INTERVIEW

Jessica Hausner über LOURDES

«Weder versetzt der Glaube Berge noch führt eine bestimmte Zahl von Bädern zu einer göttlichen Fügung. Ich wollte vermeiden, dass es eine Logik, eine zufriedenstellende Erklärung für das Wunder gibt.»  Jessica Hausner im Gespräch über Lourdes.


In einem Regiestatement sagen Sie, Lourdes ist ein grausames Märchen, ein Tagtraum, ein Albtraum...  Wie immer man Lourdes interpretiert, es ist eine dem Alltag entrückte Erzählung.  War die Welt des Irrationalen, des Wunderglaubens, der Traumwelten –  ein bestimmender Aspekt, der Sie an die Thematik dieses dritten Langspielfilms geführt hat?
Jessica Hausner: Genau genommen müsste man so sagen: es hat mich auch das Thema des Wunderglaubens zu diesem Film hingetrieben, jedoch weniger der Glaube ans Wunder selbst,  als vielmehr die Hoffnung, dass irgendetwas im Leben eintreten kann, das die Karten völlig neu mischt. Besonders in einer schwierigen Lebenssituation hofft man, dass sich alles zum Guten wendet. Das Wunder ist nur eine extreme Ausdrucksform dieser Hoffnung. Lourdes als Schauplatz ist dafür sehr beispielhaft, der Film ist natürlich eine Parabel. Der Film spielt zwar in Lourdes und handelt von kranken und gelähmten Menschen, die hoffen, dass ein Wunder geschehen wird, er handelt aber natürlich auch von jedem von uns, auch wenn wir jetzt nicht im Rollstuhl sitzen. Jeder von uns trägt ein nicht ganz erklärtes, unterschwelliges Hoffen mit sich herum. Man lebt und versucht, dem Leben einen Sinn und ein Glück abzugewinnen und ignoriert die Tatsache, dass es zu Ende gehen wird.

Es geht im Film um die prinzipielle Frage nach dem Sinn, um die Frage nach dem Sinn des Seins, wenn der Körper nicht die Kräfte besitzt, ein volles Sein leben zu können, um die unerschütterliche Hoffnung auf Besserung. Ist der Wallfahrtsort Lourdes für Sie die Metapher, in der all diese Konnotationen am dichtesten vertreten sind?
Jessica Hausner: Am Ort Lourdes hat mich interessiert, dass dort allen Ernstes behauptet wird, dass dort Wunder passieren und als solche erklärt werden. Es gibt dort ein Ärztebüro, das die Fälle untersucht und damit eine wissenschaftliche Grundlage schafft. Dann gibt es Kriterien, die man als Wunder-Geheilter erfüllen muss, um auch noch von der Kirche anerkannt zu werden. Ich fand diesen Widerspruch so interessant, ein irrationales, seltsames Ereignis erklären zu wollen.  Zum Aspekt der Frage, dass ein Leben mit einer Krankheit oder einer Behinderung kein Dasein in seiner ganzen Fülle ist, hatte ich interessante Begegnungen bei meinen Recherchen: Ich hatte sehr viel Kontakt mit MS-Selbsthilfe-Gruppen, d.h. mit Leuten, die mit einer Krankheit konfrontiert sind, die fortschreitet und die einen zwingt, der Endlichkeit in einer anderen Weise entgegenzublicken. Das hat zur Folge, dass diese Menschen teilweise viel wacher mit ihrem Leben umgehen. Da haben mir einige Menschen sehr viel Respekt eingeflößt, weil ich erkennen musste, dass die Tatsache, ob man nun gelähmt ist oder nicht, nicht unbedingt grundsätzlich über die Qualität des Lebens, das man führt, entscheidet. Das ist sehr heikel, aber die Wahrheit ist da sehr differenziert.

Ging es Ihnen auch darum, das Thema Religion bzw. eine Form der Auslegung von Religion – nämlich ihren Aspekt des Irrationalen – zu thematisieren? 
Jessica Hausner: Das ist interessant formuliert, denn da fällt mir wieder ein, dass ich im Zuge meiner Recherchen auch Bibelgleichnisse gelesen und sehr viele paradoxe, irrationale Geschichten gefunden habe. Es geht darin keineswegs darum, zu demonstrieren, dass man nur viel beten muss, um geheilt zu werden. Was in der Bibel erzählt wird, ist oft viel seltsamer. Da will einer gar nicht geheilt werden und wird geheilt oder Jesus macht ungerechte, unlogische Dinge. Es geht vielmehr darum, zu akzeptieren, dass da etwas Ominöses, Paradoxes existiert, das teilweise ungerecht, jedenfalls übermächtig ist, dem man sich nicht entziehen kann und das man anerkennen muss. Das ist die Perspektive, die mich an der Religion interessiert, diese Auseinandersetzung mit der Übermacht, die offensichtlich nicht unbedingt das Ziel verfolgt, mich zu schützen, mir zu helfen und darauf zu schauen, dass alles gut wird. Darum geht es ganz offensichtlich nicht.

