INTERVIEW

«Don’t argue, listen!»

Nicht nur für Susanne Brandstätter gab es am 9.11.2016 ein unschönes Erwachen. Wie viele andere auch, wollte sie sich früh morgens Hillary Clintons Siegeszahlen anschauen und musste feststellen, dass sich das Land ihrer Herkunft für Donald Trump als 58. US-Präsidenten entschieden hatte. Zur Vereidigung zwei Monate später war die Filmemacherin bereits im Swing-State Ohio, um die Euphorie unter den Trump-Wähler*innen einzufangen und deren Motive zu erkunden. This Land Is My Land ist ein Film, der zuhört.  



Donald Trump wurde im November 2016 zum US Präsidenten gewählt. Im Januar pünktlich zur Amtsübernahme waren Sie in den USA, um mit den Dreharbeiten zu Ihrem Film This Land Is My Land zu beginnen. Was hat dieses Wahlergebnis bei Ihnen als gebürtige Amerikanerin ausgelöst, dass Sie so spontan reagiert haben?

SUSANNE BRANDSTÄTTER:
Wie so viele andere Leute auch, bin ich davon ausgegangen, dass Hillary Clinton gewinnen würde und bin am Tag nach der Wahl sehr früh aufgestanden, um mir die Zahlen anzuschauen.  Und dann… Ich war völlig schockiert und wollte meinen Augen nicht trauen. Dieser Schockzustand hat eine Weile angehalten, weil ich nicht verstehen konnte, was da in dem Land, aus dem ich komme, passiert war. Ich habe in der Folgezeit mit vielen Freunden gesprochen und einer meinte: „Susanne, du bist als gebürtige Amerikanerin, die schon so lange in Österreich lebt, die richtige Person, um einen Film darüber zu machen.“ Ich habe mein ganzes Erwachsenen-Leben in Europa verbracht. Und je mehr ich nachdachte, umso einleuchtender war es für mich, dass ich diesen Film machen musste, um zu verstehen, was da passiert war. Fest stand, dass ich sofort aufbrechen musste, um bei der Vereidigung schon drehen zu können. Ich wollte die Euphorie, die zu Trumps Amtsantritt herrschte, festhalten. Ich wusste, es würden historische Momente sein, die sonst für immer verloren wären. Ich hatte das Glück, dass es sich machen ließ, nicht zuletzt mit einem Team, das mich toll unterstützt hat.


Ohio war das Ziel Ihrer Reise. Warum haben Sie diesen Bundesstaat ausgewählt?

SUSANNE BRANDSTÄTTER:
Ich hatte mir auch andere Swing-States angeschaut, mich aber schließlich für Ohio entschieden. Nicht nur weil es ein Staat ist, der im Rust-Belt liegt, wo die Menschen während der Finanzkrise wirklich harte Zeiten durchgemacht hatten. Unzählige Fabriken mussten schließen und sehr viele Menschen haben ihre Jobs verloren, was zu großen Problemen in Ohio geführt hat. Im Zuge meiner Recherchen im Internet bin ich auch dort auf die größte Produktionsstätte amerikanischer Flaggen gestoßen. Dies, gemeinsam mit den beeindruckenden Bildern vom Verfall der amerikanischen Kleinstädte hat mich in meiner Entscheidung für Ohio bestärkt haben.


Sie haben bereits am Tag der Vereidigung des Präsidenten gedreht. Diesem Dreh kann nur eine ziemlich kurze Recherche nach geeigneten Protagonist*innen vorausgegangen sein. Wie haben Sie nach Gesprächspartner*innen gesucht? Was sollten sie erfüllen?

