INTERVIEW

«Die einen wollen die Töchter nicht in der Bundeshymne, die anderen nicht im Bikini.»

Wandas Welt scheint in Ordnung: ein Job als Chirurgin, eine Familie aus Patchwork; ein Partner, der sie liebt und im Haushalt zupackt, ein Ex-Mann, mit dem sie reibungslos die Erziehung der gemeinsamen Tochter teilt. Doch letztere steht eines Tages, den Kopf in Tuch gehüllt, vor ihr und wirft mit islamischen Glaubensregeln um sich. Wandas Welt und ein ganzes Lebenskonzept aus Toleranz und Feminismus geraten ins Wanken. Eva Spreitzhofer geht in ihrem Spielfilmdebüt Womit haben wir das verdient? mit heiterem Blick auf die Absurditäten einer gesellschaftlichen Debatte zu, die sich in jüngster Zeit wieder von religiösen Motiven leiten lässt.  

 
 
Womit haben wir das verdient? ist Ihr erster Spielfilm, für den Sie nicht nur das Buch geschrieben haben, sondern auch die Regie führen. Lag für Sie ein Unbehagen im Wiener Alltag in der Luft, dass Sie diese neue Aktualität der Religionen als Thema für Ihren Film aufgegriffen haben?
 
EVA SPREITZHOFER: Gar kein Unbehagen. Wir saßen vor einigen Jahren in einer Runde von Eltern zusammen, unsere Kinder waren gerade am Beginn der Pubertät, und wir haben uns  unterhalten, was jetzt alles auf uns zukommen wird. Alle haben die für sie schlimmsten Dinge aufgezählt: Drogen, Schwangerschaft, Schule abbrechen, dass das Kind rechtsradikal werden könnte ... Ich hab gesagt, das schlimmste für mich wäre, wenn meine Tochter plötzlich mit Kopftuch vor mir stehen und mir erklären würde, sie ist jetzt voll religiös geworden. Das fanden alle sehr lustig, dass mir Hardcore-Feministin und Atheistin sowas passieren könnte. Und das war der Ausgangspunkt eine Komödie zu machen. Das Beste für eine Komödie ist ja bekanntlich, wenn der Protagonistin das Schlimmste passiert, was sie sich vorstellen kann. Natürlich hat mich das Thema auch politisch und inhaltlich interessiert. Als ich 2016 begonnen habe, daran zu arbeiten, war das Thema noch nicht so eskaliert, aber ich hatte den Eindruck, dass sich die Linken oder fortschrittlichen Kräfte das Thema von den Rechten hatten aus der Hand nehmen lassen. Ich hab Frauen getroffen, die ein Kopftuch tragen und zu mir gesagt haben, sie wählen das nächste Mal die FPÖ, weil das die Einzigen sind, die ein Kopftuchverbot durchsetzen werden. Auf meinen Einwand, dass das aber doch die sind, die sie beschimpfen und bespucken, meinten sie, das stimme natürlich, aber der Druck auf ihre Töchter ein Kopftuch zu tragen, ist in den Schulen in den letzten Jahren so groß geworden und das wollen sie nicht. Die sollen das selber entscheiden. Und dann haben sie lachend gesagt, dass sie sie danach dann natürlich nicht mehr wählen werden… Da hab ich kapiert, wie extrem komplex die ganze Situation ist und wie wenig das Kopftuch mit anderen Symbolen wie dem Kreuz oder der Kippa zu vergleichen ist, weil es nur für einen Teil der Geschlechter gilt. Es ist eine Sexualisierung, es teilt die Frauen in „reine“ und „unreine“ Frauen, es ist ein patriarchales Unterdrückungsinstrument gegenüber Frauen. Als Nicht-Muslimin, als Atheistin, als Feministin ist das mein Standpunkt, von dem aus hab ich das Thema untersucht. Im Film kommen aber natürlich die unterschiedlichsten Meinungen und ganz gegensätzliche Positionen zu meiner Haltung vor. Was mich sehr freut, ist, dass die Moslems und Muslima, die den Film gesehen haben, ihn total lustig fanden. Es kommen auch Witze und Situationen vor, die Nicht-Religiöse oder Nicht-Muslime gar nicht so witzig finden, weil sie einen anderen Kontext haben. Ich wollte, dass man viele verschiedene Perspektiven sieht, die immer wieder eine andere Sicht auf die Dinge ermöglichen. Und immer wenn man sich denkt: „Ja, genau!“, dann passiert etwas und man denkt sich: „Naja, so gesehen ist es natürlich anders!“, genauso ist es mir während der Recherche immer gegangen.
 
