INTERVIEW

«Es geht um die kleinen Siege im Leben.»

Brieffreundschaft war die Dating Plattform der Siebziger. Zumindest für Abu Bakr Shawkys Eltern, die einander über zartes Luftpostpapier und den Postweg zwischen Wien und Kairo näherkamen. Der ägyptisch-österreichische Filmemacher erzählt in einem Zeitfenster von ca. zwanzig Jahren Geschichte und Geschichten, vor allem die seiner Eltern. Politische Einschnitte im Hintergrund, die unendliche Male aufgewärmten und ausgeschmückten Familienlegenden im Zentrum. Nostalgisch im Look, humorvoll im Ton ist THE STORIES eine heiter-tragische Saga vom Gewinnen und Verlieren und vom Rad der Geschichte.
 

In THE STORIES stellen Sie die Geschichte einer ägyptischen Familie in den politischen Kontext der Zeit zwischen 1967 und Mitte der 1980er Jahre. Was hat Sie dazu bewogen, eine Familiensaga zu erzählen?

ABU BAKR SHAWKY:
Ursprünglich wollte ich einen Film darüber drehen, wie sich meine Eltern kennengelernt haben. Mein Vater ist Ägypter, meine Mutter Österreicherin, und sie waren Brieffreunde. In den siebziger Jahren schrieben sie sich Briefe und ich hielt das für eine recht bemerkenswerte Art, sich kennenzulernen. Darüber wollte ich einen Film drehen, aber je mehr ich an dieser Idee arbeitete, desto mehr entstand eine sehr fiktionale Version der Geschichte meiner Eltern. Es sollte eine Hommage an sie und ihre Liebesgeschichte werden, aber im Entstehungsprozess ist eine fiktionale Version davon geworden: Denn zusätzlich zu ihrer Geschichte habe ich alle Familiengeschichten, die ich im Laufe meiner Kindheit über Onkel, Tanten und Nachbarn gehört habe, in den Film eingebaut.

 
Haben Sie innerhalb Ihrer Familie recherchiert, um Genaueres über die Familiengeschichte herauszufinden?

ABU BAKR SHAWKY:
Die Recherche ergab sich ganz natürlich, da sich meine ägyptische Familie jede Woche zusammenfand, um all diese Geschichten immer und immer wieder zu erzählen. Es war sehr interessant für mich, diese Geschichten stets aufs Neue zu hören. Mir fiel auf, dass sie sehr gute Geschichtenerzähler waren und jedes Mal, wenn sie eine der Geschichten wieder erzählten, wurde sie ein bisschen größer. Jede neue Version wurde noch phantasievoller und noch größer und sie fügten noch ein bisschen Drama dazu. Daraus einen Film zu machen, schien mir ein interessanter Ansatz. Filme sind ja von Natur aus nichts anderes als eine größere Nacherzählung einer im Prinzip einfachen Geschichte. Dem wollte ich Tribut zollen.
 
 
Sie haben eine für Ägypten politisch bedeutsames Zeitfenster gewählt. Warum haben Sie sich entschieden, die Geschichte dieser schwierigen Jahre mit den Mitteln der Komödie, jedenfalls mit vielen lustigen Situationen zu erzählen?

