INTERVIEW

«Die Zeit um 1810 war ganz schön wild und bunt und farbig.»

«Henriette Vogel hat für mich so diese ganz bestimmte Art von Eigenwilligkeit, die Jessicas Frauenfiguren zugrunde liegt.»  Katharina Wöppermann (Setdesign) und Tanja Hausner (Kostüm) über AMOUR FOU von Jessica Hausner


Jessica Hausners Amour Fou versetzt uns in die Epoche von Heinrich von Kleist. Wann und wo spielt die Handlung des Films?
Tanja Hausner: Die Geschichte spielt im Berlin der Jahre 1810/11, wo Heinrich von Kleist und Henriette Vogel gelebt haben. Die Handlung spielt in der Stadt – Henriettes Wohnung befand sich am heutigen Gendarmenmarkt – aber auch am Land.

Was bedeutet stilistisch gesprochen diese Epoche in Architektur/Innenausstattung, in den Kostümen?
Katharina Wöppermann: Stilistisch bedeutet das Empire und geht dann langsam ins Biedermeier.
Tanja Hausner: Bei den Kostümen bedeutet es eine ganz typische Linie mit einer nach oben gesetzten Taille, eher fließende, einfache Schnitte mit kleinen Ärmeln. Als Antwort aufs Rokoko wird eine gewisse Einfachheit spürbar. Nach den auftürmenden Reifröcken kommt nun eine Schlichtheit und Natürlichkeit ins Spiel.

Wie geht man an die Arbeit für einen Epochenfilm heran? Archive? Bücher? Filme?
Katharina Wöppermann: Ja, in erster Linie Bücher wälzen, für den Anfang kann man im Internet recherchieren, ich verlasse mich dann aber gerne auf Bücher. Man tauscht sich natürlich untereinander aus, Jessica Hausner hatte auch schon sehr intensiv recherchiert und hat uns Tipps gegeben. Wichtig sind auch kulturhistorische Beschreibungen von Verhaltensweisen und -regeln, es ist für uns auch wichtig, für die sozialen Komponenten dieser historischen Gesellschaft ein Gefühl zu bekommen. Bilder allein reichen nicht aus, man muss auch die Zusammenhänge erfassen. Wenn man sich das Terrain erarbeitet hat, dann kann man in der visuellen Umsetzung wieder freier und lockerer werden. Egal, welche Epoche man darzustellen versucht, es ist immer eine Interpretation der Wirklichkeit, das möchte ich sehr betonen. Die wahre Darstellung eines historischen Moments gibt es nicht. Jede Haupttendenz hat auch ihre Abschweifungen. Ich finde, dass das Biedermeier und auch die Zeit davor sehr farbkräftig und mutig waren. Ich hatte es mir dezenter vorgestellt und man neigt prinzipiell dazu, historische Dinge abzutönen und zu schattieren. In Wirklichkeit waren Muster und kräftige Farben gang und gäbe, ein Umstand, der Jessica auch für die Kostüme sehr wichtig war.

Tanja Hausner: Sie wollte weg vom Pride & Prejudice-Stil.

War es im Zuge der Recherche auch notwendig zu reisen?
Tanja Hausner: Wir haben in Berlin viel in der Bibliothek recherchiert, es musste ja eine zusätzliche preußische Note hineinspielen. Die Kostüme durften nicht zu französisch oder zu englisch ausschauen. London hat sich ergeben, weil wir alle Fundus durchforstet haben, wo aus dieser Epoche etwas zu finden war, da wir ja auch Komparsen auszustatten hatten. Wir stießen auf einen großartigen Fundus namens Sands in London, wo wir dann auch alles anfertigen ließen. Das ist eine kleine, reizende Firma, wo man sich in ein anderes Jahrhundert versetzt fühlt, sobald man sie betreten hat – übrigens jene Firma, die Pride and Prejudice ausgestattet hat. Ich bin dort auch der Kostümbildnerin Sandy Powell begegnet, die ich unheimlich bewundere – sie hat z.B. die Kostüme für Orlando oder Shakespeare in Love gemacht hat.

