INTERVIEW

Arash und Arman T. Riahi über EVERYDAY REBELLION

 

 

 Arash und Arman T. Riahi über ihr cross media-Projekt, das bei CPH:DOX seine Weltpremiere feierte.


Wie ist euer Bewusstsein für das Phänomen des zivilen Ungehorsams bzw. gewaltfreien Widerstandes erwacht?
Arash T. Riahi: Unser Bewusstsein für die gewaltlosen Widerstandstaktiken ist zu einem Zeitpunkt gewachsen, als wir sahen, dass Bewegungen wie der Arabische Frühling, die spanische 15M- oder auch die amerikanische Occupy-Bewegung sehr ähnliche Strukturen aufwiesen: Sie sind im Großen und Ganzen gewaltlos und sehr horizontal ohne Führerfigur strukturiert. Es war interessant, plötzlich ein Muster zu erkennen. Wir gingen anfangs der Frage nach, wie diese Bewegungen verbunden sind, wie sehr sie einander beeinflussen und inspirieren? Wir haben diese Verbindungen tatsächlich gefunden.

Arman T. Riahi: Aufgrund der Tatsache, dass wir aus einer Familie kommen, die politisch verfolgt worden ist, waren wir mit der Idee des politischen Widerstands sehr vertraut. Unsere Eltern haben uns die Überzeugung mitgegeben, dass man friedlich bleiben muss und man Gewalt nicht mit Gewalt beantworten darf.

Die soeben genannten Bewegungen sind ziemlich jung. Nun liegt ein fertiger Film zum Thema vor. Der Schluss liegt nahe, dass ihr sehr spontan auf Entwicklungen reagiert habt. Wie seid ihr an das Thema filmisch herangegangen?
Arash T. Riahi: Die Idee entstand 2009 im Zuge der Grünen Bewegung, der Protestbewegung im Iran. Damals war weder vom Arabischen Frühling noch von Occupy Wall Street die Rede. Als wir aber dann von der Geschichte überholt wurden, beschlossen wir, auch das Konzept des Films ganz offen zu halten. Und wir machten uns auf die Suche nach einer zeitgemäßen Dramaturgie angesichts der Unvorhersehbarkeit des Themas. Wir haben auch einige Rückschläge erlebt, es war aber extrem lebendig und wir waren hautnah dabei. Wir haben mitdemonstriert, haben mit den AktivistInnen Banklobbys gestürmt, sind mehrmals verhaftet worden, haben ihnen unsere Ton- und Videodateien zugespielt. Wir sind zu Kommilitonen dieser Bewegungen geworden, sonst wären wir den einzelnen Aktivisten nicht so nahe gekommen. Wenn man sagt, dass man die Welt gerne gewaltlos verändern will, dann wird das oft belächelt. Es wird bezweifelt, dass die Tatsache, einem Polizisten eine Blume zu geben oder sich vor einen Panzer zu stellen, etwas bewegen kann. Es ist eine Utopie, von der man meint, dass sie nur in der Theorie existiert. Durch unsere Recherche und Begegnungen mit den verschiedensten AktivistInnen stellten wir nach und nach fest, dass es keine Utopie ist und dass Gewaltlosigkeit viel zielführender ist als gewalttätige Proteste. Es ist keine Hippie-Phantasie, sondern empirisch nachweisbar: Wirklich große Umbrüche - ich denke an Südafrika, an Gandhi, an den Fall der Sowjetunion - sind gewaltfrei passiert. Es war für uns extrem motivierend, zu sehen, dass es funktioniert. So formierte sich der Film immer mehr zu einer Hommage an die kreativen Taktiken des gewaltfreien Widerstands, weil sie funktionieren, moralisch vertretbar sind und die Welt besser machen.

