INTERVIEW

«Es haben mich kleine Vorkommnisse beschäftigt, ...

 

 

... die sich letztendlich doch als große Themen erweisen. Ich denke an Menschen, die aus ihrer existentiellen Verzweiflung heraus etwas Dummes tun. Thomas Woschitz im Gespräch über BAD LUCK.


Nach Universalove, einem weltumspannenden Episodenfilm, ist BAD LUCK nun eine Geschichte, die sehr lokal verankert ist. Was hat Sie veranlasst, von global auf lokal zu schwenken?
Thomas Woschitz: Es haben mich kleine Vorkommnisse beschäftigt, die sich letztendlich doch als große Themen erweisen. Ich denke an Menschen, die aus ihrer existentiellen Verzweiflung heraus etwas Dummes tun. Inspiriert haben mich kurze Zeitungsmeldungen, die eigentlich nur Randnotizen sind. Die erste Geschichte, auf die ich aufmerksam wurde, passierte in Kärnten, wo ein Mann mit seinem Auto in den Bäumen landete und zwei Tage unendeckt in den Baumkronen hängen blieb, bis jemand zu Hilfe kam. Die zweite war die eines Mannes, der aus Rache für viele erlittene Erniedrigungen seinen ehemaligen Chef überfiel. Ich bekam Lust, Geschichten von ganz einfachen Leuten zu erzählen, die auf ihrer „Suche nach dem Glück“ etwas Undurchdachtes machen und von einer Dummheit in die nächste tappen.


Wie hat sich Kärnten als Ort der Handlung herauskristallisiert?
Thomas Woschitz: In der Entwicklung wurde mir klar, dass ich die Handlung gerne in Kärnten ansiedeln wollte, weil ich die Leute dort kenne und die Geschichte in ein ländliches, oder sagen wir nicht-urbanes Umfeld passt. Ich bin selbst in Kärnten aufgewachsen und habe diese Welt erlebt: Diese kleine Struktur, in der jeder jeden kennt, wo natürlich mit dem Polizisten, dem Boss auch ein paar Archetypen hervorgekehrt sind. Es ist ja nicht wirklich Kärntner Land, das ich da erzähle.  Es ist eine undefinierte Mischung aus etwas, das weder wirklich Land noch Stadt ist. Es ist tiefste Provinz, ein kleiner Landstrich, in dem es keine dörfliche Struktur gibt, sondern wo die Tankstelle der Kreuzungspunkt aller Wege wird. Ich wollte keineswegs eine Sozialstudie machen, sondern die Geschehnisse in einer recht simplen Form ins Märchenhafte heben. Daher gibt es auch drei Geschichten und man wird feststellen, dass eine davon eine andere auslöst. Die Geschichten können nicht gut ausgehen. Aber es gibt einen Erzählrahmen, der am Ende dann ins Märchenhafte führt.


Der Ort ist ja nicht durch seine charakteristische Landschaft identifizierbar, sondern durch die sehr authentische Sprache der Protagonisten. Haben Sie dafür mit nicht-professionellen Schauspielern gearbeitet?
Thomas Woschitz:  Wir haben sehr lange, ich denke, eineinhalb Jahre lang gecastet. Irgendwann wurde mir klar, dass ich die Geschichten, die ich da entworfen hatte, nicht mit bekannten Schauspieler-Gesichtern auf die Leinwand umgesetzt sah. Es sind einfache Leute, die aus verschiedensten, meist sozialen Gründen am Rande der Gesellschaft sind. Wir mussten schauen, dass wir Leute von der Straße fanden, die das darstellen konnten. Das war eine folgenreiche Entscheidung, weil es unheimlich viel Arbeit bedeutet hat. Man findet sie einfach nicht so leicht. Einzig die Darstellerin von Dagmar ist eine Schauspielerin – Valerie Pachner. Für diese Rolle war es wider meine Erwartungen unmöglich, jemanden unter den nicht-professionellen Darstellerinnen zu finden. Die anderen Darsteller haben wir letztendlich nur über reines Street-Casting gefunden, obwohl wir auch Annoncen in den lokalen Zeitungen veröffentlichten. Wir gingen auf Tankstellen, in Baumärkte, in Werkstätten, um unsere Typen zu suchen.