Entstand bei den Kostümen eine Mischung aus gefundenen und extra angefertigten Kostümen?
Tanja Hausner: Letztendlich haben wir sehr viel angefertigt. Haupt- und einige Nebenfiguren wurden angefertigt, weil man dadurch den eigenen Stil viel besser verfolgen kann. Jessica ist jemand, die es nicht so schätzt, wenn etwas nach Theaterfundus aussieht, sie mag es, wenn etwas eine gewisse „Poppigkeit“ hat. Wir standen also vor der Frage, ob die Kostüme aus dem Fundus mit den neu gemachten vereinbar waren, die mussten aber dann auch in ihrer Farbigkeit etwas aufgemotzt werden, damit es farblich eine stimmige Sache wird. Die Londoner Werkstätten hatten einfach eine fabelhafte Technik. Schon beim Anziehen im Fundus habe ich festgestellt, dass vieles ganz anders geschnitten ist. Die haben das einfach drauf und machen sehr viel handgenäht. Es gibt dort keine Nähmaschinen-Steppnähte, was im Film, wo man so genau schaut, einfach einen Unterschied macht.

Wie findet man die Materialien, auch jene für Vorhänge, Tapeten, Teppiche ...
Tanja Hausner: Bei den Stoffen durfte alles nur Naturfaser sein. Wir waren sogar in Lyon bei einem sehr interessanten Stoffhändler, der nicht nur auf alte Lyonneser Seiden spezialisiert war. Wir haben ganz schön viele Reisen unternommen, um besondere Dinge aufzutreiben.

Katharina Wöppermann: In der Ausstattung brauchen wir riesige Mengen, d.h. da konnten wir nicht mit exquisiten Stoffen arbeiten. Es gibt ein paar Quellen, wo man ausleihen kann. Was die Tapeten anbelangt, habe ich schon im frühen Vorfeld recherchiert und von einer Firma gewusst, die im Siebdruckverfahren aus verschiedensten Epochen historische Tapeten nachdruckt, wo die Farbe sehr satt ist und von deren großartigem Katalog man sich sehr gut inspirieren lassen konnte. Man konnte aufgrund der Muster genau zuordnen, aus welcher Gegend die Tapete stammte. Unsere Innen-Locations waren im Wesentlichen Studiobauten, die wir in Luxemburg aufgebaut haben. Das war die Wohnung von Henriette Vogel und ihrer Familie, das Zimmer Heinrichs und ein Salon, über den der Einstieg in den Film erfolgt. Der Studiobau war für mich natürlich besonders reizvoll. Wir legten Dielenböden statt Parkettböden und – was damals durchaus üblich war – ziemlich grelle Spannteppiche. Das waren Elemente, auf die Jessica große Lust hatte. Wir waren immer darum bemüht, dass es historisch fundiert und richtig ist, haben aber innerhalb dieses Rahmens ausgekostet, was es da an experimentellen Möglichkeiten und Lösungen gibt. Die Dreharbeiten in Luxemburg dauerten vier Wochen. Die Außenaufnahmen machten wir dann in Potsdam, dort war es einfacher als in Berlin, ein Gefühl für den Ort zu erzeugen. Die Drehs in Österreich, die nur einen kleinen Teil ausmachten, fanden in diversen Schlössern und Parks statt.

War alles im gleichen sozialen Milieu auszustatten?
Katharina Wöppermann: Nein, das kann man so nicht sagen. Das Haus der Familie Vogel war ein gutbürgerliches Haus, dann gab es den Salon Massow bei einer Tante von Heinrich von Kleist, sie war eine adelige Dame, die in einem Stadtpalais gelebt hat. Dafür haben wir eine eher abstrakte Lösung gefunden. Das Zimmer Heinrichs sollte klar machen, dass er sich finanziell in sehr beengten Verhältnissen befand. Es gibt also durchaus Abstufungen.

