INTERVIEW

«Wie schauen die Leute, wenn man ans Licht kommt?»

Mit Barbara Alberts Licht produziert die NGF Geyrhalterfilm ihren Spielfilm Nr. 4 und stellt sich dem Wien des ausgehenden Rokoko. Maria Theresia Paradis, musikalisches Wunderkind, das mit drei sein Augenlicht verlor, erweckte das Interesse des Wiener Hofes und den Ehrgeiz des Dr. Mesmer. Licht kreist um dessen Bemühungen, Resis Sehkraft wiederzubeleben und um das Oszillieren der begabten jungen Frau zwischen Licht und Schatten ihrer eigenen und der gesellschaftlichen Wahrnehmung.  Ein Gespräch mit dem Produzenten Michael Kitzberger.



Die letzten Drehtage von Licht finden gerade im Schloss Hetzendorf statt, wo die Eröffnungsszene gedreht wird. Man sieht hier ziemlich viele Damen und Herren in historischen Gewändern in den Gängen. Womit eröffnet Barbara Alberts Licht? Es scheint auch ein an Komparsen intensiver Drehtag zu sein.
 
MICHAEL KITZBERGER: In dieser Eröffnungsszene von Licht wird die 17-jährige blinde Maria Theresia Paradis von ihren Eltern in einem Wiener Salon der Gesellschaft vorgeführt, zum einen als Pianistin und musikalisches Wunderkind, zum anderen in einem Menuett-Tanz mit ihrem Vater, den die Mutter mit ihr einstudiert hatte. Dieses Leistung-Vorzeigen war es, was das Leben von Resi, wie sie im Film heißt, in ihrer Kindheit sehr stark geprägt hat. Ihr Nicht-Sehen wurde von den Eltern gesellschaftlich durch ihre Leistung kompensiert (das Leistungsdenken ist nur  einer der vielen Aspekte des Film, die in die Gegenwart verweisen). An diesen Drehtagen hatten wir die meisten Komparsen im Einsatz, weil das Fest im Salon entsprechend ‚belebt’ sein sollte. Bei Rokoko und viel Liebe zum Detail bedeutet das, dass wir auch hinter der Kamera an diesen Tagen ein großes Team mit zusätzlichen Garderobieren und Maskenbildnerinnen hatten.
 
 
Barbara Albert ist eine Regisseurin, die man mit der coop99 filmproduktion assoziiert, wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
 
MICHAEL KITZBERGER: Alissa Walsers Roman Am Anfang war die Nacht Musik, der die Geschichte von Franz Anton Mesmer und Maria Theresia Paradis thematisiert, hat Barbara Albert beeindruckt und sie hat die Verfilmung optioniert. Sie hat das Buch gemeinsam mit Ursula Wolschlager und Robert Buchschwenter bei Witcraft Szenario entwickelt, die Kathrin Resetarits als Drehbuchautorin mit an Bord geholt haben. Witcraft ist mit dem Stoff an die NGF Geyrhalterfilm im Dezember 2013 herangetreten – wir haben das Buch dramaturgisch für die erste Einreichung zur Herstellungsfinanzierung im April 2014 mitbetreut und das Projekt danach vollständig übernommen. Mit Barbara verbindet uns bereits aus unser aller Anfänge im Film eine Freundschaft. Dazu kommt, denke ich, dass Barbara gerne einmal ‚nur’ als Regisseurin arbeiten wollte, ohne auch Produktionsagenden mitdenken zu müssen.
Da Barbara nun schon länger in Berlin lebt, und weil Franz Anton Mesmer Deutscher war und Paradis u.a. später in Berlin konzertiert hatte, war Deutschland eine ‚natürliche’ Koproduktionsoption (die ja durch die Budgetgröße notwendig war). Unsere Zusammenarbeit mit LOOKS Filmproduktionen geht auf ein Treffen mit Martina Haubrich in Cannes 2013 zurück. Damals war Michael Kohlhaas im Wettbewerb von Cannes, für LOOKS der erste Spielfilm, nachdem sie bis dahin ausschließlich Dokumentarfilme produziert hatten. Hier gab es eine interessante Ähnlichkeit zu unserer Firmengeschichte (mit unseren ersten beiden Spielfilmen, Der Räuber und Michael, in den Wettbewerben von Berlin und Cannes). Wir haben dann festgestellt, dass wir eine filmische Vision teilen, und so war LOOKS auch meine erste Wahl, als wir für Licht einen Koproduktionspartner gesucht haben. Martina war sofort begeistert und entsprechend engagiert.
 
 
Licht ist nach Der Räuber, Michael und Anfang 80 der vierte Kino-Spielfilm der NGF Geyrhalterfilm. Wie reiht sich dieses Projekt in euer kleines, feines Fiction-Portfolio?
 
