Schnee, das ist stiller Zauber und unberechenbare Naturgewalt zugleich. Ob nun zuviel oder zuwenig davon vorhanden ist – er
stellt den Menschen vor große Herausforderungen. Nikolaus Geyrhalter spürt in MELT unwirklich anmutende Landschaften aus Eis
und Schnee auf und beobachtet an Orten der Einsamkeit wie des Massentourismus den Umgang mit einem langsam schwindenden Element.
MELT beschäftigt sich mit Schnee und Eis. Ein Element, dessen Vorhandensein ebenso wie sein Nicht-Vorhandensein den Menschen
vor Herausforderungen stellt. Was hat Sie bewogen, sich mit dieser schwindenden Materie zu beschäftigen?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Ich mag Schnee. Ich mag Schnee speziell auch im Film. Ich mag es, wenn es schneit. Und letztendlich geht es wie oft in meinen
Filmen um die Menschen und ihren Umgang damit. Der Klimawandel ist ein großer Aspekt, aber einen Film explizit über den Klimawandel
zu machen oder das so zu benennen schien mir wenig attraktiv. Wir wollen in MELT auf keinen Fall mit dem Finger darauf hinweisen,
was gerade alles am Vergehen ist. Viel spannender ist es, zu zeigen, wie es jetzt noch ist. Ich sehe den Film als ein Festhalten
von Leben mit Schnee, wo Schnee im Alltag noch eine Rolle spielt, auch um diesem gefrorenen Wasser eine Art Denkmal zu setzen.
Wie immer ist es auch ein Film für zukünftige Archive, wo man sich einmal anschauen kann, wie es damals war, als es noch geschneit
hat.
Ist Dokumentarfilm, der sich mit gegenwärtigen Themen beschäftigt, nicht immer eine Art von zukünftiger Erinnerung? Besteht
ein wesentliches Motiv von MELT darin, dass Sie in großer Dimension unwiederbringliche Bilder filmen, Bilder, die sich vor
laufender Kamera auflösen?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Ja, das ist bei diesem Film wieder ein wesentlicher Ansatz. Es werden viele Dokumentarfilme gemacht, deren Ziel vor allem
eine Relevanz und ein Impact in der Gegenwart ist. Ich versuche, meine Filme so anzulegen, dass sie eine zukünftige Erinnerung
bergen. Bei vielen Filmen, die ich sehe, erkenne ich das nicht. Es geht um die Frage, wie Filme lesbar sind. Die Machart von
Dokumentarfilmen im internationalen Umfeld folgt oft sehr ähnlichen, gerade gefragten Mustern. Das finde ich archivarisch
nicht besonders interessant.
Um die Vergänglichkeit dessen, was man filmt, weiß man eigentlich immer. Wir haben an Orten gedreht, wo der Schnee zwar nicht
morgen weg sein wird. Aber es sind langsame Prozesse am Laufen. Ich möchte MELT nicht allzu sehr auf das Thema des Verschwindens
reduzieren. Es geht mir in MELT auch darum, diese Schneewelten erlebbar zu machen und dabei viel über die Menschen zu lernen.
Schnee ist für Menschen, die mit ihm leben, eine Herausforderung. Er ist meistens zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.
Man muss ihn wegbekommen, bearbeiten oder erzeugen und dafür wird ganz schön viel Maschinerie in Bewegung gesetzt mit einem
dementsprechenden Energieverbrauch.
Eine Struktur, die sich im Film herauslesen lässt, ist die von der Bewältigung und dem Umgang mit Schnee im Lebensalltag hin
zu Orten, wo der Schnee zur Ware geworden ist. Was hat die Orte, die wir sehen, zu Drehorten gemacht?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Wenn man sich mit Schnee beschäftigt, dann ist man zumindest im alpinen Raum sehr schnell im Tourismus-Thema und bei der
Logistik des Schnee-Beherrschens angelangt. Es war herausfordernder, Sujets und Themen zu finden, die nicht mit Tourismus
zu tun haben. Viele unserer Drehorte existieren in dieser Form entweder wegen oder trotz Schnees. Schnee ist dort zum Überlebensfaktor
geworden.
