INTERVIEW

«Keiner kann sagen, was Zeit wirklich sein soll.»

Seit die Zeit mechanisch gemessen wird, sind uns nachweislich tagtäglich 24 Stunden gegeben. Gefühlt wird die Zeit, die uns rund um die Uhr zur Verfügung steht, aber immer knapper. Wem gehört unsere Zeit? fragte Konrad Wakolbinger und erkundete in seinem Essay AUF DER SUCHE NACH DER GESTOHLENEN ZEIT ausgehend von der kapitalistisch angelegten Arbeitswelt jenen Faktor, der unser aller Leben von früh bis spät bestimmt und dennoch auch für die Wissenschaft unbegreifbar bleibt.
 
 
 
Der Titel des Films spricht in Anspielung an Prousts verlorene Zeit, von der gestohlenen Zeit. Hatte das Motiv, diesen Film zu machen, etwas mit einem Wandel Ihrer subjektiven Wahrnehmung von Zeit, einem Gefühl, um die eigene Zeit bestohlen zu werden, zu tun?
 
KONRAD WAKOLBINGER:
AUF DER SUCHE NACH DER GESTOHLENEN ZEIT ist aus meinem letzten Film Wir sind die Mutanten, der sich dem Thema Arbeit gewidmet hat, hervorgegangen. Konkret ging es um das Karrierecenter der Österreichischen Post, ein euphemistischer Begriff für einen Ort, wo hunderte von beamteten Mitarbeiter:innen, für die es keinen Betätigungsbereich mehr gab, in eine Nicht-Arbeitssituation versetzt wurden. Es war eine sehr verstörende Begegnung mit diesen Menschen, die dort Zeit verbringen mussten, aber nichts arbeiten durften. Objektiv war ihre Präsenz eine bezahlte Arbeitsleistung, subjektiv war es absolut verschwendete Zeit. Es hat mich also die Frage Was ist Arbeit? zu diesem Filmprojekt über die Zeit geführt. Es gibt aber auch einen persönlichen Bezug, der in meiner eigenen Erwerbsbiografie fußt, die zwar auch den typischen Nine to Five-Job kennt, aber schon sehr lange außerhalb der klassischen Beschäftigungsverhältnisse verankert ist. Arbeiten an Filmprojekten bedeutet, einen Wechsel von sehr intensiven Arbeitszeiten zu Phasen, in denen man viel frei verfügbare Zeit hat. Dazu kommt, dass ich auf einem Bauernhof aufgewachsen bin, wo es die Trennung von Arbeit und Freizeit so nicht gab. Ich kenne also drei Arbeitswelten mit einem grundlegend unterschiedlichen Umgang mit Zeit.
 
 
Dem schwer fassbaren Begriff der Zeit filmisch zu begegnen, ist keine leichte Aufgabe. Haben Sie sich zunächst auf einer philosophischen Ebene mit der Zeit auseinandergesetzt?
 
KONRAD WAKOLBINGER:
Ich denke die Auseinandersetzung mit dem Thema und die Suche nach den Bildern sind Hand in Hand gegangen, weil es ja nie einen Punkt Null gegeben hat, wo ich sagte, jetzt möchte ich einen Film über Zeit machen. Die Basis war, wie erwähnt, die Beschäftigung mit dem Thema Arbeit und dem Verständnis, dass Zeit der entscheidende Faktor in unserer Arbeitswelt und Wirtschaft ist. So kam bald die mechanische Uhr ins Spiel und irgendwann war klar, dass ich mich auch dem philosophischen Aspekt und der Frage Was ist Zeit überhaupt? stellen musste. Welche Standpunkte dazu gibt es in der Philosophie, in der Physik? Immer in Verbindung mit der Frage, welche Bilder, welche guten Umsetzungsmöglichkeiten gibt es da für einen filmischen Zugang?
 
 
Ein erstes strukturierendes Element des Films ist die Zeit vor und jene nach ihrer Messbarkeit. Sie eröffnen mit einem Bauprojekt aus Kärnten: Eine mittelalterliche Burg wird unter den damaligen technischen Gegebenheiten erbaut. Ein Projekt, das für eine Dauer von 40 Jahren anberaumt ist. Was motiviert Menschen, an so einem Projekt mitzuarbeiten bzw. es überhaupt zu lancieren?
 
