INTERVIEW

Michael Glawogger über WORKINGMAN'S DEATH

 
Michael Glawogger hat in Workingman's Death die schwindenen Spuren körperlicher Schwerstarbeit verfolgt. Erstmals gezeigt wird der Dokumentarfilm bei den Filmfestspielen von Venedig.

 

In einem Statement von Ihnen zu Workingman's Death heißt es: "Arbeit ist oft schwer sichtbar, schwierig darstellbar. Wahrscheinlich ist die körperliche Arbeit, die einzig wirkliche Arbeit." Was ist wirkliche Arbeit? Auch die Arbeit des Filmemachers ist eine unsichtbare Arbeit.

MICHAEL GLAWOGGER: Körperliche Arbeit kann sichtbar gemacht werden. Man kann zeigen, wie jemand etwas trägt, wie jemand schaufelt, wie jemand Kohle abbaut, es ist aber sehr schwer als Arbeit darstellbar, wie jemand im Büro sitzt und nachdenkt. Im Vergleich zu einer schweren körperlichen Arbeit ist Filmemachen eigentlich keine Arbeit, sie kann ja auch nicht wirklich sinnvoll sichtbar gemacht werden. Das ist jetzt vielleicht eine provokante Theorie und das geht auch darauf zurück, dass uns unsere Eltern eingeschärft haben, man muss etwas "Handfestes" arbeiten, um zu etwas zu kommen. In der Nachkriegsgeneration hat körperliche Arbeit einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft genossen. Ich kann mich erinnern, für mich war das fast mit einer Art schlechtem Gewissen verbunden, keine Arbeit zu verrichten, die mit körperlicher Anstrengung verbunden war. Zumindest hatte ich Zeit meines Lebens das Gefühl, nicht wirklich etwas zu arbeiten. In meiner Schulzeit war es üblich, sogenannte "Ferialjobs" zu machen. Das ging über den Sommer und man hat als Gymnasiast Jobs in Fabriken in Deutschland bekommen. Damals bin ich zum ersten Mal mit der Arbeitswelt in Berührung gekommen. Das hat mich sofort fasziniert. Außerdem hatte ich gespürt, was es heißt wirklich müde zu sein. Ich meine so wirklich müde - ohne Wenn und Aber. Filmemachen hatte mich nie müde gemacht, bevor ich diesen Film gedreht habe. Da war es dann aber oft nahe daran. Da hat die Arbeit vor der Kamera auf die Arbeit hinter der Kamera übergegriffen.


Das Thema körperliche Arbeit in einen weltweiten Kontext zu setzen ist sehr komplex und bedurfte sicherlich einer ausführlichen Vorbereitung. Wie haben Sie sich an dieses Thema herangetastet?

MICHAEL GLAWOGGER: Ein Aspekt, der mich in der Vorbereitung besonders interessiert hat, war die Frage, wie ist körperliche Arbeit darstellbar. Ich bin auch bei der Sichtung verschiedenster historischer Dokumentar- wie auch Spielfilme über den Arbeiter oder über die Heldenhaftigkeit des Arbeiters draufgekommen, dass die Arbeit selbst ganz selten dargestellt wurde. Selbst in Wochenschauen die nur zur Ikonisierung des Arbeiters dienen sollten war der Arbeitsvorgang fast immer ausgeklammert. Die Arbeit war auch nur insofern interessant um zum Arbeiter zu führen der im klassischen Arbeiterfilm eigentlich immer als ideologisches Vehikel herhalten musste - zur Stützung eines Systems, zur Heroisierung im Sinne der Macht oder sogar zur Kriegshetze. Mich hat es im Gegensatz dazu interessiert, die körperliche Arbeit selbst zum Gegenstand des Filmes zu machen und über diese sinnliche Erfahrung zur sozialen und politischen Positionierung zu gelangen.


Ist es ein Zufall, dass in der Auswahl der Orte ein Schwerpunkt auf Asien und Südostasien fällt?

