INTERVIEW

«Die Komplexität unserer Gesellschaft hoffnungsvoll widerspiegeln»

Inspiriert von einer außergewöhnlichen Lehrerpersönlichkeit in einem Wiener Jugendgefängnis, hat Arman T. Riahi das Buch für seinen neuen Spielfilm Fuchs im Bau geschrieben, der das Bewusstsein über Haft-und Arbeitsbedingungen im österreichischen Jugendstrafvollzug schärfen wird. Die Dreharbeiten sind im September 2019 abgeschlossen. Ein Gespräch mit den ProduzentInnen der Golden Girls Filmproduktion Arash T. Riahi und Karin C. Berger.
 

Der aktuelle Dreh zu FUCHS IM BAU findet gerade im Café Celeste im 5. Wiener Bezirk statt. Welche Szenen werden heute gedreht? Wie weit sind die Dreharbeiten schon vorangeschritten?

ARASH T. RIAHI: Von den 32 Drehtagen haben wir jetzt noch eine Woche vor uns. Heute drehen wir eine Szene, in der „Hannes Fuchs“ – verkörpert von Aleksandar Petrović – in eine Bar kommt, und mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird. Wir drehen nur heute in dieser Bar und es tut gut, mal aus dem Gefängnis rauszukommen, auch wenn es nur Filmkulisse war.  In den letzten Wochen haben wir nämlich sehr viel in einem speziell umgebauten Klassenzimmer innerhalb eines leerstehenden Gefängnisses gedreht. Wir haben das Klassenzimmer so umgebaut, dass die Beleuchtung über Reflektoren und ein spezielles, neues Lichtsystem entweder aus der Fensterseite oder von den Deckenleuchten des Raumes gekommen ist. Das hat den Vorteil gehabt, dass wir kein einziges Lichtstativ im Raum hatten und auch völlig unabhängig vom Wetter drehen konnten. Das hat dem Regisseur auch die Freiheit gegeben die Klassenzimmerszenen mit den jugendlichen Laiendarstellern chronologisch und ohne große Unterbrechungen zu drehen.
 
KARIN C. BERGER: Was noch vor uns liegt, sind unter anderem die Wohnungen von der Hauptrolle „Hannes Fuchs“, dem neuen Lehrer, der frisch an die Gefängnisschule kommt, und das Haus von „Elisabeth Berger“, der erfahrenen Gefängnislehrerin, gespielt von der wunderbaren Maria Hofstätter. Davor haben wir ganze viereinhalb Wochen in einem ehemaligen Bezirksgefängnis in Stockerau gedreht, unserem Hauptmotiv. 

 
War es schwierig, für die Dreharbeiten im Gefängnis einen authentischen Ort zu finden?

ARASH T. RIAHI: Wir haben sehr lange nach einem Gefängnis bzw. einem Ort, den wir umbauen konnten, gesucht. Wir hatten von der Justizanstalt Josefstadt zwar eine Drehgenehmigung bekommen, maximal aber für 1-2 Tage. Wir hätten auf keinen Fall in einem aktiven Gefängnis alles drehen können, was wir für unseren Film gebraucht hätten. Zum Glück hat uns die Bundesimmobiliengesellschaft das ehemalige Gefängnis in Stockerau zur Verfügung gestellt, das wir auch nach unseren Vorstellungen umbauen und auch gestalten konnten. Arman T. Riahi und der Kameramann Mario Minichmayr haben dafür ein eigenes Farbkonzept entwickelt. Es war unheimlich wichtig, in einem echten Gefängnis zu sein, wo nicht nur die Türen authentisch sind, sondern wo auch eine Geschichte der Räume spürbar ist.