KONRAD WAKOLBINGER:
Dieses Projekt entsteht in Friesach in Kärnten. Ein Glücksfall für einen Filmemacher, weil es eine Form von Arbeit vor Augen führt, bevor Zeit ökonomisiert worden ist. Die genaue Struktur der Initiative kenne ich nicht, es hat einerseits mit touristischen Motiven zu tun, in erster Linie ist es aber ein Projekt für Arbeitslose, das mit EU-Strukturfördergeldern finanziert wird. Das Projekt steht einerseits mit historischer und archäologischer Forschung in Verbindung, aber auch mit einem Wunsch nach einem anderen Umgang mit Zeit. Die Menschen, die dort für eine Saison im Arbeitstraining sind, werden von erfahrenen Handwerker-Profis angeleitet. Viele von ihnen würden gerne länger bleiben, denn sie erleben die Teamarbeit ebenso wie den fehlenden Zeitdruck als sehr positiv. Der Motivationsgrad und der Zufriedenheitsfaktor sind extrem hoch, obwohl die Tätigkeit mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden und sie jeder Witterung ausgesetzt ist. Der Schlüssel scheint das Arbeiten im eigenen Tempo zu sein. Es ist kein Arbeiten „against the clock“.
 
 
Die ersten Episoden entsprechen einer Annäherung der Wahrnehmung der Zeit vor der Zeitmessung durch die mechanische Uhr. Was hat Sie ins italienische Zisterzienser-Kloster von Chiaravalle geführt?
 
KONRAD WAKOLBINGER:
Unsere heutige Lebens- und Arbeitswelt geht auf die Entwicklung der mechanischen Uhr zurück. Zu ihrer Erfindung gibt es geteilte Ansichten: Die einen sagen, man wisse nicht genau, wo sie erfunden wurde, andere meinen, wir verdanken diese Erfindung Mönchen in einem norditalienischen Kloster. Das ist der eine Grund, warum wir im Kloster gedreht haben, der andere ist der, dass das Klosterleben ja sehr exakt nach den Gebetszeiten getaktet ist. Dazwischen liegen Arbeit, Essens- oder Ruhezeiten. Die genaue Einteilung des Tages, die uns heute ganz normal anmutet, geht auf die Mönchsregeln des Hl. Benedikt zurück.
 
 
Eine weitere historische Etappe führte nach Paris …
 
KONRAD WAKOLBINGER:
In Paris ist die erste Darstellung einer Uhr in Form von Buchmalerei in Büchern von Christine de Pizan zu finden, die sich in der französischen Nationalbibliothek befinden. Das relevante Element dabei ist die Uhr mit Hemmung. Turmuhren mit Gewichten gab es schon früher. Die Genauigkeit kam erst mit der Hemmung, die den Takt – also exakt gleiche Zeiteinheiten – produziert. Die erste mechanische Uhr mit Hemmung, von der man gesichert weiß, wurde 1335 in Mailand installiert.
 
 
Die Messbarkeit der Zeit hat die Arbeitswelt in eine Optimierungsspirale getrieben. Welche wesentlichen Etappen sehen Sie in der weiteren Entwicklung?
 