 
Standen Sie vor der Entscheidung, die Thematik von einer ernsteren, dramatischen Seite oder als Komödie anzugehen?
 
EVA SPREITZHOFER: Nein, das wollte ich nie. Erstens liebe ich Komödien und es geht mir total ab, dass ich selten im Kino eine wirklich lustige sehe. Mir liegt das und ich schreib total gerne lustige Dialoge. Und zweitens eignet sich dieses Thema am besten für eine Komödie. Es ist viel zu komplex, um es nicht komödiantisch zu erzählen. Es ist doch absurd, dass wir jetzt ernsthaft wieder dieses Religionsthema auf der Tagesordnung haben. Das haben wir doch eigentlich in den letzten 10 oder 15 Jahren für erledigt gehalten, jedenfalls nach dem Auffliegen der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Jetzt kommt das auf einmal wieder daher und mit so einer Vehemenz. Spannend ist ja auch, dass das Frauenbild der Rechten im Prinzip das gleiche ist wie das der Islamisten: die Frauen sollen bei den Kindern bleiben, die einen bekämpfen verzweifelt das Binnen-I, um Frauen in der Sprache nicht vorkommen lassen, die anderen stecken sie in Tücher, um sie im öffentlichen Raum nicht vorkommen zu lassen. Die einen wollen die Töchter nicht in der Bundeshymne, die anderen nicht im Bikini. Die einen wollen sie ausziehen, die anderen wollen sie anziehen. Und dann die Absurdität, dass es FeministInnen gibt, die sich fürs Burkini-Tragen stark machen, während ihre feministischen Großmütter vor 50 Jahren ihre BHs verbrannt haben. Natürlich ist es klar, dass es Frauen, die aus Ländern kommen, wo Frauen überhaupt nicht schwimmen gehen dürfen, unheimlich ist, so wenig anzuhaben. Prinzipiell sollen natürlich alle anziehen dürfen, was sie wollen, logisch. Aber dass Schulen auf einmal für Mädchen, die hier geboren sind, über irgendwelche Schwimmunterrichts-Ausnahmen nachdenken, ist ein unfassbarer Backlash. Da geht’s doch dann darum, es gibt ehrbare Frauen, die verhüllen ihre Reize und tragen Burkini und dann gibt’s die Schlampen, die gehen im Bikini. Und das nicht zu unterstützen, ist eine politische Frage, keine Frage der Freiwilligkeit.
 
 
Ist es bei einem so sensiblen Thema wie der Religion, wo man ständig auf Tabugrenzen stößt leichter oder heikler eine Komödie zu verfassen?
 
