INTERVIEW

«Es ist gesetzlich verankert, dass man ans Geld glauben muss.»

 
 
Es ist gesetzlich verankert, dass man ans Geld glauben muss. Das Geld ist das Mittel, um uns alle zu unterwerfen. Heute sind wir ja noch einen Schritt weiter. Heute geht es darum, dass wir alle Schulden haben. Die Schulden versklaven uns direkt. Sie nötigen uns dazu, zu arbeiten, damit wir unsere Zinsen abzahlen können. Wir laufen im Hamsterrad weiter und zahlen in den Topf, um ein paar andere Leute zu bereichern, denen Geld nicht mehr wichtig ist.
 
WINWIN das Credo aus dem Verhandlungslehrbuch liefert den Titel für einen Film. Ist es ein Film über Sieger oder auch Verlierer?
 
DANIEL HOESL: Es werden auf der Welt gerade viele Kriege ausgetragen. Krieg schafft grundsätzlich immer nur Verlierer. In unserem Film sind alle Gewinner, so ist das in der Satire. Neben den vielen Kriegen – ob sie nun vom Islamischen Staat geführt werden, ob er in der Ukraine stattfindet, ob es sich um die Probleme mit den Flüchtlingen handelt – darüber steht der Meta-Krieg – der Finanz-Krieg, der von den Plutokraten gegen uns alle geführt wird. Sie instrumentalisieren Politik und Gewerkschaften und unterjochen uns alle. Über Gewinner oder Verlierer zu reden, fällt mir schwer. Wir alle sind auf alle Fälle Verlierer, auch die Millionäre, die am meisten um ihren vermeintlichen Wohlstand bangen und für ihn schuften zugleich.
 
 
War die Satire die einzig mögliche Sprache, um den gesellschaftlichen Umständen und Zuständen entsprechend entgegnen zu können?
 
DANIEL HOESL: Es ist grundsätzlich schwierig, mit einer Situation umzugehen, die per se satirisch ist. Angesichts der Risikobefreiung des Irrationalen am Spieltisch der Finanzinvestoren, angesichts der Tatsache, wie leicht es ihnen gemacht wird, uns über den Tisch zu ziehen, muss man sagen, dass die Realität so weit zur Satire geworden ist, dass man ihr nur noch mit Satire entgegnen kann.
 
JULIA NIEMANN: Man kann es auch mit unserem Credo ausdrücken – Der Humor fängt dort an, wo der Spaß sich aufhört. Das war unsere Arbeitsgrundlage. Die gegebenen Umstände haben ein humoristisches Potenzial, das wir entsprechend überhöht haben.
 
 
Wie sah die Recherche aus, um in die Tiefen des Unfassbaren vorzudringen?
 
JULIA NIEMANN: Wir haben sehr viele „Superreiche“ und jene Menschen, die in deren Umfeld etwas zu sagen haben, getroffen und sie interviewt. Wir haben uns intensiv mit ihrer Lebensweise, ihrem Vokabular, ihrer Freizeitgestaltung beschäftigt. Wir haben natürlich auch viel gelesen. Die persönlichen Gespräche waren sehr ergiebig. Da unser Zugang kein journalistischer war, waren sie auch sehr offen und bereit, aus dem Nähkästchen zu plaudern, weil sie sehr stolz darauf sind, zu den Gewinnern zu gehören. Vieles an Situationen, die sie aus ihrem Alltag geschildert haben, haben wir versucht umzusetzen. Wir haben sehr nahe an der Realität gearbeitet. Wir hatten kein Drehbuch und haben oft versucht, direkte Zitate dieser Menschen 1:1 im Film umzusetzen.
 
 
Wer waren diese superreichen Gesprächspartner?
 
DANIEL HOESL: Milliardäre, Investoren, Fonds-Manager, Investment-Relations-Manager, Startup-Millionäre ...
 
 
Und sie ließen sich bereitwillig in die Karten schauen?
 