MICHAEL GLAWOGGER: Ich habe keine Aufteilung nach Kontinenten, sondern eher Phänomene und Orte gesucht, an denen sich Dinge zeigen: völlig archaische Arbeiten oder Arbeiten in Zusammenhang mit unserer Ernährung oder der Zerfall ehemaliger Arbeiterhochburgen - die Bergarbeiter in der Ukraine hatten ja einst zu den angesehensten in der ganzen Welt gezählt - und ich wollte Dinge nicht zweimal zeigen, z.B. zwei Mal Bergarbeiter an verschiedenen Orten. Ich hab mir aber von vornherein nicht gesagt, in jedem Kontinent muss etwas vorkommen. Wenn ich in Südamerika etwas gefunden hätte, wo ich auch recherchiert habe, dann hätte ich sicherlich dort etwas gemacht.


Die erste Episode ist mit "Helden" betitelt, worauf geht dieser "Heroismus" des Arbeiters in der Ukraine zurück?

MICHAEL GLAWOGGER:  Auslöser für die Ukraine war sicherlich der Mythos Alexei Stachanov. Er war ein Modellarbeiter, der die für damals unfassbare Menge Kohle von 120 Tonnen in einer Schicht mit dem Presslufthammer abgebaut hat, und er wurde dafür zum Nationalhelden gemacht und wie ein Pop-Star bejubelt. Später ist er Politiker geworden und war von den Arbeitern gehasst, weil alle Oberen sagten - für das Vaterland kann man 120 Tonnen Kohle in einer Schicht abbauen. Und wenn Stachanov es konnte, dann könnt ihr das auch. Stachanov zog eine ganze Bewegung nach sich, auch die beste Erntearbeiterin, die beste Näherin, der beste Stahlarbeiter etc. wurden herausgehoben. Das ganze Land hat seine Helden der Arbeit ikonisiert, sie waren überall bekannt, und wurden wie Popstars verehrt. Diese Helden der Arbeit hat es in der Folge in allen kommunistischen Staaten gegeben - in der DDR Adolf Henneke, in China Wang Jingsi, der berühmteste aller Ölarbeiter. Es gab in China darüber hinaus für jede Art von Arbeit einen Arbeiterhelden. Diese Arbeiter-Ikonen waren für mich ein Ausgangspunkt in der Recherche. Ich begann in der Ukraine aufgrund der Geschichte Stachanovs zu recherchieren, habe das Stachanov-Museum besichtigt und entdeckte so die Stadt Stachanov. So bin ich überhaupt in den Don-Pass gekommen und draufgekommen, dass das dort die Bergarbeitergegend der Welt war und dann in der Folge, unter welch unglaublichen Bedingungen die Leute heute leben. Sie wurden von diesem Hochstatus - selbst Ende der achtziger Jahre haben sie noch einen Bergarbeiterstreik in England finanziell unterstützt - auf die Abbaumethoden ihrer Urgroßväter zurückgeworfen. In jeder Mine, die bis auf wenige Vorzeigeminen, noch in Betrieb sind, arbeiten die Leute ohne jeglichen Lohn, nur damit die Minen aufrechterhalten werden und kriegen kaum noch ihren Eigenbedarf an Kohle. Dafür müssen sie illegal Seitenarme der Minen anbohren. Das alte ehemals sowjetische System ist völlig am Kollabieren. Das ist ein Beispiel wie Arbeit unsichtbar wird und trotzdem noch vorhanden ist und repräsentiert genau das, worum es in meinem Film geht: dass die Schwerstarbeit, obwohl sie gesellschaftlich unsichtbar ist, immer wieder sichtbar wird. Auch wenn ihr Vorhandensein zumindest bei uns zunehmend geleugnet wird. Ich habe mich zum Beispiel darum bemüht, für Workingman's Death in der VOEST in Linz zu filmen. Es ist sehr lange hin und her gegangen und letztendlich war keine Drehgenehmigung zu bekommen, obwohl es früher schon Filme gab, die in der VOEST gedreht worden sind. Zum Schluss hieß es der Dreh ist nicht erwünscht, weil das Unternehmen vom Image des Schwerarbeiters wegkommen möchte. Das sagt auch sehr viel aus.