EVA SPREITZHOFER: Es ist eindeutig leichter, weil man immer an die Grenze gehen kann. Manchmal hab ich überlegt: „Darf ich das so erzählen? Darf ich mich darüber lustig machen?“,  und dann hab ich an Monty Pythons Das Leben des Brian gedacht, einen meiner Lieblingsfilme, und dann hab ich’s gemacht. Alles, was in meinem Film vorkommt, gibt es in Wirklichkeit. Für jedes einzelne YouTube-Video im Film, gibt es eine Vorlage, wir haben es nur nachgedreht bzw. so verändert, dass wir keine Rechteprobleme bekommen. Alles, was gesagt wird, habe ich auch in Wirklichkeit gehört. Ich habe sehr aufgepasst, keine Codes zu verletzen. Zum einen aus inhaltlichen Gründen, weil ich wollte, dass alles stimmt und die Realität sowieso immer lustiger ist als das, was man sich ausdenkt. Und natürlich auch, weil ich überleben wollte. Ich war zum ersten Mal in meiner Laufbahn als Autorin mit der Frage konfrontiert, ob das, was ich schreibe, gefährlich sein kann. Das ist eine schlimme Entwicklung. Der Film hätte ursprünglich „Allah ist eine Frau“ heißen sollen. Wir fanden das alle lustig, aber ich hab mich dann dagegen entschieden. Ich wollte nicht über einen Titel diskutieren, mit Leuten, die sich den Film nicht anschauen würden, weil er so heißt. Aber dass der Satz eine solche Provokation ist, dass mir jemand gesagt hat, da würden in Frankreich die Kinos brennen, ist absurd. Vielleicht stimmt das ja auch gar nicht, aber es war jedenfalls sicher gut, dass ich in allen Aspekten des Films aufgepasst habe, keine sinnlosen Provokationen zu machen. Ideologen sind halt immer völlig humorbefreit.
 
 
Hatten Sie das Gefühl, bei diesem Drehbuch anders zu schreiben, wissend, dass Sie es selber umsetzen würden?
 
EVA SPREITZHOFER: Nein. Das Drehbuch ist ja die Arbeitsgrundlage nicht nur für die Regie, sondern auch für alle anderen Departments am Set. Je genauer etwas beschrieben ist, umso klarer wissen alle, was ich will. Aber es war natürlich großartig, dass ich dann am Set auf alles reagieren konnte, wenn ich bemerkt habe, das irgendwas nicht funktioniert oder wenn ich gesehen habe, dass etwas, was im Buch lustig ist, beim Drehen anders sein muss. Und auch umgekehrt, wusste ich sehr genau, worauf ich bestehe, was auf keinen Fall anders sein darf, als im Buch.
 
 
Am Beginn muss eine große Recherche gestanden sein?
 
