INTERVIEW

«Es sind bei mir beim Schreiben sehr viele Gefühle im Spiel,

 

... es muss aber auch sehr konstruiert sein, damit man sich in der zeitlichen Kürze einen langsamen Erzählrhythmus erlauben kann. Stefan Bohun über MUSIK, sein mittellanger Spielfilm, der mit den First Steps Award 2014 ausgezeichnet wurde.



Ein Blick auf Ihre Filmografie verweist auf mehrere Dokumentarfilme, die in Lateinamerika gedreht wurden (Mata Tigre, Amo Beethoven, Nohelia). Zwei davon haben einen sehr starken Bezug zur Musik. Nun heißt Ihr erster mittellanger Spielfilm MUSIK, in dem die Musik zum Rettungsanker für den Protagonisten wird.  Ist paradoxerweise die Musik eine treibende Kraft, die Sie zum Filmemachen bewegt? Welchen besonderen Bezug gibt es zwischen Ihnen und der Musik?
Stefan Bohun: Ich wollte in der Tat einmal Musiker werden. Dass Musik in meinen Filmen vorkommt, ist gewiss auch ein Zufall, reiner Zufall kann es wohl nicht sein. Amo Beethoven war eine Produktion für den ORF, die in Am Schauplatz ausgestrahlt wurde, in dem Jahr, als Mata Tigre herauskam, ein Dokumentarfilm über die breit angelegte musikalische Erziehung in Venezuela, kamen auch zwei weitere, größere Produktionen zu diesem Thema heraus. Ich glaube nicht, dass man zwischen meinen Filmen unbedingt eine Verbindung herstellen muss. Das Studium an der Filmakademie ist dazu da, dass man in verschiedene Richtungen etwas ausprobiert. Was für mich allerdings sehr wichtig war, war das dokumentarische Arbeiten. Das waren wichtige Erfahrungen für das Drehen und Arbeiten mit Menschen. Davon kann man viel in die Schauspielerarbeit mitnehmen.

Welches Umdenken im Zugang hat es bedeutet, von Dokumentarfilmen in einer anderen Kultur auf einen mittellangen Spielfilm vom ganz normalen Leben in Österreich zu schwenken?
Stefan Bohun: Es war mein großer Wunsch, mir Zeit zu nehmen und etwas zu drehen, das hier spielt. Ich bin jemand, der unzählige Ideen hat. Problematischer wird es, wenn es darum geht, sich nur einer konkreten Idee voll und ganz zu widmen und so dran zu bleiben, dass es mich nach ein oder zwei Jahren Arbeit noch immer interessiert. Diesmal wollte ich mich auf eine thematische und stilistische Suche begeben, ausgehend von der Frage, wie sehr ich die beiden Ebenen – Realismus und Fiktion  – miteinander vermischen möchte. Ich recherchierte den Beruf der Hauptfigur sehr ausführlich, weil ich oft in Filmen den Eindruck gewinne, dass Berufe nur nebenher, oft in Klischees erzählt werden. Berufe machen unser Leben aus, immerhin verbringen wir dort das Gros unserer Zeit. Bei MUSIK war mir wichtig, einen Beruf zu erzählen, der meinen Protagonisten, diesen einsamen Menschen, zu so vielen Menschen bringt, die er zwar nicht kennt, zu denen aber aufgrund seiner Machtposition ihnen gegenüber eine Intimität entsteht. Ich habe also diesen Beruf des Beamten der Wohnkommission sehr intensiv recherchiert, einmal durfte ich einen Beamten auf seinen Wohnungsbesuchen auch begleiten. Ein paar Dinge sind dann ins Drehbuch eingeflossen. Je länger man recherchiert, desto mehr kann man feststellen, ob die Beobachtungen, die man macht, auch repräsentativ sind.

Ging es darum, eine Hauptfigur zu schaffen, die in der Mitte des Lebens steht und gerade an einem Nullpunkt angekommen ist?
Stefan Bohun: Ja, ich wollte einen Mann, der sich in einer Aufbruchs- und Umbruchsphase befindet. Jemand, der noch in einer alten Struktur verhaftet ist, mit Familie und Finanzen noch stark drinnen hängt und sich nach etwas Neuem sehnt. Die Musik als „Rettungsanker“ konnte nur funktionieren, wenn sie ganz nebenbei daher kommt. Das Ende ist fatal und hoffnungsvoll zugleich. Es vermischen sich Elemente bei mir, die witzig und dramatisch und vielleicht auch blöd sind. Die Publikumsreaktionen auf meinen Film sind total unterschiedlich. Das hat auch mit meinem Blick auf das Leben zu tun. Ich sehe oft sehr komische Dinge in ganz dramatischen Situationen. Ich denke da auch sehr stark an Familie. Jeder weiß, was in Familien so abläuft. Familie und der Wandel der Familie, das ist auch ein großes Thema, aus dem ich schöpfen möchte.

