INTERVIEW

Tizza Covi & Rainer Frimmel über DER GLANZ DES TAGES

 

«Wir sehen die Schwierigkeiten dieser Methode und gleichzeitig übt sie eine große Faszination auf uns aus, weil ein Bergwerk an Möglichkeiten von Wirklichkeit vor uns steht.» Tizza Covi und Rainer Frimmel über DER GLANZ DES TAGES.



Betrachtet man Eure letzten drei Arbeiten, so schält sich in gewisser Weise eine filmische Erzählung aus der vorangegangen heraus. Wenn es einen roten Faden gibt, dann ist es die Faszination für die Schaustellerei in ihren verschiedensten Formen. Ist euch das bewusst?
Tizza Covi: Was uns an der Schaustellerei und der Schauspielerei fasziniert, ist die Tatsache, dass auf der Bühne immer alles anders ist als hinter der Bühne. Und das lässt sich auch aufs normale Leben umlegen ? man gibt vor, etwas zu sein, was man in Wirklichkeit nicht ist. Diese Diskrepanz, dieses Hinter-die-Kulissen-Schauen hat uns bei allen Arbeiten interessiert: Bei Menschen, die auf der Bühne etwas ganz anderes darstellen, oder bei Leuten, die in der Zirkusmanege stehen, und in gewisser Weise hat es bei jedem Menschen seine Gültigkeit.

Walter und Philipp sind im Grunde im selben Metier unterwegs und doch könnten ihre Lebenswelten und Charaktere nicht unterschiedlicher sein. Wie und warum habt ihr euch bei Walters Counterpart für Philipp Hochmair entschieden?
Tizza Covi: Es war von Anfang an so gedacht, dass wir zwei Welten beleuchten wollten. Bei Philipp hat uns der Realitätsverlust interessiert, den man als ein vielbeschäftigter Schauspieler zwangsläufig erlebt. Man lebt in diesen intellektuellen Texten, ist immer jemand anderer und wird dafür bewundert, was man nicht ist ? nämlich für den Menschen auf der Bühne und nicht für den hinter der Bühne. Für uns lag der Reiz darin, Philipp mit jemandem zu konfrontieren, der zu hundert Prozent in der Realität lebt und mit ihr zu kämpfen hat.

War Philipp Hochmair jemand, der euch besonders interessiert hat oder gab es mehrere Schauspieler, die für diese Rolle in Frage gekommen wären?
Rainer Frimmel: Wir arbeiten immer mit Leuten, die wir mehr oder weniger gut kennen. Darum machen wir nie Castings für unsere Geschichten, sondern unsere Geschichten entstehen durch die Leute, die wir als Protagonisten wählen. Es spielt von Philipp sehr viel Wirkliches aus seinem Leben in den Film hinein. Die persönlichen Geschichten müssen sich mit unserer Erzählung vermischen, sonst würde unsere Arbeitsweise nie funktionieren.

Wo ist das Biografische der Protagonisten, wo musste die Fiktion der Geschichte ihr Momentum geben?
Rainer Frimmel: Wir sind immer sehr von den Lebensumständen unserer Protagonisten abhängig. Philipp hat während der Dreharbeiten sein Engagement von Wien nach Hamburg gewechselt, also mussten wir auch unsere Geschichte danach richten. Ein anderes Beispiel ist Walters Fahrt nach Schwabmünchen, den Ort seiner Kindheit. Dort wollten wir ausschließlich dokumentarisch arbeiten, mussten uns dann aber doch an gewisse Regeln des Spielfilms halten.

Tizza Covi: Das Fragmentarische, Bruchstückhafte tritt immer an die Stelle eines sinnstiftenden Konstrukts. Das ist unsere Arbeitsweise. Durch das Zusammenwirken all dieser Bruchstücke kann dann der Zuschauer für sich selbst eine Interpretation finden.

Kann man es auch als ein work in progress betrachten, wo der Input eurer Darsteller nach und nach den nächsten Baustein für die narrative Vorwärtsbewegung liefert?
Rainer Frimmel: Ganz gewiss. Es ist immer auch ein Experiment, von dem man nie weiß nie, wie es ausgehen wird.

Tizza Covi: Es sind winzige Fakten, die sich aneinander reihen und im Schnitt entsteht dann die Geschichte. Wir sehen die Schwierigkeiten dieser Methode und gleichzeitig übt sie eine große Faszination auf uns aus, weil ein Bergwerk an Möglichkeiten von Wirklichkeit vor uns steht. Wir scheitern immer wieder daran und gleichzeitig ist es für uns das Spannendste, was wir machen können.

Philipp lernt man zunächst als Hauptmann in Büchners Woyzeck und nicht als Philipp kennen – ein besonders überraschender Einstieg, in eurem erzählerischen Universum, dass jemand in einer Maske auftritt. Hat es eine Bewandtnis, dass ihr Philipp in dieser Rolle zeigt?
Rainer Frimmel: Unserer Arbeitsweise entsprechend war es ein glücklicher Zufall, dass dieses Stück gerade in Hamburg auf dem Spielplan stand. Für uns ist das konträre Verhältnis zwischen dem Hauptmann und dem gescheiterten Woyzeck irgendwie auch ein Spiegelbild der beiden Charaktere Philipp und Walter. Dazu kam, dass es für uns am Thalia Theater einfacher zu drehen war als in Wien. So ergab es sich, dass wir am Anfang einen Fokus auf dieses Stück gelegt haben.

