«Mein Ziel ist es, eine universelle, emotional begreifbare Vater-Sohn-Geschichte zu haben, die ein Milieu nicht von außen,
sondern von innen her beschreibt. »Umut Dağ über seine aktuellen Dreharbeiten.
Können Sie kurz die Geschichte umreißen, die Ihr zweiter Spielfilm, Risse im Beton, zum Inhalt hat?
UMUT DAĞ: Es geht um eine Vater-Sohn-Beziehung, die nicht gleich am Anfang als solche begreifbar ist, sondern sich erst langsam entspinnt.
Der Vater kommt nach zehn Jahren aus dem Gefängnis, der Sohn bewegt sich in einem ähnlichen Milieu wie der Vater in seiner
Jugend. Der Vater versucht dem Jungen zu helfen, ohne dass dieser kapiert, dass dieser Mann sein Vater ist und es ihm nicht
sagen will. Das ist der Grundplot. Beide Protagonisten haben aber ihre eigenen Geschichten. Der Sohn verfolgt den Traum vom
Geldverdienen mit seiner Rap-Musik und lebt in den Tag hinein. Er pfeift auf Schule, Lehrer etc. und versucht mit Drogen-Dealen
und Rap-Musik irgendwie seine Zukunft zu gestalten. Ertan, der Vater, hat mit seinem Bruder und seiner Mutter, zu denen er
ein sehr schwieriges Verhältnis hat, sein eigenes Gepäck zu tragen und damit zu kämpfen. Wir haben eigentlich zwei parallele
Geschichten mit vielen Nebenfiguren, die ihre eigenen Geschichten haben. Die Vater-Sohn-Geschichte bildet den Kern. Rundherum
entsteht ein sehr komplexes Netz, wo alles – so ist unsere Idealvorstellung – ineinandergreift. Wir werden sehen, ob es sich
so realisieren lässt. Mein Ziel ist es, eine universelle, emotional begreifbare Vater-Sohn-Geschichte zu haben, die ein Milieu
nicht von außen, sondern von innen her beschreibt.
Haben Sie das Drehbuch wieder gemeinsam mit Petra Ladinigg entwickelt?
UMUT DAĞ: Wir haben die Geschichte gemeinsam entwickelt, Petra hat geschrieben, wir haben gemeinsam redigiert. Ich werde dieses Mal
in Hinblick auf die Zukunft von Petra und mir nicht mehr in den Credits als Drehbuchautor aufscheinen, weil ich mich nicht
als Autor verstehe, sondern vielmehr als Dramaturg und Entwickler.
Wer sind die beiden Hauptdarsteller?
UMUT DAĞ: Den Vater spielt Murathan Muslu, der in Papa die Hauptrolle gespielt hat und in Kuma die Rolle des Hasan. Der Darsteller des
Sohnes ist Alechan Tagaev, ein 16-jähriger, aus Tschetschenien stammender Junge von der Straße. Ihn haben wir in einer langen
Suche aus mehreren hundert Jugendlichen für die Rolle des Milan gecastet.
Wie geht man aus der Erfahrung des ersten Spielfilms in den zweiten heran? Ist Ihnen die Erfahrung, die Sie mit Kuma gemacht
haben, hilfreich?
UMUT DAĞ: Risse im Beton ist kein einfacher Dreh. Wir haben dieses Mal mehr Laien als das letzte Mal. Wir hatten bei Kuma zwei wunderbare professionelle
Schauspielerinnen als Hauptdarstellerinnen, die den Film getragen haben. Sie waren so gut, dass ich nur noch ein wenig lenkend
zur Seite stand. Mit nicht-professionellen Darstellern haben wir in Kuma nur die Nebenfiguren besetzt. Murathan Muslu ist
nach den beiden Rollen, die er in meinen Filmen gespielt hat, kein Laie mehr, dennoch hat er keine klassische Schauspielausbildung,
sondern macht alles aus dem Bauch heraus. Unter den 16-Jährigen habe ich lauter Talente, zum Glück extrem gute, tolle Talente,
dennoch sind sie unberechenbar. Es sind keine Kids aus einem bürgerlichen Bezirk, die wir ein bisschen auf „harte Jungs“ umstylen,
es sind ganz einfach harte Jungs, die ihre Vorstrafen haben, die von etlichen Schulen rausgeflogen sind. Sie sind so wie sie
sind, haben ihren Ehrenkodex und ihr eigenes Verständnis von Respekt und Disziplin. Das sind unberechenbare Faktoren. Für
die Nebendarsteller haben wir Laien, aber auch ein paar Schauspiel-Profis und man muss in so einem gemischten Ensemble sehr
aufpassen, dass es nicht sichtbar wird. Das in Kombination mit meinem Drehstil, damit meine ich, dass ich auflöse, Close-ups
habe, in die Emotionen reinschneiden will, nicht in Plansequenzen drehen oder in Halbtotalen auflösen will, macht die Sache
extrem schwierig, weil wir sehr viel wiederholen müssen und zwar nicht ein, zwei Mal, sondern einen Tag lang. Das ist hart.