Andreas, der Protagonist, kommt als ziemlich armseliger Typ daher, er nimmt Schmiergeld von Schwächeren, seine Frau ist nicht nur geschieden, sie nicht einmal bereit, am Telefon mit ihm zu reden, seine Tochter beschimpft ihn und doch gibt es Figuren, die einen liebevollen Blick auf ihn werfen. Möglicherweise stellvertretend für den Regisseur? Liebe zu deinen Figuren scheint eines Ihrer Credos zu sein?
Stefan Bohun: Die Erzählung ist ja nur ein Abriss einer Person, da muss man schon schauen, dass es so vielschichtig wie möglich ist. Ich finde es uninteressant, wenn eine Figur nur einseitig erzählt ist und diese Perspektive mir als Zuseher auch sagt, was ich von ihr halten soll. Es geht mir darum, von einer Person einen vielschichtigen Entwurf zu schaffen, und das geht nur, wenn man auch die positive Seite einer jämmerlichen Figur betrachtet. Gleichzeitig muss man zu seinen Figuren auch beinhart sein. Man muss sie brechen können. Manchmal geschieht das erst in der Inszenierung, weil diese Brechungen erst durch das Timing entstehen. Geschichten-Erzählen ist für mich ein Puzzle-Spiel. Es geht ständig um die Frage  – Was kommt jetzt? Was zeige ich jetzt? Was braucht es jetzt? Es sind bei mir beim Schreiben sehr viele Gefühle im Spiel, es muss aber auch sehr konstruiert sein, damit man sich in der zeitlichen Kürze einen langsamen Erzählrhythmus erlauben kann. Ich glaube, es ist uns ganz gut gelungen, trotz der Kürze, die zur Verfügung stand, etwas zu erzählen. Man darf sich nicht vornehmen, alle Fragen zu beantworten. Woher kommt der? Wie sieht seine Vorgeschichte aus? etc. Wenn man sich da aufhält, dann wird es schwierig. Man muss versuchen, im Moment zu bleiben. Es ist letztendlich eine Suche nach dem, was man auslassen kann.

Ein wiederkehrendes dramaturgisches Element ist der Überraschungseffekt: Gegen die Erwartungen zu arbeiten, den Zuschauer irritieren, positiv überraschen, seine Gewohnheiten zu entwaffnen?
Stefan Bohun: Darin ruht meine Begeisterung für den Film, weil er das Medium ist, das es erst möglich macht. Die Filmkamera ermöglicht, Dinge anzudeuten, in eine falsche Richtung zu lenken. Ich möchte die Möglichkeiten des Mediums voll ausnutzen. Mir ist das wichtig, weil die Filme, die ich besonders mag, das auch haben.

Welche Filme sind das?
Stefan Bohun: Das neue griechische Kino, Filme wie Attenberg, Dogtooth oder Alpis. Da steht auch ein unheimlich guter Drehbuchautor dahinter. Es gibt halb abstrakte, teils absurde Dialoge, die der Regisseur mit einer Ernsthaftigkeit umsetzt. Ich finde es einfach unheimlich spannend, mir zu überlegen, wie ich eine Geschichte erzähle.

Soll ich etwas lustig oder traurig finden, ist eine weitere Aufgabe, die Sie Ihrem Zuschauer stellen. Tristesse und Witz geben in MUSIK einander immer wieder die Hand. Es vermengt sich etwas beinahe Absurd-Skurriles mit der Realität. Könnte das auch die lateinamerikanische Note in Ihrem Erzählen sein?
Stefan Bohun: Mir ist nur vor kurzem aufgefallen, dass der magische Realismus von Gabriel García Márquez z.B., den ich sehr mag, in einer gewissen Weise hineinspielt, aber auf eine eigenwillige, verdrehte Art, sodass es nur wenigen auffällt. Es war mir bis dahin nicht bewusst. Ich halte „magischen Realismus“ für einen total treffenden Begriff, nur muss man ihn mit Vorsicht genießen, weil er gerade in Lateinamerika immer wieder gerne verkitscht wird. Eine der Stärken der erwähnten griechischen Autoren liegt darin, dass sie eine komische eigene Welt schaffen. Oder ich denke auch an Jörg Kalts Richtung Zukunft durch die Nacht. Meine Welt ist ja sehr nahe an der Realität, ich finde es reizvoll, hier etwas auszureizen.

