2003 hat Christine Dollhofer das Festival Crossing Europe erfunden und 18 Jahre lang für ihr handverlesenes Programm den Kontinent in alle Richtungen vermessen, um dem Publikum die
Facetten europäischer Identität erfahrbar zu machen. Der Blick auf das Ganze – quer durch Europa, quer durch drängende gesellschaftliche
Themen und sich wandelnde Sehgewohnheiten, quer durch alle Positionen im Entstehungs- und Verwertungsprozess, wird auch ihre
neue Aufgabe, die Geschäftsführung des Filmfonds Wien bestimmen. Ein Gespräch mit Christine Dollhofer über Ideen, Prioritäten
und Herausforderungen.
Mit dem Beginn Ihrer Amtsperiode als Geschäftsführerin des Filmfonds Wien geht auch ein Filmjahr zu Ende, auf das man trotz
der bekannt schwierigen Rahmenbedingungen zufrieden zurückblicken kann: Große Freiheit mit Weltpremiere in Cannes und zuletzt zwei Excellence Awards und zwei Nominierungen bei den EFA; die Koproduktion Quo vadis, Aida? – eine Oscar-Nominierung und vier Nominierungen beim EFA; technisch innovative Filme wie Hinterland oder Rotzbub auf renommierten Festivals. Auf welche Stärken, Ressourcen, Potenziale, die es zu unterstützen gilt, freuen Sie sich?
CHRISTINE DOLLHOFER: Es ist mehr als erfreulich, dass wir jedes Jahr auf eine Vielzahl an Produktionen zurückblicken können, die nicht nur eine
Einladung von A-Festivals erhalten, sondern in der Folge auch eine enorme Festivalauswertung erfahren, Verkäufe über die Weltvertriebe
verzeichnen und so in verschiedenen Territorien ihr Publikum finden. Ich hoffe, dass diese Festival-Erfolgsgeschichte fortgesetzt
werden kann. Idealerweise entstehen Filme, die sowohl international als auch beim heimischen Kinopublikum punkten können.
Grundsätzlich vertrete ich die Ansicht, dass alles in der Gesamtschau betrachtet werden soll. Ein Verwertungsfenster allein
macht nicht den Erfolg eines Filmes aus, sondern die Summe alle Erst- und Zweitverwertungskanäle von Kino, Festival, TV, Streaming-Plattformen
bis hin zur DVD. Wir haben eine unglaublich lebendige Filmszene mit großartigen Filmschaffenden und einer guten Infrastruktur
und ein im europäischen Vergleich gut aufgestelltes Fördersystem, welches natürlich flexibel bleiben muss, um auf neue Entwicklungen
reagieren zu können. Hier sei nur als ein Beispiel das sehnsüchtig erwartete Steueranreizmodell angeführt. Wien ist eine Weltstadt
im Zentrum Europas mit vielen Communities die nur wenig Repräsentanz erfahren, geschweige denn in der Branche entsprechend
verankert sind. Hier mehr Diversität reinzubringen wäre mir ein wichtiges Anliegen und ich bin überzeugt, dass hier Potenzial
vorhanden ist.
Wie würden Sie einem internationalen Partner, der sich für Wien als Produktionsort interessiert, die Stärken des Filmstandorts
Wien nahelegen? Worin wird man den Standort in seiner Wettbewerbsfähigkeit unterstützen müssen?
CHRISTINE DOLLHOFER: Es wird sehr wichtig sein, dass sich österreichische bzw. Wiener Firmen Partnerschaften suchen und auf Koproduktionsmärkten
oder bei diversen Industry Events aktiv werden, um an internationalen Projekten mitzuwirken. Umgekehrt müssen auch die strukturellen
Voraussetzungen in Wien und Österreich geschaffen sein, da es um Fragen geht wie: Wie sieht hier die Service-Infrastruktur
aus? Welche finanziellen Anreize gibt es in welcher Höhe? Es ist bekannt, dass wir in bestimmten Bereichen etwas nachhinken.