EVA SPREITZHOFER: Allerdings. Ich bin ja ein Recherche-Junkie, egal, ob als Schauspielerin, Autorin oder Regisseurin. Das ist ein super Teil unseres Berufs, in eine andere Welt einzutauchen, die ich sonst so nicht betreten könnte. Es beginnt, dass ich zu jemandem einen Kontakt bekomme und dann Fragen stelle. Meist stellt sich dann schnell heraus, dass alles anders ist, als ich es mir vorgestellt habe. Egal, ob es Astronomie ist oder Islam. So ergeben sich neue Fragestellungen und ein Kontakt ergibt den nächsten. Ich hab auch viel gelesen, unheimlich viele Videos auf YouTube angeschaut, je mehr man da eintaucht, umso verrückter wird es. Es gibt Anleitungen für Frauen, die Niqab tragen, wie sie am Besten damit essen und trinken, es gibt Antworten auf die Frage, ob Schnurrbart tragen haram ist und es gibt natürlich viele Diskussionssendungen zu dem Thema, in denen man alle Positionen irgendwann mal auswendig mitsprechen kann. Für mich war es wichtig, dass ich nicht nur mit Aleviten geredet habe, die die liberalste Auslegung des Islams haben, sondern auch mit SunnitInnen und SchiitInnen. Ich hab eine Schiitin getroffen, die ist Hausmeisterin in einem Gemeindebau, eine Türkin und gleichzeitig eine absolut typisch wienerische Hausmeisterin, das war sehr lustig. Die hat mir erzählt, dass sie sich immer frei kaufen vom Ramadan, die ganze Familie. Alle haben mir einhellig versichert, dass der Islam die anstrengendste Religion ist, die schwierigste, die komplizierteste, weil es so viele Regeln gibt und man dauernd aufpassen muss, dass man nichts falsch macht. Eine andere Frau, mit der ich mich sehr angefreundet habe, deren Eltern als säkulare Moslems aus der Türkei nach Wien kamen und hier in einer Moschee radikalisiert wurden, hat mir erzählt, dass sie mit 16 zwangsverheiratet worden ist. Sie ist in Wien geboren und sie hat natürlich gewusst, dass sie zum Jugendamt hätte gehen können, aber was hätte sie dann machen sollen, ganz alleine ... Sie hat danach viele Jahre streng religiös gelebt, ist Imamin geworden. Als ihr Mann sich hat scheiden lassen, war sie, obwohl sie eigentlich in der Hierarchie hoch oben war, plötzlich nichts mehr wert, durfte nicht laut lachen, musste sich ständig mit irgendwelchen Männern treffen, die ihr Heiratsanträge gemacht haben. Sie hat dann den Freundeskreis gewechselt und trägt mittlerweile kein Kopftuch mehr. Sie hat mir erzählt, wie anstrengend sie das immer fand, alles richtig zu machen, wenn man die Regel hat – kein Tampon verwenden und den Koran nur angreifen, wenn das und das … und wie ist das mit den Schmierblutungen und mit den rituellen Waschungen vorher, nachher, zwischendurch … das ist ein unglaubliches Brimborium, das den Frauen in der Moschee in einem eigenen Unterricht für Frauen erklärt wird, von Männern natürlich. Das fand ich großartig. Aber in der katholischen Kirche ist es ja auch so, dass die männlichen Priester über Sexualität reden und über Verhütung und Abtreibung und alles, was sie nur vom Hörensagen kennen. Ganz wichtig war mir, dass keine der Menschen, die im Film vorkommen Witzfiguren sind, weil so hab ich es auch nicht erlebt. Jeder Mensch für sich ist ja davon überzeugt, zur Verbesserung der Welt beizutragen. Aus dieser Warte betrachtet, ist es dann noch viel lustiger, wenn die Gegensätze aufeinander treffen. Das war mir auch in der Patchwork-Konstellation der Familie wichtig: die Konflikte entstehen nicht, weil jemand böse ist oder einen schlechten Charakter hat, sondern weil da halt Menschen aufeinandertreffen, deren Interessen und Ziele eben unterschiedlich sind.
 
 
Wie sieht diese familiäre Patchwork-Konstellation aus? Warum haben Sie sich für diese weniger klassische Form der Familie entschieden?
 
EVA SPREITZHOFER: Zum einen kenne ich diese Form von Familie sehr gut, weil ich immer so gelebt habe. Und die bürgerliche Kleinfamilie kommt ohnehin oft genug im Kino vor. Ein Film, den ich sehr mag, ist Monsieur Claude und seine Töchter, wo aus einer sehr katholischen konservativen Position heraus andere Religionszugehörigkeiten, Vorurteile, Hautfarben witzig aufeinanderprallen. Für das Thema ist eine liberale Patchwork-Familie halt auch deshalb lustig, weil hier Menschen mit Offenheit und Toleranz plötzlich nicht mehr weiterkommen, wenn sie auf Leute treffen, die gar nicht tolerant sind und finden, dass Toleranz das Schlimmste ist, was es gibt. Patchwork-Situationen eignen sich außerdem hervorragend für Komödien, weil sie so kompliziert sind und man sich damit identifizieren kann, auch wenn man es selbst nicht lebt. Alle Familien funktionieren ja im Prinzip ähnlich, auch in der Kleinfamilie entstehen immer wieder Situationen, die einen überfordern, weil man einander sehr mag und sich gleichzeitig auch auf die Nerven geht.
 
 
Was motiviert aus Ihrer Sicht als Autorin Nina, diesen Schritt zu tun?
 