MICHAEL KITZBERGER: Wenn wir einen Spielfilm produzieren, dann muss uns das Buch, der Stoff in seiner Nachhaltigkeit überzeugen und die Handschrift der Regie interessieren. Das war bei diesem Projekt absolut gegeben. Uns gefiel die erste, noch sehr lange, Drehbuchfassung von Kathrin Resetarits schon sehr, und vor allem die Möglichkeit, mit Barbara Albert zusammenzuarbeiten, die wir als Filmautorin sehr schätzen. Die Themen des Films haben uns als gegenwärtig und gesellschaftlich relevant angesprochen, auch wenn sie in der Historie angesiedelt sind. Dass es sich um einen Kostümfilm handelt, stand für uns gar nicht im Vordergrund; war dann aber eine spannende neue Herausforderung, bei der wir sehr viel gelernt haben.
 
 
Sobald eine andere Epoche den Rahmen eines Films bildet, haftet dem Projekt der Nimbus des Großen und Teuren an. Wie groß war nun in der Tat produktionstechnisch der Schritt im Vergleich zu den bisherigen?
 
MICHAEL KITZBERGER: Licht war als Historienfilm natürlich budgetär ein großer Schritt, schien uns aber in seiner Konzentration auf vor allem einen Ort nach einer ersten Einschätzung noch in unserem Rahmen machbar – wir haben uns intern eine Budgetobergrenze von rund 5 Mio Euro für Produktionen gesetzt. Einen Film über dieses Budget hinaus zu produzieren, erfordert für uns (zu) viele Kompromisse, bedingt durch die Länder- und Regional-Effekte, die dabei erzielt werden müssen, da die Zahl der nötigen Förderer steigt, und mindestens ein drittes oder sogar viertes Koproduktionsland dazukommen muss. Da wären wir dann auch zu sehr mit Finanzierung und „Producer’s Sport“, wie ich das Navigieren durch Exceltabellen und Länder/Regional-Effekte nenne, beschäftigt, als mit der inhaltlichen und kreativ-produktionellen Begleitung eines Projekts, wo unser Hauptinteresse und unsere Leidenschaft liegt.
Die Finanzierung in Österreich ging sehr rasch voran, auf deutscher Seite dauerte es allerdings aufgrund von Sendersuche viel länger, und dann wurde uns zwar von allen angefragten deutschen Förderstellen Geld zugesagt, aber aufgrund der auch dort engen budgetären Situation jeweils mit Kürzungen. In der Zwischenzeit war die Zusagefrist für die österreichischen Zusagen schon fast abgelaufen. Wir haben dann noch Eurimages-Förderung bekommen und standen schließlich mit finanzierten 4,4 Mio Gesamtbudget vor der Entscheidung: Weiteres Geld aufstellen, was allerdings bedeutet hätte, in Österreich nochmal neu einreichen zu müssen und uns ein drittes Koproduktionsland zu suchen (mit oben beschrieben Konsequenzen) – was die Dreharbeiten um Monate, wenn nicht Jahre verzögert hätte; oder aber das Buch nochmal zu verdichten und mit dem vorhandenen Budget und daraus resultierenden 30 Drehtagen auszukommen. Wir haben uns gemeinsam mit Barbara für dieses Wagnis entschlossen. Und das gesamte Team hat an einem Strang gezogen, um diesen Low-Budget-Rokokofilm zu stemmen.


Historische Filme sind abseits der Kosten immer auch eine schöne Herausforderung an Ausstattung, Kostüm, Maske. Was hat sich da in der Vorbereitung der Rokoko-Atmosphären getan?
 
MICHAEL KITZBERGER: Ein schöner Zufall war, dass sich Alissa Walsers Roman als ein Lieblingsbuch von Katharina Wöppermann, der Wunschkandidatin von Barbara als Ausstatterin, herausstellte. Sie ist ja als akribische Sucherin, Finderin und Erfinderin bekannt, und hier hatte sie die Möglichkeit, nach historischen Anleihen einzelne Räume eines erfundenen Mesmerschen Universums im Studio zu bauen, als auch in verschiedenen Schlössern in Niederösterreich, Wien und Tschechien die weiteren Teile dieses Universums zu ergänzen – ein Palais wie das Mesmersche, das ursprünglich im heutigen 3. Bezirk in Wien stand, gibt es ja so nicht mehr. Die Kostüme wurden, wie in allen Filmen von Barbara bisher, von Veronika Albert gestaltet, für die Licht aber die erste historische Arbeit fürs Kino ist, in die sie sich mit Verve gestürzt hat. Sie ist viel gereist, hat historisch recherchiert und gemeinsam mit Ausstattung und Regie sehr eng am Farbkonzept gearbeitet, sich auf diese sehr farb- und musterstarke Zeit intensiv eingelassen. Sehr wichtig gerade noch im Rokoko (bevor sie dann aus der Mode kamen und sehr reduziert wurden) waren Perücken – und daher das Maskenbild ein wesentliches Element im Film, für das Helene Lang, die u.a. durch Das finstere Tal und zuletzt vor allem Maximilian von Andreas Prochaska schon filmhistorische Erfahrung gesammelt hatte, mit Akribie verantwortlich zeichnete. Historisch wurden die Perücken damals sehr oft mit dem Eigenhaar zu voluminösen Haarkreationen verwoben – die meisten Perücken wurden von Helene und ihrem Team daher extra für die Schauspielerköpfe entwickelt und geknüpft, und es hat dann auch für die großen Rollen jeweils 60 bis 120 Minuten gedauert, um sie in der Maske drehfertig zu machen. Das Ergebnis ist beeindruckend! Das Ganze muss dann natürlich entsprechend ins Licht gesetzt werden – und hier haben Kamerafrau Christine A. Maier (in ihrer ersten Wieder-Zusammenarbeit mit Barbara seit Nordrand) und ihr Team, sowie das Licht-Team unter Christoph Dehmel-Osterloh als Oberbeleuchter Phänomenales (im besten mehrfachen Wortsinn) geleistet!
 
