INTERVIEW

«Der Tod ist ein starkes Thema.»

Dr. Spittler hat sich seinen Beruf zur Lebensaufgabe gemacht. Unbeirrt und unermüdlich besucht, befragt und berät der Neuropsychiater Menschen, die von ihm ein gewichtiges Dokument wollen: Ein Gutachten, das ihnen bescheinigt, freiwillig, aber ärztlich begleitet aus dem Leben scheiden zu können. Pavel Cuzuioc nimmt in GRÜNES LICHT keine Stellung zum assistierten Selbstmord, sondern interessiert sich für die Persönlichkeit eines überzeugten Einzelgängers und dessen Alltag, der bestimmt ist von letzten Fragen und der enormen Last der Verantwortung.
 
 
GRÜNES LICHT berührt eine aktuell brisante Debatte zum assistierten Suizid, der Film ist in erster Linie zunächst das Portrait eines Arztes. Wie sind Sie auf ihn aufmerksam geworden?
 
PAVEL CUZUIOC:
Die Debatte ist derzeit in Österreich besonders brisant, weil es einen konkreten Auslöser gab. Doch im Grunde ist es so alt wie die Menschheit selbst. Nicht umsonst beginnt Camus’ Der Mythos des Sisyphos mit dem Satz: „Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord.“
Vor etwa vier Jahren begann mich dieses Thema konkreter zu beschäftigen. Ich höre oft Podcasts, vor allem, wenn ich im Auto unterwegs bin – zu ganz unterschiedlichen Themen. Dabei stoße ich manchmal auf Dinge, die für mich aus dem Rahmen fallen. In diesem Fall war es weniger das Thema selbst, sondern die Person Dr. Spittler, die mich sofort fasziniert hat. Ich habe mich gefragt: Was für ein Mensch muss das sein, der solche Entscheidungen treffen will und muss? Wie stark, wie eloquent, wie überzeugt und wie professionell muss jemand sein, um die innere Kraft zu haben, Ja oder Nein zu sagen?
Es gibt viele Gutachter:innen und es gibt klare Parameter, an die man sich halten muss. Aber jemandem grünes Licht für assistierten Suizid zu geben – oder zu entscheiden, dass er diese Hilfe nicht in Anspruch nehmen darf –, das fand ich unglaublich interessant.
 
 
Was hat Sie zusammengeführt?
 
PAVEL CUZUIOC:
Ich habe ihm geschrieben und gefragt, ob er sich ein Filmprojekt vorstellen könnte. Grundsätzlich hatte er nichts dagegen – sein Einwand bezog sich eher auf meine physische Präsenz und die der Kamera in einer so intimen Gesprächssituation. Für ihn ist die Intimität der menschlichen Begegnung in diesem besonderen Moment entscheidend, und er konnte sich kaum vorstellen, wie man einen Dokumentarfilm drehen könnte, ohne diese Intimität zu zerstören. Ich bat ihn, mir in dieser Hinsicht zu vertrauen.
Unser erstes Treffen verlief anders als geplant: Ich kam zu spät, und er musste zu einem Termin mit einer Patientin. Spontan schlug er mir vor, ihn zu begleiten. Die Fahrt dorthin dauerte etwa eineinhalb Stunden – Zeit, in der wir uns zum ersten Mal wirklich kennengelernt und viel miteinander gesprochen haben. Während er die Patientin begutachtete, wartete ich über eine Stunde, spazierte am Rhein entlang und ließ die Eindrücke auf mich wirken. Auf der Rückfahrt, noch einmal eineinhalb Stunden, erzählte er mir den Fall im Detail. So entstand fast von selbst die erste Struktur des Films.
Ich schickte ihm meine früheren Filme, damit er versteht, wie ich arbeite und welche Haltung ich in meinen Projekten einnehme. Im Gegenzug gab er mir einige seiner Bücher, und vieles habe ich mir selbst besorgt. Ich wollte mich breiter über das Thema informieren, in der Hoffnung, dass sich vielleicht neue Perspektiven eröffnen. Doch nach intensiver Recherche kehrte ich zu der Ausgangsfrage zurück, die mich von Beginn an beschäftigt hatte: Wie kann ein Mensch eine solche Verantwortung tragen?
 
 
Die öffentliche Diskussion zum assistierten Suizid ist aufgrund eines in den Medien sehr präsenten Falles in Österreich gerade stark im Gange. Wie war die mediale und gesellschaftliche Wahrnehmung des Themas, als Sie begonnen haben?
 