Drehorte zu finden und Drehgenehmigungen zu erhalten ist immer ein Jagen und Sammeln bis zum Ende, und vielleicht die schwierigste
Aufgabe überhaupt. Die Recherche geht auch im Zuge des Drehs weiter. Da wir über mehrere Jahre verteilt gedreht haben – Corona
ist hier auch noch dazwischengekommen – hat sich auch in dieser Zeitspanne viel verändert. Es tauchen neue Orte, neue Themen
auf, es ist immer auch ein Reagieren darauf, was auf der Welt passiert. Die lange Produktionszeit ist uns in diesem Fall insofern
zugutegekommen, als es zwei Locations gab, für die das Bemühen um Drehgenehmigung sehr langwierig und komplex war – das waren
Japan und die Antarktis. Diese zwei wichtigen Drehs konnten wir nach Jahren der Vorbereitung erst ganz am Ende gerade noch
umsetzen.
Erde (2019), Matter out of Place (2022) und MELT sind drei Filme, wo Sie sich mit elementaren Transformationen unseres Planeten auseinandersetzen, die sich
mit einem hohen Einsatz von Maschinen vollziehen. Was veranlasst Sie, das Zusammenwirken von Mensch und Maschine im Umgang
mit der Natur zu verdeutlichen?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Wie sehr die Bilder dieses Mal wieder maschinenlastig sein werden, ist mir erst beim Dreh klar geworden. Dass wir bei Erde
und auch beim Thema Müll mit schweren Maschinen zu tun haben würden, war wenig erstaunlich. Beim Thema Eis und Schnee hat
es mich manchmal überrascht, dass ich wieder so vielen Baggern begegnet bin, obwohl ich mir das natürlich hätte denken können.
Zu Beginn bin ich vermutlich selber einer romantischen Idee von Mensch und Schnee aufgesessen, die es so kaum mehr gibt. Für
den Film passt das gut. Maschinen sagen ja viel über uns Menschen aus. Ein Bagger macht, was er soll, und denkt dabei nicht
nach, er kennt keine Grenzen, bis er kaputtgeht. So sind wir ja auch. In Wahrheit wollen wir uns nicht einschränken lassen.
Wenn etwas bewegt werden muss, wird es bewegt und wir bauen dafür eine große oder noch größere Maschine. Dass all das viele
Ressourcen verbraucht, ist ein Thema, das mir wichtig war abzubilden. Deshalb sieht man in Japan die gestapelten Diesel-Fässer.
Dieses Depot ist nur eines von fünf, das für die Schneeräumung dort notwendig ist.
Ihr Blick auf Maschinen wie Bagger hat immer etwas von einem Blick auf ein Lebewesen
NIKOLAUS GEYRHALTER: Ich mag Maschinen und ich filme sie auch gerne, weil mir klar ist, wie sich die Menschen, die sie steuern, verhalten. Hier
wird einer nachvollziehbaren Logik gefolgt. Das macht es prinzipiell einfach zu drehen.
Für den Bau des Schneekorridors in Toyama hat es noch nie eine Drehgenehmigung gegeben, weil man es für viel zu gefährlich
hielt, dass sich Menschen auf dem Areal bewegen. Aber ich wollte diese Bilder unbedingt drehen, weil es klar war, dass sie
das Thema Maschineneinsatz in diesem Film ultimativ abbilden würden. Als wir uns mit dem Team getroffen haben und ich ihnen
versicherte, dass ich selbst solche Maschinen bedienen und daher die Lage gut einschätzen könnte, war sofort ein Vertrauen
da. Ich weiß, wie schnell ein Bagger vor- und zurückfährt, wie groß der Arbeitsradius ist, welche Arbeitsschritte wie aussehen.
Wir waren mit den Fahrern in Funkkontakt und konnten uns letztlich sehr nahe an den Maschinen bewegen. Daher fühle ich mich
an Orten, wo absehbare Tätigkeiten geschehen, immer sehr wohl. Man kann genau vorhersehen, was als Nächstes passieren wird.