Wie schwierig war es insgesamt, Drehgenehmigungen zu bekommen?

MICHAEL GLAWOGGER:  Das war sehr unterschiedlich. In der Ukraine ist es so, dass es dort vor Bergwerken nur so wimmelt und aufgrund dieses Niedergangs des Bergbaus ein mehr oder weniger gesetzloser Raum entstanden ist. Das Thema der Schiffszerlegungen war prinzipiell sehr heikel, weil sie aus ökologischen Gründen sehr umstritten sind und von Greenpeace seit längerer Zeit Kampagnen dagegen geführt werden. Es gab insgesamt drei Stätten, wo diese Art von Arbeit gemacht wird, eine ist in Alang in Indien, die zweite in Chittagong in Bangladesh und dann gibt es noch eine - sozusagen sterbende - in Pakistan. Ich habe mich für diese im Schließen begriffene entschieden, weil es am besten zu meinem Thema passte. Um Drehgenehmigungen zu bekommen hieß es in erster Linie hartnäckig sein, vor verschlossenen Türen sitzen und ausharren. In Pakistan war es so, dass schon mein ganzes Team da war und ich am ersten angesetzten Drehtag noch immer kein Papier in der Hand hatte. Da war es dann eher so, dass sie angesichts unserer Entschlossenheit und der Tatsache, dass wir von so weit angereist waren, letztendlich eine Unterschrift unter das Papier setzten. Der Dreh in Nigeria hat sich aus den Umständen dort ergeben und war eigentlich gar nicht geplant. Ursprünglich wollte ich auf einem Bohrturm drehen, nur hat es gedauert und gedauert mit einer Drehgenehmigung von Shell und während des Wartens vor den Shell-Türen sah ich über der Stadt die Geier fliegen und ging der Sache nach. Und als ich diesen Markt mit den Tierschlachtungen einmal gesehen hatte, war der unterschriebene Zettel von Shell für mich überflüssig. Das Drehen selbst war in Nigeria relativ unkompliziert. Afrika ist da einfach ganz anders, da herrschen andere Regeln, dort gibt es natürlich Korruption, da will man natürlich für alles Geld, aber ansonsten ist der Markt dort etwas wie der Wiener Naschmarkt und es war auch ungefähr so kompliziert, eine Drehgenehmigung für dort zu bekommen wie für den Naschmarkt. Auf diesen Markt geht man einfach hinein, der Schlachthof ist Teil des Marktes selbst, denn die Leute wollen sich von der Frische des Fleisches das sie dort kaufen, mit eigenen Augen überzeugen. Die sind eher verwundert darüber, dass wir so etwas ein Interesse entgegen bringen.


Über welchen Zeitraum hinweg haben sich die einzelnen Drehs erstreckt?

MICHAEL GLAWOGGER: Es dauerte insgesamt ziemlich genau zwei Jahre ab Winter 2002. In der Ukraine habe ich innerhalb eines Winters zweimal gedreht, die meisten Drehs wurden in einer Reise abgeschlossen. Ich selber war aber mehr als einmal dort. Die Vorbereitung und die Erkundung der Orte nimmt immer sehr viel mehr Zeit in Anspruch als das eigentliche Drehen. Da kommt es darauf an, wie lange es dauert, bis man begreift, wie die Arbeit dort funktioniert, bis man ein privates Verhältnis aufgebaut hat, bis man überhaupt weiß, was zu filmen ist. Die Zeit des Drehens ist natürlich ökonomisch begrenzt. Das waren meist ca. zwei Wochen.

 

Die Menschen sieht man einerseits in ihrem täglichen Existenzkampf, darin wie die harte Arbeit ihren Tag bestimmt, wie wichtig und wie realisierbar war es auch einen menschlichen Zugang zu ihnen zu finden?