Es gibt in Nachbarländern Steueranreizmodelle, besonders in Ostereuropa sind aufgrund niedriger Lohnkosten die Herstellungskosten
geringer. Länder wie Tschechien, Ungarn oder Rumänien sind strukturell und personell sehr stark auf Serviceproduktionen eingestellt.
Wien kann mit großartigen Locations und einem tollen kreativen Potenzial und qualitativ hochwertigen Postproduktion punkten,
mit dem HQ7 gibt es zusätzliche Möglichkeiten für Studioproduktionen. Demnächst soll es auch steuerliche Anreize für internationale
Produktionen seitens der Stadt Wien geben, die Details dazu werden noch bekannt gegeben. Das Wichtigste ist das Oszillieren
in beide Richtungen – proaktive Partnersuche nach außen, umgekehrt Anreize schaffen, um Partner nach Österreich zu bringen.
Wir wissen alle, dass die Kinoverwertung bedingt durch die Pandemie im Augenblick sehr schwierig ist, aber wir wissen auch,
dass österreichische Filme bei einer TV-Ausstrahlung noch ein Vielfaches an Zuseher:innen erreichen. Die Branche befindet
sich momentan in einem starken Ungleichgewicht, die Verwertungsmöglichkeiten sind gerade sehr problematisch: Kinostarts werden
unterbrochen, verschoben, fortgesetzt. Es ist Vieles in der Pipeline, das noch ins Kino soll, neue Projekte rücken nach, es
wurde in den letzten Monaten sehr viel entwickelt, die Drehbedingungen sind enorm verschärft, dennoch ist überraschenderweise
sehr viel in diesem Jahr gedreht worden und wir hoffen auf zahlreiche und gute Festival-Placements. Die Verwertungssituation
ist gesamt betrachtet sehr schwierig. Umgekehrt besteht ein unglaublich großer Hunger nach Stoffen und Geschichten, die regional
erzählt werden und international funktionieren. Sowohl bei den Streamern als auch im Kino kann man feststellen, dass regional
verankerte Geschichten eine große Reise machen können.
Sie haben fast 20 Jahre ein internationales Festival mit einem stark europäischen Fokus geleitet. Der internationale Blick
wird wohl auch Ihre Leitung dieses großen Regionalfonds bestimmen. Wo können Sie sich vorstellen, in der Wiener Filmbranche
Anstöße zur stärkeren internationalen Vernetzung in der gesamten Produktionskette zu liefern?
CHRISTINE DOLLHOFER: Grundsätzlich weiß ich, wie komplex und verantwortungsvoll die Aufgabe von Produzent:innen ist, wieviel Man- und Womanpower
es bedarf, um ein Projekt auf den Weg zu bringen. Sich darüber hinaus auch noch international herumzutreiben, ist natürlich
sehr arbeits- und zeitintensiv. Dennoch bin ich überzeugt, dass dies Investitionen in die Zukunft sind, die vielleicht nicht
sofort für ein aktuelles Projekt, sondern für ein zukünftiges schlagend werden. Ich sehe ein ganz spezifisches Vorhaben in
der Stärkung minoritärer Koproduktionen, die Netzwerke beleben. Vernetzungsaktivitäten können aber auch durch einschlägige
Tagungen, die nach Wien gebracht werden, berufliche Weiterbildung, Teilnahme an Märkten unterstützt werden. Man könnte vielleicht
etwas gemeinsam ausrichten bzw. in Österreich schon gut etablierte Events wie Diagonale oder Viennale mit Industry Events
in Verbindung bringen und sie dabei unterstützen. Den wesentlichen Punkt sehe ich im Zusammenspiel mit allen Playern, ob das
nun Austrian Films ist, Media Desk, das BMKOES, das ÖFI, der FFW, die Länderförderer, die Festivals, die Commissions sind.