ABU BAKR SHAWKY:
Es war nicht als Komödie geplant, und ich bin mir nicht sicher, ob es eine ist. Es ist eine Mischung aus Tragödie und Komödie. Immer wenn der Familie etwas Gutes widerfährt, passiert auch etwas Schlimmes. Die Komik entsteht durch Menschen, die auf sehr natürliche Weise sie selbst sind, die in allem, was sie tun, einen Hang zum Dramatisieren haben. Das habe ich in meiner Kindheit viel an den Menschen in meinem Umfeld beobachtet. Daher rührt der Humor, aber es ist kein Humor, der bei den Menschen lautes Gelächter provozieren soll. Es geht vielmehr um die Menschen, wie sie sich verhalten, wie sie handeln. Ich denke, dass man in persönlichen Details den Humor herauslesen kann, auf einer allgemeineren Ebene betrachtet entwickelt sich die Geschichte so, dass immer, wenn der Familie etwas Gutes widerfährt, der ganzen Gemeinschaft etwas Bedrohliches oder Schlimmes widerfährt. Umgekehrt ist es genauso. Wenn der Familie etwas Schlimmes widerfährt, dann ergibt sich um sie herum etwas richtig Positives. Sie leben in diesem ständigen Spannungsfeld zwischen Freude und Schmerz, die beide immer zeitgleich zu existieren scheinen. Es scheint Teil ihrer Identität zu sein. im Grunde geht es um eine Familie, die nie zu den Gewinnern gehört. Das echte Leben hat nichts mit Happy Ends zu tun; manchmal muss man ein Happy End in einen Film hineinschreiben, damit es existieren kann. Wenn es um eine Familie geht, die nie auf der Seite der Sieger ist, ist es schön, sie dabei zu beobachten, wie sie all ihre Kämpfe durchstehen und schließlich kleine Siege daraus machen.

 
Können Sie uns die wichtigsten politischen Ereignisse der Periode, die dieser Film behandelt, in Erinnerung rufen?

ABU BAKR SHAWKY:
THE STORIES spielt in der Zeit von 1967 bis 1984, einer sehr kritischen Phase mit vielen Veränderungen und Unruhen im Land und in der gesamten Region. Es war für Ägypten eine kritische Zeit: das Land erlebte Krieg, massive innenpolitische Proteste und Unruhen, Preisanstiege und Inflation – Dinge, an denen viele Länder zerbrechen würden – und das bedeutete eine schwere Belastungsprobe für das Land. Im Film geht es nicht wirklich um diese Ereignisse. Er handelt von den kleinen, gewöhnlichen Leuten, die durch diese Ereignisse durchmüssen, und davon, wie sich diese Ereignisse auf die Menschen und ihre Lebenspläne auswirken. Die Familie träumt von gewissen Dingen: Ahmed, der Pianist und auch die Hauptfigur, möchte immer schon mal ein Konzert geben. Immer wenn er die Zusage für ein Konzert bekommt, passiert etwas Schlimmes. Es wird sehr oft übersehen, was entscheidende politische Ereignisse für ganz gewöhnliche Menschen und ihr Leben bedeuten.
 
 
Sie wählen mehrere strukturierende Elemente: Die Kapitel sind mit einem bestimmten Jahr oder mit Ereignissen verbunden. Ein zweites Element ist die Figur des Fernsehjournalisten, durch dessen Karriere und Präsenz auf dem Bildschirm wir politische Veränderungen, aber auch Fernsehgeschichte miterleben.

ABU BAKR SHAWKY:
Dieser Fernsehkommentator ist natürlich eine fiktive Figur. Er ist jemand, der alle Epochen und politischen Veränderungen überlebt hat. Er schwimmt mit dem Strom, er schlägt sich auf die Seite der Stärksten, er folgt der Richtung, die das Land gerade einschlägt. Von Natur aus ist er ein Überlebenskünstler. Ich will ihn nicht kritisieren, sein Verhalten ist manchmal lebensnotwendig. Solche Menschen gibt es in jedem Land und wenn man auf die Medien fokussiert, findet man sie in jeder Community, in jedem Land, in jeder Kultur. Ich hielt es für interessant, dieses Phänomen in seiner Kontinuität zu beobachten: Es gibt immer jemanden, der mit dem Strom schwimmt, zu allem „Ja“ sagt und auf der Seite der Mächtigen steht. Aus seiner Sicht ist das eine Überlebensstrategie.

 
Gleichzeitig zeichnen Sie ein Bild einer Zeit, in der das Fernsehen das Medium war, um die Bevölkerung zu erreichen. Das Fernsehen als neues Massenmedium nach dem Radio.