SUSANNE BRANDSTÄTTER:
Ich hatte von Anfang an vor, über einen längeren Zeitraum zu drehen und hätte ich das Budget gehabt, hätte ich noch ein weiteres Mal gedreht. Alles musste sehr schnell gehen. Eine erste Protagonistin, Celeste, fand ich schon übers Internet, als ich noch in Österreich recherchierte. Auf sie bin ich aufmerksam geworden, weil sie gepostet hat, dass man bei ihr Trump-Schilder für den Vorgarten abholen könne. Den Kontakt zu Sharon, eine andere Protagonistin, verdanke ich einer ehemaligen Studienkollegin, die in Ohio aufs Gymnasium gegangen ist und die ihrer ehemaligen Klasse geschrieben hat, ob mir jemand helfen könnte. Und so entstand ein Schneeballeffekt, der mich an immer neue Leute brachte. In der Flaggenfabrik lernte ich Austin kennen, mit ihm hatte ich auch einen jungen Trump-Wähler, was mir sehr wichtig war. Mein größtes Anliegen war, atypische Trump-Wähler zu finden und nicht die Stereotype, von denen immer die Rede war. Das überraschende Ergebnis ist ja darauf zurückzuführen, dass viele Leute, die immer demokratisch gewählt hatten, für Trump gestimmt haben. Auch Einwanderer oder Frauen, von denen man meinte, dass sie Trump nach seinen sexistischen Äußerungen niemals wählen würden. Ich suchte Trump-Wähler, die keine älteren, weißen Männer ohne Schulbildung waren. Und ich bin zum Glück fündig geworden.


Wie wir im Laufe der Gespräche erfahren, hat die Wahlentscheidung zwischen Trump und Hillary Clinton Gräben zwischen den Menschen gezogen und Freundschaften/ Bekanntschaften beendet. Warum hat Trump zu wählen so viel mehr als nur Republican zu wählen bedeutet?

SUSANNE BRANDSTÄTTER: 
Amerikanische Präsidentschaftswahlen basieren stark auf der Persönlichkeit der Kandidat*innen. Das war immer schon so. Natürlich spielt die Partei auch eine Rolle – aber in letzter Zeit immer weniger. Im Fall dieser letzten Wahl hat Donald Trump sehr emotionalisierende Botschaften ausgesendet, die die Menschen motiviert haben, zur Wahl zu gehen und für ihn zu stimmen. Es waren Botschaften, die die Menschen in ihren Ängsten oder Hoffnungen angesprochen und sie oft auf einer unbewussten Ebene erreicht haben. Die Motive der Trump-Wähler sind sehr komplex. Das ist auch das Problem. Man versucht es als sehr simpel darzustellen. Ich habe bei dieser Arbeit herausgefunden, dass die Gründe, Trump zu wählen, sehr individuell und so komplex wie die Persönlichkeiten selbst waren. Eine von Trumps Strategien war es zu spalten, was bei früheren Präsidentschaftswahlen eher nicht der Fall war. Eine seiner Methoden besteht z.B. darin, das politische „Establishment“, wie auch andere Menschen oder auch Gruppen runterzumachen. Wie viele Populisten versucht er, ein „Wir“ gegen ein „Sie“ zu schaffen. Damit stellt er eine emotionale Bindung her und ist das „Wir“ einmal etabliert, dann fühlen sich die Menschen wie Teile einer In-Gruppe, fast wie Stammeszugehörige. Sie nennen sich selbst „Trumpers“. Hillary Clinton hat Trump-Wähler als „bedauernswert“ (deplorables) bezeichnet. Sie greifen das auf und sagen voller Stolz von sich: „We are the deplorables“.  Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl hat Trump geschaffen und nutzt diese Emotionen. Diese Taktik haben Politiker im Lauf der Geschichte immer wieder genutzt, um Menschen zu animieren, zu manipulieren und zu instrumentalisieren. Immer mehr Leute werden bereit, sich aktiv zusammenzutun. Man kann manche dazu animieren, gemeinsam auf die Straße zu gehen. Und leider, wie wir zurzeit sehen können, kann das bis zu physischer Gewalt gehen. Diese Taktik funktioniert, weil sie damit zu tun hat, wie wir Menschen unsere Meinungen bilden. Je tiefer wir von etwas überzeugt sind, umso weniger sind wir bereit, einen Rückzieher zu machen. Grundsätzlich sind wir alle so. Uns auf eine Seite zu schlagen, hat uns evolutionsgeschichtlich geholfen, in gefährlichen Situationen zu überleben. Wenn es aber in Situationen zur Anwendung kommt, die keineswegs lebensbedrohlich sind, wird es zum Problem.