PAVEL CUZUIOC:
Als ich mit dem Projekt begonnen habe, war in Österreich das Gesetz, das assistierten Suizid unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, noch nicht in Kraft. Die öffentliche Debatte dazu hat mich weniger interessiert, weil ich nicht unbedingt einen Film über das Thema machen wollte, sondern vielmehr über einen Menschen, der sich auf eine ganz besondere Weise mit diesem Thema auseinandersetzt. In Deutschland ist der assistierte Suizid seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020 grundsätzlich erlaubt, während er in Österreich seit 2022 zwar gesetzlich geregelt, aber deutlich restriktiver und enger gefasst ist. Ich dachte mir, dass mein Film in Österreich vielleicht gerade dann ein größeres Interesse wecken könnte, wenn er fertig ist – auch wenn ich mir damals nicht im Geringsten vorstellen konnte, dass er so enden würde, wie er endet. Für mich war es nie das Ziel, ein politisches Statement zur Frage der Sterbehilfe abzugeben. Mich hat vielmehr beschäftigt, wie jemand von uns in einer solchen Situation denken, fühlen und handeln kann.
 
 
Von Beginn ab sieht man Dr. Spittler beim Cello-Spielen, beim Spazieren mit seinem Hund, beim Besuch am Friedhof seiner Eltern. Die Komponente Privatmensch scheint Ihnen sehr wichtig zu sein. So wie er in seinem beruflichen Tätigkeitsfeld ein Einzelkämpfertum ist, so scheint er auch privat ein Solitär zu sein.
 
PAVEL CUZUIOC:
Eine Person, die sich so intensiv mit dieser Thematik beschäftigt, kann davon auch im Privaten nicht völlig losgelöst sein. Aus meiner Begegnung mit Dr. Spittler hatte ich den Eindruck, dass das Thema des assistierten Suizids – insbesondere in Verbindung mit psychischen Leiden – einen großen Teil seines Alltags bestimmt. Ich musste auch einen Teil seines privaten Lebens kennenlernen und zeigen, um das wirklich zu verstehen.
Egal, was er tut, dieses Thema ist immer präsent. Es ist sehr schwer, nach Hause zu kommen und zu sagen: „So, jetzt schaue ich mir einen Film an, lese ein Buch oder mache etwas anderes.“ Sein starkes Engagement für das Thema hat auch in seiner Beziehung zu Spannungen und Diskussionen geführt. Diese Belastung war spürbar, und trotzdem war seine Frau immer eine wichtige Stütze. Seine Hingabe ist dabei spürbar – sie ist Teil seiner Persönlichkeit.
Das Solitäre an ihm hat mich von Anfang an sehr berührt. Er ist in gewisser Weise Pionier – für manche fast eine Art Märtyrer. Das Thema Sterbehilfe ist nicht nur seine Arbeit geworden, sondern seine Lebensaufgabe.
 
 
Wie kommen die Menschen auf ihn? Worin besteht dann konkret seine Tätigkeit?
 
PAVEL CUZUIOC:
Sein Angebot besteht weitgehend in dem, was man im Film sieht: psychiatrische Gutachten zur Feststellung der Entscheidungskompetenz und Freiverantwortlichkeit – genau jene Elemente, die das Gesetz oder die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Inanspruchnahme von assistierten Suizid verlangen. In vielen Fällen nehmen Menschen direkt Kontakt mit ihm auf – sie haben von ihm gelesen oder er wurde empfohlen –, oft auch über Sterbehilfe-Organisationen oder weil sie in ihrer Familie bereits einen Fall von assistiertem Suizid erlebt haben.
Das Besondere an seinem Profil ist, dass er nicht allein als Gutachter, sondern auch als Arzt agieren kann, um in gewissen Fällen assistierte Suizidhilfe zu leisten. Dafür muss man nicht nur Psychiater sein, sondern auch ärztlich tätig – es ist also ein Zusammenspiel von medizinischem und psychiatrischem Fachwissen.
 
 
Die Menschen, die sich im Dialog mit Dr. Spittler filmen lassen, sind eher gebildet und eloquent. Ist es auch eine soziale Frage, sich für assistierten Suizid zu entscheiden?
 