In so einem Setting kann ich gut arbeiten.
Haben diese Massen an Materie in Bewegung die globale Betrachtung notwendig gemacht?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Natürlich. Ein Film wie MELT funktioniert für seine Zuseher:innen als große Erfahrung, die die Grundlage jeder subjektiven
Erkenntnis und Meinungsbildung ist. Er soll ein Gesamtbild schaffen und man darf im Kino Orte betreten, die sonst unzugänglich
sind. Hier geht es um einen Überblick, einen großen Horizont, wenn auch ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Einen ganzen Film
nur über eine Location zu drehen wäre diesem Thema nicht gerecht geworden. Letztendlich hoffe ich, dass die Reisen, die wir
als Team zurücklegen, dem Publikum ein Erleben ermöglicht, als wäre es selber verreist. Wenn es gut funktioniert, werden so
insgesamt Reisekilometer eingespart.
Ihre Protagonist:innen haben alle ein ambivalentes Verhältnis zum Schnee. Sie erleben die Gefahr, die von ihm ausgeht und
seine unheimliche Faszination, die offensichtlich nicht abstumpft. Sie zeigen eine elementare Verbindung, die über viele Jahre
gewachsen ist. Welche Beziehung zum Schnee haben Sie festgehalten?
NIKIOLAUS GEYRHALTER: Die Umgebung prägt die Menschen und ich hoffe, dass diese Beziehung im Film spürbar wird. Menschen, die mit Schnee im Alltag
zu tun haben, empfinden eine andere Faszination als die Menschen, die Schnee noch nie erlebt haben. Aber für alle ist Schnee
etwas Besonderes. Er ist massiv und gleichzeitig auch so leise. Das Arbeiten im Schnee hat etwas ganz Spezielles. Die Töne
werden gedämpft und man ist sich bewusst, dass man etwas ohnehin Vergängliches behandelt und dennoch muss man ihn verändern,
um ihn in den Griff zu bekommen. Ich erinnere mich selbst an sehr schneereiche Winter. Die Faszination hat bestimmt auch viel
mit der eigenen Erinnerung zu tun und daher überrascht es mich nicht, dass alle meine Protagonist:innen auch nach Jahrzehnten
diese Faszination für den Schnee nicht verlieren.
Wie sind Sie mit der Schönheit und Reinheit, die eine Schneelandschaft bietet, umgegangen?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Mit dem Anspruch, dafür adäquate Bilder zu finden. Man darf Schönheit durchaus „schön“ abbilden. Entscheidend ist, welche
Funktion diese Bilder haben. Grundsätzlich geht man auch ins Kino, weil man ein ästhetisches Erlebnis haben möchte. Das hat
mit den Bildern und mit dem dreidimensionalen Ton zu tun und natürlich auch mit der Dauer, die die Bilder zum Atmen haben.
Wichtig ist, dass „schöne“ Bilder trotzdem mehr können als nur schön zu sein.
Man kann auch schreckliche Ansichten in „schöne“ Bilder verpacken und das wird auf eine ganz eigenartige Weise gut und nachhaltig
funktionieren.
Gab es die Momente, wo Sie vom Anblick überwältigt waren?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Die Idee, dass man bei der Arbeit überwältigt wird, bleibt meistens eine Illusion. Das ist einfach nicht so. Aufgrund der
Recherche weiß man, wohin man kommt, was man erwarten kann. Man hat sich vorbereitet und versucht, das Beste daraus zu machen.
Bei meinen Drehs komme ich mir selber sehr wenig anwesend vor, weil ich wie eine Maschine funktioniere. Ich weiß, ich habe
eine Woche Zeit und muss am Schluss eine Geschichte mitbringen. Ich fotografiere zum Beispiel auf Drehs auch privat sehr wenig,
ich lebe fürs Arbeiten und die ganze Energie geht in die Einstellungen und die Auflösung, die ich permanent suche. Überwältigt
– das kann ich schon sagen – , waren wir trotzdem sehr von der Antarktis. Als wir ankamen, war alles noch gefroren, dann gab
es wärmeres Wetter und einen Schneesturm, die Bucht ist aufgebrochen und die Schollen mit Pinguinen sind davongeschwommen
– es war unwirklich und berührend. Leider ist die Antarktis ein Ort, wo der Tourismus auch schon begonnen hat und auch dort
überhand nehmen wird. Das fühlt sich sehr falsch an.