Wir müssen Österreich als Filmstandort gemeinsam nach außen stärken, gemeinsam kommunizieren und die finanziellen Rahmenbedingungen
schaffen. Diese Dinge kann man nicht aus dem Boden stampfen. Es dauert Jahre, bis sich Märkte in der Branche als „place to
be“ etabliert haben und funktionieren. Man muss sich zunächst genau fragen, was man sucht, wo man andocken möchte. Es geht
zunächst vielleicht um allgemeine Fragen: Wohin geht der internationale Trend? Welche Marktchancen hat mein Projekt? Bei den
Festivals ist das nicht anders, dass man sich die Line-ups ansieht und beobachtet, mit welchen Filmen Weltvertriebe gute Verkäufe
machen, welche Filme Preise gewinnen. Als Beispiel fällt mir Yorgos Lanthimos ein, der mit kleinen griechischen Produktionen
begonnen hat und durch Koproduktionen jetzt internationale englischsprachige Projekte umsetzt. Im Extrem führt so eine Entwicklung
zur Abwanderung kreativer Kräfte. Bei uns ist ein gewisser Brain Drain Richtung Deutschland festzustellen, wo es viele Möglichkeiten
und lukrative Angebote gibt. Österreich ist ein kleiner Markt, aber einer mit vielen Stärken: wir haben tolle Talente, Kreativität,
Exzentrik und Eigenwilligkeit, aber auch viele qualifizierte Unternehmen im Produktions- und Postproduktionsbereich.
Mit der Unterstützung minoritärer Koproduktionen richtet sich der Fokus auf die frühe Phase des Filmprozess. Spannen wir den
Bogen zur Verwertung. Mit Koproduktionen ist man zwar auf mehreren nationalen Märkten vertreten, die Pandemie hat die Kinos
in eine noch fragilere Position gebracht. Sehen Sie eine Option zur Stärkung der Kinos darin, internationale Kinostarts zu
unterstützen?
CHRISTINE DOLLHOFER: Die Schweiz, die nicht mehr Teil des Creative Europe-Programms ist, unterstützt als Kompensation proaktiv Verleihfirmen,
die Schweizer Filme ins Kino bringen. Österreich gehört zur Creative Europe/Media-Familie, somit können europäische Verleiher
von österreichischen Filmen über diese Programme um Verleihförderung ansuchen. Dies betrifft in erster Linie den Arthouse
Mainstream, da eine Mindestanzahl an Ländern an Bord sein muss, um diese Mittel abrufen zu können. Kinoverwertung ist sehr
komplex geworden. Und man darf nicht außer Acht lassen, dass die Festivals ein eigener und relevanter Markt für die Weltvertriebe
geworden sind. Mit Screening Fees und Handlinggebühren kommt einiges zusammen, das man nicht unterschätzen sollte. Vor der
Pandemie gab auch eine Goldgräberzeit für Weltvertriebe, wo z.B. der chinesische Markt alles, was zensurmäßig unbedenklich
war, in den letzten Jahren gekauft hat. Und Verkäufe an Streamer sind natürlich konsolidierende Einnahmequellen. Auch Nischenprodukte
und vermeintliche Special-Interest Arbeiten haben ihr Marktpotenzial. Wir sehen auch, wie dokumentarische Formate plötzlich
auf den Streaming-Plattformen durch die Decke gehen. In der Kino- und Fernsehlandschaft ändern sich die Trends und Profile
stetig. Das Wichtigste ist jetzt, die Kinos zu stärken, dass uns dieser Ort der sozialen Begegnung und des kollektiven Filmeschauens
erhalten bleibt. Ich glaube aber ohnehin nicht, dass diese Form des Freizeitvergnügens verloren gehen wird. Es wird sich verändern,
die Verwertungsfenster werden sich verkürzen. Es wird parallele Starts geben, in Österreich ist das noch nicht Usus, aber
durch die Pandemie ist da Einiges aus dem Lot geraten.
Ich lese gerne den jährlichen Nostradamus-Report, in dem Expert:innen fünf Jahre in die Zukunft blicken und die Trends prognostizieren. Umbrüche und Neuorientierung
werden auch in Österreich langfristig notwendig sein. Digitial Producing wird uns verstärkt beschäftigen. Es werden neue Berufsfelder
entstehen. Wir müssen dafür sorgen, das klassische Segment zu besetzen, aber auch an den Rändern schauen, was sich verändert
und wie man in neue Entwicklungen investieren, diese anregen und umsetzen kann.