In welchem Verhältnis standen die Innen- und Außenaufnahmen?
Katharina Wöppermann: Es gibt mehr Innenaufnahmen. Das historische Ambiente ist leichter in den Griff zu kriegen, aber natürlich will man ja auch Außen, Luft, Umraum und Stadt spüren, das ist mit unseren begrenzten finanziellen Mitteln nur schwer möglich. Jede Straße, auch wenn sie noch so sorgfältig historisch renoviert wird, hat dennoch hunderte zeitgenössische „Feinde“ und man müsste unheimlich viel machen, um sie authentisch hinzukriegen. Ein Außenteil spielt im Berliner Tierpark, der damals noch ein wenig anders aussah, aber im Grunde eine Art Landschaftspark war. Das gibt dem Ganzen Raum und lässt die vergehende Zeit spüren. Die Handlung spielt ja innerhalb eines guten Jahres. Deshalb müssen wir mit einem Drehtag auch noch bis Herbst warten.

Der beharrliche Winter dieses Jahr ist euren Dreharbeiten wohl nicht sehr entgegengekommen?
Katharina Wöppermann: Nein, das war für den Dreh in Berlin sehr problematisch. Den Frühling haben wir nur sehr knapp erwischt, weil die Vegetation so spät dran war. Und wir hatten gehofft, dass wir im März den Herbst als blätterlose Novembertage erzählen können. Dazu gab es aber viel zu viel Schnee. Drei der Berliner Drehtage mussten ausgelagert werden und konnten erst eine gute Woche später nachgeholt werden.

Inwiefern ist es eine Gratwanderung, die reizvolle Aufgabe des Kostümfilms mit relativ knappen budgetären Mitteln zu vereinen?
Tanja Hausner: Ja, das ist keine einfache Aufgabe. Bei einem historischen Film kostet alles gleich viel mehr und bei den Kostümen bedeutet es immer gleich, dass alles von Kopf bis Fuß stimmen muss und man es deshalb ausborgen oder anfertigen muss. Man kann niemandem sagen – „Bring deine eigenen schwarzen Schuhe mit“.

Braucht es besonders viel Kreativität, nach Lösungen zu suchen, die beide Faktoren – Kosten und Authentizität – vereinen?
Katharina Wöppermann: Man denkt beide Prämissen ständig mit. Zunächst kalkuliert man und versucht dabei, dass die Dinge gut ausschauen und dennoch machbar sind. Dabei ist man stets im Zwiespalt: Gewisse Dinge muss man ermöglichen und bei manchen Dingen muss man aus Kostengründen einbremsen. Solche Grenzen sind natürlich eine Herausforderung, ich würde aber lügen zu sagen, ich hätte es nicht gerne auch mit dem doppelten Budget gemacht.

Tanja Hausner: Ich hätte auch Henriette gerne jeden Tag ein anderes Kleid angezogen.

Katharina Wöppermann: Wir sind es aber auch gewohnt, mit Beschränkungen umgehen zu müssen, das gehört zu unserer Arbeit. Ich glaube nicht, dass man mehr Kreativität einsetzt, um gute Lösungen zu finden, man hat sich diese Situation als Bestandteil der Arbeit zu eigen gemacht.

Wie kann man sich den Ablauf von Recherche, Zusammenarbeit mit Regie und dann Umsetzung vorstellen?
Tanja Hausner: Auf der Basis von Bildern kann man am besten sprechen und die Funde aus der Recherche einmal durchgehen. Dann zeichne ich und gehe damit zu verschiedenen Fundus und Kostümwerkstätten, um zunächst Kostenvoranschläge einzuholen. Dann stellt sich die Frage, wer es am schönsten und kostengünstigsten macht, von gewissen Dingen gehe ich auch nicht ab. Mich hat es sehr überrascht, dass das Anfertigen in London nicht teurer war als hier, allerdings wesentlich schöner. Das war ein Highlight in der Recherche, über den Tellerrand zu schauen und herauszufinden, wie man es woanders macht.