Arman T. Riahi: Entscheidend bleibt für mich die moralische Frage. Ich finde, man sollte nie die Utopie einer gewaltlosen Welt aus den Augen verlieren. Die Tatsache, dass man damit auf Skepsis stößt und möglicherweise auch belächelt wird, ist etwas, womit man leben muss und das man auf sich nehmen kann. Wir sind auch in gewisser Weise als „greenhorns“ ins Projekt gegangen. Wir haben vieles erst mit der Zeit begriffen, wie z.B. was es heißt, als Aktivist täglich seine Freiheit aufs Spiel zu setzen, seine Zeit, seine Freiheit, seine Sicherheit und die seiner Angehörigen zu opfern in einem Kampf für eine bessere Welt. Wir sind daher in die Tiefe gegangen und haben erkannt, dass die Gewaltlosigkeit alle Bewegungen miteinander verbindet. Die Bewegungen weisen auch andere Gemeinsamkeiten auf, Gewaltlosigkeit war ein verbindendes Element.

Arash T. Riahi: Es gibt empirische Untersuchungen, die zu dem Schluss kommen, dass gewaltlose Methoden mehr Erfolg versprechen und Gewalt nur Gegengewalt generiert. Wir sehen unsere Aufgabe darin, diese vielleicht nicht so leicht wahrnehmbaren Verbindungen publik zu machen und dem Gedanken des gewaltlosen Veränderns der Welt zu einer breiten Öffentlichkeit zu verhelfen. Es war unser Ziel, die verschiedenen Bewegungen in einem Film zu vereinen, ohne sie gleichzusetzen. Everyday Rebellion ist ein Zeitzeugnis, aber auch ein Plädoyer für eine Utopie. Keine der Bewegungen ist an ihrem Ziel angelangt. Sie sind ein Aufschrei und sie verändern die Welt. Jede Veränderung, vor allem, wenn sie so tiefgreifend ist, braucht ihre Zeit. Es geht um Menschen, die mit dem Ist-Zustand nicht zufrieden sind und aufstehen. Sie bemächtigen sich ihrer Stimme und erheben people’s power zu einer Kunstform. Wir sind Filmemacher, keine Aktivisten. Das unterscheidet unseren Film von jenen, die von Aktivisten vorort gedreht werden. Wir haben zu diesen Bewegungen einen sinnlicheren Zugang, es ging uns darum, dem Aktivismus seine Sinnlichkeit zu geben. Aktivisten haben ein hartes Leben, sie geben viel von sich, haben kein Geld, sind Burn-out-gefährdet, aber es kann auch Spaß machen kann, die Welt mit diesen Methoden zu verändern. Das wollten wir auch zeigen.

Everyday Rebellion gilt als Dokumentarfilm und cross media project, wie sah der formale Ansatz zu diesem Projekt aus im Gegensatz zu einem „klassischen“ Dokumentarfilm?
Arman T. Riahi: Everyday Rebellion begann nicht nur als Dokumentarfilm. Es wurde durch die Proteste der Menschen, v.a. im Iran 2009 nach den manipulierten Präsidentschaftswahlen losgetreten. Damals gelangten sehr viele Handyvideos ins Internet, was sich zur Sprache und Ästhetik dieser Bewegung entpuppte. Wir sammelten sehr viel Material im Netz und stellten fest: so wichtig und dynamisch Dokumentarfilme auch sein können, sie sind verglichen mit der Dynamik im Netz, wo man quasi in Echtzeit Revolutionen beiwohnen kann, doch eher statisch. Daher war unsere Idee von Beginn an, ein Cross-Media-Projekt zu entwickeln, was bedeutete, den Dokumentarfilm mit einer Internet-Plattform zu begleiten, deren Schwerpunkt auf Video-Content basiert. Zur Zeit bauen wir auch noch an einer Smartphone-App. Wir wollen vom gewaltfreien, kreativen Aktivismus auf verschiedenen Ebenen erzählen.