MUSIK hat nicht nur den First Steps Award für den besten mittellangen Film erhalten, er war auch in der Kategorie Beste Kamera nominiert. Der Film eröffnet mit Einstellungen, die stark an Universen von Ulrich Seidl erinnern. Ist sein Blick auf Figuren/Menschen einer, der Sie beeinflusst hat?
Stefan Bohun: Ich hatte bei Import Export die Gelegenheit mitzuarbeiten. Ich finde Ulrich Seidls Umgang mit mit seinen Darstellern grandios und vor allen auch seine Liebe zu den Charakteren. Man ertappt sich selber sehr schnell beim eigenen Schreiben, dass man seine Figuren in Klischees hineinsteckt. Das gilt es zu vermeiden. Bei dieser ersten Einstellung bin ich schon öfter auf Ulrich Seidl angesprochen worden. Ich fände es schade, dass man diese Art der Bilder nicht verwenden kann, ohne verglichen zu werden. Wir überlegten uns viel und wir fanden keine andere Art der Darstellung, die passte. Es geht dann ja sehr schnell in eine andere Richtung. Ich würde meine Suche mit lakonisch, stilistisch konsequent, den Leuten weniger freien Lauf lassen beschreiben. Ich habe in Kanada eine Theaterschule absolviert, die eine Richtung verfolgte, die ihren Akzent stark auf Improvisation und den demokratischen Aspekt des Theaters verfolgte. Am Anfang hat mich das sehr begeistert, im Laufe der Zeit habe ich festgestellt, dass es für mein Filmemachen nicht zielführend ist, mich nur auf Improvisation zu verlassen. Ich muss in 15 Drehtagen alles auf den Punkt bringen und kann nicht auf eine geniale Eingebung warten.  In der Probenarbeit biete ich Raum für Improvisation und das ist auch der Moment, der es mir ermöglicht, die Realität einzusaugen und vielen Dingen ihren Schliff zu verleihen.

Konfrontieren Sie die Schauspieler mit offenen Situationen oder genauen Dialogen?
Stefan Bohun: Es gibt den ganzen Text schon vorher. Ich habe aber gewisse Szenen, die ich improvisiert ausprobieren möchte. Man kann dann immer noch Details übernehmen. Grundsätzlich finde ich, dass das lange Schreiben im Vorfeld ja einen Sinn hat. In MUSIK gibt es nur eine Szene, wo ich von Anfang an sagte, sie muss improvisiert sein – das ist die Szene in der Bibliothek vor dem DVD-Regal. Das hätte ich lächerlich gefunden, dass ich die Dialoge zu den Filmen schreiben. Manchmal habe ich beim Casting nur Ton aufgenommen und so Dialoge zwischen den Mädchen bekommen, wovon ich gut einzelne Dinge im Film verwenden konnte.

War David Oberkogler der einzige professionelle Schauspieler?
Stefan Bohun: David Oberkogler war beim Casting einfach sehr gut. Ich finde ihn immer lustig, auch wenn er ganz ernst anmutet. Wir haben bei manchen Szenen verschiedene Varianten gedreht, weil ich auch noch nicht wusste, was besser passt. Ich wollte auf alle Fälle keinen überheblichen Beamten haben, der sich hinter seiner Autorität verschanzt. Ich glaube, ein Schauspieler ist nicht a priori gut oder weniger gut, ich denke, es kommt sehr darauf an, wie sehr man ihm einen Raum gibt, in dem er sein eigenes Potential ausloten kann. Schauspiel ist eine sehr individuelle Sache. Es sind auch ein paar Nebenrollen sehr prominent besetzt. Christian Spatzek spielt großartig mit ewig gleichgültigem Blick den Gerichtsvollzieher. Ich schaute schon, dass ich auch für die kleinen Rollen gute Leute habe. Das war sehr toll, dass sie für kein Geld bereit waren, für einen Tag ans Set zu kommen, nur weil ihnen das Buch gefiel. Die Szene in der Bar wiederum ist komplett improvisiert und der Darsteller spielt sich selber. Diese Szene haben wir zwei Stunden lang aufgenommen. Ich hatte ihm nur gesagt, dass er auf die Situation des Hauptdarstellers eingehen sollte und sich überlegen, wie es ihm wohl ging.  Er hat das sehr einfühlsam gemacht. Die Mädchen habe ich sehr lange gesucht. Monika Huber, eine Schauspielerin, die auch die Angestellte beim AMS spielt, hat mir sehr geholfen. Kurz vor Dreh haben wir nochmals umdisponiert, weil ich für eine Rolle bei den Mädchen kein ganz sicheres Gefühl hatte. ich wollte bei diesem Dreh wirklich konsequent sein, was ich vorher nie so durchgezogen hatte. Man neigt beim Filmemachen immer wieder dazu, Kompromisse einzugehen. Da ist Ulrich Seidl wieder ein ganz großes Vorbild. Er ist in seiner Arbeit absolut kompromisslos und lässt sich von keinerlei Einwänden oder Sicherheitsdenken ablenken.