DANIEL HOESL: Solange man sie nicht zitiert, geben sie sehr bereitwillig Auskunft. Sie sind ja sehr stolz darauf, Wege gefunden zu haben, das System zu umgehen. Die meisten sind hochintelligent, haben aber keine universitäre Ausbildung. Oft stehen sie in Verbindung mit einem Machtkomplex, der ihnen ermöglicht hat, Zuschläge für Bauprojekte, Lizenzen u.ä. zu bekommen.
 
JULIA NIEMANN: Wir haben uns ja nicht zu nüchternen Recherche-Gesprächen verabredet, sondern haben sie am Abend in der Bar getroffen, am nächsten Tag noch einmal, nach ein paar Monaten noch einmal.  Wir wollten sie wirklich kennenlernen. Wir haben das Gesagte sehr ernst genommen und sie wirklich in unsere Arbeit eingebunden. Das aktivierte auf ihrer Seite auch das Interesse, etwas beizutragen. Es ist mitunter ein sehr reger Kontakt entstanden, der sich bis heute hält.
 
DANIEL HOESL: Bei allen dokumentarischen Arbeiten, die sich mit Extremen beschäftigen, gerät man in Gefahr, abgebrüht zu werden. Aus einer Distanz betrachtet, ist die Arbeit von Finanzinvestoren, dadurch, dass sie einer Realität entwurzelt sind und der Wert des Geldes keinen Preis mehr hat nur noch ein Spiel, in dem sie nicht einmal ein Risiko haben.
 
JULIA NIEMANN: „Es gibt kein Risiko“ – das ist das Credo dieser Welt. Das war der Tenor in allen unseren Gesprächen und das versuchten wir auch zu veranschaulichen: Investoren haben kein Risiko.
 
 
Verhandeln ist ein zentrales Thema – einem ihrer Grundprinzipien, der Reduktion, gehorchend – sind die Verhandlungen durch den Faktor Mensch und den Faktor Zeit bestimmt. Wie sind Sie zu dieser sehr stilisierten Form der Darstellung gekommen?
 
DANIEL HOESL: Die grundsätzliche Frage, die uns beschäftigt hat, ist die der Wahrheit. Die Wahrheit in unserem Film ist die Lüge. Die Präsenz des Themas Wahrheit hat dazu geführt, dass wir an die russischen Ikonen-Malereien gedacht haben, die uns auch immer mit einem Heiligenschein direkt ansprechen. Egal, was die Menschen in unseren Close-ups sagen: Es ist Wahrheit oder es wird zur Wahrheit. Was ein Investor sagt, wird zur Wahrheit, weil er über solche Macht verfügt, ganz gleichgültig, was er sagt, er ist glaubwürdig: das ist die religiöse Verbindung. In diesem Gefüge wird das Gesagte zur Wahrheit, auch wenn man weiß, dass es in der Realität nicht stimmt. Um dieses Spannungsfeld zu erzeugen, schien es mir wichtig, die Zuschauer wie von einem Nachrichtensprecher ansprechen zu lassen.
 
JULIA NIEMANN: Wir haben uns stark mit der Religion Geld beschäftigt und uns ist aufgefallen, dass unsere drei Investoren drei Wanderprediger, Heilige sind, die in diesem Film gleichsam vom Himmel fallen. Insofern war es naheliegend, dass sie das Publikum direkt ansprechen müssen. Das Gesagte gilt ja nicht nur für das Gegenüber in der Verhandlung, sondern auch für die Zuschauer. Der Augenkontakt ist auch in der Predigt ganz wichtig. Der Pfarrer schaut ja auch seiner Gemeinde in die Augen. Seine Haltung ist jener der Verhandlungspartner sehr ähnlich.
 
 
Wie haben sich aus dem Fundus der Interviews, wenn es kein Drehbuch gegeben hat, die Figuren und die Handlung entwickelt?
 