EVA SPREITZHOFER: Das ist eine Frage, die auch von Seiten der Förderer in der Phase der Drehbuchentwicklung immer wieder kam: Warum genau macht sie das? Das ist aber genau der springende Punkt, dass man als Erwachsene nie genau weiß, warum eine Pubertierende etwas macht. Ich wollte konsequent durchziehen, dass die Mutter keine Chance hat, draufzukommen, warum Nina das macht. Warum kifft mein Kind?,Warum ist es so frech?, Warum hat es sich in diesen Deppen verliebt? – das versteht man auch alles nicht. Es gibt natürlich viele Gründe, die alle irgendwie eine Rolle spielen – es gibt nichts, mit dem sie ihre Mutter mehr provozieren kann. Sie wünscht sich Grenzen, mehr Struktur, sie will sich auskennen, sie will für ihre inneren Werte angenommen werden, nicht nach ihrem Äußeren beurteilt. In der Pubertät beschäftigen einen Fragen nach Sinn, nach Identität. Dazu kommt, dass in Ninas Schule ein Mädchen, das ein Kopftuch trägt, bespuckt worden ist, was zu einer Solidaritätsaktion seitens der Lehrerinnen und Schülerinnen in der Schule geführt hat. Es war mir aber wichtig, immer aus der Perspektive von Wanda zu erzählen und nicht zu weit in Ninas Welt einzudringen.
 
 
Den Fokus des Konflikts legen Sie auf den Mutter-Tochter-Konflikt. Die Männer scheinen alle entspannter, indifferenter, vielleicht unwachsamer? Zeigen Sie da in der Familie im Kleinen auch das gesellschaftliche Dilemma zwischen Reagieren und Gewähren-Lassen?
 
EVA SPREITZHOFER: Normalerweise haben Frauen in Filmen ja irgendeine Beziehungskrise als Problem zu bewältigen, das hat mich überhaupt nicht interessiert. Wanda (in deren Haushalt Nina lebt), und Harald, Ninas Vater (der wieder geheiratet hat), funktionieren nicht nur als Eltern gut und man fragt sich zwischendurch, warum sie sich eigentlich getrennt haben. Aber so ist das eben. Manchmal geht man auseinander, obwohl man auch gut zusammenbleiben könnte. Wanda und Harald sind gut miteinander, ihre jeweils neuen Partner tun ihnen aber auch gut. Tony ist ein paar Jahre jünger als Wanda, er ist jemand, der selbstverständlich gendert, der sich mit Wanda den Haushalt teilt. Sie ist auch die, die als Chirurgin mehr verdient als er mit seiner Kunst. Normalerweise ist das ja schon der Hauptplot des Films, wenn der Mann jünger ist oder sie sich den Haushalt teilen. Ich wollte Sehgewohnheiten verändern, ohne dass man das besonders wahrnimmt. Die Männer sind nicht so aktiv, weil Wanda die Protagonistin ist. Die Männer haben großartige Rollen, aber Nebenrollen – das ist man nicht so gewöhnt in Filmen. Und innerhalb der Familie ist es oft halt nicht so leicht, wenn man kein Elternteil ist, aber mit Pubertierenden lebt. Darf man was sagen, bringt das was, sich einzumischen? Welche Rolle hat man da? Tony ist schon sehr unterstützend für Wanda, aber er ist halt nicht der Vater. Er hält sich aus vielem raus, aber er sagt schon in entscheidenden Situationen, wo es ihm reicht. Harald ist auch froh, dass Wanda so eine Checkerin ist, weil er gerade das Problem hat, dass seine neue Frau ein Baby bekommt. Ich wollte sie extra nicht zu jung erzählen, um ihn nicht zu beschädigen mit diesem Klischee „älterer Mann sucht sich jüngere Frau“, wo man sich immer wundert, was die für einen Text haben. Sie ist um die 40, also so jung, dass sie ein Kind mit ihm haben will und das ist genau das, was er gar nicht mehr wollte. Gleichzeitig steht er halt sehr auf sie und macht das deshalb für sie. Es überfordert ihn, aber er macht alles mit. Ich finde ja, den Film kann man sich öfters anschauen, weil er so viele Facetten hat, die einem nicht gleich auffallen. Gerade in den Szenen, wo viele Leute vorkommen, ist es unglaublich, was die da alle spielen. Jede einzelne Figur für sich ist so komisch, so einfallsreich, so außergewöhnlich. Ich hab den Film während des Schneidens und der Mischung so oft gesehen und ich entdecke immer noch neue, großartige Sachen.
 