KARIN C. BERGER: Ein Nachbau im Studio hätte unser Budget gesprengt und es ist in der Tat so, wie Arash sagt, dass das Feeling nicht das Gleiche ist. Ein Originalmotiv macht da einen großen Unterschied. Das aufgelassene Gefängnis hatte den Vorteil, dass wir es nach unseren Bedürfnissen adaptieren und uns gestalterisch austoben konnten, gleichzeitig aber alle wesentlichen Komponenten eines echten Gefängnisses gegeben waren. Es gab immer noch genug zu lösen: So waren zwar die Originaltüren da, aber keine Schlösser, für die es ein ganz spezielles Schlüsselsystem braucht. Unser Szenenbildner Martin Reiter hat zum Glück die Bundesschlosserei überzeugt, uns zu helfen. Für das Klassenzimmer haben wir einen großen Hintersetzer gebaut, der vermittelt, dass wir in der Josefstadt sind. Das war für uns wichtig, da FUCHS IM BAU ja nicht in einem Jugend-, sondern in einem Untersuchungsgefängnis spielt, wo eine Schulklasse noch einmal eine ganz andere Bedeutung hat. Die Jugendlichen kommen und gehen, für einen Lehrer ist es daher viel schwieriger die Schüler und Schülerinnen zu erreichen. Daher war es uns den Aufwand wert, den Hintersetzer mit der Josefstadt aufzustellen und so eine Verbindung zur Realität zu schaffen.

 
FUCHS IM BAU geht auf ein Projekt, das im Rahmen eines START-Stipendiums entwickelt wurde, zurück und ursprünglich Der Lehrer hieß, der von einer real existierenden Person inspiriert war. Nun gibt es zwei Hauptfiguren – eine Lehrerin, die mit vollem Einsatz ihren Beruf ausübt, bald vor der Pensionierung steht und einen neuen, jüngeren Kollegen vorgesetzt bekommt, der ihr Gegen- und auch Mitspieler zugleich ist. Wie hat sich die Geschichte seit ihren Anfängen entwickelt?

ARASH T. RIAHI: Arman T. Riahi hat den echten Gefängnislehrer Wolfgang Riebniger im Zuge seiner Recherche für seinen ersten Kino-Dokumentarfilms Schwarzkopf kennengelernt. Er durfte den Unterricht beobachten und ist total fasziniert zurückgekommen:  Ein Klassenzimmer innerhalb eines Gefängnisses. Ein Pädagoge, der mit ganz anderen Mitteln um die Aufmerksamkeit der Schüler kämpfen muss. Der einzige Raum innerhalb der Haftanstalt, in dem die Insassen frei sind. Arman hat damals sofort gesagt hat, das wäre ein Stoff für einen Film. Bald darauf hat er ein erstes Treatment geschrieben und ein START-Stipendium bekommen. Dann ist aber das Drehbuch von Die Migrantigen schneller fertig geworden. In der Weiterentwicklung des Stoffes fanden wir dann, dass es sich besser um zwei Lehrerpersönlichkeiten handelte. Auch in der Realität war es so, dass der ältere Lehrer von einem Jüngeren abgelöst wird und hier wie dort unterschiedliche Lehrmethoden aufeinander geprallt sind. Es war uns außerdem wichtig, eine starke Frauenfigur zu haben, die glücklicherweise von Maria Hofstätter verkörpert wird. Sie hat eigenwillige Methoden und führt vor Augen, wie es möglich ist, innerhalb der rigiden Gefängnishierarchie „out of the box“ zu denken.

 
Arman T. Riahi hat mit Die Migrantigen eine sehr erfolgreiche Komödie als Spielfilmdebüt vorgelegt. Wie war es für euch als seine Produzenten und auch für ihn, nun einen Film in einer anderen Tonlage zu realisieren?

KARIN C. BERGER: Von unserer Seite her als Produzenten war es willkommen. Und für Arman, glaube ich, war es auch befreiend, etwas anderes auszuprobieren. Es wäre schade wenn man nicht zeigen kann wie vielseitig man ist und nur auf ein Genre festgenagelt wird. Arman hat mehr zu erzählen als nur Komödien und wir unterstützen das. Die Geschichte dieser Lehrerpersönlichkeit liegt ihm so sehr am Herzen, dass es ihm gar nicht schwergefallen ist, ins Drama zu wechseln. Er hat das genauso ernst genommen wie die Komödie und die Stolpersteine beim Drehbuchschreiben genauso gut bewältigt. Es war viel Arbeit, die Figuren in dieser Stärke zu entwickeln und wirklich auf sie einzugehen, wie er es gemacht hat. Er hat dafür schon sehr früh begonnen, mit den Schauspielerinnen und Schauspielern zusammenzuarbeiten: Aleksandar Petrović und Maria Hofstätter waren schon vor der Einreichung in die Rollengestaltung eingebunden.

