«Wenn aus einer Literaturszene sehr viel Fruchtbares kommt, wäre es sehr schade, wenn sich der Film damit nicht auseinandersetzen
würde. Es ist eine zusätzliche, bereichernde Option, sich dieser kraftvollen Literaturszene anzunehmen.» Andreas Hruza und
Erich Lackner, die Produzenten von Robert A. Pejos Der Kameramörder, im Gespräch
Der Kameramörder ist sowohl eine internationale als auch eine nationale Koproduktion. Was waren die Perspektiven und Notwendigkeiten dafür,
dass diese Konstellation zustande gekommen ist.
ANDREAS HRUZA: Dass es innerhalb Österreichs zu einer Koproduktion gekommen ist, liegt daran, dass das meine Arbeitsweise ist. Ich beginne
Projekte an die ich glaube mit AutorInnen und RegisseurInnen und wenn sie dann in einer ausgereiften Entwicklungsphase stehen,
suche ich mir jeweils hochqualifizierte nationale und teilweise internationale Produktionspartner, mit denen ich sie realisieren
möchte. Diese Arbeitsweise erlaubt mir, mehrere Projekte parallel zu betreuen ohne dafür große Strukturen haben zu müssen.
Es gibt ja in Österreich genug qualifizierte und spezialisierte Partner, die funktionierende Strukturen und ein kompetentes
Team haben, aber nicht unbedingt ganzjährig voll ausgelastet sind. Auch deswegen schien mir diese Arbeitsform als taugliches
Produktionsmodell für Österreich, von dem im Übrigen auch die Kreativen profitieren, mit denen ich das Projekt zu gemeinsam
vereinbarten Bedingungen starte.
In welcher Projektphase hat die Zusammenarbeit zwischen AV Medienbüro und der Lotus-Film begonnen?
ANDREAS HRUZA: Das war in einer Drehbuchstufe, wo es noch einer Weiterentwicklung bedurfte, wo man aber das Potenzial des Film bereits erkennen
konnte.
ERICH LACKNER: Grundsätzlich möchte ich zur nationalen Koproduktion noch etwas hinzufügen: Um einen Film zu produzieren, braucht es zwei
Dinge: die Rechte für den Stoff und die Möglichkeit, diesen dann technisch in Film umzusetzen, also ein juridisches Gebäude,
das die Copyrights regelt und eines zur Erschaffung des Films selbst. Es ist eine überholte Produktionsauffassung, zu meinen,
dass einer alles machen soll und von Beginn an alles alleine abwickelt. Filmemachen ist bekanntlich ein extrem komplexer Vorgang,
der ein breites Feld an Potenz und Potenzial fordert und es ist unsinnig, von vornherein zu versuchen, alles auf eine Person
bzw. eine Firma zu vereinigen. Das gab es nur in Österreich und zwar weil hier das freie Produzieren nicht Angelegenheit der
Wirtschaft war, sonders es wurde – so paradox es klingt ? durch die Gewerkschaft initiiert. Die Gewerkschaft war in Österreich
die positive Wurzel, auf der das Filmgesetz gewachsen ist. Klarerweise hat eine gewerkschaftliche Organisation nicht die unternehmerischen
Aspekte des Produzierens im Auge, aber es wurden Rahmenbedingungen geschaffen, die es möglich gemacht haben, zwanzig Jahre
lang so zu produzieren.
Kann man sagen, dass bei internationalen Koproduktionen die finanziellen Aspekte im Vordergrund stehen und die nationalen
Koproduktionen aus einer neuen Arbeitsweise heraus entstehen.
ERICH LACKNER: National war die Situation die, dass Andreas Hruza die Rechte am Stoff hatte, aber nicht die Struktur, einen Film zu realisieren.
Wir hingegen verfügten über die Struktur und vor allem über Know-how von Leuten, die entscheidende Positionen in der Firma
einnehmen. Es kann sowohl bei internationalen als auch bei nationalen Koproduktionen ein monetärer Grund für eine Koproduktion
ausschlaggebend sein. Es kann sinnvoll sein, dass ein Produzent, der über Referenzgeld verfügt, aber kein aktuelles Projekt
hat, mit einem Produzenten zusammengeht, der ein konkretes Projekt hat, aber kein Geld. Das haben wir auch schon gemacht.
Es kann finanzielle Gründe geben, es kann sein, dass die Geschichte an sich grenzüberschreitend spielt oder ein oder zwei
Stars unbedingt in diesem Film mitspielen sollen und an einen bestimmten Namen nationale Gelder gebunden sind. Im Fall von
Der Kameramörder war es erstmals so, dass jemand mit den Rechten auf den Stoff auf mich zugekommen ist.
Wie sind Sie zu Ihren internationalen Partnern gekommen?
ERICH LACKNER: Die Schweizer Partner Cobra Film kamen dazu, weil es uns noch finanzielle Mittel fehlten und mir klar war, dass wir die Mittel
in Österreich nicht zusammenbringen würden.