JULIA NIEMANN: Da spielt unsere Struktur als Kollektiv eine wesentliche Rolle. Wir haben im Kollektiv im allerweitesten Sinne gearbeitet. Wir haben im Zuge der Gespräche zum Teil schon an Texten gebastelt. Wir haben mit den Schauspielern geprobt, die ihren persönlichen Hintergrund, ihre Erfahrung, den Wortschatz und die Habitualitäten aus ihrem Umfeld bereits mit- und eingebracht haben. Wir haben in den Proben sehr improvisatorisch versucht, Szenen nachzustellen. Die haben wir verfeinert und niedergeschrieben und daraus ist eine Art Drehbuch entstanden. In den Dreh gingen wir sehr gut vorbereitet. Manchmal arbeiteten wir mit den Schauspielern, manchmal in der Recherche mit Unbeteiligten, manchmal haben wir zwei etwas erarbeitet. Wir haben auch stark mit Material gearbeitet, das wir in den Medien gefunden haben. An Nikolaus Berggruen z.B., der das deutsche Warenhaus Karstadt um einen Euro gekauft hat, haben wir uns sehr stark abgearbeitet. Mit ihm hatten wir zwar keinen persönlichen Kontakt, wir haben aber seine Medienauftritte sehr genau studiert, Bücher von ihm gelesen, Statements analysiert. Jede unserer Figuren trägt ein Stück Nikolaus Berggruen in sich.
 
 
.... und auch von sich selbst?
 
DANIEL HOESL: Die Hintergrundgeschichten fließen ein. Unser Ansatz hat sich da aber ein bisschen gewandelt. Bei diesem Film entfernt sich die Figur am Ende vom eigenen Lebenshintergrund. Echte Investoren spielen nur zwei mit. Ein Punkt, wo wir aber auf unseren Ansatz zurückgreifen mussten, war das Kosmopolitische. Das musste in der Besetzung von Leuten getragen werden, die das verkörpern. Für Kosmopoliten bedeutet reisen nichts, die Welt ist ihr uniformer Markt- und Spielplatz.
 
JULIA NIEMANN: Unsere Geschichte könnte überall passieren. Wir versuchen gar nicht, auf Wien oder Österreich näher einzugehen. Es spielte auch in unseren Gesprächen mit den Investoren hier keine maßgebliche Rolle. Wir hätten uns mit ihnen auch auf der Jagd in Namibia treffen können.
 
 
Ich hätte den Titel homonym betrachtet und darin durchaus eine Anspielung auf Wien und seinen Ausverkauf gesehen.
 
DANIEL HOESL: Es gibt im Film eine Figur, die Japanerin, die Win-Win heißt, aber es gibt keinen beabsichtigten Bezug zu Wien. Wir behaupten aber auch nicht, dass wir nichts mit der Stadt zu tun haben wollen. Die Handlung spielt in Wien. Die Investoren landen hier und ihr Spiel wird mit unserer Sozialisation konfrontiert.
 
JULIA NIEMANN: Es war uns sehr wichtig, eine Parabel zu erzählen, die überall anwendbar ist. Es ist ein ganz essentieller Aspekt, das sich das, was in WINWIN passiert, nicht verorten lässt. Das ist überall gültig. Die Rechnung der Investoren geht überall auf.
 
 
Es gibt vier Player, wovon drei im Vordergrund stehen und die Japanerin Win-Win still und undurchsichtig ihre Fäden zieht und eine weniger durchschaubare Rolle spielt. Wie ist sie einzuordnen?
 
JULIA NIEMANN: Der Reiz ihrer Rolle liegt im Geheimnis, da wollen wir nicht allzu viel aufschlüsseln. Win-Win hat die Fäden in der Hand und ist eine Art Joker. Sie weiß ein bisschen mehr, als alle anderen. Sie hat das Spiel durchschaut.
 
DANIEL HOESL: Sie ist uns allen voraus. Mir auf jeden Fall. Außerdem kann sie sehr schön singen und bringt auch eine poetische Note ein.
 
 
Es gibt unter den vier Hauptdarstellern auch zwei Tänzer, abgesehen von den zwei offensichtlich „tänzerischen“ Szenen haben auch andere Momente eine choreografierte Note?
 