KONRAD WAKOLBINGER:
Die ersten Entwicklungen haben im Hochmittelalter eingesetzt. Indirekt hatte auch die Einführung der arabischen Zahlen Einfluss, eine Folge davon war die doppelte Buchhaltung, die, in Italien erfunden, das kaufmännische Unternehmertum stark verändert hat. Die Verbreitung der Uhr ging dann schnell, jede Stadt, die etwas auf sich hielt, wollte aus Prestigegründen eine Uhr haben. Den Glockenzeichen, die schon länger das öffentliche Leben in den mittelalterlichen Städten geregelt haben, wurde der „Automat Uhr“ vorgeschaltet, der fortan den Takt angab. Das Kalkulieren mit der Zeit kommt von den Kaufleuten, die früh begannen, aus Profitgründen das Handwerk in den Städten zu kontrollieren. Die Uhr hat dieses Vorgehen dann verstärkt. Von da an war es eine lineare Entwicklung bis zum voll entwickelten Kapitalismus in den 1880-er Jahren. Die Uhr war auch entscheidend für die Entwicklung der Naturwissenschaften und der Technik. Das Uhrwerk diente auch als Modell für das Universum, aber auch dafür, wie die Gesellschaft, wie der Mensch funktioniert. Zum Beispiel sieht das kartesianische Weltbild im Sinne einer mechanistischen Weltordnung vor, dass alles reibungslos ineinandergreift wie die Zahnräder einer Uhr. Alles wurde zu einer Frage des Zählens und Messens, das Qualitative hat immer mehr an Bedeutung verloren. Was zählbar, messbar, objektiv darstellbar ist, ist wertvoll, alles andere verliert an Bedeutung, besonders wirtschaftlich. In den Fabriken zur Zeit des Merkantilismus wurde noch mit Werkzeugen gearbeitet und, dadurch hat der Mensch hat das Tempo vorgegeben. Als in der industriellen Revolution die Maschinen die Produktion bestimmten, haben diese den Arbeiter:innen ihren Takt aufgezwungen. Die Digitalisierung treibt den Prozess auf die Spitze.
 
 
War es Ihnen ein besonderes Anliegen zu verdeutlichen, in welchem Ausmaß die Ausbeutung der Zeit in unsere Freizeit hineinreicht? Oder hat die Arbeit am Film auch bei Ihnen erst das Bewusstsein geschaffen, wie weit sie greift?
 
KONRAD WAKOLBINGER:
Der Medienökonom Christian Fuchs erklärt, wie die Digitalkonzerne mittels Wearables, z.B. Sportuhren, zu gigantischen Übergewinnen kommen; das hat mich schon in der Recherchephase sehr interessiert. Aufmerksamkeitsökonomie an sich hat erst zu einem späteren Zeitpunkt mehr Raum im Film gefunden. Ich wollte zunächst mehr klassische Industrie im Film haben. Wir haben lange versucht, in einem Stahlwerk zu drehen, was uns nicht gelungen ist. Es ist nun die Weberei, die im Film für die ganz traditionelle Industrie steht. Es hat mir auch bewusst gemacht, dass diese in der heutigen Zeit nicht mehr so relevant ist. Viel wichtiger ist die datengetriebene Aufmerksamkeitsökonomie, die unsere Zeit auch dann ausbeutet, wenn wir glauben, gar nicht zu arbeiten.
 
 
Ihr Film macht nicht nur im Experiment, das im Nachspann zu sehen ist, deutlich, wie subjektiv das Zeitempfinden ist. Dennoch oder gerade deshalb räumen Sie der Wissenschaft großen Raum ein. Wollten Sie etwas Objektives über Zeit herausfinden?
 
KONRAD WAKOLBINGER:
Ja natürlich hat mich dieser Film auch vor die Herausforderung gestellt, Zeit theoretisch zu verstehen und ich habe mir die Frage gestellt: Wie objektiv kann das Ganze sein? Ich hatte zunächst angenommen, dass ich im Bereich der Physik oder in der Philosophie jemanden finden werde, der:die Zeit klar definiert. Im Endeffekt gibt es das nicht. Wenn man sich in diese Frage vertieft, dann ist das eine Suche ohne Ende. Eine Quantenphysikerin hat mir gesagt: „Wir können mit Zeit arbeiten. Wir können in die Vergangenheit oder in die Zukunft schauen. Wir können sie messen. Aber was sie ist, wissen wir  – die Physik – nicht.“ In der Schleifenquantengravitation des italienischen Physikers Carlo Rovelli gibt es die Zeit – also die Variable t – erst gar nicht.
Ein interessanter Aspekt im Film geht auf meinen Interviewpartner Karlheinz Geißler zurück, der auf den Unterschied zwischen Takt und Rhythmus verweist. Die Zeit, die uns die Natur über Tag/Nacht und die Jahreszeiten vermittelt, ist zirkulär und rhythmisch, kommt immer wieder, aber nicht ganz exakt gleich. Es gibt also eine natürliche Zeit. Der Takt, der durch die Uhr vorgegeben wird, wurde künstlich drübergestülpt. Das subjektive Zeitempfinden war mir zu Beginn der Recherche nicht so wichtig, hat aber dann seinen Platz bekommen, weil es diese interessante Spannung hervorkehrt, dass wir von etwas getrieben sind, das objektiv nicht nachweisbar ist.
 