Katharina Wöppermann: Bei den Möbeln sucht man zunächst Vorlagen. Die müssen dann gefunden werden, in erster Linie in diversen Fundus - Berlin, Prag, Paris, München, Wien. Wir haben uns überall die Sachen rausgepickt. Der Austausch mit Jessica begann schon sehr früh, da das Projekt eigentlich letztes Jahr hätte beginnen sollen. Ich entwickelte dann das Modell, dann folgen die technischen Zeichnungen. Jeder weitere Schritt erfolgt aber erst nach einem abgleichenden Dialog. Wichtig ist auch der Dialog mit Martin Gschlacht, dem Kameramann, der bei den Räumen und den Auflösungen ein sehr wichtiger Gesprächspartner ist. Parallel dazu laufen die praktischen Vorbereitungsarbeiten: Team zusammenstellen, Kalkulation, Quellen zusammenstellen, wo man etwas besorgen bzw. anfertigen lassen kann, Skizzen und Zeichnungen dafür machen. Der Wahl der Lampen ging eine lange Phase der Entscheidungsfindung voran. Es gab 1810 weder Petroleum- noch Gaslichter, sondern nur Kerzen und Öllampen. In den Fundus sind nur sehr wenige Lampen zu finden, Öllampen sind sehr schwer zu betreiben. Wir überlegten auch, es mit künstlichem Licht zu lösen, kamen dann wieder davon ab, weil wir doch echtes Kerzen- oder Öllampenlicht bevorzugten. Das waren sehr langwierige Prozesse, wo wir mit Licht und Kamera Tests drehten, auf der Leinwand begutachtet haben, wie es wirkt, bevor wir eine Entscheidung trafen. Das sind alles so „Nebengeräusche“, die da passieren.

In welchen Momenten ist die Zusammenarbeit mit der Regisseurin am intensivsten?
Tanja Hausner: Es ist immer intensiv. Sie legt bis zur letzten Minute auf alle Details ein großes Augenmerk. Oft wird auch noch am Set gefeilt, obwohl sie im Vorfeld schon sehr entschieden sagen kann, wie sie etwas will. Das kann nicht jeder. Jessica hat eine sehr sichere Meinung.

Katharina Wöppermann: Jessica ist gewiss jemand, der unsere Arbeit sehr stark prägt, weil es ihr auch ein Anliegen ist, unsere Arbeit und die Umsetzung aus nächster Nähe zu verfolgen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt verläuft die Zusammenarbeit durchgehend, da kann man nicht sagen, wann es intensiver ist. Es ist ein ständiges Abgleichen.
 
 
Wird es in Amour Fou wie auch in Lourdes wieder einen ganz klaren Look geben, der den Film bestimmt?
Tanja Hausner: Ja, das kann man eindeutig bejahen. Klarer Look, das war das Ziel und daher rührte auch Jessicas Befürchtung, dass das etwas „Abgeranzte“ der Fundus-Kostüme nicht so gut kommen könnte, weil es die Klarheit aufweichen könnte.
 
Ändert die Präsenz der Schauspieler noch einmal vieles?
Tanja Hausner: Ja. Ein entscheidender Moment ist die Anprobe. Bei Christian Friedel, dem Darsteller des Heinrich, haben wir unter den Fundus-Jacken verschiedenste Schnitte ausprobiert und plötzlich sieht man ihn in etwas, das genau stimmt, obwohl man davor noch keine so konkrete Vorstellung hatte. Das Modell haben wir dann in seiner Größe, in anderen Farben und Stoffen für ihn nähen lassen. Es war mit ihm ein gemeinsames Finden seines Looks. Bei Henriette war es ähnlich, weil wir so feststellen konnten, was ihr besonders gut passte.  
 