JULIA NEUMANN: Natürlich versuchten wir auch dieses Körperbewusstsein zu nutzen. Ich denke an die Hausdurchsuchung, die ist eine sehr choreografierte Szene und es ist auch in den kleinen Feinheiten der Verhandlung sehr wichtig, sein Gesicht unter Kontrolle zu haben und zu wissen, mit welcher Geste man was vermittelt.
 
 
Wie wurde z.B. für die Szene der Hausdurchsuchung gearbeitet?
 
JULIE NIEMANN: Sehr spontan und doch vorbereitet. Der Text steht, die Einstellungen stehen. Die Choreografie haben wir unmittelbar beim Dreh erarbeitet. Das ging sehr schnell
Das Glück bei Tänzern ist, dass sie sich die Positionen merken. Wir waren mit unseren vier Hauptdarstellern sehr glücklich. Sie haben sich sehr stark auf unsere Arbeitsweise eingelassen. Es kann auch nur dann funktionieren, wenn sich alle darauf einlassen. Ein paarmal haben wir sehr viel improvisiert und da sind Dinge entstanden, die sonst sehr wahrscheinlich nicht entstanden wären.
 
DANIEL HOESL: Mit der Tanzcompany, mit der Stephanie Cumming in erster Linie arbeitet, verbindet uns sehr viel, da sie auch bei Null beginnen und etwas erarbeiten.  Im Tanz ist es eine gängige Arbeitsweise, aus dem Nichts ein Stück zu erarbeiten. Bei Soldate Jeannette und bei WINWIN haben wir das auch so gemacht. Tänzer können mit dieser Situation daher besser umgehen, Schauspieler tun sich mit dem Umstand, keinen Text vorgesetzt zu bekommen viel schwerer.
 
JULIA NIEMANN: Das Konkrete des Films ist in kürzester Zeit entstanden, dem Unkonkreten haben wir ganz viel Zeit gelassen, dadurch ist das Konkrete so originell geworden. Lange Zeit gab es nur das Thema und den Cast, dann die Motive. Das waren die Zutaten.
 
DANIEL HOESL: Wäre die Darstellerin von Win-Win nicht zum Casting gekommen, würde es die Figur nicht geben. Hätten wir nicht im DC-Tower drehen können, würde es diese Art von Büro nicht geben. Um manches haben wir gekämpft. Ein milliardenschwerer Investor ohne Privatjet ist unglaubwürdig. Den haben wir gekriegt, ohne dafür zahlen zu müssen, auch wenn es alles andere als einfach war.
 
 
Ist es ein Prozess, der stark von Entwerfen und wieder Verwerfen geprägt ist?
 
JULIA NIEMANN: Wir haben bis zum Schluss sehr viel verworfen. Manchmal direkt am Drehort noch. Da sind wir besonders offen. Manchmal haben wir am Drehort etwas völlig Neues aus dem Hut gezaubert und das sind mitunter die besten Bilder geworden. Wir sind offen für Spontaneität, auch wenn wir in keiner Weise unvorbereitet ans Set kommen.
 
DANIEL HOESL: Wir haben zwar kein offizielles Drehbuch, aber wir sind sehr effizient und schnell. Wir überziehen nicht, wir haben keine langen Drehtage, wir halten den Postproduktionsplan ein. Es funktioniert wie am Schnürchen. Es ist nur eine andere Art, einen Film zu machen. Wir könnten jedes Jahr so einen Film machen.
 
 
Die Gespräche verlaufen praktisch ausschließlich als Austausch von Worthülsen. Wem haben Sie auf den Mund geschaut, um die Dialoge zu entwickeln?
 
DANIEL HOESL: Wir können natürlich niemanden nennen, aber wir haben 1:1 Zitate aus Gesprächen mit Investoren, Politikern übernommen.
 
 
Fordert eure Arbeitsweise ohne Drehbuch besonders starke Nerven, um mit so viel Ungewissheit umzugehen?
 