Sie drehen sehr viel innen, bei den Menschen zu Hause und vermitteln dadurch auch gleich einen Lebensstil. Wie würden Sie Ihre ProtagonistInnen vom sozialen Standing einordnen?

SUSANNE BRANDSTÄTTER:
Es war mir wichtig, die Leute bei sich zu Hause zu filmen, weil es viel darüber erzählt, wer diese Menschen sind. Es wird immer wieder kolportiert, dass es sich bei Trump-Wählern um Menschen aus der Unterschicht handelt. Meine Bilder bestätigen aber, dass es sich auch um Menschen aus der oberen Mittelschicht handelt, denen es finanziell trotz der Finanzkrise sehr gut geht. Andere Protagonisten, wie z.B. Austins Familie gehören eher der unteren Mittelschicht an und haben jeden Monat zu kämpfen, über die Runden zu kommen. Es ist eine Familie mit drei Buben, der Vater arbeitet bei der Post und hat daneben noch andere Jobs, damit es sich am Monatsende ausgeht. Auch Austin, der Sohn, hat immer zwei Jobs, um das Geld für die Uni zu verdienen. Es ging mir darum, ein breites Wählerspektrum mit verschiedensten Hintergründen abzubilden. Ich wollte meine Protagonist*innen aber nicht nur zu Hause zeigen, sondern auch mit Freunden und anderen Familienmitgliedern. Das war nicht immer einfach. Ich glaube, was in This Land Is My Land sehr deutlich wird, ist, dass es sich nicht um einen monolithischen Typus von Menschen handelt: Ich habe Trump-Wähler, die bisher immer demokratisch gewählt haben, Einwanderer, die vor einem Jahr erst eingebürgert worden sind und das erste Mal wählen durften, Leute mit College-Abschluss, …  ganz unterschiedliche Leute.


Interessant ist, wie sprachliche Aussagen das zentrale Element in der Diskussion und der Entscheidungsfindung sind, vielmehr als inhaltliche Fragen. Hillary Clintons Satz What difference does it make? nach dem Attentat von Bengasi scheint für manche Menschen ein ausschlaggebender Satz gewesen zu sein. Könnte Trumps aktueller Sager, Soldaten seien „losers and suckers“ ähnliche Reaktionen herbeiführen. Warum geht es so wenig um  inhaltliche/grundsätzliche Debatten?

SUSANNE BRANDSTÄTTER:
  Viele Menschen nehmen sich nicht die Zeit, sich zu informieren. Andere wiederum tun das sehr genau. Es wäre falsch zu sagen,  „Die Amerikaner sind uninformiert“. Trumps Kampagnen allerdings basieren auf Botschaften und Slogans. Wenn die Leute einmal emotional angebissen haben, dann interessiert es sie immer weniger, wie er Politik macht oder was er überhaupt für ein politisches Programm hat. Trump wandelt sich, je nachdem, an wen er sich gerade richtet und zielt aufs Bauchgefühl. Wenn man das macht, wird der Verstand weitgehend ausgeschaltet. Das ist durch Studien erwiesen und hat weniger mit Trump oder Politik, sondern damit zu tun, wie wir Menschen durch Emotionen gesteuert sind und wie wir unsere Meinung bilden. Über die Emotion fühlt man sich eher angesprochen. Man fühlt sich auch dem Sender solcher Botschaften verbunden. Je mehr Zustimmung man empfindet, umso mehr sucht man danach nur noch einseitige Information aus, um die eigene Haltung zu bestätigen. Das führt bis zur kognitiven Dissonanz. Widersprüche werden ausgeblendet, für jedes Gegenargument werden Ausreden oder Entschuldigungen gefunden. Das bekommt man im Film immer wieder zu hören. Egal was Trump sagt oder tut, man findet dafür eine Rechtfertigung, er wird für manche zu einer Art religiösen, beinahe gottgleichen Figur. Kein Argument der Welt wird diese Menschen dazu bringen, einen anderen Standpunkt zu akzeptieren. Ich habe zu diesem Mechanismus sehr viel recherchiert und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass mein einziges Motto für den Film lauten konnte: „Don’t argue, listen!”. Es war klar, wenn ich mit diesen Leuten zu diskutieren begann, würden sie sich mir gegenüber nie öffnen und ich hätte keine Möglichkeit, sie wirklich verstehen zu lernen. Meine Gegenargumente hätten mich nicht ans Ziel geführt. Ich musste mir aus meiner Sicht schreckliche Dinge anhören, aber es war der einzige Weg herauszufinden, wie diese Leute tickten und woher ihre Argumente kamen. Außerdem wollte ich, dass meine Zuschauer*innen auch diesen Prozess durchmachten, den Protagonist*innen langsam näher zu kommen, sie immer besser zu kennen und auch zu mögen, obwohl sie für viele von uns grauenhafte Ansichten haben. Die einzige Möglichkeit diesen Film zu machen, lag darin konsequent zuzuhören, ohne in Gedanken schon die Gegenargumente zu formulieren.  