ABU BAKR SHAWKY:
Die sechziger und siebziger Jahre waren das Zeitalter des Radios und des Fernsehens. Sie werden feststellen, dass im Film immer ein Fernseher oder ein Radio irgendwo läuft. Ich erinnere mich daran, dass es bei mir zu Hause immer so war. Im Hintergrund lief immer etwas. Es war nicht so, dass unbedingt jemand vor dem Bildschirm saß, aber es musste laufen. Es gab immer einen Song, eine Fernsehsendung, einen Moderator; der Raum war ständig von diesen Medien erfüllt. Auf seltsame Weise bildet das fast eine Hintergrundmusik. In THE STORIES gibt es keine Filmmusik; alles kommt aus dem Fernseher oder dem Radio und bildet den Soundtrack unserer Kultur, sei es über Musik oder politische Kommentare.

 
Der Film enthält viel Original-Fernsehmaterial, sowohl zu politischen Ereignissen als auch zum Fußball. Können Sie uns etwas über die Recherche und die Auswahl der Ausschnitte erzählen?

ABU BAKR SHAWKY:
Natürlich hatten wir ein Rechercheteam, das die Archive durchforstet hat. Viele der Aufnahmen gehen auf Kindheitserinnerungen von mir zurück. Wie gesagt, da immer ein Fernseher an war, gab es immer Fernsehsender, wo etwas lief. Das gilt insbesondere für die Musik: Ich verwende Songs, die ich in meiner Kindheit gehört habe. Alle Archivaufnahmen, wie die eindrucksvollen Bilder von Nassers Rücktritt oder der Ermordung Sadats sind Teil unseres kollektiven Gedächtnisses als Ägypter. Sie prägten unser Verständnis der modernen Geschichte. Das sind sehr populäre Dinge, die wir in unserer Kindheit immer und immer wieder gesehen haben. Sie wurden Teil des Films, weil der Film in gewisser Weise eine Reproduktion meiner eigenen Erinnerung ist, auch wenn es sich um einen Spielfilm handelt. Es ist sicherlich eine sehr persönliche Herangehensweise ans fiktionale Erzählen, etwas, das viele Kindheitserinnerungen festhält.
 
 
Ihre Figuren haben etwas Stereotypes und gleichzeitig sehr Individuelles. Wie ist Ihre Filmfamilie während des Schreibprozesses gewachsen?

ABU BAKR SHAWKY:
Vieles davon sind Geschichten, die wir uns über einen weit weg lebenden Onkel, über einen Briefträger von früher, über Menschen, die wir irgendwie, aber doch nie wirklich kannten, erzählt haben. Der Mann mit dem bösen Blick ist jemand, von dem meine Onkel immer erzählt haben, jemand, den wir nicht wirklich kannten. In unserer Geschichte wird dieser Mann immer für alles Schlechte, das passiert, verantwortlich gemacht – aber in seiner eigenen Sicht der Dinge ist er derjenige, der dafür verantwortlich ist, dass etwas Gutes passiert. Er ist nicht der, der Unglück bringt, die Leute verstehen ihn nur falsch. In seiner Version der Geschichte ist er der Gute. Ich wollte den „normalen“ Menschen Tribut zollen, denen, über die wir ständig reden, ohne dass sie jemals die Chance bekommen, ihre Sichtweise darzulegen. Ich wollte diesen Menschen gerecht werden, die in ihrer persönlichen Version ihrer Geschichte die Helden sind. Alle diese Figuren sind eine Version ihrer selbst, wie sie sich gerne selbst betrachten würden.

 
THE STORIES beeindruckt durch sein Gespür für Emotion in sehr kleinen Details. Das zeigt sich in der Begegnung zwischen Familien aus zwei Kulturen und Sprachen, aber auch in der Beobachtung von Ahmeds Mutter, die uns eine Vorstellung davon vermittelt, welche Last eine Frau in dieser ganz normalen Familie zu tragen hatte. Waren Ihnen diese Themen ein besonderes Anliegen?

