Ich habe in Fennesz einen wunderbaren Tonmaler mit im
Boot gehabt. Ein großartiges Sounddesign ist entstanden. Ich meine mit dem Soundtrack zu AUN wird eines seiner besten Alben
herauskommen. Es gibt am Beginn des Films drei Tracks, die von einem Album stammen, das er zusammen mit Ryuichi Sakamoto gemacht
hat – auch diese fügen sich glänzend hinzu, so wie sie Songs für die Maids, die Fennesz komponierte und ich mit ihnen einstudierte.
Fennesz ist ein Meister der Verstörung, die ganz sanft daherkommt. Sozusagen ein Wolf im Schafspelz. Es war eine sehr enge
und schöne Zusammenarbeit und eine gute Erfahrung insofern, als es für mich eine Premiere war, etwas komponieren zu lassen.
Bisher hatte ich immer bestehende Musik verwendet.
AUN vermittelt ein Gefühl der Entschleunigung. Tempo und Rhythmus des Films haben viel mit der Montage zu tun. War AUN zu
schneiden eine besondere Herausforderung?
EDGAR HONETSCHLÄGER: Das Tempo gehört zu der Welt in die ich einführe; es ist ein anderes, als jenes, das man vom Film und auch aus dem Leben gewöhnt
ist. Man muss sich auf das "Gedicht", wie auf das Märchen einlassen. Ich war aber tunlichst bemüht, unnötige Längen auszuschließen,
AUN so zu bauen, dass man gespannt bei der Sache bleibt. Wir hatten viel Material, nach und nach wurde im Sinne der Klarheit
gekürzt. Der 95-minütige Film hat nur rund 500 Schnitte. Ein wenig habe ich selber geschnitten, aber das Gros des Schnittes
kommt von einem Österreicher und zwei Japanern. Wie fast alles in dieser Produktion war auch der Schnitt eine Kombination
– eine faire Mischung aus Orient und Okzident.
Interview: Karin Schiefer
Juli 2010