JULIA NIEMANN: Wir sehen ja den Fortschritt. Nur glaubt ihn uns ein Außenstehender nicht so.
 
DANIEL HOESL: Wir haben auch eine politische Agenda und wollen damit etwas aufzeigen. Das Vehikel, das man für eine Erzählung braucht, ist schnell gefunden. Und wir haben absichtlich darauf verzichtet, dass wir empathisch einem traurigen Arbeiter dabei zuschauen, wie er unter die Räder kommt. Das haben wir zu oft gesehen. Wir wollten an die Thematik mit einem Planspiel herangehen, wo sich das Spiel selber darstellt und man sich viel stärker mit dem Umstand, dass man ausgespielt wird, auseinandersetzen muss. Es gibt Filme von Elio Petri – Todo modo oder Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger –, die für uns sehr wichtig waren. Die Vorbereitung macht riesigen Spaß, man trifft Leute, die sich einbringen, man lernt viele Facetten eines Phänomens kennen, in diesem Fall von internationalen Gangs, die auf unsere Kosten ihr Unwesen treiben. Sonst hätte ich kaum einen Zugang dazu.
 
JULIA NIEMANN: Das ist der gute Nebengeschmack unserer Arbeitsweise. Wir arbeiten beim Casting nicht eine Liste von Namen ab, sondern wir versuchen einen erlesenen Cast mit illustren Menschen zusammenzustellen, wo jeder etwas ganz Eigenes mitbringt.
 
 
Wie groß war das Budget dieses Mal?
 
DANIEL HOESL: € 200.000. Wir hatten natürlich viel zu wenig Geld und ich finde es nicht fair, da wir doch ein Produkt liefern, das eine Qualität hat, das sich mit Produktionen messen kann, die ein multipel höheres Budget bekommen. So bin ich gezwungen zu glauben, dass hier mit den fairen Rahmenbedingungen etwas nicht in Ordnung ist.
 
 
Der Film schaut gar nicht arm aus, im Gegenteil.
 
DANIEL HOESL: Ja, Chuzpe hat sich wieder bewährt.
 
JULIA NIEMANN: Wenn man mit ganz leeren Händen kommt, bekommt man überraschend viel mehr, als wenn man ein paar Euros in der Tasche hat.
 
 
Wenn ich es richtig verstehe,  bedeutet Filmemachern für Sie nicht nur vor dem Hintergrund einer politischen Agenda eine Geschichte zu erzählen, es klingt auch nach einem sehr intensiven menschlichen Unternehmen im Sinne der Beziehungsarbeit.
 
DANIEL HOESL: In den Menschen stecken die Geschichten und so holen wir uns die Geschichten, die wir nicht selber erfahren, einfach her. Natürlich kann ich ein Drama schreiben oder einen Film über Sterbehilfe machen. Das habe ich in meiner Familie erlebt. Ein Migrant macht einen Film über Migration, wichtig, aber ich bin kein Migrant. Im Autorenfilm kümmern sich immer mehr Filmemacher um die Standard-Autorenfilm-Themen. Mich interessieren auch keine Genre-Filme, und schon gar nicht ein Autoren-Genre-Mix: da müssten wir über den Tod des Kinos sprechen. Man tut sich eben viel schwerer, Empathie mit einem Finanzinvestor herzustellen. So wie sie sich selber inszenieren, legen sie Wert darauf, dass es keine erzählbare Geschichte gibt. Sie erzeugen Redundanz, Repetition, Variation von immer denselben Themen: Jemand geht pleite – jemand bekommt einen Zuschlag – jemand kauft zu – jemand wird ausgebootet. Das ist unser zeitgenössisches Alltagsleben. Ja, wir reden über Glaubenskriege und Immigration. Aber warum finden diese Kriege statt? Wegen des Öls. Wegen des Goldes. Wegen des Silikons. Wegen der Dinge, die wir brauchen, um unsere Weltwirtschaft am Laufen zu halten. Ich verbreite hier keine Verschwörungstheorie.  „The new normal“, ist der Begriff dazu, früher hätte man „Homo homini lupus“ gesagt, „der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“ – die Ressourcen werden immer knapper, die Kuchenstücke immer umkämpfter. Und es gibt kein Wachstum mehr. Wir befinden uns in einem finanzwirtschaftlichen Krieg, wo die Plutokraten uns Menschen unterwerfen wollen und wir bereits unterworfen sind.
 