Sie treten als Fragestellerin und Diskussionspartnerin auch ins „On“ der Kamera. War das Teil des Konzepts oder hat es sich als Notwendigkeit ergeben?

SUSANNE BRANDSTÄTTER:
  Es war Teil meines Konzepts, dass man mich manchmal hören und dass ich auch manchmal vor die Kamera treten würde. Ursprünglich, noch vor den Dreharbeiten, dachte ich, dass es auch einen Kommentar von mir geben könnte, das schien mir dann aber nicht stimmig. Es war mir ja ein Anliegen, dass die Zuschauer*innen aktiv teilhaben und eine Beziehung zu den Protagonist*innen aufbauen. Ein Off-Kommentar von mir wäre da kontraproduktiv gewesen. Gegen Ende des Films gibt es eine Szene, wo ich mit zwei Protagonisten im Park spaziere und ein paar Gegenargumente einbringe. Geplant war, dass ich auch diese Trumper-Protagonist*innen mit Trump-Gegnern konfrontiere. Leider hat dann ganz kurzfristig ein familiäres Problem diesen Plan unmöglich gemacht und ich musste spontan einspringen, um diese Diskussion zu führen, sonst hätte ich in dieser Hinsicht ein loses Ende gehabt. So ist es eben, wenn man Dokumentarfilm macht.


Wenn Sie innen drehen, schwenkt Joerg Burgers Kamera nicht unbedingt auf die Person, die gerade spricht, sondern bleibt auf den Menschen in der Nähe des Sprechers, die Worte bleiben im Off. Warum diese Entscheidung.

SUSANNE BRANDSTÄTTER:
Das mache ich immer wieder, weil ich es oft für interessanter halte, darauf zu schauen, wie Menschen auf das Gesagte reagieren als die Person zu zeigen, die gerade spricht. Das ist sozusagen ein Konzept, das ich oft verwende.


Einer Frage gehen Sie immer wieder auf den Grund: die Rolle der Medien. TV scheint wichtiger zu sein als Social Media. Aus welchen Medien beziehen die Menschen die Informationen für ihre Meinungsbildung? Welche Rolle wird ihnen zugesprochen?