Bisher haben eure Darsteller immer zu einem großen Anteil sich selber gespielt, weil sie durch ihre Persönlichkeit so viel geben und einbringen. Philipp Hochmair spielt auch sich selber, allerdings ist er ein Bühnenprofi, bei dem die Grenze, wo er er selber ist oder sich selber darstellt, schwerer zu erkennen sind. Legt er je ganz seine Maske ab?
Tizza Covi: Das war nicht immer leicht. Wenn wir zu Philipp sagten: „Geh hinein und bestell einen Kaffee!“, fragte uns Philipp, wie er sich dabei fühlen soll oder wer er denn sei. Wenn wir sagten: „Du bist der Philipp, sei wie du immer bist“, dann entgegnete er: „Ich weiß nicht, wie ich immer bin.“ Das war manchmal schwierig, weil die Grundvoraussetzung für eine Zusammenarbeit mit uns die ist, dass jemand so natürlich wie möglich ist. In den Gesprächen mit Walter hat Philipp aber das Reflektieren über sich selber vergessen.

Wie entwickelte sich die Dynamik zwischen Walter und Philipp? Zu welchem Zeitpunkt haben sie sich kennengelernt?
Rainer Frimmel: Sie haben sich eigentlich erst beim Drehen kennen gelernt. Das war eher ein Sprung ins kalte Wasser. Es war nicht einfach, weil beide in gewisser Weise sehr egozentrische Personen sind und die harmonieren in den seltensten Fällen miteinander. Walter, der immer an seiner Vergangenheit kiefelt und sich so stark mit seiner Familiensituation auseinandersetzt. Dann trat plötzlich Philipp in Walters Leben und verkörperte vieles aus seiner Vergangenheit. Das war teilweise zwischenmenschlich sehr schwierig, für den Film wiederum sehr gut, weil beide in diese Situation, die wir kreiert haben, über eine Reibungsfläche hineingefunden haben. Eine Reibung, die eingangs nicht unbedingt gewollt war, von der wir schließlich aber auch profitiert haben.

Der Dialog im Arsenal ist das Kerngespräch des Films, weil nicht nur beide Lebensentwürfe auf den Punkt gebracht werden, sondern auch die Sicht der beiden auf den Begriff der Freiheit? War dies ein Thema, das euch auch beschäftigt hat?
Rainer Frimmel: Im weitesten Sinne ist das natürlich ein Thema: Frei-Sein oder im Lebensgefängnis sitzen, wie Philipp es mit seinen unzähligen Rollen tut, der es aber gar nicht so sieht. Was Walter als Qual erscheint, erlebt Philipp als seine Freiheit. Walter wiederum sieht seine Freiheit vielmehr im Alleinsein, also im völligen Gegenteil. In diese verschiedenen Lebensentwürfe kann man viel hineininterpretieren. Der Film lässt überhaupt viel Freiraum für Interpretationen, sobald man sich seinen Weg hineingebahnt hat.

Es fehlt wie in La Pivellina wieder eine Mutter, es gibt wieder Kinder, die auf sich allein gestellt sind.
Tizza Covi: Wir wollten einen Grund haben, warum Walter in Wien bleibt und nach seiner Abreise auch wieder zurückkommt. Die Situation, die wir im Film beschreiben, beruht auf einer Tatsache. Victor, ein Nachbar von uns, war tatsächlich von einem Tag auf den anderen alleine mit seinen beiden Kindern. Uns war es wichtig, auch eine Realität aus Wien zu erzählen.

Rainer Frimmel: Wir haben die Geschichte mit den Kindern sehr zurückgenommen und wir konnten Victor überzeugen, sich selber zu spielen. Die Kinder sind in diesem Film eigentlich auch dazu da, um an Walters verlorene Kinderjahre zu erinnern. Sie sind ein Verbindungsstück zu seiner Kindheit.

Kann man sagen, dass ihr mit gewissen Erwartungen in die Dreharbeiten gegangen seid und man sie immer wieder modifizieren musste.
Tizza Covi: Ja, das ist ziemlich genau auf den Punkt gebracht. Das muss man bei dieser Arbeitsweise immer.

Geht ihr dank der Erfahrungen eurer bisherigen Filme mit dem Vertrauen an die Arbeit, dass sie auf alle Fälle in eine gute Richtung geht?
Rainer Frimmel: Nein, überhaupt nicht. Das Risiko besteht immer. Die Ungewissheit auch.

Tizza Covi: Mit einem voll ausgeschriebenen Drehbuch habe ich vielleicht während des Drehs weniger Probleme. Das Resultat muss aber nicht unbedingt besser sein. Deshalb arbeiten wir auch weiterhin zu zweit und maximal mit einem Tonmann. Denn das gibt uns die Freiheit auszuprobieren und wenn es sein muss zu scheitern.

Rainer Frimmel: Von den Rahmenbedingungen ist alles in etwa gleich geblieben im Vergleich zu La Pivellina. Für uns ist es ein großes Glück, dass es die Förderung durch das bm:ukk, die Innovative Film gibt, die Projekte in dieser Größenordnung ermöglicht.  

 

Interview: Karin Schiefer

Juli 2012