INTERVIEW

«Wir können nur versuchen, so lange es geht, unser Fähnchen hochzuhalten.»

Vom Set bis zum Kinosaal wurde Mitte März die ganze Filmkette mit einem Schlag zum Stillstand gebracht, was große rechtliche Unsicherheit und vor allem Versicherungs- und Einkommensausfälle nach sich zog. Umso mehr ist dabei in Bewegung geraten – zunächst seitens der Betroffenen, letztendlich auch in der Politik.  Ein Gespräch mit Roland Teichmann, dem Direktor des Österreichischen Filminstituts über Wege aus dem Ausnahmezustand und die Aussichten auf neue Normalitäten.


Wie schnell und tiefgreifend hat sich Mitte März innerhalb kurzer Zeit Ihre Job-Description verändert?

ROLAND TEICHMANN:
Es war weniger die Job-Description, die sich geändert hat. Was sich in der Tat sehr schnell geändert hat, war der Modus des Kommunizierens und die Herausforderung, strukturell möglichst schnell den Betrieb auf Verwaltung in einer Ausnahmesituation umzustellen. Man darf nicht unterschätzen, dass wir in unserem laufenden Betrieb an die 150 Projekte zu betreuen haben. Es ging erst einmal darum, eine Verlässlichkeit in unsere Routinetätigkeiten zu bringen und wir haben ohne kurzfristigen Stillstand innerhalb 48 Stunden unseren Betrieb auf Homeoffice umgestellt. In einem zweiten Schritt hieß es, sich diesem kollektiven Loch, in das alle völlig unvorbereitet gestürzt sind, zu stellen: Was bedeutet diese Situation für abgebrochene, was für kommende Projekte? Was würde das kosten? Wer wird es zahlen? Es waren Wochen, wo etwas wie ein Gefühl von War Room entstanden ist. Man hat das Zeitgefühl verloren, Sonntag war wie Donnerstag, es war ein gefühltes 24/7-Szenario, wo sich nichts mehr an die gewohnten Abläufe gehalten hat. Da das ÖFI im Filmbereich eine zentrale Förderstelle ist, hat sich hier viel an Information, Verantwortung und Kommunikation über Probleme herauskristallisiert. Auf die hereinprasselnden Fragen sofort eine tragfähige Antwort zu finden, war ein Ding der Unmöglichkeit.


Wie konnten Sie sich rasch ein Bild machen, um die dringendsten Maßnahmen zu ergreifen?

ROLAND TEICHMANN:
Ich habe versucht, der Situation möglichst schnell einen Plan zu geben, vor allem in gezielter Kommunikation mit den politischen Entscheidungsträgern, um Ihnen die Notwendigkeiten der Situation zu verdeutlichen und diese auch zu quantifizieren. Das ÖFI hat nach einer Woche eine erste Umfrage bei den Produktionsfirmen gemacht, um erste Einschätzungen für den budgetären Mehraufwand zu erhalten, den wir politisch kommunizieren konnten und der uns das Bewusstsein verschaffte, dass da eine Welle auf uns zurollt. Wir haben keine „Kriegskasse“, aus der wir derartige Ausnahmezustände abfedern könnten. Ein Effekt solcher Krisensituationen ist der, dass diese noch stärker offenlegen, was schon seit Jahren prekär läuft. Unser Regelbudget ist seit sieben Jahren nicht einmal valorisiert worden, während Anforderungen und Ausgaben steigen und Projekte teurer werden. Wir konnten es immer wieder ein bisschen kaschieren und uns von einem Jahr ins nächste retten. Spätestens seit der Corona-Krise ist diese Zeitrechnung vorbei. Ich habe politisch schon kommuniziert, als von Corona noch gar keine Rede war, dass wir uns an einem Punkt befinden, wo es entweder eine budgetäre Anpassung gibt oder wir beim Produktionsvolumen zurückfahren müssen. Nun hat Corona alles durcheinander gewürfelt. Ich glaube, dass Andrea Mayer als neue Staatssekretärin mit Nachdruck unsere Anliegen vertritt. Die Budgetentscheidungen werden aber nur im Einvernehmen mit den zuständigen Ministern getroffen, da kann sie allein keine Wunder wirken.



Was ist nun mit dem COVID19 Fonds gedeckt?