SUSANNE BRANDSTÄTTER:
Social Media spielten absolut eine Rolle, z.B. für Austin, meinen jüngeren Protagonisten. Für ihn waren Beiträge, die er auf Sozialen Medien gesehen hat, ausschlaggebend, wie z.B. dass Demokraten die amerikanische Flagge verbrannten. Die Frage liegt nahe, wieviel von dem, was der auf Facebook erfahren hat, wohl Tatsachen waren oder manipulierte Bots bzw. Facebook-Seiten, die nur zur Beeinflussung der amerikanischen Wähler lanciert worden waren. Als ich während meiner Recherche herauszufinden versuchte, wer hinter diesen FB-Seiten steckte, endete diese Suche im Nichts, weil es die Menschen einfach nicht gab. Und das war lange bevor man von der russischen Wahlbeeinflussung wusste. Aber im Allgemeinen spielt das Fernsehen eine sehr große Rolle. Viele meiner Protagonist*innen haben früher verschiedene Sender wie CNN, MSNBC, NPR geschaut, also Sender, die als progressiv und eher links gelten und vor allem haben sie sich auf verschiedenen Sendern informiert. Sobald man aber von Trumps emotionalen Botschaften vereinnahmt ist, will man die eigenen Überzeugungen bestätigt wissen und man erlebt es als unbequem, Nachrichten zu hören, die den eigenen Anschauungen widersprechen. Das lässt sich physiologisch erklären: denn Dinge, die unsere Ansichten bestätigen, aktivieren in unserem Gehirn das Belohnungszentrum, Dinge, die ihnen widersprechen das Angstzentrum.  Das gilt unabhängig von der politischen Einstellung. Man will sich nicht unwohl fühlen und hört deshalb nach einiger Zeit nur noch die Nachrichten, die die eigenen Meinungen bestätigen. Wir haben Protagonist*innen, die uns sagten: “Früher haben wir CNN geschaut, aber es ist unerträglich geworden. Es ist furchtbar, wie sehr sie gegen Trump sind.“ Jetzt schauen sie nur noch Fox News, den Sender, der Trump unterstützt und ihre Anschauungen erhärten sich.


War es im Schnitt schwierig, Erzählbögen zu finden oder haben sich diese durch die kompakte Struktur und die Chronologie leicht ergeben?

SUSANNE BRANDSTÄTTER:
Es war schwierig. Einige Darlings mussten verschwinden. Ich hätte auch andere Szenen gehabt, die die Polarisierung sehr gut auf den Punkt gebracht haben. Irgendwann muss man entscheiden, wer die stärkeren Protagonist*innen sind. Das war ein Prozess von einem Rough-Cut zum nächsten. Ich konzentrierte mich auf zwei Aspekte:  einerseits auf Sequenzen, wo die Polarisierung stark zu spüren war, andererseits, wo eine Weiterentwicklung sichtbar wurde, die sich letztlich als wachsende Festgefahrenheit entpuppte, die dann zur eigentlichen Geschichte wurde. Ganz zu Beginn hatte ich die Hoffnung, dass mehrere meiner Protagonist*innen seine/ihre Pro-Trump-Haltung ändern würden. Nach und nach wurde mir bewusst, dass sie alle in ihren Meinungen immer festgefahrener wurden und dass genau das die Geschichte war, die ich erzählen musste. Letztlich ging es darum, die Szenen zu finden, die genau diesen Prozess deutlich machten, wie die Haltungen immer extremer wurden.


Während wir sprechen, rücken die nächsten Wahlen näher. Haben Sie über die letzten Jahre Kontakt behalten und haben Sie auch jetzt nach diesem für Trump nicht sehr ruhmreichen Jahr immer noch das Gefühl, es hätte sich an den Einstellungen nichts geändert?