Arash T. Riahi: Einer unserer Koproduzenten ist ARTE, der auch online sehr aktiv ist. Es gibt die Plattform ARTEkreativ, mit der wir eine Kooperation begonnen haben, indem wir zwanzig Kurzvideos mit Tipps zum gewaltfreien Widerstand produzierten, die auf der ARTEPlattform liefen. Es war extrem schwierig, für diese neue Form Geld aufzustellen. Da war auch sehr viel Selbstausbeutung dabei. Wir hatten an die 1500 Stunden Material, das vielleicht nicht für die Masse, aber doch für viele Leute von Bedeutung ist. Dieses Material können wir Schritt für Schritt für die Plattform aufbereiten und auf neue Möglichkeiten reagieren: Der Film ist u.a. auch mit der Unterstützung der Menschen draußen entstanden und die Plattform wird mit Unterstützung der Menschen in Zukunft gefüllt werden.

Arman T. Riahi: Das Gros der Dokumentation, die wir zum gewaltlosen Aktivismus in Syrien hatten, ist user-generated, also von Aktivisten dort zur Verfügung gestellt. Es handelt sich um Videos, die nicht von Kameraleuten gedreht sind, teilweise war es auch schwierig, sie in eine Form zu bringen, die man auf der großen Leinwand anschauen kann. Es war uns aber wichtig, diesen Kanal offen zu halten. Einerseits sollten die User uns kontaktieren können und andererseits wir unsere Dinge über sie weiterverarbeiten. Am Beginn des Projekts haben wir gemeinsam mit dem serbischen Aktivisten Srđa Popović einen Adventkalender des gewaltlosen Widerstands gemacht. Seine 24 Tipps sind von syrischen Aktivisten ins Arabische übersetzt und dort verbreitet worden. So kann man ein Statement leisten und den Leuten helfen. Die Feststellung, dass wir keine Aktivisten, sondern Filmemacher sind, war am Beginn des Projekts eindeutig gültig. Inzwischen sind die Grenzen schon etwas verschwommen.

Arash T. Riahi: Man wird in so einem Projekt automatisch zum Aktivisten. Wir sind Filmemacher, die zu aktivistischen Tätigkeiten gekommen sind und mit diesem Film ein Statement für Aktivismus setzen und nicht umgekehrt.

Das Faszinierendste in diesem Film sind die Menschen, die sich mit ungeheurer Hingabe, Überzeugung und Kampfbereitschaft engagieren. Sehr faszinierende Persönlichkeiten. Was ist ihnen gemeinsam? Was treibt sie zu einer so radikalen Protestbereitschaft, beinahe Opferbereitschaft an?
Arman T. Riahi: Was sie vereint, ist ein Sinn für Ungerechtigkeiten und ein Bewusstsein, dass diese Ungerechtigkeiten in ihrem Land, in ihrem Umfeld, in ihrer Kultur passieren, das sie nicht mehr schlafen lässt. Charakterlich sind sie alle getrieben vom Willen und dem Drang, etwas zu verändern und nicht hilflos zuzuschauen. Das Kennenlernen hat im Grunde über ein, zwei Kontakte funktioniert, der Rest war eine Kettenreaktion. In New York haben wir nichts anderes gemacht als in den Zucotti Parc zu gehen und dort zu drehen. Die Leute wollten, dass wir ihren Kampf dokumentieren. Wir waren zweimal in New York, spätestens beim zweiten Mal waren wir im Herz der Bewegung.

Arash T. Riahi: Was die Aktivistenszene vereint, ist, dass unabhängig vom Alter ein Feuer in ihnen brennt, das ihnen die Angst nimmt, kreativ Widerstand zu leisten. Wenn 50 bewaffnete Polizisten um sie stehen, machen sie vielleicht etwas Absurdes, das sie zum Lachen bringt. Und wenn die lachen und auch keine Angst mehr haben, dann werden sie vielleicht nicht schießen. Die Angst ist nie ganz weg, aber sie ist durch Vorbereitung, Taktik, auch Wut minimiert.

Arman T. Riahi: Man hat weniger Angst, wenn man Spaß bei der Sache und einen Plan hat. Je mehr Ausweichrouten durchdacht sind, desto weniger braucht man sich vor der Polizei zu fürchten. Erica Chenoweth sagt im Film: Es gibt keinen spontanen gewaltlosen Aufstand, der erfolgreich ist.