PAVEL CUZUIOC:
Nicht unbedingt. Im Film begegnen wir Menschen aus ganz unterschiedlichen sozialen Schichten – einer Lehrerin, einem Bauarbeiter, einer Sekretärin. Es sind ganz gewöhnliche Personen, die an einem Punkt ihres Lebens angekommen sind, an dem sie über ihr Leiden und ihre Existenz nachdenken möchten. Der Tod betrifft alle gleichermaßen – ebenso das Leiden. Die Entscheidung, das eigene Leben beenden zu wollen, hat nichts mit Bildung oder Intellekt zu tun, sondern mit einer sehr individuellen, oft existenziellen Erfahrung.
 
 
Wie haben Sie gemeinsam entschieden, diese Arbeit zu dokumentieren? Dem Nachspann ist zu entnehmen, dass Sie beim Dreh auch Kamera und Ton übernommen haben.
 
PAVEL CUZUIOC:
Die Dreharbeiten haben fast zwei Jahren gedauert. Ich habe Dr. Spittler gebeten, bei seinen Antworten auf Anfragen auch das Filmprojekt und die Möglichkeit zu erwähnen, dass ich die Gespräche mit der Kamera begleite. Viele Menschen haben zugesagt, viele auch abgesagt – es war ungefähr 50:50. Manche wollten zunächst mehr Informationen, andere baten mich ausdrücklich zu filmen, weil sie als Beispiel vorangehen und die öffentliche Debatte anregen wollten.
Etwa zur Hälfte der Dreharbeiten wurde mir klar, dass ich der Richtung folgen musste, die Dr. Spittler immer deutlicher einschlug. Er widmete zunehmend mehr Zeit Menschen mit psychischen Erkrankungen. Gerade dort ist die Frage, wie Entscheidungsfähigkeit geprüft werden kann, besonders heikel. Nach und nach entwickelte sich das Projekt in diese Richtung.
Wie ich schon erwähnt habe, habe ich beschlossen, alles allein zu drehen – also nur ich, Dr. Spittler, die Patient:innen und gegebenenfalls ihre Angehörigen am „Set“. Mit zwei zusätzlichen Augen, einer Tonangel und künstlich gesetztem Licht wäre dieser Film mit Sicherheit unmöglich gewesen. Ich fühle mich freier und unabhängiger, wenn ich meine Projekte in diesem Konzept und mit diesem minimalistischen Ansatz realisiere. Es gibt Momente, in denen man sich unsichtbar machen muss – nicht stören, nicht eingreifen und gleichzeitig die Situation technisch so gut wie möglich im Griff behalten. Diese Arbeitsweise wurde für mich zu einer Art Prinzip – sie erlaubt eine größere Nähe und Authentizität.
 
 
Wo sich Aussagen der österreichischen Ärztin, die im eingangs erwähnten Fall den assistierten Suizid begleitet hat, mit denen von Dr. Spittler überschneiden, ist der positive Aspekt; beide erzählen, dass die Nähe zu den Menschen in dieser intimen Situation sehr befriedigend sei. Haben Sie auch als Filmemacher eine Erfahrung von besonderer Nähe zu den Protagonist:innen erlebt?
 
PAVEL CUZUIOC:
Für mich waren diese Begegnungen mit den Menschen nicht unbedingt befriedigend. Ich habe versucht, beim Filmen weniger emotional zu reagieren und analytisch zu bleiben. Diese Distanz hat mir geholfen, den Film zu machen – auch wenn es Momente gab, in denen es emotional schwer war, vor allem, wenn ich mich in den Geschichten der Menschen oder in Erfahrungen meiner Familie wiederfand.
Ich hatte mir vorgenommen, in meinem Film – also im Fall von Dr. Spittler – nicht das zu erleben, was die Begleitenden erleben. Von Anfang an wollte ich die Begleitungen selbst nicht filmen. Einige Menschen, die grünes Licht erhalten hatten, baten mich, dabei zu sein, aber ich habe das abgelehnt. Mir war wichtig, eine klare Grenze zu ziehen, dort, wo Voyeurismus beginnen könnte. Mich hat nie interessiert zu zeigen, wie ein Mensch aufhört zu existieren – das wäre mir zu sensationsheischend. Die Herausforderung war für mich, ehrlich zu sein, ohne zu schockieren. Der Tod ist ein starkes Thema. Die Stärke des Films sollte nicht im Spektakulären liegen, sondern in der Einfachheit. Ich wollte verstehen, warum Menschen diese Hilfe suchen, wie sie zu dieser Entscheidung gelangen – und wie Dr. Spittler in solchen Situationen vorgeht. Ich bin Filmemacher, kein Arzt – mein Ziel ist ein anderes. Befriedigung kommt vielleicht dann, wenn der Film jemanden wirklich berührt. In Locarno stand nach der Premiere ein älterer Mann auf und dankte mir. Er sagte, der Film sei so authentisch und wahr, weil er in den Erzählungen der Protagonist:innen vieles wiedererkannt habe, was seine Frau damals erlebt hatte, bevor sie assistierte Hilfe zum Sterben erhielt – wie friedlich und versöhnlich dieser Moment gewesen sei. Befriedigend war es also für mich nicht, aber etwas sehr Wertvolles – die Begegnungen mit Menschen, die etwas zu erzählen haben.
 