ABU BAKR SHAWKY:
Nehmen wir das Beispiel der Mutter. Die Belastung, die sie auf ihren Schultern trägt, wird dadurch ausgeglichen, dass sie im Mittelpunkt von allem steht, denn all diese Menschen sind ohne sie nichts. Wenn sie stirbt, stirbt im Grunde genommen die Familie. Ihr Tod bedeutet in gewisser Weise auch das Ende dieser Familie. Wie sich im Film am Ende herausstellt, übernimmt sie auch die Rolle der Erzählerin der Familie, sie ist die Hüterin der Familiengeheimnisse und Familiengeschichten, indem sie nachts in einer der vielen Notizbücher schreibt, die sie unter ihrem Bett aufbewahrt. Sie ist diejenige, die die Geschichten für kommende Generationen aufzeichnet, damit diese davon lernen können. In der Familie nimmt sie somit eigentlich den wichtigsten Status ein.
 

Was hat Sie zu den sehr unterhaltsamen Szenen über die kulturellen Unterschiede und sprachlichen Missverständnisse zwischen der österreichischen und der ägyptischen Familie inspiriert?

ABU BAKR SHAWKY:
Ich bin in Ägypten und Österreich aufgewachsen. Meine Großeltern auf österreichischer Seite sprachen weder Englisch noch Arabisch, meine Großeltern auf ägyptischer Seite sprachen kein Deutsch. Aber wenn sie zusammenkamen, kamen sie sehr gut miteinander zurecht. Ich war noch sehr klein, aber das verstand ich einfach durch die Beobachtung, wie sie miteinander umgingen. Sprache kann sehr schnell universell werden; Menschen können einander sehr schnell verstehen. Nehmen wir die Szene auf dem Balkon, wo die beiden Väter nebeneinander sitzen; sie haben buchstäblich die Mittel in der Hand, um miteinander zu kommunizieren. Und genauso ist es bei den beiden Müttern; sie haben genug Lebenserfahrung, um sich auch ohne Worte miteinander zu verständigen. Ein weiterer Punkt, der mir im Laufe meiner Kindheit aufgefallen ist, sind zwei Dinge, die Ägypten und Österreich trotz aller Unterschiede gemeinsam haben. Ich finde die Lautstärke von Unterhaltungen ist höher, beide Seiten sprechen etwas lauter als Menschen in anderen Ländern, und ihre Erzählweise ist sehr energiegeladen und lebhaft. Wenn sie etwas sagen, tun sie es leidenschaftlich und intensiv. Das ist eine interessante Gemeinsamkeit.

 
Können Sie uns etwas über Ihre Überlegungen bezüglich des Looks des Films erzählen? Es gibt diese nostalgische Farbgebung, das sehr offensichtliche Studiosetting bei den Aufnahmen vor dem Haus, und es gibt die große Geste eines Close-up- Kusses am Ende des Films. Ist THE STORIES eine Hommage an eine bestimmte Periode des ägyptischen Kinos?

ABU BAKR SHAWKY:
Auf jeden Fall. Ich wollte den großen ägyptischen Spektakel der 1950er und 1960er Jahre Hommage erweisen. Ägypten hat eine sehr lange Kinogeschichte. Die Zeit zwischen 1940 und 1970 war wirklich ein goldenes Zeitalter. Es wurden großartige Spektakel, große Technicolor-Filme gedreht. Die Filme waren sehr opernhaft und filmisch, die Musik war laut, die Energie intensiv. Dieser Epoche des Kinos wollte ich Tribut zollen, in gewisser Weise handelt der Film von dieser Zeit, aber auch vom Niedergang. Ich wollte in diese Ära zurückkehren und sehen, wie man mit modernen Mitteln einen Film drehen kann. Ich habe in den neunziger Jahren begonnen, Filme zu schauen, das heißt, meine persönliche Filmbibliothek ist in dieser Zeit verankert. Für mich ist das der Höhepunkt eines sehr starken Autorenkinos. Mein Ansatz war, die filmischen Mittel der neunziger Jahre auf Geschichten aus den sechziger Jahren umzulegen, ich wollte diese beiden Epochen mischen und einen lebendigen, rasanten, lauten Film machen, der interessant und unterhaltsam anzusehen ist.