Plattformen erobern das Territorium der Kinos und belegen ein breites Fenster in der Filmverwertung. Wie kann/muss man sich
als Förderinstitution gegenüber der der Dynamik der Streamingdienste positionieren?
CHRISTINE DOLLHOFER: Als Förderer freut man sich zunächst einmal, wenn Kinoproduktionen auch von Streamern gekauft werden. Das sind öffentlich
geförderte Filme und keine Auftragsproduktionen, somit gibt es auch Rückflüsse, da ja erwirtschaftete Gewinne anteilsmäßig
an die Förderinstitutionen refundiert werden. Ich halte es für notwendig, dass von staatlicher Seite Abgaben von den Streamern
eingefordert werden, die wieder in die Filmbranche fließen können. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür sind in Österreich
noch nicht formuliert, wie etwa in Frankreich oder in der Schweiz. Da ist noch einiges zu leisten, um es rechtlich auf den
Weg zu bringen. Generell ist jede Verwertung begrüßenswert. Wichtig ist, dass Filme, die fürs Kino produziert worden sind,
auch eine Kinoauswertung erfahren können und die Verwertungsfenster lange genug sind. Gleichzeitig müssen wir in punkto alternativer
Verwertungsmodelle offen sein, weil man aus der Vergangenheit gelernt hat, dass in manchen Fällen Kinostarts mit leicht verschobenen
Starts auf Plattformen, sehr gut funktioniert haben. Es gibt auch den umgekehrten Fall, dass Filme, die für einen Streamer
produziert wurden, dann einen Kinostart hatten, weil sie die Leinwand brauchen und das Publikum sich das auch wünscht. In
Österreich hielte ich es für fatal, solange Produktionen öffentlich gefördert sind, die Verwertungsfenster generell zu verkürzen.
Das wäre auch für die Kinos tödlich, sie brauchen die Exklusivität. Die Frage ist, ob diese Exklusivität für alle Formate
gelten muss oder ob man da auch individuelle Lösungen im Verbund mit den Rechteinhaber:innen finden kann.
Es gibt zwei gesellschaftliche Themen, die zur Zeit den öffentlichen Diskurs bestimmen und unser Denken neu lenken: Wo planen
Sie bei Gender-Equality und Green Producing anzusetzen?
CHRISTINE DOLLHOFER: Das sind große gesamtgesellschaftliche Themen. Im Bereich der Gender Equality gibt es strukturelle Benachteiligungen auf
allen Ebenen, nicht nur im Filmbereich. Aber ich glaube, dass die Filmbranche hier eine Vorreiterrolle spielt, um gesellschaftlich
Signale nach mehr Gerechtigkeit und Diversität auszusenden. Da mit dem bisher angewendeten Reglement nur limitierte Fortschritte
erzielt wurden, finde ich es sehr gut, dass die nächsten Jahre ein Modell ausgetestet und beobachtet wird, wie, ob und in
welcher Form vorgegebene Mechanismen greifen und Veränderungen mit sich bringen. Dieser Prozesse muss gut dokumentiert und
statistisch begleitet werden. Allein, dass wir solche Maßnahmen diskutieren und als Förderziele nach außen kommunizieren,
wird dazu führen, dass sich in den Köpfen etwas verändert. Wichtig ist, diesen Schritt zu setzen. Das Modell, das das ÖFI
bereits implementiert hat, finde ich gut. Das ist keine Quote per se, sondern ein Versuch, gemeinsam mit der Projektkommission
und den agierenden Personen zu mehr Verteilungsgerechtigkeit zu kommen. Es gibt ein virtuelles Männer- und Frauenkonto, wo
die Fördersummen, die beantragt werden, über die Positionen Produktion, Regie und Drehbuch evaluiert werden und das wird für
die Entscheidungsfindung der Projektkommission eines von mehreren Kriterien sein. Es geht immer zuerst um die Qualität und
die Relevanz eines Projekts und dann schauen wir uns die anderen Parameter an, warum ein Projekt finanziert werden soll. Die
Zielvorgabe ist, dass man vom jetzigen Geschlechterverhältnis von 75:25 schrittweise bis Ende 2024 zu einem Frauenanteil von
50 % gelangt. Selbstverständlich können 50 % nur dann gefördert werden, wenn ausreichend Projekte eingereicht sind. Deshalb
ein Appell an die Produktionsfirmen, auf die Zusammenstellung der Teams zu achten, Produzentinnen aufzubauen, sich mehr für
Autorinnen zu interessieren. Die Talente sind da, in den Ausbildungsstätten ist ja die Ausgewogenheit gegeben. Es geht also
sehr stark darum, wie Frauen gefördert werden, wie sehr sich Familie und Beruf vereinen lassen, wie das Kräfteverhältnis aussieht.