 
Wie kam es, dass die Musik bzw. Musiker Teil Ihrer Beobachtungen wurden?
 
KONRAD WAKOLBINGER:
Sobald sich Takt und Rhythmus als eine Art Backbone des Films herauskristallisiert hatten, lag es auch nahe, die Musik einzubeziehen. Musik ist eine Kunst, die es nur in und mit der Zeit gibt. Mein Wunsch war, dass die Musiker, mit denen ich arbeitete, den Unterschied zwischen Takt und Rhythmus deutlich machten. Über welche Art von Musik dies geschehen sollte, war ein längerer Findungsprozess, bis unsere Wahl – eigentlich naheliegend – auf ein Schlagwerk-Ensemble fiel. Louie’s Cage Percussion war sehr angetan, am Projekt mitzuwirken und es war ein Highlight, mit ihnen zu drehen.
 
 
AUF DER SUCHE NACH DER GESTOHLENEN ZEIT folgt einer Entwicklung, die vor Augen führt, wie die Zeit für uns Menschen immer knapper wird, bis unsere gesamte Zeit vereinnahmt ist. Haben Sie auch nach Menschen gesucht, die das Gegenteil vertreten, die finden, Zeit sei genug da, Zeit vergehe langsam?
 
KONRAD WAKOLBINGER:
Wenn, dann kann das in meinem Film am ehesten Anna Jelen, die wir am Ende des Films sehen, von sich behaupten. Ihr Ansatz geht dahin, die Endlichkeit unseres Daseins immer im Blick zu haben und von daher angeregt, nicht möglichst viel zu erleben, sondern aus der Zeit zu schöpfen und sie bewusst zu gestalten. Jean-Remy von Matt, ein weiterer Interviewpartner, hat erwähnt, dass er immer dankbar war, wenn Leute zu spät zu Meetings gekommen sind, weil ihm dadurch nicht-verplante Zeit geschenkt worden ist, in der er nachdenken oder tagträumen konnte und manchmal auf eine gute Idee gekommen ist. Dies aus dem Kontext heraus betrachtet, dass er ein völlig durchgetaktetes Arbeitsleben gehabt hat.
 
 
Anne Jelen vermittelt jedenfalls das Gefühl, dass es einen starken Willensakt benötigt, um – um jetzt Karlheinz Geißler aus dem Film zu zitieren – „Täter und nicht Opfer der Zeit“ zu sein.
 
KONRAD WAKOLBINGER:
Es braucht einen Willensakt, und auch die Möglichkeit anders zu leben, als es vorgegeben ist. Anna Jelen hat ja auch aus ihrem Ansatz ein Business gemacht, indem sie als Zeit-Expertin Vorträge hält und Beratungen anbietet. Man muss entweder wohlhabend oder ein Aussteiger oder Systemverweigerer sein, um über großen Zeitwohlstand zu verfügen. Die wenigsten Menschen haben die Freiheit zu sagen, ich arbeite weniger und nehme einen geringeren Verdienst in Kauf, um mehr Zeit für mich zu haben.
 
 
War AUF DER SUCHE NACH DER GESTOHLENEN ZEIT ein Filmprojekt, das viel Zeit in Anspruch genommen hat?
 
KONRAD WAKOLBINGER:
Ja. Sehr viel Zeit. Vom ersten Drehtag bis zum Abschluss der Postproduktion sind fünf Jahre vergangen. Davor die Jahre der Recherche und der Konzipierung. Es war definitiv ein Langzeitprojekt.
 
 
Mit welchem Ansatz sind Sie in den Schnitt gegangen, davon ausgehend, dass der Rhythmus bei diesem Film möglicherweise eine besondere Rolle spielt?
 