 
Was Dr. Spittler macht, ist ja interessanterweise das, was dem Wesen seines Berufes am stärksten entspricht und widerspricht zugleich?
 
PAVEL CUZUIOC:
Es gibt eine Dissonanz – aber es ist eine Dissonanz, die tief in unserer Kultur verwurzelt ist. Jeder Arzt legt den Eid des Hippokrates ab und verpflichtet sich, alles zu tun, um das Leben eines Menschen zu erhalten. Dr. Spittler steht mit diesem klassischen Ansatz in einem gewissen Widerspruch. Und genau das finde ich interessant – weil die Medizin nicht dort aufhört, wo das Überleben gesichert ist.
In den zwei Jahren der Zusammenarbeit mit Dr. Spittler habe ich erlebt, dass viel über Sterbehilfe gesprochen wird – meist von Menschen, die das Thema aus einer ethischen oder religiösen Sicht oder durch den Filter ihrer beruflichen Verantwortung und moralischen Zugehörigkeit betrachten. Doch wenn man im selben Raum mit den Betroffenen ist, wenn man ihre Realität spürt, wird alles plötzlich sehr klar. Für mich ist es jetzt eindeutig: Wir entscheiden nicht, ob wir auf die Welt kommen – aber wir sollten zumindest entscheiden dürfen, wie wir sie verlassen.
 
 
Es gibt Momente im Film, die aufhorchen lassen und auch ein Unverständnis erzeugen, wie z.B., wenn er zu einem Patienten sagt: „Ich opfere meine Zeit, um mit Ihnen zu sprechen.“ Haben Sie im Laufe Ihrer Arbeit trotz der inhaltlichen Zustimmung auch eine Ambivalenz Ihrem Protagonisten gegenüber verspürt?
 
PAVEL CUZUIOC:
Ambivalenz ist da – und sie soll auch da sein. Selbst wenn ich weiß, dass er sich in der erwähnten Szene etwas unglücklich ausgedrückt hat. Er wurde sehr oft mit der Frage nach dem Geldverdienen in diesem Zusammenhang konfrontiert und wollte sich einfach nicht mehr rechtfertigen.
Ambivalenz könnte etwas Gutes sein, weil sie uns nicht blind macht. Man bleibt wach, offen dafür, dass sich Dinge auch anders entwickeln können – und vielleicht auch anders entwickeln sollen. Er war sehr überzeugt, aber er ist dennoch ambivalent geblieben. Für den Film war das wichtig.
Ich kann nicht sagen, dass ich auf seiner Seite stehe, aber auch nicht, dass ich gegen ihn bin. Ich habe versucht, so objektiv wie möglich zu bleiben – auch wenn wir wissen, dass echte Objektivität im Grunde nicht existiert. Ich wollte einfach zeigen, was ich erlebt habe, ohne meine Meinung aufzudrängen. Es ist nicht leicht, das zu tun – aber genau darin liegt für mich die Herausforderung. Letztlich geht es für mich darum: Nähe zuzulassen, ohne zu werten.
 
 
Auch Dr. Spittler geht in seinem Gutachterverfahren nach objektiven Kriterien vor, dennoch scheint er für alle seine Patient:innen einen anderen Zugang zu wählen?
 