 
Am Ende ist die Solidarität unter Frauen der einlenkende  Faktor, der gegenüber der Religion in den Vordergrund tritt. Wo und wie sehen Sie denn einen Ausweg aus diesen religiös determinierten gesellschaftlichen/familiären Streitfragen?
 
EVA SPREITZHOFER: Solidarität, Bildung, Feminismus – das ist im Prinzip das Rezept für alles. Ich wehre mich gegen das Argument, dass wir die Frage des Kopftuchs den Muslimen überlassen sollen. Ich setze mich auch dafür ein, dass es Rampen gibt auf Gehsteigen, ohne dass ich im Rollstuhl sitze. Wenn Frauen und Mädchen wie verhüllte Gespenster über die Straßen schleichen, während ihre Männer und Söhne in kurzen Hosen daneben herum spazieren, dann geht es nicht um freie Kleiderwahl. Es gibt bestimmte Dinge, wo eine offene Gesellschaft klar dafür eintreten muss, wofür sie steht. Als wir die Szene gedreht haben, in der Wanda und Harald Niqab tragen, war das so klar, dass es darum geht, die Persönlichkeit von Menschen unsichtbar zu machen, ich hab sie nur mehr an den Schuhen auseinander kennen können. Und das Argument der Freiwilligkeit ist ja ein Unsinn. Wenn man den Mädchen sagt, dass ihre Eltern in die Hölle kommen, wenn sie kein Kopftuch tragen, dann setzen sie es halt auf, freiwillig. Und jedes Mädchen, jede Frau soll’s ja auch machen dürfen, aber eben auch kennen lernen, wie es sich ohne anfühlt, wie es sich anfühlt, so zu sein wie die anderen – in der Schule eben. Kinderrechte müssen klar über Religionsrechten stehen. Andererseits wird das Thema natürlich von den Rechten als xenophobe Hetze verwendet und nicht weil sie für Frauenrechte eintreten. Wenn die Frauenministerin das Frauen-Volksbegehren nicht unterstützt, Frauenorganisationen ihre Subventionen streicht, aber ein Kopftuchverbot an Schulen will, dann ist das ja auch schon ein Plot für eine Komödie.
 
 
Womit haben wir das verdient? ist ein Film mit einer großen Anzahl an DarstellerInnen. Mit welchen Überlegungen sind Sie ans Casting Ihres Spielfilmdebüts herangegangen?
 