ROLAND TEICHMANN:
Filmdreharbeiten ist eines vom Teuersten, das es im Kunst- und Kulturbereich gibt. Wenn im Rahmen der normalen Filmbündelversicherung ein COVID-19 Risiko nicht mehr gedeckt ist, dann ist eine Produktionsfirma schnell in der persönlichen Haftung, die in die Millionen gehen kann. Ein seriöser Produzent kann keine Produktion starten, die nicht versicherungstechnisch gedeckt ist. Das große Fragezeichen war, wer dieses Risiko übernimmt. Seit 11. Juni 2020 ist der Haftungsfonds der Regierung in der Höhe von 25 Mio € fixiert. Die Kompensation des Versicherungsausfalls sowie die Deckung der Schäden seit dem Lockdown sind die wichtigsten Funktionen dieses Fonds.
Die Maßnahme wurde als gemeinsame Initiative von der Staatsekretärin mit der Wirtschaftsministerin und dem Finanzminister präsentiert, ich fand, das war eine schöne Geste. Die Richtlinien sind in Kraft, die Antragsstellung ist seit 12. Juni möglich. Anpassungen wird es sicherlich noch geben. Die Realität ist so komplex, dass Richtlinien, die in so kurzer Zeit erstellt wurden, nicht alles ohne offene Fragen abbilden können. Abgewickelt wird die Covid-19 Sonderrichtlinie über das AWS, die Agentur, die auch FISA, die Filmförderung des Wirtschaftsministeriums administriert. Die Richtlinie gilt rückwirkend bis 16. März, dem offiziellen Datum des Lockdowns. Ich gehe davon aus, dass die entstandenen Mehrkosten und Schäden bei den Projekten, die zu diesem Zeitpunkt in Produktion waren und abbrechen mussten, abgedeckt sind. Schwieriger wird es bei den Produktionen, die zu diesem Zeitpunkt knapp vor dem Dreh gestanden sind und den Dreh verschieben mussten. Da rechne ich nicht damit, dass diese Mehrkosten durch den Fonds abgedeckt werden. Die Hauptfunktion des Fonds besteht darin, dann wirksam zu werden, wenn trotz Einhalten aller Sicherheitsvorkehrungen eine Infektion am Set eintritt. Produktionsfirmen sind nun abgesichert, wenn sie wieder in eine Drehphase gehen. Die Drehstarts und -wiederaufnahmen werden gewiss nicht alle gleichzeitig stattfinden, das muss sich langsam wieder einfädeln. Die Anzahl der Teams ist ja überschaubar.


Gibt es eine zeitliche Begrenzung, in der der Fonds wirksam ist?

ROLAND TEICHMANN:
Die Richtlinie gilt bis 31.12.2021 für alle Fälle, die bis dahin eintreten. Die Anzahl der Kino-Projekte, die mit 16.3.2020 abbrechen mussten, sind überschaubar. Bei Fernsehproduktionen, die ebenfalls von diesem Fonds gedeckt sind, sind gewiss auch etliche Projekte betroffen. Pro futuro geht es um alle Drehabbrüche, die aufgrund von Infektionen am Set oder aufgrund eines neuerlichen Lockdowns angesichts einer zweiten Welle eintreten. Die Höhe des Fonds scheint mir mit 25 Mio € sehr vernünftig bemessen, der wünschenswertere Fall ist der, dass dieser Fonds nicht ausgeschöpft wird.


Dreharbeiten sind unter einer strengen Sicherheitsauflage in einem genau definierten Drei-Zonen-Modell prinzipiell wieder möglich. Wie schnell wird de facto wieder begonnen? Werden diese Auflagen die Dreharbeiten verlangsamen und damit verlängern und verteuern?