Lourdes spielt sehr viel in Innenräumen, in geschlossenen Räumen. In die Natur gelangt man erst, nachdem das Wunder eingetreten ist, und auch dann ist es eine abschüssige, bedrohliche Natur. Wie haben Sie das Universum dieser Pilgerreise entstehen lassen?
Jessica Hausner: Ich habe selbst drei oder vier dieser Pilgerreisen nach Lourdes mitgemacht, als ich zu erwägen begann, den Film dort spielen zu lassen. Ich war zunächst mal schockiert, so viele kranke Menschen an einem Ort anzutreffen und dieser erste Eindruck hat mich zunächst davon abgebracht, weil ich fürchtete, der Film könnte ins Sozialdrama abgleiten. Ich hatte das Gefühl, dass ich visuell keinen Weg finde, auf die Parabel-Ebene zu gelangen. Dann machte ich noch bei einer Pilgerreise des Malteser Ritterordens mit, und das brachte plötzlich auch einen gesellschaftlichen Aspekt ein, der mich interessiert hat. Und diese originellen Uniformen waren mir unglaublich hilfreich, um eine ästhetische und eine ironische Ebene zu finden.  Die Malteser sind ein Orden, wo Leute aus einer höheren Gesellschaftsschicht aus einer adelig-katholischen Gesinnung heraus karitative Tätigkeiten verüben. Es entsteht da ein interessanter Kontrast, wo feine Damen mit Perlenkette Menschen im Rollstuhl schieben, die am Rande der Gesellschaft sind und von der Sozialhilfe abhängen und ein einsames Dasein in Armut fristen. Abgesehen von den philosophischen Themen von Glück und Hoffnung geht es in Lourdes auch um den gesellschaftlichen Aspekt im Sinne der Frage – was ist meine Rolle in der Gesellschaft? Wo finde ich meinen Platz und die Anerkennung, die dazu gehört? Was muss ich dafür tun? Christine, die da im Rollstuhl sitzt, ist eine Zwischengängerin, die weder dort noch da hingehört.

Wie haben Sie den Ort selbst - die Basilika, die Grotte etc. – bei diesen Pilgerfahrten erlebt?
Jessica Hausner:  Die Pilgerreisen, die ich mitgemacht habe, dauern im Prinzip fünf Tage und was man im Film sieht, ist das Programm einer Pilgerreise. Als ich begann, das Drehbuch zu schreiben, war meine Idee, eine zeitliche Struktur zu finden und an irgendeiner Stelle im Verlauf dieser täglichen Wiederholungen - Gesänge, beten, an Prozessionen teilnehmen, Bäder nehmen, zu den Kerzen gehen - das Wunder passieren zu lassen. Dafür habe ich genau den Ablauf einer Pilgerreise in der Geschichte wiederholt.

Das Ambiente selbst all der Innenräume ist sehr nüchtern, sehr reduziert, eigentlich recht freudlos und trostlos.
Jessica Hausner: Ich glaube, das hat bei mir auch mit einer gewissen Distanz zur Erzählung zu tun, die mir grundsätzlich wichtig war. Mein Interesse, meine Sympathien gehören der Hauptfigur und meine Distanz zu ihr hat auch etwas Brutales. Meine Erzählhaltung u.a. mit diesem Ambiente erzählt auch davon, wie sie sich so fühlt. Es ist tatsächlich niemand da, der sie auffangen würde. Im Film erzählt diese Ferne, diese Kälte auch von dem Gefühl, dass man letztlich allein in der Welt ist.