Das Endergebnis sollte diesen Aufwand und Stress wert sein, denn ich bin überzeugt so kann ich die Thematik aus der Klischeefalle
heraushalten.
Der Dreh beinhaltet ein Rap-Konzert, bei dem dokumentarisch gedreht wird, Sie arbeiten vorwiegend mit Laien. Kann man sagen,
dass Sie bei diesem Dreh trotz der Auflösungen näher an der Realität drehen als in Kuma?
UMUT DAĞ: Die Frage impliziert, dass ich das vorher nicht war. Ich tu mir schwer, diese Frage zu bejahen, weil es bedeuten würde, dass
ich es in der Vergangenheit nicht gemacht habe, was nicht der Fall ist. Für Kuma habe ich bewusst einen anderen Stil gewählt, weil ich dem Film aufgrund seines Inhalts eine andere Form geben wollte. Die
Geschichte hatte etwas Sensibles, das ich nicht mit einer dokumentarischen Härte brechen wollte. Risse im Beton spielt in einem sehr harten Milieu, wo ich es als falsch erachten würde, wollte ich das jetzt glattbügeln. Ich sehe darin
auch meine Herausforderung, dass der harte, dokumentarische Charakter auch dem Inhalt gerecht wird. Das soll Hand in Hand
gehen.
Welche Rolle spielt dieses Rap-Konzert innerhalb der Geschichte?
UMUT DAĞ: Die Geschichte des Jungen beruht darauf, dass er selbst Rap-Musik macht. Milan hofft, dass ihm dieses Konzert eines bekannten
deutschen Rappers Gelegenheit bietet, ihm sein Tape zu übergeben. Der Junge glaubt an sich und seine Musik, er glaubt, dass
er es schaffen muss, auf dieses Konzert zu kommen. Beim Konzert läuft es dann nicht so, wie er es sich vorgestellt hat und
das Kartenhaus, das er sich in Gedanken gebaut hat, bricht zusammen. Das Konzert ist ein Höhepunkt für ihn und für den Film.
Wir drehen mit einem Original-Rapper, Azad, der auch ein paar Spielszenen hat, wo er sich selber spielen muss. Wir hoffen
sehr, dass wir mit einem realen Publikum drehen können, das wegen des Konzerts dort ist und nicht mit Komparsen. Wir wissen
noch nicht, was auf uns zukommt, es wird gewiss kein leichtes Abenteuer. Es macht den ganzen Film aus, dass wir uns in einem
Mischfeld zwischen Dokumentarischem und Spielfilm bewegen. Den Begriff „dokumentarisch“ möchte ich nicht überstrapazieren,
es ist nicht so, dass wir einfach nur die Kamera draufhalten. Es ist gestaltet. Ich sehe mich da eher in einer Tradition von
Mike Leigh oder Jacques Audiard. Alles hat eine eindeutige Sprache, die nicht zufällig entstehen darf.
Drehbeginn war im März. Wider Erwarten hat der Frühling in diesem Jahr nicht und nicht einsetzen wollen. Waren die untypischen
Witterungsbedingungen ein erschwerender Faktor?
UMUT DAĞ: Das war nur gut für uns. Wir standen schon sehr unter Druck, da wir zum Dreh keinen tiefen Winter, aber dennoch die Kargheit
des Winters brauchten und befürchteten eher, dass wir zu spät begonnen hätten. Hätte alles schnell zu blühen begonnen, hätten
wir echt ein Problem gehabt. Wir gehören zu den wenigen, die hoffen, dass auch in den kommen zwei Wochen noch keine Blüten
austreiben, der Film kann dabei nur gewinnen.
Interview: Karin Schiefer
April 2013