Es wird immer wieder ohne Gegenschuss erzählt. Das Off wird zur zweiten Erzählebene. Ist die Ellipse ein wichtiger Baustein in Ihrem filmischen Erzählen?
Stefan Bohun: Das Kino bietet sich dafür an. Am Anfang waren meine Vorstellungen noch radikaler. In der Szene am AMS wollte ich zunächst die Frau gar nicht zeigen. Schuss/ Gegenschuss scheint im Film etwas ganz Natürliches zu sein und gleichzeitig ist es das, wo man am meisten Mist bauen oder genau das Richtige machen kann. Man definiert seine Erzählweise damit. in der AMS-Szene war es irgendwann nicht mehr sinnvoll, die Frau gar nicht zu zeigen. Prinzipiell habe ich aber versucht, damit zu haushalten.

Entstand noch viel im Schnitt?
Stefan Bohun: Eigentlich nicht. Wenn man so offene Fragen in den Schneideraum mitnimmt, dann braucht man drei Mal so lange. Die erste Szene in der Wohnung, wo man ganz lange nur Andi sieht und nicht die Frau mit ihrer Tochter – das ist wie eine Vorgabe für den Cutter. Der Film wird so. Würde man diese Szene anders schneiden, würde auch der Film in eine andere Richtung gehen. Beim Casting und beim Proben, was bei mir zum Teil ineinander geflossen ist, bekommt man auch ein sehr gutes Gespür für die Szenen.  Da wird erstmals lebendig, was man in langer Zeit am Schreibtisch ausgebrütet hat. Man bekommt eine erste Sicherheit, dass gewisse Dialoge auch wirklich funktionieren. Ich rede jetzt nicht von den Zweifeln und Selbstzweifeln, die mich dennoch heimgesucht haben... Es war eine komplexe Geschichte, wo ich nicht wusste, was davon aufgehen würde. Man tendiert dann ein wenig, dem Sicherheitsgefühl nachzugeben und Dinge wegzustreichen. Bei Feedback von außen ist da höchste Vorsicht geboten. Es ist nicht einfach, bei einem ersten Film bei seiner Sache zu bleiben. In der Schnittphase ist man da in einer sehr verletzlichen Phase, wenn noch niemand den Film gesehen hat. Da braucht man Fürsprecher, Leute, die „Deines“ darin sehen.

Sie bereiten inzwischen einen langen Spielfilm vor: Königinnen. Worum wird es in dieser Geschichte gehen? Wie weit ist es bereits gediehen?
Stefan Bohun: Für das Spielfilmprojekt habe ich eine Drehbuchförderung vom ÖFI bekommen und ich arbeite auch an einem Dokumentarfilm, wo ich mich mit der Frage beschäftige, wie wir mit unseren Problemen umgehen. In Königinnen geht es um eine Familie, die nach außen hin sehr gut zu funktionieren scheint: Wertschätzung im Umgang miteinander, es kann über alles geredet werden, alles funktioniert demokratisch. Im Laufe der Geschichte wird immer deutlicher, dass Geheimnisse nicht erlaubt sind und dass dadurch über andere hinweggegangen wird und Kinder von den Eltern etwas mitbekommen, das sie gar nicht wollen. Es entsteht eine Dynamik, die die Familie entzweit und langsam zerbricht. Alles gut machen zu wollen und dabei eigentlich das Falsche machen – das ist in der Familie ein sehr spannender Punkt. In meinem Film geht es so weit, dass es schmerzhaft wird. Und ein paar komische Momente könnte er durchaus auch wieder haben.

 

Interview: Karin Schiefer
September 2014