Nach dem langen Casting bedeutete das wohl auch eine ganz andere Schauspielerarbeit als sonst.
Thomas Woschitz: Wenn man endlich interessante Leute gefunden hatte, wie z.B. Karl, den Automechaniker, dann dauerte es noch einmal mehrere Monate, um sie zu überreden mitzumachen. Je interessanter die Leute waren, umso weniger hatten sie Lust dazu. Die Arbeit mit ihnen ist ganz anders. Um die Natürlichkeit, die sie haben, zu erhalten, darf man nicht zuviel proben, im Gegenteil. Es ging darum, sie an die Arbeitsmethoden am Set zu gewöhnen und vor allem darauf zu achten, dass sie nicht spielen. Jede Szene, die sie zu Hause selber geprobt hatten, war fürchterlich. Ich gab ihnen nur eine alte Drehbuchfassung zum Lesen und die Geschichte war ja so aufgebaut, dass nicht sehr viel Dialog vorkam. Die konkrete Szene haben sie dann immer erst knapp vor Dreh bekommen. Es ging mir darum, dass sie wussten, was passiert ist und ich ließ ihnen keine Zeit, ihre Sätze auswendig zu lernen. Für Valerie, war es anfangs schwierig, sich auf diese Methode einzustellen, da sie ein anderes Arbeiten gewöhnt war. Sie musste aber mit der gleichen Stimmung in den Dreh einsteigen wie die anderen und nach einiger Zeit klappte das sehr gut.  Das Interessante an den nicht professionellen Darstellern war, dass sie in ihrer Lebensgeschichte den Figuren, für die wir sie gesucht hatten, viel ähnlicher waren als wir das gedacht hätten. Christian Zankl, der den Rizzo spielt, kam auf uns zu und fragte: „Warum schreibt ihr da mein Leben hinein?“ Wir hatten nur gespürt, als wir ihn auf der Straße sahen, dass er ein besonderer Typ sei und für Rizzo passen könnte.


Humor und Lachen sind in BAD LUCK sehr präsent. Wie würden Sie Ihren Humor beschreiben?
Thomas Woschitz: Ich bin mir gar nicht so sicher, ob er so viel Lachen auslösen wird. BAD LUCK war immer als tragikomischer Film angelegt und ich sehe ihn immer mehr als ernsten Film, auch wenn es schon in meiner Absicht lag, den eigentlich ernsten Situationen eine gewisse Komik zu verpassen. Die Entwicklung des Drehbuchs war ein langer Prozess gewesen, der parallel mit dem Casting einherging. Ich habe mich da sehr um ein Gleichgewicht bemüht. Das Drehbuch war anfangs auch auf einer zeitlichen Ebene komplexer, indem es mehr hin- und hergesprungen ist. Im Schnitt haben wir’s dann wieder vereinfacht. Der lakonische Erzählton, der die Figuren ja nicht auserzählt, verlangte einfach einen stringenteren Duktus.


Dieser lapidare Erzählton schließt stilistisch an die Josef-Trilogie an. Ich sehe darin das wesentliche Merkmal Ihrer Handschrift. Sehen Sie das ähnlich?
Thomas Woschitz:  Das hat bestimmt etwas mit meiner Erzählweise zu tun. Dieser Stil hat aber auch etwas mit dem Ort der Handlung, in dem Fall mit Kärnten, so wie ich es sehe, zu tun. Eine Episode in Rio erzählt sich einfach anders als eine in Kärnten. Das hat einerseits mit einem Stil zu tun, den ich gerne als meinen sehen möchte, andererseits auch mit meiner Auseinandersetzung mit den Menschen.


Prägt der Ort der Handlung das Erzählen?
Thomas Woschitz: Der Ort verstärkt das Erzählen. Auf jeden Fall. Mein erzählerischer Grundton bleibt der gleiche, aber der Ort und die Menschen, die Art, wie gesprochen wird, haben einen großen Einfluss.


Wie würden Sie Ihren Erzählstil charakterisieren?
Thomas Woschitz: Lakonisch, mit vielen Auslassungen, da ich finde, dass man dem Zuschauer viel Raum geben soll. Diese Art von Kino mag ich auch selber sehen. Ich will nicht, dass mir alles erzählt wird.


Autos sind ein unumgänglicher Fixpunkt in Ihren Filmen.
Thomas Woschitz: Autos sind sehr wichtig (lacht). Das war ein wichtiges Unterthema. Wenn man sich in dieser Provinzlandschaft die zentralen Orte anschaut, dann sind das die Tankstellen, Autowerkstätten, Autohäuser. Das Auto steht im Mittelpunkt, die Menschen bewegen sich nur mit dem Auto fort, das Auto ist das Statussymbol. Deshalb gibt es auch ein paar Autounfälle, um zu sehen, wie brüchig dieses Symbol auch wieder ist. Es weist auch auf eine Amerikanisierung hin, dass Dorfplätze in ihrer Funktion von Tankstellen abgelöst werden.


In BAD LUCK fällt ein Auto vor den Augen der Protagonisten vom Baum herunter. Wie kann man sich die Umsetzung dieser Szene technisch vorstellen?
Thomas Woschitz: Ich bin ein Freund der analogen Techniken und wir haben sehr lange daran getüftelt. Ich hätte das Auto gerne in die Bäume gehängt und runtergeschmissen, letztendlich haben wir’s mit einem digitalen Trick gelöst, weil es dann doch zu unsicher war, ob das Auto auf die gewünschte Art und Weise herunterfliegt. Wir hätten also mehrere Autos gebraucht, um das auszutesten.  Das wäre letztendlich zu aufwändig geworden. Der wahre Vorfall, der mich zu dieser Szene inspiriert hat, ist glimpflich verlaufen, nachdem der Fahrer des Wagens erst nach zwei Tagen entdeckt wurde, wurde er heil runtergeholt, ohne dass das Auto vom Baum krachte. So kurios es klingt, es kommt nicht so selten vor, dass ein Auto in einem Baum hängen bleibt.