MICHAEL GLAWOGGER: Das ist wunderbar möglich, es hat nur überall eine andere Ausformung. Es ist irgendwie so, dass es in verschiedenen Ländern verschieden funktioniert und die Leute auch in verschiedener Weise auf einen zukommen. Nicht nur sprachlich, sondern auch kulturell. Es ist etwas anderes, wenn ich als Österreicher in die Ukraine komme, als wenn ich als Weißer in Nigeria bin. Dort herrscht Verwunderung darüber, dass wir da sind und warum wir da sind. Es ist dort so, dass die Kinder mit dem Finger auf einen zeigen und "Ojibo! Ojibo!" (Weißer Mann) schreien und eine große Freude dabei haben. Es ist ganz spannend, am eigenen Leib zu spüren, dass die eigene Hautfarbe so eine Auswirkung hat. Auch die Pakistani sind sehr zugänglich und waren schon bereit, auch ihren privaten Bereich zu öffnen. Ich habe dort auch in einem Dorf im Norden Pakistans gedreht, aber es ist dort so, dass sie, wenn man als Fremder in ein Haus kommt, zuerst alles aufgeräumt wird und die Frauen versteckt werden. Das heißt, das Haus steht einem zwar offen, ich war aber zum Filmen mit einer unechten Situation konfrontiert, dadurch, dass die Frauen aus dem Haus verbannt wurden. Wir mussten dann sogar den Dreh abbrechen, weil kolportiert wurde, wir hätten eine Frau gefilmt. Auf der Schiffswerft selbst stellt sich der private Bereich ganz anders dar. Da gibt es von vornherein keine Frauen. Da sind die Männer in ihrer Selbstdarstellung ganz entspannt, lassen sich in jeder Situation filmen, sei es, wenn sie kochen, aus dem Koran lesen, mit ihren Haustieren spielen oder Händchen haltend durch die Straßen gehen. Oft ist der Zugang zu den Menschen im Falle dieses Films über die Arbeit selbst gelaufen. Erst wenn wir in der Recherchezeit überallhin mitgegangen sind und jeden Aspekt der Arbeit mit den Arbeitern erlebt und durchwandert hatten, waren plötzlich auch die Arbeiter an uns und unserer Arbeit interessiert. Die Schwefelarbeiter hatten, nachdem ich drei Wochen Tag für Tag mit ihnen war, plötzlich angefangen, mir Dinge zu zeigen, die für mich wichtig waren, weil es sie zu interessieren begann, wie der Film wird


Der Gewalt der Arbeit, wie sie sich auf den Körper der Menschen ihren Einfluss nimmt, steht in diesem Film auch eine unglaubliche Wucht der Bilder gegenüber. Was macht die Ästhetik in dieser Welt der harten Arbeit?