Die Schneelandschaft liefert nicht nur starke Filmbilder, sondern sie bedient auch eine touristische Erinnerungsindustrie.
Das Schaffen von Erinnerung, das Sie sich als Thema gesetzt haben, ist über selfie-produzierende Tourist:innen auch ein wiederkehrendes
Motiv in MELT und führt vor Augen, was der Natur angetan wird, um schöne Erinnerungen zu erschaffen?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Industrie ist hier tatsächlich ein treffender Ausdruck. Die Natur muss in diesem Kontext funktionieren und stellt zwar die
Kulisse, hat aber kein weiteres Mitspracherecht. Die Anzahl der Schneekanonen in Val d’Isère pro Pistenkilometer hat mich
sehr nachdenklich gemacht. Dieser hochpreisige und eigentlich sehr hoch gelegene Ort muss mit allen Mitteln diskrete Qualität
bieten. Das ist schon sehr extrem. Die Ferienzeiten stehen fest, die Zimmer sind gebucht, und der Wintersport muss vor allem
in diesem Zeitfenster funktionieren. Den Menschen soll ein Erlebnis geboten werden.
Die Après-Ski-Party in den Bergen zeige ich auch nicht, um damit etwas anzuprangern. Wenn man den ganzen Tag schifährt und
dann ein bisschen abtanzt, tut das niemandem weh. Ich bin inzwischen nicht mehr so streng mit dem, was ich für gut oder schlecht
halte, in solchen Details habe ich nicht mehr so einen moralischen Blick. Es ist falsch, einen Krieg zu beginnen, aber es
ist wahrscheinlich nicht falsch, in den Bergen bei lauter Musik zu tanzen. Ich halte dieses Bild für einen augenzwinkernden
Blick auf unsere Gesellschaft, ohne zu bewerten. Das steht mir nicht zu.
Was bedeuteten die extremen Witterungsbedingungen für Sie und das Filmteam und auch für die technische Ausstattung?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Da, wo es viel geschneit hat, war es sehr anstrengend. Vor den minus 30 Grad in Kanada hatten wir großen Respekt, aber das
war dann eigentlich gar nicht so schlimm, weil es sonnig mit einer trockenen Kälte war. Aber Drehtage, wo es knapp unter Null
hatte und es länger geschneit hat, sodass alles nass war, das war unangenehm und das mag auch die Kamera nicht. Wir haben
mit einer RED gedreht, die mit einem üblichen Regenschutz ausgestattet war, viel mehr kann man nicht machen. Trotzdem kommt
irgendwann die Feuchtigkeit durch. Die Akkus halten bei der Kälte auch nicht so lange. Aber wir haben ja in Abschnitten gedreht.
Dazwischen konnten die Geräte wieder trocknen, und wir auch. Es ist ja inzwischen auch so, dass das immer verfügbare Backup
das iPhone ist. Wir haben in Japan, als die RED endgültig nicht mehr wollte und auf dem Berggipfel auch so schnell kein Ersatz
zu beschaffen war, die Episode mit dem iPhone fertig gedreht und das Publikum wird es im Film nicht erkennen. Dafür braucht
es lediglich spezielle ND-Filter und eine Aufnahme App, das hatten wir vorbereitet. In diesem Wissen habe ich die große Kamera
nicht geschont, denn es war klar, dass es einen Plan B gibt. Für uns als Team war es unangenehm, wenn aufgrund eines Schneegestöbers
die Kleidung richtig nass wurde. Wir hatten zwar gute Ausrüstung, aber wenn die Nässe bis zur Haut durchkriecht, muss man
aufhören. Im Grunde sind Filmemachen und Schneeschaufeln ähnliche Tätigkeiten: Man zieht sich warm an und dann macht man‘s
halt, so lange es geht. Es war nicht so abenteuerlich, wie es aussieht.