Im ersten Teil des Films bleibt dieser Vorfall völlig unerklärt. Das Auto kommt herunter, ohne dass man als Zuschauer eine Erklärung dafür erhält. Auch ein stilistischer Handgriff?
Thomas Woschitz: Ich wollte, dass die beiden diesen Vorfall nicht hinterfragen, sondern als gegeben hinnehmen. Ich wollte aber auch, dass durch diese Szene ein phantastisches Element in den Film einfließt.  Es kracht symbolisch ein Auto vom Himmel und bringt die Geschichte ins Rollen.  Im Drehbuch war das immer der Startpunkt der Geschichte, auch wenn wir dann damit experimentiert haben, ob alles an einem Tag oder an mehreren Tagen passieren soll.


„Gegen den Strich“ ist vielleicht ein treffendes Motto für den gesamten Film, der der stumpfen , unpoetischen Provinzwelt etwas Märchenhaftes verleiht, der an „unangebrachten“ Stellen zum Lachen bringt, der mit den Genres spielt ...
Thomas Woschitz: Das bringt es gut auf den Punkt. Es geht mir in der Tat um die Brüche im gängigen Erzählen, zumindest als eines von vielen Elementen. Der Film war immer als eine Art Thriller in seiner ganz eigenen Form angedacht und es spielt immer wieder mit dem Genre.


Musik spielt immer eine wesentliche Rolle in Ihren Filmen.
Thomas Woschitz: Es gibt zum einen die Musik der serbischen Kapelle, die im Autobus unterwegs ist, in den Rizzo in der Rahmenhandlung einsteigt. Die hat es von Anfang an gegeben und dieser Autobus ist wie ein Raumschiff, in dem eine Art von Aliens sitzen und unsere Hauptfigur mitnehmen. Sie tragen diese Musik mit. Die Musiker der serbischen Kapelle hat gut gepasst, weil sie einen klaren Gegenpol darstellen. Sie leben anders und das vermittelt auch ihre Musik. Das wird klar, wenn sie gemeinsam die Tankstelle betreten und erzählen, ohne dass wir das untertiteln, dass sie ausgeraubt worden sind und sie sich nur einen Kaffee teilen können. Abgesehen von der Musik der serbischen Kapelle haben wir versucht, sehr stark in einen Score zu gehen, sind aber dann draufgekommen, dass es nicht funktioniert, weil die Figuren einerseits auch ihren Freiraum brauchen, wir aber andererseits für die Geschichte noch eine andere Ebene benötigten. Wir haben dann das Konzept entwickelt, dass die Musik immer nur ein Echo von dem ist, was passiert. Wenn es spannend wird, weil in die Villa eingebrochen wird, dann darf da keine Musik sein. Da haben wir gegen Konventionen gearbeitet. Die Musik soll immer etwas nachhallen und noch etwas erzählen, den Figuren noch stärker etwas hinzufügen.


Sie arbeiten schon lange mit Enzo Brandner als Kameramann. Worin lagen dieses Mal die Herausforderungen an die Kameraarbeit?
Thomas Woschitz: Der Film war bildlich zunächst ein bisschen anders angelegt, da hat sich viel mit den Laienschauspielern entwickelt. Laien verlangen eine andere Arbeitsweise und ich wollte sehr viel aus ihnen herausholen. Der Film war zu Beginn noch einfacher, d.h. mit längeren Einstellungen aufgelöst. Da haben wir festgestellt, dass wir den Darstellern mit der Kamera entgegenkommen mussten und entsprechend hat sich schon von der Vorbereitung weg ein Stil entwickelt. Was uns in unserer Arbeitsweise verbindet, ist, dass Enzo auch von einem menschlichen und nicht optisch-technischen Standpunkt aus den Figuren sehr nahe ist. Das ist auch für mich die wesentliche Komponente im Filmemachen und es ist eine von Enzos Stärken, als Kameramann sehr auf die Leute einzugehen, egal wer vor seiner Kamera steht. Er versteht es, zu den Figuren eine Nähe zu schaffen. Das ist ein entscheidender Punkt, dass es keine Distanz gibt zwischen Figuren und Kamera. Das war bei Universalove sehr wichtig und war es auch in BAD LUCK.


Emotional ist man den Figuren in BAD LUCK nicht sehr nahe.
Thomas Woschitz: Das stimmt. Vielleicht ist es eine Spur zu lakonisch erzählt. Ich hoffe aber sehr, dass sich im Gesamtbild doch eine sehr menschliche Erzählweise ergibt, die einem die Figuren nahebringt. Ich wollte keine leidenden Menschen zeigen, die über ihre Probleme reden. Meine Figuren tun das nicht. Das war eine Gratwanderung. Karl, der Automechaniker, hat ein ziemlich hartes Leben hinter sich und das ist auch aus seinem Gesicht zu lesen. Ich stand vor der Frage: Vertraue ich nun in ihre Gesichter oder habe ich dieses Vertrauen nicht. Es ist meine Art des Erzählens, eher beiläufig etwas zum Ausdruck zu bringen. Ob es funktionieren wird, ist offen.

 

Interview: Karin Schiefer

Jänner 2015