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Ulrich Seidl dreht IMPORT EXPORT

Der letzte Winter war zu kalt und eindeutig zu lang. Selten herrschte darüber so breiter Konsens wie in diesem Jahr. Und doch gab's ein kleines Team von Filmleuten, für die das nicht enden wollende Nass und Grau ein wahrer Segen war. Nach der flimmernden Sommerhitze seiner Hundstage (2001) arbeitet Ulrich Seidl nun an seinem neuen Spielfilm Import/Export, einer Bewegung zweier Menschen zwischen Ost und West, die ausschließlich im Winter spielt.

 

Begonnen haben die Dreharbeiten dafür im Februar 2005, zu spät um alles in einem Winter abwickeln zu können, und so fügte es sich für Ulrich Seidls ausgiebige und intensive Arbeitsweise perfekt, dass sich die zweite kalte Saison als besonders hartnäckig erwies. Ende März, ein Nachdreh im Pavillon 1 des Geriatrischen Zentrums in Lainz: von Frühlingslicht ist keine Rede, dennoch sind die Fenster mit grauen Folien millimetergenau ausgeklebt. Novemberstimmung ist garantiert. Von außen wie von innen. Hinter den verschlossenen Sicherheitstüren der Abteilung tut sich nüchterner Stationsalltag auf, gedrückt von der Beschwerlichkeit der Gesten der Menschen, die hier ihr enges Dasein fristen und einem Gefühl von Endstation, das hier nicht wegzuweisen ist. Dort, wo sich der düstere Gang zum Aufenthaltsraum auftut, sind Sessel im Kreis aufgestellt, ergraute, betagte Damen und Herren im blassgelben Bettkittel wurden für eine kleinen Maskenball hergerichtet: mit roten Wangen oder Clownnasen, Katzenschnurrbart oder Geisha-Lippen, Tigerohren oder Teufelshörnchen, Hütchen oder Augenmasken. Ein Anblick, komisch und traurig zugleich, Lebendigkeit und ihre Endlichkeit könnten kaum dichter als in jenen alten Faschingsgesichtern abzulesen sein. Einer in der Runde verweigert sich dem bunten Firlefanz, als ihm Olga, die Protagonistin, von hinten ein Paar Hasenohren aufsetzt, reißt er sie wütend wieder vom Kopf. Auch wenn sie auf den ersten Blick nicht gerade dynamisch wirkt, so ist die maskierte Runde alles andere als einfach unter Kontrolle zu halten. Hertha mit den Tigerohren und der roten Nase ist eine Zappelliese, ständig auf der Suche nach Publikum, ständig in Bewegung, ständig am Plaudern, ob nun die Kamera läuft oder nicht.

"Komm Hertha, stell dich da her," der Regisseur nimmt sie in aller Ruhe an der Hand und platziert sie ins Geschehen. "Es war mir ganz wichtig," so Ulrich Seidl, "auf einer Geriatrie in einem lebendigen Set zu arbeiten. Ich wollte einerseits, dass alles, was zufällig passiert im Bild sein kann und gleichzeitig mit Schauspielern eine Handlung erzählen. Ich suche es, auf diesem Grat zu wandern, dem Grat zwischen genauer Vorbereitung und dem Offenbleiben für das Unvorhersehbare."