PAVEL CUZUIOC:
Ja, das stimmt. Auch wenn er nach objektiven Kriterien vorgeht, hat er für jede Patientin und jeden Patienten einen eigenen Zugang. Andernfalls könnte auch eine künstliche Intelligenz diese Arbeit übernehmen. Er hat seine Fragebögen selbst entwickelt und passt sie jedes Mal an Persönlichkeit, Geschlecht, Alter und Art der Erkrankung an. Es gibt zwar Standardfragen, die in eine Statistik einfließen, aber der entscheidende Teil liegt im persönlichen Zugang. Dr. Spittler ist äußerst akribisch und hat sehr viel Geduld. Ich finde, er hat auch etwas Künstlerisches an sich: Manchmal schreibt er Gedichte, früher hat er hobbymäßig fotografiert, und er spielt Cello. Sein Haus ist voller Kunstobjekte und Kunstbücher – neben einer großen Zahl an Fachliteratur. Eine seiner wichtigsten Eigenschaften – und etwas, das uns sehr verbunden hat – ist, dass er den Menschen wirklich zuhört. Bei ihm gibt es keine Sitzung, die auf 50 Minuten begrenzt ist. Ein Termin kann auch zwei Stunden dauern, und er wird trotzdem denselben Tarif berechnen. Vielleicht liegt gerade darin die Menschlichkeit, die man in Zahlen nie erfassen kann.
 
 
Der überraschendste Satz, den Dr. Spittler äußert ist: „Ich bin nicht fürs Sterben“. Er kommt im Zuge dessen auf die Ahnenreihe und auf eine spirituelle Ebene zu sprechen, uns stellt dabei die Sterbehilfe in Frage.
 
PAVEL CUZUIOC:
Ja, es gibt hier zwei Ebenen. Er sagt diesen Satz, nachdem er in seinem Gutachten bereits grünes Licht gegeben hatte. Dieses Gespräch findet also im Nachklang des Termins statt. Er sagt es zu der Frau, die ihn am Ende umarmt. Er verweist darauf, dass wir biologisch so gebaut sind, dass wir nach dem Leben streben – dass jeder Mensch einen Überlebensinstinkt hat. Und er ist auch gegen das Sterben, weil er selbst leben will. In dieser Szene spürt man etwas, das man nicht unbedingt erklären sollte – und genau das vermittelt er. Es gibt immer wieder Fälle, in denen er kein grünes Licht gibt. Aus Erfahrung weiß er, dass viele derjenigen, die ein positives Gutachten erhalten, dieses einfach in der Schublade behalten. In manchen Fällen wirkt das Gutachten fast wie ein Präventionsmittel. Dr. Spittler ist jemand, der seine Patientinnen und Patienten immer zuerst ermutigt, weiterzumachen, neue Therapien zu versuchen. Man kann verstehen, wie ein Mensch wie er denkt – jemand, der täglich mit Leid konfrontiert ist. Vielleicht war das für mich einer der ehrlichsten Momente im Film.
 
 
Auf einer philosophischen Ebene gibt es kein Richtig und Falsch. Auf einer juristischen Ebene werden Linien gezogen. Dr. Spittler scheint sich in seinem Handeln – er begleitet Menschen auch beim assistierten Suizid – sehr gut abzusichern, was hat dazu geführt, dass er sich auf ein juristisch fragiles Terrain begeben hat, was schließlich in einem Prozess endete?
 
PAVEL CUZUIOC:
Wie ich zuvor erwähnt habe, hat er sich auf dieses rechtlich unsichere Terrain begeben, weil er überzeugt war, dass er es als Psychiater gut versteht – und in der Hoffnung, dass der Gesetzgeber eines Tages für mehr Klarheit sorgt. Die Staatsanwaltschaft warf Dr. Spittler vor, eine Person begutachtet und beim assistierten Suizid begleitet zu haben, die aufgrund einer diagnostizierten Schizophrenie zum Zeitpunkt der Begutachtung nicht entscheidungsfähig gewesen sein soll. Nach dem Tod dieser Person wurde ein weiteres Gutachten erstellt, das zu einem anderen Ergebnis kam als seines. So standen zwei Einschätzungen einander gegenüber – das ante mortem von Dr. Spittler erstellte und das post mortem eines Kollegen. Das Gericht folgte schließlich im Wesentlichen dem zweiten Gutachten und kam zu dem Schluss, dass der Patient zum Zeitpunkt des Suizids nicht frei entscheidungsfähig war. Dr. Spittler wurde verurteilt; seine Revision wurde vom Bundesgerichtshof abgelehnt, womit das Urteil rechtskräftig wurde. Es bleibt ein komplexer und sensibler Fall, der in vielerlei Hinsicht Fragen offen lässt. Zurzeit befindet er sich in Haft.


Interview: Karin Schiefer
Oktober 2025


«Die Medizin hört nicht dort auf, wo das Überleben gesichert ist.»