ANDREAS HRUZA: Mit der Entscheidung, den Ort der Handlung im Roman von der eher gebirgigen Weststeiermark an einen weiten See zu verlegen
und gleichzeitig, das Projekt mit einem Regisseur mit ungarischen Wurzeln anzugehen, war es nahe liegend, die Dreharbeiten
am Ostufer des Neusiedlersees und mit einem ungarischen Produktionspartner zu planen. Mit dem ungarischen Partner ist schon
vor drei Jahren zum ersten Mal über das Projekt gesprochen worden. Robert A. Pejo ist österreichischer Staatsbürger, gilt
in Ungarn aber als Ungar. Damit funktioniert die Identifikation mit dem Regisseur und mit der Örtlichkeit für beide Länder
sehr gut. Die finanziellen Angelegenheiten spielen bei internationalen Projekten eine sehr große Rolle.
ERICH LACKNER: Man muss sich nur vor Augen halten, wie viele ungarische Regisseure beim heutigen Pressetermin anwesend waren. Auch bei unserer
jetzigen Konstellation kamen vielerlei Gründe zum Tragen: inhaltlich war es mit Ungarn verknüpft, finanziell mit der Schweiz,
dann aber auch wiederum finanziell mit den Ungarn, weil es da ein Tax-Shelter-Modell gibt. Das mischt sich immer.
Der Film hat ein relativ kleines Budget und dennoch war es notwendig, eine Koproduktion zu konstruieren. Was sagt das über
die aktuelle Produktionssituation in Österreich aus?
ERICH LACKNER: In Österreich bekommt man, wenn man nicht mit einem Regisseur vom Standing eines Glawogger, Murnberger, Sicheritz dreht –
von Haneke rede ich gar nicht – kein Budget über zwei Mio Euro. Bei zwei Mio Euro liegt zur Zeit der Plafonds und zwar wenn
man ein komfortables Thema hat. Man darf nicht vergessen, dass das bei Der Kameramörder nicht der Fall ist. Da gab es zig Rückschläge beim Fernsehen, weil das Thema als „ur-grauslich“ empfunden wurde. Meistens
ist aber nicht nur ein Faktor ausschlaggebend. Robert A. Pejo hat in Österreich noch nicht genügend Referenz als Kino-Regisseur,
Dallas Pashamende ist nicht wirklich wahrgenommen obwohl der Film im Panorama in Berlin Premiere hatte. Faktum ist, es braucht
einen Namen, um ein Budget von zwei Millionen Euro durchsetzen zu können.
Was hat euch als Produzenten dennoch ermutigt, euch über das „grausliche“ Thema zu trauen?
ERICH LACKNER: Das „grausliche“ Thema ist auch sehr spannend. Und da kann ich nur fragen – hat Michael Haneke je ein Thema gehabt, das nicht
„grauslich“ war oder Ulrich Seidl?
ANDREAS HRUZA: Der Roman hat sich bis jetzt 100.000 Mal verkauft und ist in der 6. Auflage. Er rührt offensichtlich an grundsätzlichen menschlichen
Fragen wie ?Wem kann ich vertrauen?, Wie gehen wir mit dem eigenen Voyeurismus um?, Wozu ist der Mensch fähig? Es sind sehr
essentielle und archaische Themen, die der Roman behandelt, dem man sich nur schwer entziehen kann. Auch wenn es sehr radikal
zu lesen ist, übt der Stoff eine gewisse Faszination aus?
Warum habt ihr euch für den Ortswechsel von der Weststeiermark an eine Seelandschaft entschieden?
ANDREAS HRUZA: Der Ortswechsel stand seit der ersten Drehbuchfassung fest und ist im Einvernehmen mit dem Regisseur entstanden. Wir sagten
uns, dass die Grenze Land/Wasser eine ganz spezifische Atmosphäre erzeugt, die für diesen Stoff besonders geeignet ist.
ERICH LACKNER: Und dann kommt natürlich eine Dynamik von Prozessen ins Spiel. Es war schon Andreas’ Idee, die Handlung auf einen See und
zwar nicht auf einen von Bergen umrahmten Alpensee zu transferieren. Damit gab es in Österreich eigentlich nur noch eine Lösung
– den Neusiedlersee. Wenn wir dann zu dem Zeitpunkt, wo auch ich schon ins Projekt eingestiegen war, gewusst hätten, dass
es letztendlich nicht möglich sein würde, am Ostufer des Neusiedlersees zu drehen, dann hätte wir das Drehbuch vielleicht
an einen anderen Ort konzipiert. So war alles auf den Neusiedlersee hingeschrieben und acht Wochen vor Drehstart erfuhren
wir, dass wir dort nicht drehen konnten. Zu jenem Zeitpunkt hatten wir bereits Leute unter Vertrag und es waren schon viele
Gelder für die Rechte geflossen. Plötzlich war von einem mindestens sechsmonatigen Bewilligungsverfahren die Rede, dessen
Ausgang gar nicht sicher sei. Somit standen wir vor der Entscheidung – absagen oder anderer Drehort.