ROLAND TEICHMANN:
Es war die wichtigste Entscheidung der Bundesregierung, grundsätzlich die Dreharbeiten wieder zu ermöglichen. Die Kosten werden definitiv höher, da es durch die Sicherheitsauflagen aufwändiger wird. Im Dokumentarfilm wird es eher zu vernachlässigen sein, bei einem größeren Spielfilm mit mehreren Massenszenen, wird der Aufwand entsprechend höher werden. Es wird vom einzelnen Projekt abhängen. Berechnungen zufolge liegen die Mehrkosten durch die Schutzvorschriften bei ca. 10%. Wir reden ja nicht nur von einer großen Menge an Masken, es geht um Tests und vor allem die Reise-, Transport- und Cateringlogistik, die die Drehs unterm Strich wahrscheinlich um zwei, drei Drehtage verlängern wird. Diese Mehrkosten sind nicht durch den Fonds gedeckt. Da werden die Fördereinrichtungen nachfinanzieren müssen. Dazu gibt es zwei Überlegungen: die eine sagt, wir schauen uns die Fälle im Einzelnen an, da der Bedarf zwischen Spiel- und Dokumentarfilm ungleich groß sein wird oder wir behandeln alle gleich und akzeptieren für alle laufenden Produktionen eine überhöhte Überschreitungsreserve, die acht, in Ausnahmefällen zehn oder maximal 15 Prozent sein kann. Der Vorteil der einfacheren Lösung liegt daran, dass sie anteilig von den verschiedenen Fördereinrichtungen mitfinanziert wird. Von FISA werden allerdings maximal zehn Prozent anerkannt. Ich rechne momentan eher mit einer pragmatischen Lösung. Das oberste Bestreben ist es immer gewesen, die bestmöglichen Rahmenbedingungen für die jeweiligen Produktionen zu schaffen. Das Limit ist die budgetäre Verfügbarkeit. Auch wir haben keinen unerschöpflichen Topf. Im Gegenteil. Wir können jetzt schon zu knapp Jahreshälfte auf den Grund unseres Budgets schauen und haben gerade einen Antragstermin laufen, der uns mit Anträgen überrollt hat. Alles zusammengerechnet, waren es 350 Anträge, darunter waren über 190 Entwicklungsförderungen. Die vormalige Staatssekretärin Ulrike Lunacek hat die so genannte „Entwicklungsmillion“ noch in die Wege geleitet, die ausschließlich für Stoff- und Projektentwicklung zu verwenden ist. Die erste Hälfte davon haben wir beim letzten Termin schon vergeben und die Stoffentwicklungen mehr als verdoppelt. Jetzt haben wir noch eine halbe Million für diese Lawine an Stoffentwicklungen, die auf uns auch deshalb zugekommen ist, weil auf Wunsch von Regie-und Drehbuchverband einmalig auch Exposés zugelassen wurden. Davon sind 170 in Einreichung gegangen. Dazu kamen 25 Herstellungsanträge mit einem Antragsvolumen von 8,5 Mio €. Hier reden wir nur von dem Geld, das für neue Projekte aufgewendet wird, nicht dabei sind da die erwähnten Mehrkosten, die nicht von der Covid-Sonderrichtlinie betroffen sind. Es wird ein sehr schwieriges Jahr.  


Wohl umso mehr als die Vielzahl von Stoffentwicklungen auch eine Herstellung im Auge hat?

ROLAND TEICHMANN:
Das ist ein weiterer Effekt, der zu berücksichtigen ist. Es wird viel davon abhängen, wie unser Budget 2021 ausschaut. Da besteht eine berechtigte Hoffnung, dass wir zumindest auf 25 Mio kommen. Kommt das nicht, dann wird es gewiss bedeuten, dass wir mit der Anzahl der geförderten Projekte runterfahren müssen, was sich auf die qualitative und strukturelle Vielfalt in unserer Filmbranche auswirken und den Verteilungskampf noch mehr zuspitzen würde. Wir können jedenfalls nicht mehr ausgeben als wir haben.


Gab es zu Beginn der Coronakrise und auch jetzt einen Austausch mit ihren europäischen Partnern der nationalen Förderstellen?

ROLAND TEICHMANN:
Ja, natürlich. Wir sind über unseren Verband EFAD sehr gut vernetzt und haben uns sofort über Videokonferenzen auf der Suche nach den Best Practice-Modellen ausgetauscht. Wir waren alle gleichzeitig von der Situation überrascht und entsprechend gefordert. Niemand hat die Königsidee hervorgebracht. Die Tools in Form von Förderungen sind ja vorhanden. Man muss die Maschine nur zum Laufen bringen, am Ende geht es schlicht ums Geld, das die Möglichkeiten bestimmt. Ich habe nicht das Gefühl, dass uns viele Länder überholt oder Zusatzbudgets parat gehabt hätten. Niederlande, Frankreich, Dänemark, sind Länder, wo auch gerade Maßnahmen in Kraft treten. Im Grunde sind wir mit unserem Haftungsfonds vorne dabei. Deutschland hat insofern eine schwierigere Situation als die Finanzierungsstruktur der FFA viel stärker von den Besucherzahlen und Erlösen abhängt. Es wird da noch viele Folgewirkungen geben, die schwierig werden.