MICHAEL GLAWOGGER: Das ist öfter ein Punkt, der in meinen Filmen thematisiert wird und ist etwas, mit dem ich nicht sehr viel anfangen kann. Als ästhetisch wird dabei immer etwas bezeichnet, was für mich einfach genaue Bilder sind. Salopp gesagt, nur weil ich nicht schlampig filme, heißt das nicht, dass ich etwas ästhetisiere. Wir haben uns angewöhnt, weiterhin auf Film zu drehen und uns Zeit zu nehmen. Ich überlege mir zu jedem Teil ein Konzept, wie etwas darstellbar ist, wie ich z.B. den Weg der Schwefelarbeiter verfolge. Dieser Weg beginnt in einem Vulkan an einem quasi mythischen Ort. Der Rauch, die Dämpfe, eine rituelle Opferung und die Arbeit mit dem leuchtend gelben Schwefel ? all das unterstreicht diese Atmosphäre und dann bricht Schritt für Schritt die "neue Welt" herein. Die Arbeiter gehen mit ihren Körben voller Schwefel vom Krater zur Wiegestation und machen auf ihrem Weg einige Pausen. Dann reden sie über Nutten, dann kommen Touristen und am Schluss landen sie bei Rockmusik und Bon Jovi. Das ist ein Gang von A nach B, eine völlige Transformation des Schauplatzes und des Gezeigten. In Nigeria dagegen finden die verschiedenen Arbeiten in einem ständigen Kreisel statt. Die Kühe und Ziegen werden hineingetrieben, geschlachtet, dann bringt man sie zum Rösten, von dort zum Waschen, das Fleisch wird zerlegt und in die Kofferräume der Kunden getragen. Diese ständige Kreiselbewegung ist völlig anders als die Bewegung von A nach B am Schwefelberg. Solche Bewegungen versuche ich zu verfolgen und mir dazu Bilder zu überlegen. Diese Überlegungen dominieren dann ein formales Wollen oder eine Gestaltung der Bilder. Es ist die Realität selbst, die dann manchmal zu Dingen führt, die beinahe poetisch sind. Wenn ich die verkohlte Ziege sehe, die abgeschabt wird, dann habe ich plötzlich ein Gefühl, wie wenn ich ein modernes Kunstwerk sehe. In Pakistan ist die Bildsprache dadurch definiert worden, dass sich die Arbeiter im Gegenteil zu Nigeria nicht einmal auch nur eine Sekunde schnell bewegt haben und trotzdem war in einem Monat ein Riesenschiff weg. Ich habe mich gefragt, wie geht das, niemand tut hier etwas? Wie kann ich es darstellen, dass hier jeder in einer unglaublichen Gelassenheit, in einem Gottvertrauen, in einer Brüderlichkeit agiert, eine unfassbar schwere Arbeit verrichtet, die ich aber nicht sehe. Da komme ich wieder zurück zu meiner ursprünglichen Fragestellung, wie ist Arbeit darstellbar, wie ist sie sichtbar. Verschwindet sie? In der Ukraine sind die Klaustrophobie und die Statik der Sache für meine Annäherung an die dortigen Verhältnisse dominant gewesen. Was man schließlich dann ästhetisch nennt, das ist für mich nur eine Ausformung von der Genauigkeit, mit der ich an eine Sache herangehe.

 

Die Orte, die Sie gewählt haben, sind sehr extreme Orte, extrem für die Menschen, die dort ihr tägliches Brot erwerben, extrem aber auch für die Filmenden, die sicherlich auch Grenzen zu überwinden hatten.

MICHAEL GLAWOGGER: Wenn man den Ansatz hat, man möchte extreme körperliche Arbeit darstellen, dann muss man sich ihr in irgendeiner Weise stellen. Das hat teilweise mit der Recherche zu tun, wo man draufkommt, wie solche Arbeiten überhaupt funktionieren, und es hat auch damit zu tun, dass man sie körperlich begreift. Mein Kameramann hat sehr oft versucht, solche Arbeiten selbst zu machen, bevor er wusste, wie er eigentlich an sie herangehen kann. Großteils kann man jedoch diese Arbeiten nicht machen. Wir können keinen 100-Kilo-Korb tragen, das hört schon nach 30 Metern wieder auf. Aber teilweise begreift man, warum es so langsam geht und warum es genau so geht, wie es geht. Natürlich bedeutete das für uns in der Ukraine auch, in einen Schacht von 40 cm Höhe hineinzugehen, in Flöze, die 100 bis 150 Meter tief drinnen liegen, es war notwendig, die Kameras mit Metallwannen in den Berg zu transportieren, weil man das Equipment sonst gar nicht hineinbringen würde und natürlich gibt es diesen Moment der ersten Panik, den man überwinden muss und es braucht auch eine Zeit der Gewöhnung. Ich möchte aber grundsätzlich davon Abstand nehmen, solche Abenteuergeschichten in den Vordergrund zu stellen. Es geht hier um die Heldenhaftigkeit der Arbeiter und nicht um die Heldenhaftigkeit des Filmteams.


Die Wertschätzung der körperlichen Arbeit hat ganz klar einen Wandel durchgemacht. Es gibt in der fünften Episode dramaturgisch einen Bruch, wo die Arbeit als solche nicht mehr dargestellt wird.