Die Gruppe der Pilgernden abgesehen von Christine, würde ich als eine recht verbissene Schar bezeichnen, die wenig von offener Christlichkeit verkörpert. Bildet die Gruppe eine Art Gegenpol zu Christine?
Jessica Hausner: Auch nicht wirklich, denn Christine ist ja auch nicht "rein". Sie fährt ja auch nur auf der Pilgerreise mit, weil sie sonst keine Gelegenheit hätte, rauszukommen und am Ende weiß sie auch nicht, was sie über diese Heilung denken soll. Sie fragt den Priester "Macht es jetzt was aus, dass ich keine Erleuchtung gehabt hab"? Sie ist davon weit weg, eine innere Erleuchtung zu empfinden.  Es geht um die Diskrepanz, was macht die Gesellschaft aus mir und wie soll ich sein und wer bin ich sonst noch. Das bringt der Charakter von Cecile am deutlichsten zum Vorschein, sie lebt eigentlich nur für das große Andere, für den Überbau. Christine hingegen steht für mich für dieses komische Unkraut, das aus der Reihe tanzt, aus nichts heraus, aus einem pragmatischen Wunsch, wieder gehen zu können und nicht aufgrund einer Erleuchtung plötzlich aufsteht und geht und obendrein noch den Mann bekommt.

Geht es Ihnen auch darum, einen kritischen Blick auf diese Leute und das, was sie verkörpern, zu werfen?
Jessica Hausner: Ich glaube, es hat mit meiner ambivalenten Haltung zu tun, das Schicksal zu beschreiben, das ich für ungnädig halte. Es gibt Momente des Glücks, der Caritas, der Aufopferung oder die Tatsache, dass ein Mensch gut ist. Gleichzeitig ist das unglaublich changierend, es braucht sich nur ein Umstand leicht ändern und alles ist schon wieder anders. Das versuche ich auch zu erzählen: da ist jemand durch ein Wunder geheilt worden, aber nein, es passt schon wieder jemandem nicht. Die Leute sind neidisch, nicht ganz zu unrecht, weil sie sich die berechtigte Frage stellen, warum Christine und nicht jemand anderer? Es ist ungerecht, denn Cécile, die als einzige ihre Aufmerksamkeit den guten Taten gewidmet hat, ist genau die, die sterben muss.  Cécile wirkt am Anfang unsympathisch. Als man aber entdeckt, dass sie krank ist, kann man das noch einmal anders sehen. Es geht mir um die zwei Gesichter und auch um die Ambivalenz in den Menschen - heute bist du geheilt und morgen bist du krank, heute ist er freundlich und karitativ, morgen zerreißt er sich das Maul. Heute ist einer aggressiv und morgen erkennst du, er konnte nicht anders.

Christine haben Sie als Zwischengängerin bezeichnet, wie würden Sie Ihre Hauptfigur charakterisieren?
Jessica Hausner: Es war relativ schwierig über das Drehbuch und auch beim Inszenieren, zu vermitteln, wer diese Christine eigentlich sein soll, weil ich absichtlich vermieden habe, ihr beim Schreiben des Drehbuchs einen Drall zu geben. Es war mir sehr wichtig, klar zu machen, dass hier weder die Kraft der Liebe im Spiel ist noch die der Autosuggestion. Weder versetzt der Glaube Berge noch führt eine bestimmte Zahl von Bädern zu einer göttlichen Fügung. Ich wollte vermeiden, dass es eine Logik, eine zufriedenstellende Erklärung für das Wunder gibt. Das war nicht einfach. Eine weitere Variante wäre gewesen, dass eine Nicht-Gläubige geheilt wird und sich deshalb bekehrt - das wollte ich auch nicht. Das hat viele Diskussionen ausgelöst. Sylvie Testud, die Darstellerin der Christine, hat das sehr gut verstanden. Sie transportiert diese ironische Ebene, dass einer, der nicht glaubt, geheilt wird und deshalb erst recht nicht gläubig wird, sondern nur hofft, dass die Heilung anhält. Sie hat den pragmatischen Witz dahinter sehr gut verstanden. Am Ende bei ihrer Rede sucht Christine nach Worten und bemüht sich, das zu sagen, was man gerne hören würde. Man merkt gleichzeitig, dass sie keine Ahnung hat, was sie dazu sagen soll.

Ein Element, das im Laufe des Films auffällt, ist die Bedeutung der Gesten, der Rituale, das Haptische.
Jessica Hausner: Ja, vor allem das Rituelle, das System dahinter. Das deshalb, weil ich immer versuche, das Individuum als Teil des größeren Ganzen zu sehen. Die Malteserin ist nicht nur eine Frau namens Cécile, sie hat auch einen Job, eine Aufgabe, deshalb trägt sie eine Uniform. Uniformen spielten auch in meinen anderen Filmen eine Rolle, weil sie eine Rolle in der Gesellschaft definieren. Wer soll ich sein und ? im Gegensatz dazu - wer möchte ich sein oder wer bin ich sonst noch? Das hat viel mit den Gesten oder auch mit dem Eindruck zu tun, dass sie in gewisser Weise wie ferngesteuert spielen. Alles scheint durchkomponiert und man stellt sich aber die Frage, wer bricht denn da mal aus oder wo kommt da eine individuelle Änderung in den ganzen Ablauf hinein? Man wartet darauf.