Weg nach Westen

Auch das geriatrische Spital rückte erst im Laufe der Dreharbeiten stärker in den Mittelpunkt. Ursprünglich war es nur als einer der Arbeitsplätze auf Olgas Weg in den Westen geplant, den sie bei einer Agentur für Internetsex beginnt, als Putzfrau bei einer österreichischen Familie fortsetzt, um schließlich beim Reinigungspersonal des Spitals unterzukommen. "Ich habe entdeckt", so Seidl, "dass ich mit diesem Krankenhaus einen Schauplatz habe, wo ich vieles sehr eindringlich erzählen kann, mit Patienten, die die authentischsten Darsteller sind". So wurden Nebenfiguren, die im Spital arbeiten, erst später ins Buch gefügt - u.a. Rollen für Georg Friedrich und Maria Hofstätter, die sich zwei Monate auf der Station vorbereitete, um ihre Handgriffe als Krankenschwester mit der nötigen Routine versehen zu können. Der Cast von Import/Export setzt sich wie in Hundstage aus einer Mischung aus Neulingen und Profis vor der Kamera zusammen. Die beiden Hauptrollen – Paul, der aus seinem Schulden- und Jobschlamassel heraus will und sich auf der Suche nach einer solideren Existenz von Wien in Richtung Osten begibt, sowie Olga, die aus ihrer tristen und prekären Lebenssituation in der Ostukraine in die Gegenrichtung aufbricht, sind mit Laien besetzt. Bis die beiden Hauptdarsteller – Paul Hoffmann und Ekatarina Rak – feststanden, hatten sich an die 1.500 Gesichter der Casting-Kamera gestellt. "Ich wollte," so der Filmemacher, "eine Darstellerin, die noch nie im Westen war und die für den Film wirklich zum ersten Mal in den Westen kommt. Bei Ukrainierinnen, die hier leben, war ihr Neu-Sein im Westen nicht mehr so spürbar." Als Ekatarina Rak in einer südukrainischen Kleinstadt entdeckt wurde, sprach sie weder ein Wort Englisch noch Deutsch und musste lange von der Seriosität des Projekts überzeugt werden, umso mehr, als zwar ein erzählerischer Bogen, aber kein detailliert ausgeschriebenes Drehbuch existierte.
 

Fiktion und Wirklichkeit

Spontan echte Dinge einfließen zu lassen, die Fiktion in dokumentarische Situationen zu betten, ist wesentlicher Bestandteil von Seidls Arbeitsweise, Gelegenheiten dazu gab es in Import/Export durch zahlreiche Drehs an öffentlichen Orten – ob am Arbeitsamt, am Markt oder in Spitälern – jede Menge. Als in der Kinderstation eines ukrainischen Krankenhauses gedreht wurde, war Ekaterina Rak zwar ins Kostüm einer Krankenschwester geschlüpft, das gesamte Setting inklusive der gefilmten Szene ein Ausschnitt aus der täglichen Spitalsroutine. "Auf solche Momente habe ich gewartet," so Ulrich Seidl, "und dann Katja ins Geschehen eingefügt." Die Fotografie gestalten bei Import/Export diesmal zwei Kameraleute - Hundstage-Kameramann Wolfgang Thaler führte die Kamera, das Licht arrangierte ein erfahrener Mann aus Hollywood - Ed Lachman, der Seidls Arbeiten anlässlich seiner Personale bei der Viennale 04 entdeckt hatte. Der amerikanische Kameramann (Far From Heaven, The Virgin Suicides) stieg spontan auf Seidls Vorschlag ein, zu (technisch wie finanziell) österreichischen Bedingungen am neuen Projekt mitzuarbeiten. "Für mich war das eine tolle Erfahrung," so Seidl, "und ich habe das Gefühl, es war für beide Kameraleute eine befruchtende Arbeit. Ich glaube, dass dieser Film anders ausschauen wird, als meine bisherigen."

Anders als alle vorangegangenen Filme hat der Filmemacher das 2,1 Millionen Euro-Projekt auch erstmals als sein eigener Produzent getragen und sich der Doppelbelastung der künstlerischen und finanziellen Verantwortung gestellt. Langwierige Verhandlungen um Drehgenehmigungen, eine verspätete Finanzierung und die wetterbedingten Drehvorgaben machten Import/Export zum Langzeitunternehmen, das sich in einem äußerst knappen budgetären Rahmen bewegen musste. "Ich bin froh", resümiert Ulrich Seidl, "diesen Schritt gemacht zu haben. Ich erspare mir dadurch vielerlei Probleme und in Streitfällen war immer der Regisseur der Sieger. Aber es ist kein Honiglecken."

Nicht nur was das Ausmaß der Recherche und Vorarbeiten vor allem in Osteuropa angeht, übertrifft das neue Filmprojekt alle übrigen, auch das Drehmaterial hat eine neue Rekordmarke von achtzig Stunden erreicht. Cutter Christof Schertenleib arbeitet bereits am Kondensat, das, wenn alles wunschgemäß verläuft, im Frühling 2007 zu sehen sein wird.

 

Karin Schiefer
2006