MICHAEL GLAWOGGER: Das geht zurück auf den Anfang unseres Gesprächs. Für die Nachkriegesgeneration hatten körperliche Arbeit und der Zukunftsglaube einen unglaublichen Stellenwert und das habe ich im China der Jetztzeit wieder gefunden. Wenn man den Arbeitern dort zuhört, dann sagen sie, wir machen das alles nicht mehr nur mit Muskelkraft, sondern auch mit Hirn und mit großer Effizienz. Wir schreiten vorwärts, uns gehört die Zukunft, wir werden noch mehr Stahl produzieren, China wird das gelingen. In Anbetracht des Blicks, den ich auf die Welt werfe, kann das, was die Chinesen sagen, so nicht funktionieren. Deshalb lasse ich es im Epilog dort enden, wo ich glaube, dass es wahrscheinlich enden muss ? in einem bunt beleuchtenden Freizeitpark. Duisburg-Meiderich ist ein Vorzeige-Freizeitpark mit Klettergärten, Tauchschulen, Filmvorführungen und Rockkonzerten. Es ist ein Ort, wo der große Industrieglaube, wo die Riesenstätten der körperlichen Schwerstarbeit enden werden oder teilweise schon geendet haben. Man kann heute im Ruhrgebiet eine ganze Tour durch eine nach der anderen zum Museum gewordene Industriestätten machen und es wird auch in der Ukraine irgendwann in Schaubergwerken enden.


Worin liegt dann die Zukunft der Arbeit?

MICHAEL GLAWOGGER: Ich bin kein Soziologe, es gibt aber viele, die sagen, dass Entlohung und Sicherung des Lebens in Zukunft nicht mehr mit Arbeit zu tun haben werden. Es ist vielleicht nur ein Denkmodell, zu sagen, man wird nur bezahlt, wenn man etwas tut. Ich nehme an, in Deutschland würde es nicht so viele Arbeitslose geben, wenn es eine Lösung dafür gäbe, die aktuelle Situation zu ändern. Denn jeder Politiker könnte sich beim Volk beliebt machen, indem er Arbeit schafft, aber wenn es einfach nicht mehr geht, dann wird es schwierig sein.


Ist Arbeit als wesentliches Element der menschlichen Würde am Verschwinden?

MICHAEL GLAWOGGER: War es das je? Vielleicht ging es eher um Stolz. Wenn ich es zynisch formulieren will, kann ich auch stolz darauf sein, wenn ich im Fitnesscenter heute mehr Eisen biege als gestern. Stolz konnte ich aber auch sein, wenn ich aus dem Bergwerk Kohlen geschlagen habe, weil dann eine Schule geheizt wurde oder ich etwas Gutes für mein Vaterland getan habe. Das war aber ein Stolz mit sozialer Wertschöpfung. Heute klingt Arbeit mit Würde fast abstrakt. Würde kann nur mit etwas zu tun haben, das Wertschöpfung beinhaltet. Ich glaube, der Entfremdungsfaktor, was körperliche Arbeit betrifft, ist heute größer denn je. Er ist vielleicht für die Arbeiter am Schwefelberg noch am geringsten. Der nimmt den Schwefel aus dem Berg, geht runter und im Moment, wo er ihn abgewogen und auf den Lastwagen geschüttet hat, kriegt er Geld dafür, mit dem Geld geht er ins Tal und kauft sich eine Frau. Daraus schöpft er sein Glück und seine Zufriedenheit und mit diesem Glück geht er am nächsten Tag wieder auf den Berg. Wofür der Schwefel verwendet wird, weiß er sicher auch nicht. Der Wert und der Selbstwert des einzelnen in der Gesellschaft hat sicherlich sehr stark etwas mit dem Erwerb von Kaufkraft zu tun - überall, ob der Schwefelträger zu den Nutten geht, oder der Pakistani Geld nach Hause bringt. Die Frage ist, was passiert mit uns, wenn die Wertsysteme fallen, was fast absehbar ist.

Interview: Karin Schiefer
© 2005