Es wird ein interessanter Generationenaspekt im Film deutlich: der junge Ägypter gibt seinen Job und sagt „Ich widme mich dem Widerstand, weil es mein Vater nicht intensiv genug gemacht hat“. In Spanien entsteht der Eindruck, dass eher die Elterngeneration die jungen Leute aufrüttelt. Konntet ihr diese Komponente immer wieder entdecken?
Arash T. Riahi: Man kann nicht verallgemeinern und behaupten, in der westlichen Welt ist es eher die ältere Generation, die aufsteht und in arabischen Ländern die jüngere. Es ist eine Bewegung, die sich durch alle Generationen zieht. Die Jugend allein kann es nicht tragen, man braucht auch die Erfahrungen der Älteren. In der arabischen Welt, die eine patriarchale Welt ist, geht es den Männern gut, die es sich in einem System eingerichtet haben, dass von Männern getragen wird. Das ist im Iran oder in anderen arabischen Ländern für Frauen ein Grund, auf die Straße zu gehen. Für die Jugendlichen besteht die Motivation darin, dass sie keine Perspektive haben. In Spanien ist es so, dass die ältere Generation unter Franco eine Diktatur erlebt hat und weiß, was sie danach errungen hat und was jetzt auf dem Spiel steht.

Arman T. Riahi: Bei Occupy ist es ein Mix durch die Generationen, es ist aber eine Bildungsschicht, die auf die Straße geht, eine Mittelschicht, die gut genug ausgebildet ist, um zu sehen, was schief läuft und genug Zeit hat, sich damit auseinanderzusetzen. Im Iran habe ich den Eindruck, dass eine ältere Schicht den Mut verloren hat, dass viel zu ändern sei. Sie haben vor dreißig Jahren eine Revolution erlebt, waren zuvor nicht frei und sind seit der Islamischen Revolution noch stärker unterdrückt. Viele der älteren Generation gingen 2009 gar nicht mehr auf die Straße, weil sie entmutigt sind. Der Iran ist auch demografisch so strukturiert, dass 75% der Bevölkerung unter dreißig sind. In seiner Gesamtheit betrachtet, finde ich, dass sich der Aktivismus, den wir zeigen, durch alle Altersschichten zieht.

Ihr weist im Film auch auf eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem gewaltlosen Widerstand als politisches Agitationsmittel hin. Warum?
Arash T. Riahi: Einer unserer ersten Drehs fand auf einer Konferenz über gewaltlosen Widerstand in Kopenhagen statt. Diese drei Tage haben uns in sehr komprimierter Form in einen sehr erhellenden theoretischen Diskurs getaucht, der uns das Fundament für diesen Film legte. Wir hatten das Gefühl, dass wir von dem Moment an, nur noch die Aktivisten begleiten müssten. Yahia Zayed, den ägyptischen Aktivisten, lernten wir dort kennen und trafen ihn dann später wieder in Ägypten. Die Konferenz hat uns den Diskurs eröffnet und mit ganz neuartigem Input versorgt. Es war uns sehr wichtig, damit auch die Seriosität dieses Aktivismus’ zu unterstreichen. Es gibt Dissertationen und Publikationen zum gewaltfreien Widerstand, es ist keine naive Träumerei.

Arman T. Riahi: Ein Einwand, mit dem friedliche Aktivisten ständig konfrontiert sind, ist der, dass ihr Bemühen sinnlos sei und nichts bringt. Wir wollten zeigen, dass es in der Tat etwas bringt, das hat schon Ghandi gezeigt. Wir haben sehr schnell eine ganze Vielfalt an kreativen Protestmethoden entdeckt. Politischer Protest bestand vor einigen Jahrzehnten aus wütenden Menschen, die mit Schildern auf die Straße gingen. Plötzlich sehen wir, dass Leute unter diktatorischen Regimen, kaum Handlungsspielraum haben und es trotzdem schaffen, ihre Flyer in mit Helium gefüllte Luftballons zu stecken und unter die Leute zu bringen. Tausende kleine Methoden, die Veränderungen in Denkprozessen bewirken und die Sicherheitsapparate verwirren. Wenn in Damaskus zur Geschäftszeit tausend Pingpong-Bälle durch die Einkaufsstraßen rollen, auf denen „Free Syria“ oder „Assad, tritt zurück“ geschrieben steht, dann haben die Sicherheitsapparate des Regimes darauf keine Antwort.