Wurden auch die Möbel extra angefertigt?
Katharina Wöppermann: Nein. Wir haben ein paar kleinere Sachen machen lassen, ansonsten würde alles noch aufwändiger und teurer werden. Man muss eigentlich von Fundus-Beständen ausgehen. Vereinzelt kauft man etwas von Antiquitäten-Händlern oder man borgt dort etwas aus. Im Großen und Ganzen ist es eine Fundus-Sache. Man muss Bilder finden, dann Lampen. Dafür haben wir in Frankreich einen Sammler aufgetrieben, der vom Keller bis zum Dachboden alle Schränke mit Petroleum- und Öllampen voll hatte. Er hat uns ein paar zur Verfügung gestellt. Da es so genaue Vorstellungen von der historischen Authentizität her, aber auch vom Licht her gab, haben wir auch Luster gebaut, weil es sie so nicht gegeben hat. Eine knappe Woche vor Drehbeginn passiert dann die Abnahme gemeinsam mit Jessica. Da haben wir dann teilweise die Möbel noch ein bisschen anders aufgestellt oder noch reduziert. Die Grundtendenz war, möglichst klare Bilder zu schaffen, man sollte den Eindruck haben, da wohnen Menschen, aber nichts sollte zu vollgefüllt sein, sondern alles seinen präzisen Platz haben.
 
Ist es reizvoller, einen Kostümfilm zu machen als einen, der in der Gegenwart spielt?
Tanja Hausner: Aus der Perspektive des Kostüms betrachtet, ist es insofern reizvoll, als das Kostüm plötzlich Beachtung findet. Bei zeitgenössischen Filmen fällt nie auf, welche Gestaltungsarbeit dahinter steckt. Für mich sind auch zeitgenössische Filme eine Herausforderung, gerade, wenn es einem gelingt, eine gewisse Stilisierung reinzubringen und gleichzeitig dabei echt zu bleiben.
 
Katharina Wöppermann: Ich glaube, das Interessante an historischen Kostümen ist, dass man die Leute von Kopf bis Fuß gestalten muss, das ist etwas, das bei zeitgenössischen Kostümen eher vernachlässigt wird, obwohl man es genauso machen müsste.
 
Tanja Hausner: Dem möchte ich jetzt widersprechen, das Problem ist, dass es niemand merkt.  
 
Katharina Wöppermann: Bei historischen Geschichten ist es klar, dass man diese Welt nachgestalten muss. In zeitgenössischen Geschichten sehe ich die Herausforderung darin, dass man mit genauer Aufmerksamkeit und bewusstem Gestalten eine heutige Zeit darstellen will. Auch das ist, auch wenn es weniger offensichtlich ist, wieder eine Interpretation. Jede zeitgenössische Realität ist eine individuelle Wahrnehmung. Wenn man es schafft, einen Stil daraus zu bilden, dann ist etwas gelungen. Ich meine damit nicht, dass Ausstattung oder Kostüm sich permanent in den Vordergrund drängen sollen, aber einen Aspekt sollte man herausstreichen. Wenn es für 1810 möglich ist, dann ist es ebenso spannend, es für 2013 zu tun.
 
Welchen besonderen Aspekt galt es für 1810 herauszuarbeiten?
Katharina Wöppermann: Dass es ganz schön wild und bunt und farbig war und dass dies durch eine Lebendigkeit zum Ausdruck kommt und es keine entfärbte Ästhetik gibt.  
 
Tanja Hausner: Wir haben viel Gelb und Rot, ich habe mich interessanterweise eher von Renaissance-und Barockbildern für das Jahr 1810 inspirieren lassen. Zu den ersten Bildern, die Jessica gesammelt hat, zählten z.B. Bilder von Vermeer. Es waren Inspirationsbilder mit einer klaren, kräftigen  Farbigkeit, die dennoch etwas Kostümhistorisches in sich hatten.
 