 
Das Drehbuch von Licht beruht auf dem Roman von Alissa Walser Am Anfang war die Nacht Musik. Ist das Projekt eine Adaptierung des Romans oder vielmehr eine filmische Annäherung an die Biografie von Maria Teresia Paradis.
 
MICHAEL KITZBERGER: Im Vorspann des Films wird es heißen: „Frei nach dem Roman von Alissa Walser und historischen Begebenheiten“. Der Roman von Alissa Walser hat einen starken Stil, der Barbara sehr angesprochen hat. Er war der Ausgangspunkt, aber Kathrin Resetarits hat dann für ihre Drehbucharbeit sehr intensives Quellenstudium betrieben, viele Briefe, Schriften, Dokumente aus dieser und Sekundärliteratur über diese Epoche gelesen, sich auch mit der Dienstbotenschicht beschäftigt. Das sind Facetten, die Walsers Roman weniger anspricht. Die Kombination aus Roman, historischen Begebenheiten, einem sehr eigenständigen Drehbuch,  und Barbara Albert als einer Regie-Autorin, die das Buch für die Regiefassung auch nochmal verdichtet hat, macht eine ganz eigene Qualität dieses Projekts aus. Was die Biografie von Maria Theresia Paradis betrifft, behandelt der Film ja nur knapp ein Jahr ihre langen Lebens, 1777, als 17-jährige in der Mesmerschen Heilanstalt. Wir erzählen ‚nur’ die auf vielen Ebenen sehr bedeutsame Geschichte ihrer kurzzeitigen Heilung, also des Wieder-Sehen-Lernens, nachdem sie im Alter von drei Jahren plötzlich erblindet war. Es geht in diesem Film sehr viel um das Sehen und das Gesehen-Werden, um die Frage, wie auf einen geschaut wird, wenn man ans Licht kommt. Was kann Licht im Sinne von Aufklärung und im weiteren Sinne von Freiheit sein? Kann es auch eine Form von Freiheit sein, wenn man durch eine Einschränkung auch gesellschaftlichen Konventionen und Anforderungen, einem gesellschaftlichen Druck entkommen kann?
 
 
Maria-Theresia Paradis war eine Zeitgenossin von Haydn und Mozart, absolvierte selbst als Pianistin eine Europa-Tournee und ist heute quasi in Vergessenheit. Deutlicher in der Sphäre des Gesehen-Werdens blieben eindeutig ihre männlichen Kollegen.
 
MICHAEL KITZBERGER: Paradis war neben ihrer Pianisten-Tätigkeit in ihrem weiteren Leben auch als Komponistin sehr produktiv: Es gab von ihr neben vielen Klavier- und Kammermusikstücken auch Lied- und Bühnenwerke, von denen die meisten verloren gegangen sind; auch Aufnahmen der existierenden Werke gibt es fast keine. Eine beeindruckende Klavier-Fantasie von ihr haben wir für den Film neu aufgenommen, quasi als Ausblick auf ihr weiteres Leben. Es gab zu jener Zeit aber auch noch andere Komponistinnen, die wie Paradis zumindest außerhalb von Musikkreisen vergessen wurden – weil sie eine schwächere ‚Lobby’ hatten, man ihnen weniger zutraute als ihren männlichen Kollegen, sie viel schwieriger Konzert- bzw Verbreitungsmöglichkeiten fanden. Das hat sich ja in vielen kreativen und anderen gesellschaftlichen Bereichen bis heute noch nicht sehr verändert.
Licht setzt dem einen Fokus auf spannende Frauenfiguren entgegen – neben Maria Resi Paradis und anderen Vertreterinnen der Adels- und Bürgergesellschaft auch Dienstbotinnen, wie Agi, ihre Kammerzofe, und die Köchin des Hauses und ihr Umfeld, dargestellt von unseren wunderbaren Darstellerinnen Maria Dragus, Maresi Riegner, Katja Kolm, Stefanie Reinsperger, Johanna Orsini-Rosenberg, Grete Tiesel u.v.a. (denen wunderbare Darsteller wie Devid Striesow, Lukas Miko, Christian Strasser, Hermann Scheideleder u.v.a. zur Seite standen). Und eröffnet damit viele Anknüpfungspunkte an und Identifikationsmöglichkeiten mit Fragestellungen der Gegenwart.


Interview: Karin Schiefer
Mai 2016
«Wir haben uns gemeinsam mit Barbara für dieses Wagnis entschlossen. Und das gesamte Team hat an einem Strang gezogen, um diesen Low-Budget-Rokokofilm zu stemmen.»