Es gibt allerdings den Hinweis im Film, dass zwischen gewaltlos und aggressiv unterschieden werden muss. Denn Aggression ist ja durchaus ein Teil dieser Aktivitäten.
Arman T. Riahi: Die Grenze der Gewaltlosigkeit lässt sich nicht so ganz klar ziehen. Manche vertreten die Auffassung, dass die Gewaltlosigkeit erst dort endet, wo ein Lebewesen zu Schaden kommt.

Arash T. Riahi: Was Femen manchmal macht, ist an der Grenze. Wenn Inna Shevchenko mit der Kettensäge ein Kreuz umsägt, dann betrachtet sie das nicht als gewalttätige Aktion. Für viele andere, die gläubig sind, ist es eine gewalttätige Aktion gegen ein Symbol. Sie betrachtet das Kreuz als Symbol von Gewalt und Religion als Verursacher von Kämpfen und Gewalttätigkeiten. Niemand kann hier eine eindeutige Grenze definieren. Eine der amerikanischen Aktivistinnen, Lisa Fithian, sagt, wenn es darum geht, neue Machtverhältnisse zu schaffen, dann kann es auch notwendig sein, in die Hallen der Macht einzubrechen. Dabei kann schon die eine oder andere Fensterscheibe zu Bruch gehen.

Arman T. Riahi: Wir wollten in unserem Film die Bandbreite zeigen: Es gibt den syrischen Aktivisten, der die Pingpong-Bälle wirft und es gibt Femen, die mit Aggression und Wut ihre Slogans rausschreien. Jede Protestkultur ist originär in ihrer Heimat verortet. Keine von ihnen kann exportiert oder importiert werden. Jede Bewegung entsteht aus kulturellen Begebenheiten. Femen entstand in der Ukraine aus dem Umstand heraus, dass viele junge Frauen Prostituierte sind, weil sie sonst keinerlei Möglichkeit haben, Geld zu verdienen. In Syrien entstand die Bewegung, weil junge Aktivisten, inspiriert vom Arabischen Frühling in Tunesien und Ägypten, begannen, Slogans auf Schulwände zu schreiben. In jedem Land stehen dem Protest andere Rahmenbedingungen gegenüber.

Arash T. Riahi: Es lag keineswegs in unserer Absicht, in allen Ländern die politischen Hintergründe zu erklären. Wir zeigen eine Art von Aktivismus, Taktiken, die einander beeinflussen und geben eine Art Anleitung, wie verschiedene Gruppierungen das machen. In New York geht es um organisatorische Fähigkeit, in Spanien darum, wie man durch den Auftritt einer großen Masse, Gesetze verändern, Menschen helfen kann. In Syrien geht es darum, wie man kleine Zeichen gegen das Regime setzen kann und trotz der herrschenden Gewalt weitermacht, weil man in Zukunft die Gesellschaft nicht den Gewalttätigen überlassen will. Bei Femen geht es um den Kampf gegen ein Patriarchat, Sexindustrie und Diktatur. Uns haben die vereinenden Elemente interessiert. Ein Film wie Everyday Rebellion, der kaleidoskopartig erzählt wird, eignet sich nicht dafür, im Detail auf politische Verhältnisse einzugehen.

Mir scheint der (erfolgreiche) gewaltlose Widerstand gegen wirtschaftliche und politische Umstände gar nicht so sehr das primäre Anliegen; was einen emotional durch den ganzen Film hindurch stark bewegt, ist die Kraft des Kollektiven, die geradezu physisch spürbar wird.
Arash: Ja, das ist gewiss der Fall und war uns auch ein Anliegen.