Wie verhält sich die Situation bei Koproduktionen? Maßnahmen und gerade Versicherungsfragen gelten wahrscheinlich nur auf nationaler Ebene. Wie wird es möglich sein. 2-/3-/4-Länder-Koproduktionen hinzukriegen?

ROLAND TEICHMANN:
Der Covid-19 Fonds findet auch bei Koproduktionen Anwendung und deckt auch Auslandsdrehs ab. Koproduktionen waren schon vor Corona ein schwieriges Feld. Als kleines Land ist man davon abhängig, weil man Projekte ab bestimmten Budgetgrößen nicht anders finanzieren kann. In meiner Wahrnehmung ist es immer schwieriger geworden als majoritärer Partner minoritäre Finanzierungen im deutschsprachigen Raum aufzustellen. Das ist in Deutschland auch immer sehr fernsehabhängig. Die minoritäre Koproduktionsquote ist in den letzten Jahren zurückgegangen, weil der Verteilungskampf härter geworden ist und man als nationale Förderung schauen muss, mit nationalem Steuergeld möglichst viel heimische Produktion zu unterstützen. Ich hoffe sehr, dass der österreichische Film noch länger für eine Form von künstlerischer Qualität steht, die abseits des fernsehtauglichen Mainstreams liegt. Es wird schwieriger, für solche Projekte Geld aufzustellen. Eine Herausforderung wird in der Frage liegen: Wie gehen wir damit um, auch unser internationales Profil zu halten und zu schärfen in einer Situation, in der Finanzierungen zunehmend schwieriger werden. Wir können nur versuchen, so lange es geht, unser Fähnchen hochzuhalten. Minoritäre Koproduktionen werden weniger und strategischer, indem man auf die Erhaltung einer Kontinuität mit den wichtigsten Koproduktionspartnern setzt. Die Luft wird da immer dünner. Wir haben einen sehr breiten gesetzlichen Auftrag, dem gemäß wir ja jede Facette des Kinofilms über Spiel-, Dokumentar-, Nachwuchs-, Genre-, Animationsfilm bis zum Family Entertainment unterstützen sollen und das mit einem stagnierenden Budget. Das ÖFI ist auch die einzige Institution, die auch Entwicklungsförderungen vergibt. Stoffentwicklung Stufe 1 und 2 gibt es nur bei uns, der gesamte Verwertungsbereich mit Kino und Festivals und der strukturelle Bereich kommen dazu. Alles aus demselben Topf. Ich bin selber immer wieder erstaunt, was alles möglich ist. Ich möchte mich hier wirklich nicht beklagen, aber ich habe zum ersten Mal, seit ich im ÖFI bin das Gefühl, das geht sich alles nicht mehr aus. Wenn sich budgetär nichts tut, müssten wir die Strategie wechseln und die würde eine sein, die in Richtung Downsizing geht. Ich sehe keine Alternative.


Wie sehr sind die Verwertungsbereiche von Verleih, Kino, Festivals in dieser Zeit auf das ÖFI zugekommen? Welche Lösungsansätze gibt es da?

ROLAND TEICHMANN:
Auch hier gibt es sehr viele ungeklärte Fragen und unterschiedliche Strategien. Der Verwertungsbereich ist massiv betroffen. Besonders hart trifft es die Verleiher, für die es weder Hilfsprogramme noch Zusatzmittel gibt. Für Kinos ist die Förderung des Bundesministeriums insbesondere für Programmkinos aufgestockt worden. Die Verleiher sind aber extrem wichtig, weil über sie das nationale Filmschaffen ins Kino kommt. Wenn diese Verleihstruktur wegbricht, haben wir echt ein Problem. Wer bringt dann unsere Filme ins Kino? Große Majors werden das nicht tun. Hier muss man sehr Acht geben, dass man nicht in eine Situation rutscht, die es massiv erschwert, für unabhängiges und kraftvolles heimisches Filmschaffen noch Kino-Slots zu bekommen, weil dieses Feld nur noch Mainstream-Entertainment und anderen breitenwirksamen Projekten vorbehalten ist.


Die meisten österreichischen Arthouse-Verleihe sind zum Glück an ein Kino gekoppelt.