Warum war diese Zeit eurer Meinung nach bunt und wild?
Katharina Wöppermann: Ich denke, es war bereits der heraufkommende Vormärz, Einflüsse aus der Französischen Revolution, die im Film auch diskutiert werden. Umbrüche in der preußischen Verwaltung und Steuergesetzgebung, die im Film zum Teil dialogisch abgehandelt werden. Das hat Jessica wie en passant sehr schön herausgearbeitet. Wie verhalten sich die Etablierten und der Adel zu diesen massiven Umwälzungen? Heute ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, dass alle Steuern zahlen, aber klarerweise haben sie sich damals darüber aufgeregt. Das Bürgertum gewinnt immer mehr an Bedeutung, das kann man an der Wohnung von Herrn Vogel, Henriettes Mann, ablesen, der ein wichtiger Beamter im Preußischen Dienst war und eine gewisse gesellschaftliche Position hatte, dennoch gab es einen Hochadel, zu dem er keinen Zutritt hatte. Diese Gegebenheiten schwingen alle mit und Kostüm und Ausstattung können zeigen, dass da vielmehr vom Bürgertum als vom Adel etwas salopp gesagt, „Trends gesetzt“ wurden. Das hat sich angekündigt und immer mehr fortgesetzt.
 
Wie charakterisiert ihr die beiden Hauptfiguren?
Tanja Hausner: Wenn ich’s jetzt eher negativ formuliere – einer der manipuliert und eine, die sich manipulieren lässt. Es erzählt von zwei Menschen, die aneinander vorbeihoffen und -lieben.
 
Tragen sie durch ihre Kleider ihr Wesen nach außen?
Tanja Hausner: Ja, finde ich schon. Henriette hat etwas bescheiden Natürliches, Mädchenhaftes.
 
Katharina Wöppermann: Das stimmt, das ist ein Aspekt. Ich sehe aber noch etwas anderes in ihr. Sie willigt ja zunächst nicht in Heinrichs Vorschlag ein, gemeinsam Selbstmord zu begehen, à la longue aber doch, auch wenn der Grund dafür darin zu suchen ist, dass sie annimmt, sterbenskrank zu sein. Sie hat für mich diese ganz bestimmte Art von Eigenwilligkeit, die Jessicas Frauenfiguren zugrunde liegt. Sie liegt so unter der Oberfläche begraben, selbst bei diesen Feenwesen merkt man eine gewisse Eigenwilligkeit. Durch die Entdeckung ihrer Krankheit und die Gespräche mit Heinrich gewinnt sie ein differenzierteres Bild von ihrem Dasein. Man darf sich keine „Nora im Puppenheim“ vorstellen, denn ihre Familie hat durchaus etwas Positives. Sie beginnt einfach, selbständiger zu denken. Heinrich, so wie er gezeichnet wird, ist eine sehr schrullige Person, die auch etwas Selbstmitleidiges hat. Er ist ein sehr kritischer Geist, bis zu einem gewissen Grad faszinierend, weil er so sensibel ist und die Welt um sich so stark empfindet, dass er es kaum ertragen kann. Das kann man als außerordentliche Sensibilität, aber auch als eine etwas übertriebene Wehleidigkeit betrachten. Er ist jemand, der zeit seines Lebens nie die ersehnte Anerkennung gekriegt hat. Was aber noch unbedingt betont werden muss, das ist wie immer bei Jessicas Filmen eine gute Portion Humor. Es schwingt Jessicas eigenwilliger, trockener, um nicht zu sagen etwas boshafter Humor mit und macht das Ganze auch amüsant.
 
Interview: Karin Schiefer
April 2013
 
 
«Egal, welche Epoche man darzustellen versucht, es ist immer eine Interpretation der Wirklichkeit. Die wahre Darstellung eines historischen Moments gibt es nicht.» Katharina Wöppermann