 
Das klingt nach einer sehr aussichtslosen Situation?
 
DANIEL HOESL: Bei Elio Petri geht es noch um die Verhältnisse in Italien. Die Verhältnisse haben sich verschoben. Besonders, wenn diese Off Shore-Welt dazu kommt. Es wird immer Anwälte geben, die ein neues Loophole finden. Es geht um diese Machtverhältnisse und die Absurdität, wie unangreifbar man ist, wenn gewisse Leute nur dran glauben, dass man Investor ist. Das gleiche kann man übers Geld sagen. Wenn wir nicht dran glauben, dann müssen wir dran glauben. Es ist gesetzlich verankert, dass man ans Geld glauben muss. Das Geld ist das Mittel, um uns alle zu unterwerfen. Heute sind wir ja noch einen Schritt weiter. Heute geht es darum, dass wir alle Schulden haben. Die Schulden versklaven uns direkt. Sie nötigen uns dazu, zu arbeiten, damit wir unsere Zinsen abzahlen können. Wir laufen im Hamsterrad weiter und zahlen in den Topf, um ein paar andere Leute zu bereichern, denen Geld nicht mehr wichtig ist. Sie brauchen auch nichts, weil sie ohnehin immer eingeladen sind. Die Politiker freuen sich, wenn die weißen Ritter im Privatjet aus den Offshore-Inseln daherkommen, damit sie vielleicht doch noch eine Autofabrik aufmachen können oder besser fürs Image – ein Solar- oder ein Windkraftwerk. 85 Leuten gehört so viel wie dem Rest der Menschheit. Wer heute Millionär ist, ist eine arme Sau. Der wird es dorthin nie schaffen.
 
 
Es gibt auch ein Ausstiegszenario in WINWIN. Einer macht nicht mehr mit und findet andere Werte.
 
DANIEL HOESL: Als Antwort würde ich den Hedonismus sehen. Es gibt die Fülle oder nichts. Der Mittelstand ist abgeschafft. „Nichts“ ist in unserem Film ein romantischer Entwurf. Aber für ehrliche Arbeit Geld zu verdienen, ist heute nicht mehr wirklich möglich.
 
JULIA NIEMANN: Der „Aussteiger“ im Film schmeißt halt das Handtuch und exkludiert sich aus der Verhandlung und lebt sein Leben.  Unsere Investoren versuchen auch auszusteigen, aber sie müssen am Verhandlungstisch sitzen bleiben, sie müssen weiterspielen. Immer weiter...
 
 
... bis das System zusammenbricht?
 
DANIEL HOESL: Es gibt da sehr unterschiedliche Ansichten. Manche sagen, das System ist noch nie kollabiert. Das System ist aber nicht sehr alt und schon sehr oft an seine Grenzen gestoßen. Ich kann mir vorstellen, dass es einen fulminanten Umbruch geben könnte, wenn man einfach nicht mehr daran glaubt. Das große Problem, es stehen in der Regel ein paar Milliarden total indoktrinierten Menschen ein paar wenigen gegenüber. Darum gibt es keinen Aufstand dagegen. Es gibt immer wieder Proteste gegen ganz konkrete Sachen, wo es auch ganz wichtig ist, dagegen zu protestieren. Aber was war die Agenda von Occupy Wallstreet, außer Protest kundzutun? Das System kollabiert nur dann, wenn das System wirklich vorbei ist. Es kann nur in sich zusammenklappen. Das System per se ist too big to fail. Aber es gibt Hoffnung.


Interview: Karin Schiefer
Juli 2015