Die filmische Sprache besteht aus langen, oft fixen, immer hochpräzisen Einstellungen. Grundsätzlich fallen mir zur Art wie die Bilder komponiert sind, zwei Stichwörter ein – Choreografie und Geometrie.
Jessica Hausner: Ja, das sehe ich unbedingt so. Das rührt daher, dass ich die Charaktere immer im Kontrast zu dem sehe, was ihre Aufgabe, ihre Verpflichtung ist. Ich empfinde diese Personen sehr stark wie in einem Schachspiel, was ist ihre Funktion in diesem Ablauf? Die Frage nach der Persönlichkeit ist ein Thema, das mich mehr und mehr interessiert. Da muss ich oft an das Ibsen-Beispiel mit der Zwiebel denken: dass man von einer Persönlichkeit Schicht für Schicht freilegen kann, weil sie aus lauter Schalen besteht, aber drinnen ist dann nichts mehr. Das Individuum verflüchtigt sich, weil es aus Aspekten und verschiedensten auch Scheinexistenzen besteht, die sich in einer Existenz zusammentun.

Die präzise Bildsprache hat auch eine sehr reduzierte Farbigkeit. Wie haben Sie mit dem Kameramann des Films, Martin Gschlacht, das "Aussehen" des Filmes erarbeitet?
Jessica Hausner: Ich versuche grundsätzlich am Anfang auch in den Besprechungen mit Martin Gschlacht herauszufinden, welche Farbigkeit bzw. welches Licht so ein Film haben kann. Lourdes ist ein Ort mit viel Blau und Grau, die Uniformen  sind rot und weiß und schwarz. Ich suche natürlich in der Anfangsphase nach Situationen, die die Farbigkeit des Films definieren könnten. Uniformen kommen bei mir immer wieder vor, um die Strukturierung visuell machen zu können. In meinen Gesprächen mit Martin war klar, dass wir uns auf ein paar Farben reduzieren wollen, damit ein Gesamteindruck entsteht.  Ähnlich wie bei der Auflösung, die sehr oft choregrafisch wirkt, ist auch die Farbigkeit der Versuch einer Stilisierung.

Der Film behandelt ein pietätvolles und heikles Thema und dabei tritt, oft völlig unerwartet, ein subversiver Humor zutage. Ein Element, das man aus Ihren bisherigen Arbeiten weniger gekannt hat.
Jessica Hausner: Ja, ich glaube auch, dass der Humor diesmal präsenter ist als in den früheren Filmen. Ich hab auch viel an Jacques Tati gedacht. Es ist vielleicht auch eine Genrefrage. Hotel hat sich ans Mystery-Genre angelehnt und Lourdes, wenn er sich überhaupt wo anlehnt, tut das am ehesten an leichten, schwarzen Komödien, die aber trotzdem versuchen, von den letzten Dingen zu sprechen.

Der Film behandelt ein pietätvolles und heikles Thema und dabei tritt, oft völlig unerwartet, ein subversiver Humor zutage. Ein Element, das man aus Ihren bisherigen Arbeiten weniger gekannt hat.
Jessica Hausner: Ja, ich glaube auch, dass der Humor diesmal präsenter ist als in den früheren Filmen. Ich hab auch viel an Jacques Tati gedacht. Es ist vielleicht auch eine Genrefrage. Hotel hat sich ans Mystery-Genre angelehnt und Lourdes, wenn er sich überhaupt wo anlehnt, tut das am ehesten an leichten, schwarzen Komödien, die aber trotzdem versuchen, von den letzten Dingen zu sprechen.