ARASH T. RIAHI: Arman hat sich wirklich detailversessen an die Arbeit gemacht. Er hat mit Aleksandar Petrović viel recherchiert, an Workshops teilgenommen und auch gemeinsam mit Schauspielcoaches die Figuren entwickelt. Auch Luna Jordan, die eine Insassin und Schülerin der Gefängnisschule spielt, hat sich mit einem Coach auf ihre Rolle vorbereitet. Luna ist ein unglaubliches Talent und eine große Entdeckung für uns.

 
FUCHS IM BAU ist sehr hochkarätig besetzt. Wie ist es euch wieder gelungen, so einen starken Cast aufzustellen?

KARIN C. BERGER: Man muss sagen, dass wir zum Teil auch schon zuvor mit den Leuten gearbeitet haben. Andreas Lust hat in fast allen Spielfilmen von uns mitgespielt. Es war klar, dass Faris Rahoma wieder eine Rolle übernehmen wird. Das Casting der „Erwachsenen“ durch Nicole Schmied war großartig, doch die größte Herausforderung beim Cast lag darin, mit richtigen Jugendlichen zu finden und eine glaubwürdige „Gefängnisklasse“ zu entwickeln. Das zeitintensive Casting der Jugendlichen haben Denise Teipel und Charrelle Janecek übernommen, die mehrere hundert Jugendliche gecastet haben.

ARASH T. RIAHI: Der Erfolg von Die Migrantigen hat gewiss eine Rolle gespielt. Die Leute hatten das Gefühl, bei Arman in guten Händen zu sein und es bedurfte keiner großen Überredungskunst, sie für das Projekt zu interessieren. Nach der Lektüre des Drehbuchs waren sie dann voll dabei. Bei Sibel Kekilli war es nicht anders. Wir haben ihr mit einer kleinen Hoffnung das Buch geschickt und sehr schnell wurde uns ihr Interesse signalisiert, obwohl ihre Rolle keine Hauptrolle ist. Sie hat uns einige Kriterien genannt, wonach sie entscheidet: das erste sei das Buch, das ihr gut gefallen hatte; das zweite der Regisseur, den sie nicht gekannt hatte. Nachdem sie Die Migrantigen gesehen hatte, war sie auch in dieser Hinsicht überzeugt. Dann war ihr noch wichtig, wer sonst noch mit dabei war. Da konnten wir mit unserem österreichischen Cast Maria Hofstätter, Aleksandar Petrović, Andreas Lust, und Karl Fischer ebenfalls punkten.

 
War also der Dreh mit den Jugendlichen die größte Herausforderung?

KARIN C. BERGER: Jeder Film hat so seine eigenen Herausforderungen. Bei Die Migrantigen hatten wir sehr viele Motive. Diesmal waren wir kompakt an einem Ort und hatten sehr viele Szenen mit bis zu 15 Jugendlichen. Sie waren wirklich exzellent gecastet und haben sehr gut miteinander funktioniert. Es hat auch ihnen sehr viel Spaß gemacht. Die Anzahl der Jugendlichen war vor allem für Arman T. Riahi und das Team eine Herausforderung.

ARASH T. RIAHI: Für die Regie ist die Herausforderung woanders gelegen. Wir wissen alle, sobald du mehr als zwei Personen im Bild hast, ist die Choreografie der Bewegungen viel komplizierter. Und er hatte ein Klassenzimmer mit nicht weniger als fünfzehn wilden Jugendlichen, die genau so sein mussten. Dazu kamen mit Sibel Kekilli, Maria Hofstätter und Aleksandar Petrović drei große SchauspielerInnen. Alle sind wichtig, alle müssen gut sein, alle fordern große Konzentration ein. Als stilistische Herangehensweise haben sich Arman und Mario Minichmayr für lange Einstellungen mit Handkamera entschieden. Oft sind ganze Szenen in wenige, lange, bewegte Einstellungen aufgelöst. Das ist dank eines neuen Lichtsystems möglich, das mit speziellen akkubetriebenen LED-Lichtern funktioniert, die man per Fernbedienung vom Tablet aus einsetzen und variieren kann. Somit stehen keine Scheinwerfer im Bild und es verleiht eine viel größere Freiheit. Das Klassenzimmer war ohne ein einziges Stativ so ausgeleuchtet, dass man eine Szene von Anfang bis Ende durchspielen und die Kamera sich dabei 360° drehen konnte. Armans Wunsch war, die Szenen mit den Jugendlichen möglichst chronologisch zu drehen, damit sie besser in ihre Rollen reinkommen.