 
Mit Valerie Pachner haben Sie eine der renommiertesten österreichischen Schauspielerinnen für die Rolle der Elizabeth ausgewählt. Wie haben Sie den ägyptischen Cast zusammengestellt?

ABU BAKR SHAKY:
Es war ein wahrer Segen, bei der Entstehung dieses Films sowohl vor als auch hinter der Kamera mit großartigen Menschen zusammenzuarbeiten. Valerie Pachner ist eine wunderbare, großartige und sehr talentierte Schauspielerin. Ich bin sehr dankbar, dass sie sich bereit erklärt hat, an diesem Film mitzuarbeiten. Sie geht mit sehr viel Engagement in die Arbeit und es war ein Vergnügen, jede Szene mit ihr erarbeiten und zu sehen, wie sie in ihre Rolle eintaucht. Das Gleiche gilt für die ägyptischen Schauspieler:innen die alle sehr erfahrene, gut ausgebildete und starke Charakterdarsteller:innen und hier in Ägypten sehr vielbeschäftigt sind. Da wäre zunächst Amir El-Masry, der Ahmed, die Hauptfigur, spielt. Nelly Karim, die die Mutter spielt, ist ein Superstar im Nahen Osten. Mit der Rolle der Fairuz hat sie eine Rolle angenommen, die sie normalerweise nicht spielen würde. Sie hat sehr viel äußere Veränderung akzeptiert, um diese Rolle mit so viel Hingabe verkörpern zu können. Es ist sehr bemerkenswert, wie sie das geschafft hat. Die anderen Schauspieler, Ahmed Kamal, der den Vater, Sherif Desouky, der den Onkel mit dem bösen Blick und Sabry Fawwaz, der den Musiker-Onkel spielt, sind allesamt sehr starke Charakterdarsteller. Es war eine Freude, mit ihnen zu arbeiten. Sie haben viel Engagement und körperlichen Einsatz eingebracht, ich hoffe, dass sie Spaß an ihren Rollen hatten.

 
Hat die Arbeit an THE STORIES eine grundlegend andere Regieerfahrung als die für die vorherigen Filme bedeutet?

ABU BAKR SHAWKY:
Ich würde sagen, dass bisher jeder Film eine völlig andere Erfahrung war, was den Umgang mit den Schauspieler:innen und den Menschen betrifft, die Teil der Zusammenarbeit waren. Bei meinem ersten Spielfilm habe ich mit Laiendarsteller:innen gearbeitet, was einen völlig anderen Zugang bedeutet hat. Bei diesem Film wollte ich mich einerseits an die Dialoge aus dem Drehbuch halten, aber gleichzeitig meinen erfahrenen Schauspielern genügend Raum für Interpretation und Improvisation lassen. Wir haben das Drehbuch als Grundlage dafür genommen, wie die Szene sein sollte, und genügend Freiraum gelassen, um Spaß an der Szene zu haben. Das Drehbuch war die Basis für die Ausgangssituation, machte aber keine strenge Vorgabe, wie diese Szene am Ende ausschauen sollte. Es wurde am Ende immer ein bisschen überschwänglicher, ein bisschen dramatischer, ein bisschen effektreicher.

 
Es entsteht der Eindruck von Dreharbeiten, die Spaß gemacht haben ...