SUSANNE BRANDSTÄTTER:
Ich bin mit meinen Protagonist*innen in Kontakt und es bestätigt sich, dass die Menschen, die für Trump waren, ihm auch verbunden bleiben. Auch Umfragen zeigen, dass Trump-Anhänger (von wenigen Ausnahmen abgesehen) auch 2020 wieder vorhaben, ihn zu wählen. Wenn die Demokraten gewinnen wollen, dann müssen sie diejenigen mobilisieren, die 2016 gar nicht gewählt haben und vor allem auch sicher gehen, dass die, die zuletzt für die Demokraten gestimmt haben, auch diesmal wieder zu den Wahlurnen gehen. Es wird sehr wichtig sein, dass sich die Leute nicht im sicheren Gefühl wiegen, dass Joe Biden gewinnen wird.  Das war ja 2016 mit ein Grund, dass die Wahl für die Demokraten verloren ging, weil sich der Großteil der Demokraten zu sicher war, dass Hillary Clinton gewinnen würde und sie es deshalb nicht für notwendig erachtet hatten, wählen zu gehen. Dazu kommt, dass das amerikanische System mit den Wahlmännern immer wieder für Überraschungen sorgen kann. Und selbst wenn Joe Biden gewinnt, steht die Frage im Raum: Was dann? Wird Donald Trump es akzeptieren? Ich habe ganz stark das Gefühl, dass er es nicht tun wird. Mit seinen Aussagen, dass er die Gültigkeit der Briefwahl in Frage stellt oder dass die Wahlen von außen oder sogar den Demokraten manipuliert sind, hat er uns schon Gründe geliefert zu glauben, dass er die Wahlergebnisse anfechten würde. Ich habe große Sorge, wie es in den USA weitergehen wird, egal, wie die Wahl ausgeht. Die Spaltung der Gesellschaft ist tief und selbst wenn Joe Biden einen Erdrutschsieg erlangt, heißt es nicht, dass alles gut wird. Es gibt zu viele Anfeindungen auf beiden Seiten.


Worin sehen Sie als Amerikanerin und Europäerin zugleich das größte Anliegen dieses Films?

SUSANNE BRANDSTÄTTER:
Was ich mit meinem Film unbedingt zeigen will, ist, wie wichtig die Bereitschaft ist, Menschen, die eine andere Meinung haben, zuzuhören und diese Meinungen zu respektieren, auch wenn sie der eigenen diametral entgegengesetzt sind. Das war im Laufe dieses Films auch für mich sehr schwer, aber ich habe gespürt, wie notwendig es ist. Es gehört zu den Prozessen unserer Demokratie, Diskurs zuzulassen und zu akzeptieren, dass Menschen die Dinge anders sehen. Es soll ein beiderseitiger Prozess sein, in dem beide Seiten ihren Willen zeigen zuzuhören. Das wird nicht nur für die amerikanische Demokratie ein wesentlicher Punkt sein, sondern auch für unsere Demokratien hier in Österreich und in Europa. Es braucht unseren Willen zu einem kontinuierlichen Diskussionsprozess und das bedeutet viel Arbeit. Sich einmal mit jemanden hinzusetzen, wird nicht genügen. Das muss ein ständiger Prozess sein, den nicht nur unsere Politiker und Institutionen erledigen können. Wir sind alle dazu angehalten, unsere Demokratie zu verteidigen; wir dürfen es nicht zulassen, dass Leute, die gezielt die Spaltung der Gesellschaft betreiben, dies für ihre Zwecke nutzen können. Für mich ist This Land Is My Land nicht nur ein Film über die USA oder Donald Trump. Es ist ein Film über uns alle. Wir alle haben unsere eigenen Vorurteile oder Bias auf die Welt und unsere Wertvorstellungen. Mir ist im Zuge dieses Films bewusst geworden, wie wenig ich mich diesbezüglich von meinen Protagonist*innen unterscheide. Auch ich habe meine Wertvorstellungen und nichts in der Welt könnte mich dazu bringen, Trump gut zu finden. Bewusst oder unbewusst, wir halten alle unsere Weltsicht für die bessere und deshalb tendieren wir leichter dazu, das andere zu diskreditieren oder auszublenden. Wir setzen unsere Handlungen von unserem Standpunkt aus und wollen oft anderen Sichtweisen nur ungern ihre Daseinsberechtigung zugestehen. Ich meine damit nicht, dass wir unsere eigenen tiefsten Überzeugungen oder unsere Weltanschauungen aufgeben müssen. Es geht mir vielmehr darum, einen Prozess der Offenheit und Diskussionsbereitschaft aufrechtzuerhalten. Und des Zuhörens.


Interview: Karin Schiefer
September 2020




«Nach und nach wurde mir bewusst, dass sie alle in ihren Meinungen immer festgefahrener wurden und dass genau das die Geschichte war, die ich erzählen musste.»