EVA SPREITZHOFER: Caroline Peters war immer meine Wunschbesetzung. Sie ist großartig, ich liebe es, ihr zuzuschauen. Für die Hauptrolle der Wanda wollte ich eine Frau, die eine absolute Komödiantin ist und total wandelbar. Ich liebe französische und britische Komödien, weil ich da nicht alle gleich wieder erkenne. Das war auch ein Grund, warum ich der Hilde Dalik die Haare braun gefärbt habe. Ich liebe sie als Schauspielerin, aber ich wollte sie einmal ganz anders sehen. Und das war auch grandios, was das mit ihr und der Rolle gemacht hat. Für den Hauptcast hab ich unserer Casterin Eva Roth gesagt: ich kann mir nicht fünf Leute für eine Figur anschauen. Ich schau mir eine Person an, maximal zwei und dann verlieb ich mich in die oder nicht. Und wenn nicht, dann überleg ich mir wen anderen. Und das hat sehr gut funktioniert. Auch, weil Caroline Peters immer bei den Castings dabei war. Deshalb ist sie auch so eine wunderbare Schauspielerin, weil sie sich nicht nur dazu bereit erklärt hat, sondern weil es sie auch interessiert hat, wer ihre Tochter, ihren Ex-Mann, ihren Freund spielen wird. So hab ich sofort gesehen, ob das funktioniert – glaub ich die als Familie oder nicht.
Chantal Zitzenbacher war auch ein großer Glücksfall, sie ist eine so komödiantische junge Schauspielerin, die ja auch mit all den Kapazundern mithalten musste. Sie hatte einen Coach für all die islamischen Ausdrücke und alle ihre Fragen und hat sich schon in der Vorbereitung total reingesteigert. Simon Schwarz ist ein absoluter Liebling von mir, ich kann mich endlos über ihn abhauen und ich finde, man hat ihn so noch nie gesehen, so erwachsen, so verzweifelt, so lustig. Marcel Mohab find ich auch so sexy und so lustig, ich war sehr glücklich, wie ich gesehen habe, dass er so gut in diese Familie passt.
Ich wollte sowohl bei meiner Crew, als auch bei meinem Cast nur Leute, die ihren Job super können und die ich mag. So seltsam das vielleicht klingt, aber da kann jemand noch so toll sein, wenn das menschlich nicht passt, dann will ich das nicht. Das ist einfach das Beste am Regie führen, dass ich das entscheiden kann.
 
 
Auffallend authentisch ist auch das „kleine“ Casting, v.a. in der muslimischen Community. Mit welchen Prämissen sind Sie da herangegangen?
 
EVA SPREITZHOFER: Das war im Prinzip sehr ähnlich, wir haben im Vorfeld genau und lange  überlegt, wen wir wollen und uns dann oft nur eine Konstellation angeschaut. Das Castingband von Pia Hierzegger und Christopher Schärf zum Beispiel – was die da gespielt haben, wir haben Tränen gelacht. Christopher Schärf hat nicht sehr viele Sätze, aber jeder Satz, den er sagt, ist eine Pointe. Oder Michou Friesz, Johannes Zeiler, das ist so toll, dass die dabei sind für nur eine Szene, aber auch Robert Stachel von maschek, Doron Rabinovici, die ja keine Schauspieler sind – die sind alle so großartig. Jede dieser kleinen Szenen ist durch sie ein Kleinod. Ich wollte, dass sie so spielen, dass man nicht sagt: „Ah, schau, der/die ist auch dabei.“, sondern, dass man sie in erster Linie als den Arzt, die Patientin, den Direktor wahrnimmt, wie eben in den französischen Filmen, wo uns die SchauspielerInnen nicht so vertraut sind.
Was die türkischen Rollen betrifft, da war mir besonders wichtig, dass die Leute problemlos zwischen Türkisch und Wienerisch umschalten können. Die Mehrheit der Muslime in Österreich sind ja nicht „die Flüchtlinge“, sondern Menschen, die schon sehr lange hier leben oder hier geboren wurden. Und Eva Roth hat mir da sehr viele Leute vorgeschlagen, die sie schon aus anderen Produktionen kannte. In der Moschee wollte ich auch bei den KomparsInnen nur Muslime haben, weil ich wollte, dass es authentisch ist und alle wissen, was sie da machen. Wir hatten eine super KomparsInnen-Agentur, weil das natürlich auch nicht so leicht war, zu diesem Thema so viele Muslime zu finden, die sich vor die Kamera stellen. Viele davon waren übrigens Flüchtlinge aus Syrien. Ich hab mit ihnen Proben gemacht vorher, auch mit denen, die die Rechtsradikalen gespielt haben. Ich finde die Arbeit mit den KomparsInnen total wichtig, das merkt man erst, wenn sie nicht gut sind, das kann den ganzen Film umbringen. Ich finde, dass die total unterbezahlt sind für das, was sie für einen Film leisten. Es gibt unglaublich viele gute Schauspieler in Österreich, die nicht „weiß“ sind oder von anderswo kommen. Mehmet Ali Salman z.B., den ich in Die Migrantigen gesehen hatte, wollte ich unbedingt als Oberarzt. Weil so sehen die Oberärzte in unseren  Spitälern ja längst aus, nur in den Filmen kommt da immer noch der Doktor Müller und so machen uns Filme eine falsche Realität.
 