Die Angst, dass jetzt erfolgversprechende kreative Projekte, die vorwiegend von Männern besetzt sind, nicht realisiert werden
können, halte ich für unberechtigt, denn mindestens 50% des Budgets ist ja für sie da. Man sollte sich das jetzt mal ohne
ideologische Scheuklappen anschauen und es als gesamtgesellschaftlichen Beitrag zu mehr Chancengleichheit betrachten. Ich
hoffe sehr, dass ein Umdenken stattfindet. Was wir keinesfalls wollen, sind schablonenhafte, didaktische für die Förderung
geschriebene Einreichungen. Wir wünschen uns authentische Stoffe, die fürs Publikum und nicht für uns geschrieben werden und
die auf verschiedenen Ebenen Potenzial haben.
Welche Maßnahmen wird der FFW in Richtung Green Filming ergreifen?
CHRISTINE DOLLHOFER: Green Filming ist eine Zielsetzung, an der wir arbeiten. Das ÖFI ist auch hier schon einen Schritt voraus. Ein gutes Beispiel
sehe ich in der LAFC und der von Dietlind Rott ins Leben gerufene Initiative Evergreen Prisma, die eine Ausbildung zum Green
Consultant vorsieht, die dann in Folge vom WIFI in Wien zertifiziert wird. Als ausgebildete/r Green Consultant kann man bereits
in der Projektentwicklungsphase mitarbeiten; die Kosten dafür werden schon jetzt anerkannt. Es gibt Projekte, wo eine frühe
Einbindung sehr viel Sinn macht, andere wiederum haben wenig Potenzial zur CO2-Reduzierung. Es ist bekannt, dass unsere Branche nicht gerade umweltfreundlich ist und es gibt bestimmt viele Möglichkeiten,
Energie und CO2 einzusparen und auf andere Produktionsformen umzusteigen. Ab 2022 wird es beim ÖFI verpflichtend sein, einen Green-Abschlussbericht
abzuliefern. Das ist noch mit keinerlei Sanktionen verbunden, ist aber eine Maßnahme, die einen Bewusstwerdungsprozess in
Gang setzen soll und in Folge auch verpflichtend sein wird. Vor allem muss klar sein, dass wir nicht von ein bisschen Green-Washing
reden, also nur von Plastik- auf Holzbesteck umstellen. Das ist zu wenig. Es geht um eine weitreichende Agenda: Woher kommt
die Energie? Wie sieht die Mobilität aus? Wie wird am Set agiert? Es gibt viele Bereiche. Knifflig wird es bei Koproduktionen
auch im TV-Bereich werden, wenn Länder zusammenarbeiten, wo der Standards und Regelungen in punkto Green Filming unterschiedlich
sind. In Deutschland haben sich zahlreiche Produktionsfirmen, Förderinstitutionen und TV-Anstalten über eine freiwillige Selbstverpflichtung
mit einen umfassenden Maßnahmenkatalog verständigt und auch konkrete Ziele formuliert.
So wie beim Gender Budgeting muss auch Green Shooting/Producing einem Monitoringprozess unterliegen, damit die Wirksamkeit
von Maßnahmen nachverfolgt werden kann.
Wie sehr wird diesen beiden Themen international an einem Strang gezogen?