ANDREAS HRUZA: Gescheitert ist dieser ursprüngliche Plan daran, weil zu einem entscheidenden Zeitpunkt nicht sicherstellbar war, dass wir
dort innerhalb eines Zeitrahmens, die nötigen Drehmöglichkeiten geboten bekommen würden. Wir mussten für uns sicherstellen,
dass wir ohne Einschränkungen drehen konnten. Der Plan für das Haus stand bereits fest und wir brauchten viele Möglichkeiten,
Räume zu betreten. Es wäre sehr aufwändig gewesen, wenn wir Außen und Innen gesplittet hätten.
ERICH LACKNER: Es gibt an flachen Seen keine Häuser, die knapp am Ufer gebaut sind, da der Rand eines Steppensees immer sumpfig und voller
Schilf ist. Wir mussten auf alle Fälle extra ein Haus für den Dreh bauen.
ANDREAS HRUZA: Dem Regisseur war es von Anfang an sehr wichtig, dass das Außen und das Innen sehr stark zusammenwirken. Wir brauchten einen
abgelegenen Ort, ein Haus, wo man in die Natur raussieht, ein Haus, wo man reinsieht. Übergänge und Grenzen waren sehr wichtig
– zwischen Wasser und Land, zwischen zwei Ländern – so, wie die gesamte Geschichte eine Grenzerfahrung ist, haben wir versucht
auch andere Grenzen mitzudenken.
Was bedeutet es für einen Produzenten, einen literarischen Stoff fürs Kino zu adaptieren im Vergleich zu einem Originaldrehbuch?
ERICH LACKNER: Es gibt oft viele pragmatische Gründe, warum man zu Literaturverfilmungen greift oder sie auch wieder im Kommen sind.
ANDREAS HRUZA: Die österreichische Literaturszene ist international extrem erfolgreich. Es war sehr lange eine Domäne des öffentlich-rechtlichen
Fernsehens, sich Autoren wie Arthur Schnitzler oder Joseph Roth anzunehmen und es hat lange Zeit wenig zeitgenössische Literatur
gegeben, die fürs Kino adaptiert worden wäre.
ERICH LACKNER: Es war in Österreich eine große Zeit des Autorenfilms. Warum man jetzt häufiger Literaturverfilmungen angeht, liegt daran,
dass es sehr wenig reine Autoren gibt, die neue Stoffe erfinden. Den Beruf des reinen Drehbuchautors gibt es in Österreich
kaum. Drei, vier Leute für die ganze Filmszene, das ist zu wenig, um etwas aufzubauen. Es gibt in Österreich unter den renommierten
Regisseuren und Regisseurinnen kaum jemanden, der nicht auch am Drehbuch mitarbeitet. Götz Spielmann wird nie aufhören, auch
ein Autor zu sein, ebenso wenig Michael Glawogger, Ulrich Seidl, Barbara Albert oder Jessica Hausner. Österreich ist ein Autorenfilmer-Land.
Warum das so ist, hat auch wieder Gründe. Es bringt auf alle Fälle das Problem mit sich, dass sich möglicherweise irgendwann
die Inspiration, die oft die Biografie ist, erschöpft. Oft ist ja von Autorenfilmern oft der erste Film der stärkste, für
den zweiten Film sind dann nur noch zwei Jahre Zeit.
ANDREAS HRUZA: Ich möchte Literaturverfilmung oder Originaldrehbuch auch nicht als zwei Gegenpole betrachten. Wenn aus einer Literaturszene
sehr viel Fruchtbares kommt, wäre es sehr schade, wenn sich der Film damit nicht auseinandersetzen würde. Es ist eine zusätzliche,
bereichernde Option, sich dieser kraftvollen Literaturszene anzunehmen.
Ein interessanter Hintergrund vielleicht noch: Thomas Glavinic hat erzählt, dass er diese Geschichte eines Nachts geträumt
hat und obwohl er normalerweise für seine Romane sehr lange braucht, hat er diese Geschichte in sechs Tagen geschrieben. Ich
finde, man fühlt es der Geschichte auch an, dass sie ein zentrales Moment hat, das ihn bewegt hat und wo er versucht, ein
Phänomen festzuhalten, das ihn sehr beschäftigt hat. Ein extremes, für die Figuren vielleicht traumatisches Erlebnis herzunehmen
und sich die Frage stellen – wie sehr kann es mein Leben verändern? Wie reagiert die Umwelt? – das ist schon einmal ein sehr
guter Ansatzpunkt für eine Visualisierung.
Interview: Karin Schiefer
Mai 2009