 
Wie blicken Sie auf Ihre erste Erfahrung als Regisseurin eines Spielfilms mit einer großen Besetzung zurück? Was hat Sie grundsätzlich bewogen als Schauspielerin und Autorin ins Regiefach zu wechseln?
 
EVA SPREITZHOFER: Die Menschen, die mich kennen, wissen, dass ich grundsätzlich dazu neige, überall mitzureden und mir über alles Gedanken zu machen. Es hat auch wirklich nichts gegeben, worum ich mich nicht gekümmert habe. Ich hab jeden Nur-Ton mit dem Kopfhörer mitgehört, damit ich weiß, welche Hintergrundgespräche ich habe. Das war total hilfreich bei der Postproduktion, dass ich immer wieder sagen konnte: „Nein, ich bin mir sicher, dass wir da was aufgenommen haben.“ Aus meiner Erfahrung als Schauspielerin hab ich eine sehr genaue Vorstellung, wie es am Set zugehen muss, damit alle da gern hinkommen und gerne miteinander arbeiten. Es war super, dass ich das jetzt genau so machen konnte. Es war schon immer wieder so, dass ich bei früheren Projekten manchmal ziemlich unglücklich war, was ein Regisseur aus meinem Drehbuch gemacht hat und das hab ich jetzt sehr genossen, dass ich da niemanden hatte, der was macht, was mir nicht gefällt. Es war auch völlig klar für mich, dass ich eine so heikle und komplexe Geschichte wie Womit haben wir das verdient? nicht aus der Hand geben würde. Es war so ein Genuss, für die Dinge selbst verantwortlich zu sein und auch bei Fehlern, selbst Lösungen finden zu müssen. Ich bin einfach total gerne am Set und ich liebe auch die Arbeit in der Postproduktion. Es liegt mir, beim Dreh auf Situationen zu reagieren und Lösungen zu finden. Wanda hat einen Grundsatz: „Es gibt für alles eine Lösung.“ Das seh ich auch so. Es war eine unglaublich intensive Zeit, die Vorbereitung, das Drehen, auch mit der Produktionsfirma, mit Alfred Strobl, meinem Herstellungsleiter – mit niemandem kann ich mich so leidenschaftlich streiten, wie mit ihm und auf wenige Menschen kann ich mich so verlassen. Und Xiaosu Han und Andreas Thalheimer, die Kamera gemacht haben oder Alarich Lenz, mein Cutter – das ist ja eine Zusammenarbeit, so intensiv, wie eine Ehe. Und ich hab das jeden Tag genossen.
 
 
Welches Publikum wünschen Sie sich?
 
EVA SPREITZHOFER: Ein möglichst großes natürlich und ein vielfältiges. Ich wollte einen Film machen, bei dem man lachen kann und weinen und über den man nachher diskutieren kann. Wir hatten ein Testscreening, wo das Publikum gebrüllt hat vor Lachen, das war wunderbar. Danach mussten sie Fragebögen ausfüllen und in einem stand: „So einen Film erwartet man nicht aus Österreich. Er fühlt sich an, wie eine französische Komödie.“ Da war ich sehr vergnügt. Genau das wollte ich.
 
 
 
Interview: Karin Schiefer
September 2018
«Als Erwachsene weiß man nie genau, warum eine Pubertierende etwas macht. Ich wollte konsequent durchziehen, dass die Mutter keine Chance hat, draufzukommen, warum Nina das macht.»