CHRISTINE DOLLHOFER: Wir wissen, dass die skandinavischen Länder punkto Gender Equality uns weit voraus sind, weil sie schon seit Jahren sehr gut
funktionierende Modelle implementiert haben. Es gibt auch viele Fernsehanstalten und vor allem auch Streamer, die punkto Diversity
klare Vorgaben haben. Da ist gerade sehr viel in Bewegung. Im neuen bis 2027 laufenden EU-Programm Creative Europe Media sind
beide Themen als zentrale Ziele festgehalten. Alle Länder sind gefordert, Anreize und Maßnahmen umzusetzen. Bei Koproduktionen
wird man stark überlegen müssen, wie man harmonisiert. Auch beim europaweiten CO2-Rechner ist das Problem, dass Energie in jedem Land anders generiert wird und deshalb überall anders ausschlägt. Interessant
war bei den renommierten A-Festivals zu beobachten, wie stark diese unter Druck geraten sind, weil nur wenige Regisseurinnen
in den Wettbewerben zu finden waren. Nur durch kontinuierliche Lobbying-Arbeit wie z.B. FC Gloria in Österreich aber auch
internationale Frauennetzwerke kam hier Bewegung in die Sache. Mittlerweile ist es seitens der Programmverantwortlichen eine
Bringschuld geworden, dazu Stellung zu nehmen und viele Festivals publizieren entsprechende Gender Equality Statistiken. Ich
glaube, dass hier öffentliche Diskurse und Prozesse sehr viel in Gang setzen. Festivals, Plattformen, Anbieter von Content
sind verstärkt auf der Suche nach Filmen, die Aspekte wie Gender Equality und Diversity erfüllen. Und Sie werden es in der
Festivalarbeit von Austrian Films auch spüren, dass Festivals im Sinne der Ausgewogenheit und des Gender Programmings aktiv
nach Arbeiten von Frauen suchen. Es war mir in meiner Festivalarbeit immer sehr wichtig, dies ohne großes Aufhebens umzusetzen.
Man spürt, es ist etwas im Umbruch. Es ist eine Nachfrage nach Content und mehr Ausgewogenheit in den Key-Positionen da und
diese Nachfrage sollten wir auch bedienen, um es ganz simpel auch mal marktwirtschaftlich auf den Punkt zu bringen.
Ein Ausblicksgespräch ist auch ein Anlass, Wünsche zu äußern. Welches sind die Impulse, Projekte, Ideen, von denen Sie Ihre
Zeit als Geschäftsführerin des FFW geprägt sehen wollen?
CHRISTINE DOLLHOFER: Ich will die Wirkungsmacht meiner Position nicht überschätzen. Es geht in erster Linie darum, auf den Erfolgen, die auf der
Hand liegen, aufzubauen. Es geht weder um mich noch um meinen persönlichen Geschmack, sondern um die Entfaltungsmöglichkeiten
der gesamten Branche. Das Wichtige ist, dass wir im internationalen Verbund unseren Platz behaupten und ich weiß, dass alle
Player mit Engagement und Leidenschaft nur das Beste wollen. Niemand geht aus patriotischen Gründen in einen österreichischen
Film, sondern weil man sich vom Thema, von der filmischen Form oder auf Basis von Rezensionen etwas verspricht. Wenn Patriotismus,
dann sollten wir Europa-patriotisch sein und uns freuen, dass wir in dieser großen europäischen Familie eine Filmlandschaft
geschaffen haben, die sich durch Eigenwilligkeit, Vielsprachigkeit und Vielgestaltigkeit auszeichnet und dass wir den gegenseitigen
Austausch von regionalen Geschichten, die über die Grenzen hinaus funktionieren, ermöglichen. Ich würde mir wünschen, dass
wir mehr an unsere Nachbarländer andocken und dabei nicht nur den deutschsprachigen Raum bedienen, sondern das größere Ganze
im Blick haben. Wenn am Ende nicht nur Koproduktionen mit Deutschland und der Schweiz in der Statistik stehen, sondern sieben
weitere Länder aufscheinen, dann wäre das toll.
Wien ist eine Weltstadt im Zentrum Europas mit vielen Communities die nur wenig Repräsentanz erfahren, geschweige denn in
der Branche entsprechend verankert sind. Hier mehr Diversität reinzubringen, wäre mir ein weiteres wichtiges Anliegen.
Interview: Karin Schiefer
November 2021