Die letzte Episode an der Neumayer-Station ist länger als die anderen und nimmt auch eine Funktion von Epilog ein. Können
Sie diesen Ort kurz beschreiben?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Die Neumayer-Station ist eine deutsche Forschungsstation in der Antarktis, eine der größten, die es gibt. Sie ist das ganze
Jahr über bewohnt. Ein Team von ca. neun Wissenschaftler:innen und Techniker:innen bewohnt die Station das ganze Jahr und
muss sie in Schuss halten. Viel los ist dort im antarktischen Sommer, da werden wissenschaftliche Experimente und Wartungen
durchgeführt. In diesem Zeitraum waren wir dort. Sobald es nach dem antarktischen Sommer dunkel wird – drei Monate scheint
keine Sonne – wird es dort sehr ruhig. Man erreicht die Station von Kapstadt aus mit sechs Stunden Flug in einer großen Maschine
und noch weiteren zwei in einer kleineren mit Kufen. Im Winter ist eine Landung aber unmöglich. Da kommt man nicht hin oder
weg, da darf einfach nichts passieren.
Ist es ein beinah utopischer Raum?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Wenn man einen Film über Schnee macht, hat ein Ort, wo Menschen permanent auf und mit Schnee leben, eine Besondere Wichtigkeit.
Dort, wo die Station sich befindet, ist auf der einen Seite endlose flache Weite, auf der anderen Seite bald das offene Meer.
Viele Menschen, die dort waren, wollen wieder dorthin zurück. Das Leben dort kann einen ziemlich süchtig machen, weil es etwas
Unwirkliches hat. Alles, was wir hier an Problemen haben, scheint sehr weit weg und unwichtig zu sein. Und es ist ein Ort,
wo sich jeder auf jeden verlassen muss. Die Gesellschaft muss dort eine bessere sein, sonst würde sie nicht funktionieren.
Doch auch diese pure und kompakte Landschaft beginnt sich aufzulösen. Wenn Sie auf Ihr bisheriges Filmschaffen zurückblicken,
haben Sie sehr viele extreme Orte gesehen und können sich, wahrscheinlich wie wenige andere Menschen, ein globales Bild von
unserem Planeten machen. Wie sieht Ihr Resümee aus?
NIKOLAUS GEYRHALTER: Darüber denke ich viel nach. Am Ende des Films sagt Jölund sinngemäß, dass diejenigen, die um den Zustand unseres Planeten
wissen, die Verantwortung haben, zu handeln. Zu diesen Personen gehöre ich zweifellos. Ich habe durch meine Arbeit das Glück
des menschlichen Seins, viel öfter aber die Abgründe und Grausamkeiten unserer Existenz in vielen ihrer Facetten und Konsequenzen
erlebt. Keine Spezies schadet unserem Planeten so sehr, wie wir es tun. Ich kann mich also nicht auf ein Nicht-Wissen ausreden.
Nur leider macht mich das nicht zwangsläufig zu einem besseren Menschen, der versucht, alles richtig zu machen. Ein Leben
zu führen, das nicht allzu viel Schaden anrichtet, sollte die Devise sein. Im Großen wie im Kleinen. Im Alltag ist das eine
ziemliche Herausforderung. Mein Resümee ist daher nicht eindeutig. Ich mag jeden Baggerfahrer, jeden Menschen, der eine Schneekanone
bedient oder der nach einem Schitag grölend abtanzt. Sobald man mit ihnen in einen Dialog tritt, funktioniert das Verständnis
auf kleiner persönlicher Ebene. Das System dahinter ist erschreckend. Das System Menschheit funktioniert nicht. In der Gesamtheit
kann man uns nicht mögen. Das ist, glaube ich, auch das, woran wir gerade scheitern: Dass die wirklich persönlichen Begegnungen,
ich meine solche, die nicht durch Bildschirme gefiltert sind, immer weniger werden.
Interview: Karin Schiefer
September 2025