KARIN C. BERGER: Eine unserer Aufgaben als ProduzentInnen lag darin, dafür zu sorgen, dass die gewonnene Freiheit im Rahmen bleibt. One-Shots sind einerseits total spannend, man muss aber auch darauf achten, dass sie gut umgesetzt werden. Wir haben das Material nach einer Drehwoche im Kino angeschaut, um nachzujustieren, zu schauen wo und wie die Kamera sich dramaturgisch noch besser einbringen kann.

ARASH T. RIAHI: Ich sehe unsere Hauptaufgabe darin, eine große Flexibilität zu wahren und die Bedingungen zu schaffen, um Arman und Mario Minichmayr die Umsetzung dieser künstlerischen Vision zu ermöglichen. Die Migrantigen war in der Umsetzung eine klassische Komödie, FUCHS IM BAU ist stilistisch ein viel gewagterer und stärker durchdachter Film. Uns als Golden Girls Filmproduktion ist es wichtig, keine dogmatischen Filme zu machen. Andreas Lust, der den Abteilungskommandanten Weber spielt, hat es im Interview zum Making Of so formuliert, dass der Film mit einer Lebendigkeit die Gesellschaft widerspiegelt, auf die er im österreichischen Film seit langem gewartet hat. Und genau darum geht es uns: Wir wollen Abgründe der menschlichen Existenz thematisieren, aber genauso die Lebendigkeit und die Chancen, die jeden Moment rund um uns existieren. Unsere Filme sollen empowern, unterhalten und gleichzeitig die Komplexität unserer Gesellschaft auf eine hoffnungsvolle Art widerspiegeln. Ob das nun ein unterhaltsamer oder ein ernster Film ist spielt dabei keine Rolle. FUCHS IM BAU ist ein Drama mit tragikomischen Elementen. Man wird lachen und weinen können, so wie es in Die Migrantigen lustige und in die Tiefe gehende Momente gegeben hat. Ein guter Film hat eine bestimmte Energie, welche die Zuseher*innen sofort packen muss. FUCHS IM BAU wird diese Energie haben, davon sind wir überzeugt.

 
Von Golden Girls produzierte Filme wie Stefan Richters Einer von uns, Stefan A. Lukacs Cops und nun FUCHS IM BAU berühren alle ein ähnliches Themenfeld. Sind die Bereiche der Rechtsprechung, des Strafvollzugs, die Exekutive sensible gesellschaftliche Bereiche, die aus eurer Sicht das Funktionieren und die Dysfunktionen in einer Gesellschaft besonders gut reflektieren. Oder ist das Zufall?

KARIN C. BERGER: Das ist gewiss kein Zufall. Uns war es schon immer wichtig, sozialkritische Themen zu finden, die zugleich lebensbejahend sind. Das kommt, so hoffe ich, in all unseren Filmen auch rüber. Man kann nicht nur Bedrückendes, sondern auch Schönes, vor allem Bewegendes in unseren Filmen finden. Wir freuen uns, wenn wir im Zuschauer viele unterschiedliche Gefühle hervorholen, viel bewegen. Uns ist es wichtig, dass man mit einem guten Gefühl aus dem Film rausgeht und noch weiter über die Thematik des Films diskutieren will.


Interview: Karin Schiefer
August 2019
«Die Migrantigen war in der Umsetzung eine klassische Komödie, FUCHS IM BAU ist stilistisch ein viel gewagterer und stärker durchdachter Film. Uns als Golden Girls Filmproduktion ist es wichtig, keine dogmatischen Filme zu machen. Wir wollen Abgründe der menschlichen Existenz thematisieren, aber genauso die Lebendigkeit und die Chancen, die jeden Moment rund um uns existieren.»