Etwas weiter oben wurden 1500 Stunden Material erwähnt. Wie darf man sich die Zeit der Montage vorstellen.
Arash T. Riahi: Wir haben zum Leidwesen unserer Kollegen von der Postproduktion immer mehr Material angeschleppt, bis an die 1500 Stunden da waren. Wir hatten zwei Cutter, Nela Märki und David Schwaiger, die parallel an verschiedenen Ländern gearbeitet und einmal grobe eineinhalbstündige Blöcke pro Land erstellten. Dann begannen wir, sie ineinander zu verweben. Manchmal haben wir zu viert an vier verschiedenen Computern geschnitten, Arman und ich haben uns eher um den iranischen Teil gekümmert. Unsere Arbeitsweise beruht auf einem Pingpong-Prinzip. Im optimalen Fall potenzieren unsere Ideen sich und es entsteht etwas Drittes, worauf keiner von uns alleine gekommen wäre.

Arma T. Riahi: „Potenzieren“ ist vielleicht nicht das richtige Wort. Idealerweise addiert es sich, wir haben oft schon zu viele Ideen für einen Film gehabt und dann muss man abwägen, was sinnvoll ist. Wir sind Brüder und arbeiten schon lange gemeinsam an kleineren Projekten, wir kennen uns sehr gut. Wenn wir nicht einer Meinung sind, dann müssen wir diskutieren und Argumente bringen. Es steht jedenfalls kein Ego zwischen uns, es will keiner unbedingt Recht haben, man versucht seinen Standpunkt zu verteidigen. Das Ideal ist ein besserer Film und nicht ein Kompromiss zwischen zwei Regisseuren. Die Riahi Brothers sind in Zukunft aber kein Muss. Wir werden Projekte gemeinsam und auch alleine machen.

Die Off-Stimme ist im Flüsterton gehalten. Ist es eine Einladung zur Konspiration? Soll der Film dadurch statt Informationscharakter eher einen stärkeren Aufforderungs- und Ermutigungscharakter erlangen?
Arman T. Riahi: Auf jeden Fall. Der Film ist ein Statement. Eine bewusste Entscheidung. Wir sind vom gewaltlosen Widerstand überzeugt, wir halten ihn in jeder Gesellschaftsform, die eine echte Demokratie sein will, für essentiell. Wir wollten zeigen, dass er funktioniert. Die gesprochenen Texte sind Zitate aus den diversen Manifesten, sie repräsentieren also nicht unsere Stimme. Durchs Flüstern kommt es zu einer Entfremdung und gleichzeitig hat es diesen konspirativen Touch, dass sich im Untergrund etwas anbahnt. Daher kommt die Stimme in erster Line zu Beginn vor, gegen die Mitte des Films hin dann weniger. Es geht darum, darauf hinzuweisen, da ist etwas im Entstehen, neue Bewegungen deklarieren sich. Sie fordern auf, aktiv zu sein im Prozess, die Menschenrechte zu wahren.

Arash T. Riahi: Da der Film episodenhaft ist und keine Zeit war zu erklären, worum es den einzelnen Bewegungen geht, haben wir in der Recherche ihre Manifeste angeschaut, und festgestellt, dass sich Teile davon eignen, klar zu machen, worum es geht. Daher verwendeten wir Passagen aus dem spanischen Manifest von M15 und der amerikanischen Occupy New York-Bewegung. Die Flüsterstimme war eine filmische Entscheidung: zum einen gegen ein Voice-Over von uns, zum anderen wollten wir vermeiden, dass der Film Fernsehcharakter erhält. Der Film ist ein Statement von uns, ohne unsere subjektive Wahrnehmung zum Ausdruck zu bringen. Wir kommen ja selbst aus einer Familie, die Probleme mit Diktaturen kannte. Das ist uns in die Wiege gelegt. Wichtig war uns, einfache Sachen zu zeigen. Auch westliche Leute, die nicht protestieren, können sich gegen das Schenken von Plastikpistolen wehren. In dieser einfachen Entscheidung liegt eine Veränderung. Unsere Eltern haben uns verboten, Plastikpistolen zu haben. Wir fanden es schön, diese Entscheidung in einem ganz normalen Akt des Einkaufens für Flüchtlingskinder wiederzufinden.

Interview: Karin Schiefer