ROLAND TEICHMANN:
Das stimmt. Insofern könnte man von einer Form von Quersubventionierung reden. Ich glaube allerdings, dass die Luft der Kinos schon sehr dünn ist und die horizontale Unterstützung von Kino zum Verleih sehr beschränkt ist. Da keine Filme in den letzten Monaten ins Kino gebracht werden konnten, gibt es auch keine Nachholeffekte. Werden die Menschen jetzt vermehrt ins Kino gehen, weil so viele Filme auf den Markt nachdrängen? Hier wird es seitens der Verleiher auch verschiedene Strategien geben. Ich schätze, viele werden mit dem Herausbringen neuer Filme noch abwarten, vielleicht eher die Filme nochmals lancieren, die kurz vor dem Lockdown im Kino waren, um das Publikumsverhalten zu testen. Man muss ja auch die betriebswirtschaftliche Komponente bedenken. Es ist in größeren Kinos unvernünftig, den Betrieb voll hochzufahren, wenn ich von Vornherein weiß, ich darf den Saal maximal halb belegen. Es liegt noch eine längere Durststrecke vor uns und man muss ein sehr waches Auge auf die Unabhängigkeit unserer Verleihsituation werfen.
Corona hat die schwierige Situation der Kinos nochmals beschleunigt. Die großen Gewinner sind die Plattformen. Das Kino ist aber meiner Meinung nach nicht dem Untergang geweiht. Ich glaube auch nicht, dass Leute, die gerne ins Kino gehen, im Downloadbereich dauerhaft eine adäquate Alternative finden. Irgendwann hat man vielleicht auch genug. Das Kino bleibt der magischere Ort. Der Kinomarkt wird schrumpfen, gewiss, aber nicht völlig verschwinden. Ich bin prinzipiell kein Kulturpessimist. Wie so vieles wird auch das am Angebot liegen. Gute und interessante Filme, die die große Leinwand brauchen, werden dort auch ihr Publikum finden. 2019 sind in Österreich mehr als 450 Filme ins Kino gekommen. Das kann kein Mensch mehr verkraften und das überbordende Ins-Kino-Pumpen von Produktionen ruiniert den Markt. Ein reduzierteres kuratiertes Programm würde den Kinomarkt stärken. Vielleicht ist diese Krisensituation die Gelegenheit, diesen Wahnsinn zurückzufahren und weniger ins Kino zu bringen, dafür Filme, die es wirklich verdienen. Wenn da die Krise dazu beiträgt, ein bisschen auszuholzen und die Kinoprogrammierung etwas selektiver wird, wäre es kein Nachteil.


Wie stark wird Green Producing in den Vordergrund rücken?

ROLAND TEICHMANN:
Green Producing halte ich für eine technische Komponente, die total sinnvoll und logisch ist. Produktionsstrukturen aus ökologischer Sicht zu optimieren sollte fraglos State of the Art jeder Produktion sein. Die Umsetzung ist eine Frage des Zugangs. Ich gehöre nicht zu jenen, die das über Vorschriften, Richtlinien und an deren Einhaltung geknüpfte Förderungen durchsetzen wollen. Ich halte viel von der Eigenverantwortung und viel davon, dass die Förderung Firmen dazu ermutigt, das ökologische Know-how in die eigene Firma zu tragen, ohne teure Beratungen durch externe Spezialisten. Das Thema war vor Corona schon stark da, ist vielleicht jetzt durch andere Prioritäten etwas in den Hintergrund gerutscht. Ich bin mir sicher, dass Green Producing parallel zu den Corona-Schutzbestimmungen in die Praxis einlaufen wird.


Welchen Stellenwert hat neben dem Bemühen um die finanzielle Absicherung immer wieder auch die Überzeugungsarbeit, das Filmschaffen über seine wichtige Rolle als Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor hinaus auch in seiner gesellschaftlichen Relevanz zu verankern?
 
