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Florian Flicker dreht GRENZGÄNGER

 

Ein junger Mann von nebenan dringt  ins unaufgeregte Dasein eines Ehepaars und setzt ein Spiel in Gang, das allen bald zu entgleiten beginnt. Florian Flicker hat zehn Jahre nach Der Überfall wieder Schicksalsfäden in einem Dreieck gespannt und ein Gefühl von Western durch die Marchauen an der Grenze zum Osten ziehen lassen. Die Fertigstellung von GRENZGÄNGER ist für Winter 2012 zu erwarten.



Ein Schuppen, ein Wachturm, ein Haus. Ansonsten Wiese, Wald, unberührte Au-Landschaft. Natur im Ur-Zustand. Das Setting in Florian Flickers neuem Spielfilm Das letzte Haus ist reduziert und kraftvoll zugleich. Ein Biotop, wo Freiheit und Unabhängigkeit florieren, bis sich im üppigen Dickicht des Flussdschungels Verrat und Intrige eine Bahn schlagen. Satter Boden für einen archaischen Konflikt: ein junger Mann stört die isolierte Zweisamkeit eines Ehepaares.
Inspiriert von Karl Schönherrs Weibsteufel hat Florian Flicker das Ränkespiel zweier Männer um eine Frau in die frühen 2000-er Jahre und an die March-Auen an der slowakischen Grenze verlegt. Hans führt mit Jana eine Gastwirtschaft, betreibt Fischfang und angelt gegen Bargeld auch manchen Richtung Westen strebenden Flüchtling aus dem verzweigten Labyrinth der Flussarme. Das zum Grenzschutz stationierte Bundesheer hat schon lange ein Auge auf Hans, kann ihm jedoch nie etwas anhaben. Ein junger Soldat soll nun der Frau schöne Augen machen, um so den Schlepper ins Netz zu bekommen, doch jeder der beiden Männer meint schlauer als der andere zu sein.


Von der literarischen Vorlage aus dem Jahr 1918  ist im Laufe der Adaptierung nur das Gerüst übrig geblieben - drei Personen, die sich auf fatale Weise in einem Spiel verfangen. „Die Sprache und moralische Werte“, so Florian Flicker, „haben sich in hundert Jahren stark verändert, sodass in ihrer Ausformulierung eine andere Geschichte in der Jetzt-Zeit entstanden ist.“ Um Hans’ Flüchtlingsgeschäfte an der Schengengrenze glaubhaft zu vermitteln verlegte er den Zeitrahmen an den Beginn des 21.Jhs, als die March an der Grenze zur Slowakei eine echte Außengrenze bildete. „Eine Zeitdifferenz von zehn Jahren “, so Produzentin Viktoria Salcher, „ist in der Ausstattung oft schwieriger plausibel und augenscheinlich darzustellen als ein Zeitsprung von dreißig Jahren.“ Immerhin rufen Schillingpreise und erste MP3-Player ins Bewusstsein, wie lange gewisse Dinge schon unseren Alltag begleiten bzw. wie kurz sie ihn erst verlassen haben. Als besonders langwierig entpuppte sich für die Produktion auch die Suche nach einem geeigneten Gasthaus, das in eine entsprechend einsame Natur gebettet war, bis man letztlich die Set-Designerin Katharina Wöppermann damit beauftragte, eine ländliche Gastwirtschaft zu entwerfen. Innerhalb weniger Wochen nahm nahe des niederösterreichischen Utzenlaa am Wagram ein Haus auf Zeit Gestalt an, das trotz seines Innenlebens aus Metall und Pappmaché nicht glaubhafter ein Abbild der Realität hätte liefern können, allen Regengüssen dieses Frühsommer-Drehs standhielt, allerdings an Sonnentagen bei Drehs im Schlafzimmer direkt unter dem Dach dem Team und Maske einiges an Hitzeresistenz abverlangte.
Hans’ Gasthaus ist das letzte Haus vor der Grenze, ein Kreuzungspunkt zwischen Zivilisation und Natur, sein Besitzer, ein einsamer Cowboy, dem die Gesetze der Natur vertrauter sind als jene der Gesellschaft. Ein wortkarger Kauz, der am Rande zur Wildnis und zu einer unbekannten Welt hinter der Grenze lebt, wo es sich ohne viel Worte nach den eigenen Regeln leben lässt.
Florian Flickers Intention war es, seiner Erzählung eine Stimmung von Western zugrunde zu legen - ob nun eine wilde, unberührte Natur die Handlung steuert, der Sheriff dem Cowboy das Handwerk zu legen versucht und dabei die Frau zwischen beide Männer gerät oder es um eine Sparsamkeit der Sprache geht. „Ich habe“, so Florian Flicker, „ seit zehn Jahren keinen Spielfilm inszeniert, umso wichtiger war es mir, ihm einen spezifischen Stil zu geben und dem konsequent treu zu bleiben“. Die Sprache in der Kommunikation und im Erzählen aufs notwendige Minimum zu reduzieren, stand in der Proben- wie in der Setarbeit im Vordergrund. „Es war ein sehr offener Drehprozess“, so Hans-Darsteller Andreas Lust, „wir haben in den Proben viel weggeschmissen und entleert, bis wir an einem Punkt waren, wo minimale Gesten oder Blicke genug ausdrückten und Worte überflüssig waren.“


Andrea Wenzel als Hans’ Ehefrau Jana und Stefan Pohl als Bundesheersoldat Ronnie bilden mit Andreas Lust das dramatische Dreieck, das aus eigener Kraft seinen Schiffbruch herbeiführt. „Es reizte mich“, so Andreas Lust „dieses instinktgesteuerte Handeln eines absoluten Bauchmenschen zu spielen. Es war wie ein Teil-der-Natur-Sein - sehr intensiv, ohne dass je große Action passiert. Die Action liegt in der Naturgewalt.“ Eine Kraft der Natur, für die Martin Gschlacht starke Bilder gefunden hat und die, solange Hans mit ihr in Verbindung bleibt, für ein Gleichgewicht in seinem Dasein sorgt. Auch darin ist Hans ein Westernheld. Er genügt sich selbst und ist dort Herr der Lage, wo die fremden Soldaten aus der Stadt, die die Gesellschaft repräsentieren, hilflos verloren sind: im Dickicht des Auwaldes, wo er die Grenze besser unter Kontrolle hat als die Hüter des Gesetzes.  Mit Jana tritt eine Frau in sein Leben, die in ihrem Individualismus zu ihm passt, doch beginnt durch die Ehe mit ihr in Hans ein Wunsch aufzukeimen, gesellschaftlich zu entsprechen und nach Dingen zu streben, die als Erfolg honoriert werden. „Es geht in diesem Film“, so Andreas Lust, „auch ein bisschen darum, zu beleuchten, welche Idee wir von einem glücklichen, erfüllten Leben im Kopf haben. In dem Moment, wo Hans beginnt, nach gesellschaftlicher Anerkennung zu streben, verlässt er sich selbst und kein Stein bleibt mehr auf dem anderen.“

GRENZGÄNGER
eine Produktion der Prisma Film
Regie & Drehbuch: Florian Flicker
Cast: Andreas Lust, Andrea Wenzl, Stefan Pohl