KONRAD WAKOLBINGER:
Wir haben überlegt, ob wir Zeit durch ein bestimmtes Stilmittel besonders betonen wollen, haben uns aber dagegen entschieden. Es war bald für uns klar, auch bedingt durch das Material, dass es ein eher ruhiger, langsamer Film werden wird. Unsere ursprüngliche Idee war eher konfrontativ zu schneiden und das Takt-Rhythmus-Prinzip zu betonen. Wir hatten bei Test-Screenings dann nicht den Eindruck, dass diese Form gut nachvollziehbar war. Julia Willi, die Editorin meines Films, hatte die Idee zur historisch-chronlogischen Montage, die auch sehr gut mit der Bewegung des Materials korrespondiert.
 
 
Hatte so viel Auseinandersetzung mit der Zeit auch Effekte auf Ihren persönlichen Umgang mit der Zeit?
 
KONRAD WAKOLBINGER:
Ich weiß leider nun nicht besser als zuvor, was Zeit ist. Ich weiß allerdings, dass die Frage nach der Zeit sehr komplex ist und dass auch jene, die sich intensiv damit beschäftigen, keine genaue Antwort geben können. Die frappierende Erkenntnis ist die, dass wir eine Gesellschaft sind, deren Fundament die Zeit ist und keiner sagen kann, was Zeit wirklich sein soll. Ein Paradoxon. Wir erleben Zeit als selbstverständlich, organisieren unser Leben mit ihr, aber in Wirklichkeit verstehen wir nicht, was sie ist. Die Arbeit am Film war für mich eine sehr intensive Lebensphase und ich erlebe es als positiv, wenn wieder mehr Ruhe eintritt, weil klar wird, dass man diese Ruhephasen braucht, um Neues zu entwickeln. Durchgetaktet zu sein und gleichzeitig Ideen haben zu müssen, ist nicht die beste Kombination.
 
 
Besteht eine Erkenntnis oder These des Films auch darin, dass eine Mehrheit der Menschen um ihre Lebenszeit bestohlen wird?
 
KONRAD WAKOLBINGER:
Ja, ich denke so kann man es in der kapitalistischen Ordnung, die Arbeitszeit in Kapital umwandelt, sehen. Die marxistische Wirtschaftstheorie zieht genau diese Linie. Es gibt andere Theorien, wo Arbeitszeit wenig bis keine Bedeutung hat. Unbestritten ist, Geld zu haben heißt Optionen zu haben, man verfügt über eine offenere Zukunft. Wenn junge Menschen sich mit der Entscheidung, was sie beruflich tun wollen, Zeit lassen können, um es ausreifen zu lassen, dann ist das mit Geld unterlegt. Wer working poor ist, hat überhaupt keine Zeitressourcen. Ein krasses Beispiel aus England sind Zero-Hour-Contracts, Arbeitsverträge ohne festgelegte Arbeitsstunden, weder Mindest- noch Höchststunden. Es werden wöchentlich Dienstpläne erstellt, dann erst erfährt man, für wieviele Stunden man gebraucht und bezahlt wird. Da wird den Menschen ganz offen die Zeit gestohlen, weil der Arbeitgeber die totale zeitliche Verfügbarkeit der Arbeitnehmer:innen beansprucht, ohne auch nur ein Basiseinkommen zu gewähren.
 
 
Wenn es die Zeit nicht gäbe, gäbe es die Welt auch nicht, sagt eines der Volkschulkinder, mit denen Sie auch gedreht haben. Vielleicht ist es am interessantesten Kindern zuzuhören, wie sie an dieses Konzept herangehen?
 
KONRAD WAKOLBINGER:
Der Junge, der diesen Satz sagt, hat dann noch weiter ausgeführt …, „Dann wüssten wir auch nicht, wann der Supermarkt zusperrt.“ Die Lehrerin hat uns erzählt, dass didaktisch nichts schwieriger ist, als den Kindern Zeit und Uhrzeit zu vermitteln. Es gibt Kinder, die sich damit leicht-, andere, die sich schwertun, ohne dass das mit der Intelligenz oder den Schulleistungen korreliert. Vielleicht hat das mit dieser totalen Abstraktheit von Zeit zu tun.


Interview: Karin Schiefer
August 2025
 
 



«Man muss entweder wohlhabend oder ein Aussteiger oder Systemverweigerer sein, um über großen Zeitwohlstand zu verfügen. Die wenigsten Menschen haben die Freiheit zu sagen, ich arbeite weniger und nehme einen geringeren Verdienst in Kauf, um mehr Zeit für mich zu haben.»