ROLAND TEICHMANN:
Österreich wird gerne als eine Kulturnation bezeichnet. Wenn davon die Rede ist, dann verbindet man damit in der Regel Oper, Theater und Bildende Kunst, der Film spielt nur eine marginale Rolle. Mit der Einrichtung des Covid-19-Fonds wurde aus meiner Sicht ein sehr wesentlicher Beitrag für die Anerkennung des Films als Säule des Kulturschaffens geleistet. Wir sind ein Bereich, der aus ökonomischer Hinsicht nicht zu vernachlässigen ist. Wir haben eine Zusammenstellung der volkswirtschaftlichen Kennzahlen der Filmbranche produziert und dabei auch die Steuereffekte dargestellt, die aufzuzeigen, wie viele Arbeitsplätze generiert werden, wie weit die Wertschöpfungskette reicht. Es ist politisch angekommen, dass wir es hier nicht mit einer rein schöngeistigen Kunst- und Kulturförderung zu tun haben, sondern weit reichende ökonomische Aspekte damit verbunden sind. Volkswirtschaftlich rechnet sich Filmförderung immer. Die Wertschöpfung von jedem Fördereuro liegt mindestens bei 1,5 bis zu 9/10, wenn es FISA gelingt, einen James Bond-Dreh hierher zu holen. Das Geld bleibt ja da.
Film ist und bleibt etwas Hybrides. Dadurch, dass es ein kostenintensives Produkt ist, ist immer die wirtschaftliche Relevanz gegeben. Rein rechtlich betrachtet, dürfen wir das, was wir tun, nämlich Filme fördern und damit in den Wettbewerb eingreifen, nur deshalb, weil Film rein rechtlich als Kulturgut definiert ist. Das ist die Voraussetzung. In diesem hybriden Spannungsverhältnis bewegt sich der Film immer zwischen Kunst und Ökonomie, deshalb muss man auch immer beides betonen, also auch seine Rolle als Ausdrucks- und Reflexionsmedium der Gesellschaft.



Wie schwierig ist es, von den kurzfristigen zu langfristigen Maßnahmen/Strategien überzugehen, solange die Sichtverhältnisse Richtung Zukunft noch sehr diffus sind?

ROLAND TEICHMANN:
Ich würde sagen, es ist der ideale Zeitpunkt proaktiv über die Zukunft nachzudenken. Gerade jetzt müssen wir uns als Filmförderung die Frage stellen, wohin wir wollen. Die Filmförderung funktioniert grundsätzlich sehr gut, dennoch ist sie gefühlt aus dem letzten Jahrhundert. Wir haben ein Filmförderungsgesetz, das einen sicheren Rahmen gibt, wo vieles gut ist und keiner Änderung bedarf, dennoch sollte die aktuelle Krise Gelegenheit zur Reflexion sein, wie Filmförderung in den kommenden Jahren aussehen soll. Wie reagieren wir auf die Digitalisierung der Welt und des Marktes? Sollen wir eine reine contentbasierte Förderung andenken, die sich völlig losgelöst vom exklusiven Kinoformat hin zu rein digitalen Vertriebsformen bewegt? Ist die Exklusivität des Kinos nicht mehr gerechtfertigt oder gewinnt sie diese gerade jetzt erst recht zurück? Ich habe selbst noch keine eindeutige Antwort darauf. Ich werde mich diesen Sommer aber diesen Fragen sehr eingehend stellen und vor allem auch mit Leuten außerhalb der Branche diskutieren. Ich halte es für spannend, gedanklich Leute an Bord zu holen, die mit der klassischen Filmproduktion nichts zu tun haben – jüngere Leute, die digital anders sozialisiert sind, die aus der Content-Produktion kommen, aber mit anderen Kunstformen zu tun haben und mit ihnen zu schauen, was man in der Filmförderung implementieren könnte, um wieder proaktiver agieren zu können. Ich habe zurzeit das Gefühl in einer Defensive zu sein und mit dem vorhandenen Geld Bestehendes so gut es geht zu verteidigen. Im Grund ist es aber wie die Hand über ein überlaufendes Fass zu legen. Es geht sich nicht mehr aus. Deshalb sollte man gerade jetzt versuchen, „out of the box“ zu denken. Wie schärft man eine Filmförderung nach in einem Umfeld, das sich mit und ohne Coronavirus grundlegend geändert hat?


Interview: Karin Schiefer
Juni 2015

Ich habe zurzeit das Gefühl in einer Defensive zu sein und mit dem vorhandenen Geld Bestehendes so gut es geht zu verteidigen. Im Grund ist es aber wie die Hand über ein überlaufendes Fass zu legen. Es geht sich nicht mehr aus. Deshalb sollte man gerade jetzt versuchen, „out of the box“ zu denken. Wie schärft man eine Filmförderung nach in einem Umfeld, das sich mit und ohne Coronavirus grundlegend geändert hat?