Lourdes ist ein Film, der in zwei Sprachen gedreht worden ist, wobei die Hauptrollen mit den französischen Darstellern Sylvie Testud, Bruno Todeschini und Léa Seydoux besetzt sind. Wie kam es zu dieser zweisprachigen Koproduktion?
Jessica Hausner: Lourdes ist der Pilgerort, an dem Wunderheilungen passieren, daraus hat es sich ergeben, dass der Film dort spielen wird. Es war für mich auch ein Abenteuer, das ich eingehen wollte. Es war geradezu hilfreich, in einer fremden Sprache zu drehen, da es für mich leichter war, eine Distanz zu dem, was geschieht, herzustellen. Das war mir angenehm und hilfreich. Und sicherlich hat es auch mit einer Affinität zum französischen Kino zu tun und auch zu den Schauspielern. Ich bin von Sylvie Testud sehr begeistert, allein wie sie mit ihrem Körper die Behinderung darstellt.

Wie haben Sie zu Sylvie Testud als Darstellerin von Christine gefunden?
Jessica Hausner: Es war ab einem gewissen Moment klar, dass der Hauptcast rund um die Protagonistin französisch sein würde, damit auch ein Zusammenhalt in der Geschichte entsteht.
Wie es manchmal passiert, hab' ich ganz am Anfang an Sylvie Testud gedacht, dann hab' ich beim Casting Valeria Bruni-Tedeschi kennen gelernt. Es hat dann lange so ausgesehen, dass sie die Rolle spielen würde, was für mich auch sehr toll und aufregend gewesen wäre. Sie hat letztlich aber abgesagt und plötzlich entstand da ein Loch, weil vieles um sie herum besetzt war.  Ich dachte dann wieder an Sylvie, wir haben sie erreicht und es hat sich dann alles sehr schnell ergeben und es war offensichtlich, dass sie die Richtige dafür ist.

Was hat es bedeutet, in zwei Sprachen Regie zu führen?
Jessica Hausner: Eigentlich war das recht lustig. Ich hab mit den französischen Schauspielern teilweise auch Englisch gesprochen und es gibt wenige Dialoge, wo beide Sprachen zusammengekommen sind. Beim Drehen ging alles sehr glatt. Die Schwierigkeiten tauchten erst in der Postproduktion, d.h. in der Synchronisation auf, als es galt, die beiden Sprachen auf gleich zu bringen. Es hat mich überwältigt, wie schwierig das war und zu erkennen, was so ein O-Ton eigentlich bedeutet. Da merkt man erst, wie toll und untrügerisch eine Stimme ist.

Wenn Sie sagen, es gibt sicherlich auch eine Affinität zum französischen Kino, die mitgespielt hat, was macht diese Affinität aus?
Jessica Hausner: Es hatte wirklich viel damit zu tun, dass die fremde Sprache für mich fast so etwas wie ein Stilmittel ist. Aus meiner Sicht heraus erleichtert es mir zu sehen, was ich tue. Die fremde Sprache ist eine Art Kostüm. Und was mich sehr beeindruckt hat, war die hohe Qualität des Schauspiels. Es gibt eine Menge Schauspieler, die ausdrücklich Filmschauspieler sind, die sehr genau wissen, wie man in einem Film spielt. Bruno Todeschini war jemand, der immer gefragt hat, wie groß sein Bild ist, immer geschaut hat, wo die Kamera war, aus welcher Perspektive ist er im Bild ist. Er hat sich genau danach gerichtet, das war toll. Ich habe einfach gemerkt, wie sensibilisiert sie für diese Art des Schauspiels sind, auch dafür, nichts zu übertreiben, im Gegenteil. Das war auch mit Sylvie so beglückend. Wenn es geheißen hat, ein bisschen forscher und frecher oder da ein bisschen trauriger, dann hat sie sofort diese winzigen Nuancen umgesetzt, ohne dass es je aufgesetzt wirkte.

In allen drei Langfilmen liegt ein gewisser Fokus auf einer weiblichen Hauptfigur. Wenn man jetzt einen Bogen spannen würde von Irene in Hotel zu Christine in Lourdes, worin würden Sie eine Entwicklung, einen Unterschied zwischen beiden Figuren ansetzen?
Jessica Hausner: Sicherlich darin, dass Irene quasi noch in ihrem "Rollstuhl" sitzen geblieben ist, während Christine aus dem Rollstuhl aufsteht und geht. Das ist vom Gefühl her der Unterschied zu meinem vorigen Film, der eigentlich davon handelt, dass jemand untergeht. Irene ist eine Person, die in der Falle sitzt und nicht entkommen kann und sich quasi diesem Schicksal zu Verfügung stellt. Während Christine in Lourdes vielleicht auch unbedarfter und cooler ist, ihr gelingt es jedenfalls, wenn auch nur für ganz kurze Zeit,  sich das zu holen, was sie haben wollte.

Interview: Karin Schiefer
September 2009