ABU BAKR SHAWKY:
Ja, sehr sogar. Es hat so Spaß gemacht, vor allem in den Szenen mit allen Familienmitgliedern. Das sind Szenen, vor denen man als Regisseur normalerweise ein wenig Angst hat, weil man nicht weiß, wie sie ausgehen werden. Mit der Zeit hatten sich die Schauspieler an mich, an die Regie und die Tonalität des Films gewöhnt. Wenn man all diese tollen Schauspieler:innen in einem Raum zusammenbringt, entsteht etwas Magisches. Wenn man‘s richtig macht, muss man nicht mehr viele Anweisungen geben. Man gibt die Grundregeln für das Spiel, das am betreffenden Tag am Programm steht, vor und lässt dann die Szene sich entfalten. Sie sind alle erfahrene Schauspieler und wissen, was zu tun ist, um ans gemeinsame Ziel zu kommen. Das war das Wesentliche bei dieser großartigen Dreh-Erfahrung.

 
THE STORIES ist eine internationale Koproduktion. Wie sieht es mit dem österreichischen Input aus, abgesehen von Valerie Pachner in einer der Hauptrollen?

ABU BAKR SHAWKY:
THE STORIES ist eine Koproduktion mit Koproduzenten aus Ägypten, Frankreich, Österreich, Belgien und Schweden. Die Dreharbeiten fanden in Ägypten und Österreich statt. Die Crew besteht mehrheitlich aus Ägyptern mit vielen österreichischen Elementen. Wir haben Maria Hofstätter und Johannes Krisch als Elizabeths Eltern sowie Jack Hofer als ihren Bruder. Ich hatte das große Glück, mit einer solchen Besetzung arbeiten zu dürfen und dann auch noch das große Glück, Wolfgang Thaler als Kameramann zu haben, zusammen mit seiner Assistentin Sophia Wiegele. Die Bilder des Films sind hauptsächlich mit Handkamera entstanden und Wolfgang ist wahrscheinlich der beste Handkameramann der Welt. Er hat so ein gutes Auge, ist so gewissenhaft und ein sympathischer Mensch. Das Gleiche gilt für die Produzenten Alexander Glehr und Johanna Scherz und ihr Team. Es war auch eine besondere Erfahrung, mehrere Monate lang mit dem Editor Roland Stöttinger zusammenzuarbeiten, um diese Geschichte in ihrer endgültigen Form zu bauen. In der Postproduktion wurde er zum Motor des Projekts und wir verbrachten viele Wochen damit, Szene für Szene durchzugehen und er dabei das oft improvisierte Filmmaterial entwirrte. Ohne ihn wäre es ein ganz anderer Film geworden. Dasselbe gilt für die Colorgrader Andi Winter und Klaus Track, die wochenlang daran gearbeitet haben, mit akribischer Genauigkeit eine Farbpalette zu erstellen und umzusetzen.

 
Ich möchte mit dem Anfang des Films schließen. Wir hören Valerie Pachners Voice-over, die aus einem der versteckten Notizbücher von Ahmeds Mutter liest. Sie schrieb, wie sie selbst sagte, über „die Dinge dazwischen“. Das ist auch etwas, das auf Ihren Film zutrifft, der zwar in großen Gesten erzählt, aber eigentlich versucht, viele Dinge dazwischen darzustellen.

ABU BAKR SHAWKY:
Es ist ein Film über die kleinen Siege. Es passieren große Dinge in dem Film, aber es geht um die kleinen Dinge – dass deine Lieblingsfußballmannschaft ein Spiel gewinnt, dass dein Onkel von der Arbeit zum Mittagessen vorbeikommt. Die Dinge im Leben, die das Leben lebenswert machen. Es geht um die kleinen Siege im Leben.
 

Interview: Karin Schiefer
Oktober 2025

«Die Komik entsteht durch Menschen, die auf sehr natürliche Weise sie selbst sind, die in allem, was sie tun, einen Hang zum Dramatisieren haben.»