INTERVIEW

Daniel Hoesl, Gerald Kerkletz und Katharina Posch über SOLDATE JEANNETTE

 

„Chuzpe“ ist ein Wort, das ich auf einer Tafel bei mir zu Hause ganz groß stehen hatte. Ich denke, das kann man sich wirklich auf die Fahnen schreiben. Mit Chuzpe kommt man sehr weit und es ist ganz wesentlich zu wissen, dass Chuzpe erlaubt ist, aber sie wird überhaupt nicht angewendet, weil wir so was von domestiziert durch die Straßen bewegen, dass die Chuzpe ausstirbt. Daniel Hoesl über SOLDATE JEANNETTE

Daniel Hoesl, Gerald Kerkletz und Katharina Posch im Gespräch über den ersten Film ihres European Film Conspiracy Kollektivs.


SOLDATE JEANNETTE evoziert drei Frauenfiguren aus der Filmgeschichte: Jeanne d’Arc im Film von Carl Theodor Dreyer, Nana Kleinfrankenheim in Jean-Luc Godards Vivre sa vie und Jeanne Dielmann von Chantal Ackermann. Haben alle drei zur Idee zu diesem Film, zur Gestaltung der beiden Frauenfiguren beigetragen?
Daniel Hoesl: Es sind drei Frauen, die denselben Kampf geführt haben und man lernt, dass sich kaum etwas geändert hat und vor allem, dass man nicht aufhören darf diesen Kampf zu führen. Unser Film ist ein weiterer Beitrag zum Thema.

Katharina Posch: Dazu kommt, dass „soldate“ ein Kunstwort ist. Es gibt ja im Französischen eigentlich keine weibliche Form von „soldat“. Das Wort im Filmtitel ist eigentlich ein Fehler und dieser Fehler ist das weibliche Geschlecht, und das kann ja nicht wahr sein. Deshalb steht es auch ganz groß auf dem Plakat. Ich komme gerade aus Paris und wurde dort immer wieder nach dem Grund für diese Schreibweise gefragt. Ich antwortete darauf „Weil es ein Fehler ist“. Also ein Fehler, dass es da kein weibliches Geschlecht gibt. Wenn man den Film anschaut, wird man die Antwort finden.

Daniel Hoesl: Aber der Impuls zum Film kam aus einer ganz anderen Richtung, nämlich durch zwei Musikstücke. Eines ist von Beck und heißt Soldier Jane, das andere war Schuberts Die Täuschung. Diese beiden Stücke haben wir gewählt, um abzustecken, worum es gehen soll. Wir hatten kein Drehbuch, sondern unsere Ausgangsbasis beruhte auf einem Casting. Einig waren wir uns darüber, dass es in Ableitung des Liedtextes, in diesem Film um Frauen gehen soll. Auch die Version des Schubert-Liedes, das ursprünglich für eine Männerstimme geschrieben ist, beruhte auf einer Interpretation von Christine Schäfer.

Welcher Text liegt den beiden Musikstücken zugrunde?
Daniel Hoesl. „Soldier Jane, don’t be afraid to take your heart out of your shell“. Und bei Schuberts Die Täuschung heißt es: „Nur Täuschung ist für mich Gewinn“. Das sind die Gedanken, die wir dann im Film nutzen. Im Übrigen spielt Musik auch im fertigen Film eine sehr wichtige Rolle. Es war schwierig, die geeigneten Stücke zu finden. Wir haben sehr viel Musik gehört und waren dann sehr glücklich auf Bettina Köster zu stoßen, die spontan bereit war, anzureisen, mitzuspielen und ihre Musik zur Verfügung zu stellen.

Stand die Musik im Vorprozess der Produktion im Mittelpunkt?
Daniel Hoesl: Musik war der Ausgangspunkt, um starten zu können. Das Wesentliche im Vorprozess war das Casting, noch bevor wir eine Geschichte hatten. Wir wussten, dass wir unter dem Aspekt des Minimalbudgets nur einen bestimmten Zeitrahmen hatten, in dem wir arbeiten konnten und den Dreh abschließen mussten. Ich habe zwei grundverschiedene Frauen kennengelernt, aus deren Biografie sich die Geschichte entwickelte: Die eine hatte in der Tat einmal für einige Zeit auf einem Bauernhof für Kost und Logis gearbeitet. Die andere Frau kommt aus einer ehemals adeligen Familie, ist auf einem Schloss aufgewachsen und bringt alles mit, was da einen Gegensatz bildet.

Die Schauspielerinnen lieferten somit den wesentlichen Input in die filmische Erzählung?
Gerald Kerkletz: Es war unser Plan, die Schauspieler in eine Art Ko-Autorenschaft miteinzubeziehen, und ihnen die Möglichkeit zu geben durch ihre Biografie auf die Geschichte einzuwirken. Gleichzeitig hatten sie wie alle anderen Teammitglieder auch den Auftrag Dinge wie Kontakte, Locations, Fahrzeuge oder Kostüme einzubringen.

Katharina Posch: Produktionstechnisch war das Projekt bewältigbar, weil alle Beteiligten bereit waren sich auch die Produktionsverantwortung zu teilen.

Daniel Hoesl: Wir haben mit dem Gefundenen gearbeitet. Und das führt auch dorthin zurück, wo Gerald Kerkletz und ich uns gefunden haben, nämlich auf der Geriatrie bei den Dreharbeiten zu Ulrich Seidls Import Export, wo wir beide gearbeitet haben. Man könnte jetzt behaupten, dass Ulrich Seidls Arbeitsweise im Leute-Finden und Zusammen-Fügen von Geschichten recht ähnlich ist. Er hat allerdings eine grundsätzliche Vorstellung von der Handlung, wir bewusst nicht. Wir konnten es uns nicht leisten, uns auf die Suche nach etwas zu begeben, was wir finden wollten. Unsere Suche war das Finden, im Picasso’schen Sinn. Was mich darüber hinaus noch mit Gerald Kerkletz verbindet, abgesehen davon, dass wir gerne in die Sauna gehen, ist die Tatsache, dass wir kochen. Und das Arbeiten für Soldate Jeannette war wie kochen. Wir haben einen gemeinsamen Koch, Pierre Gagnaire, einen der Wegbereiter der Nouvelle Cuisine. Er, der natürlich auf eine sehr lange Erfahrung als Koch zurückgreift, kocht Gerichte nicht nach Rezept, sondern er macht den Kühlschrank auf, beschränkt sich auf wenige Sachen und schafft daraus ein Gericht, ein einmaliges Kunstwerk.

Gerald Kerkletz: Pierre Gagnaire beschränkt sich bewusst, noch bevor er entscheidet, was daraus werden soll. Seine Kreativität schöpft aus dem, was er hat, nicht aus dem, was er gerne hätte. Das lässt sich bei uns auf den künstlerischen sowie auf den produktionstechnischen Prozess übertragen. Daniel ist ja nicht jemand, der es grundsätzlich ablehnt, ein Drehbuch zu schreiben. Er wollte aber bei diesem Film sich nicht Dinge ausdenken, die er dann nicht haben kann, weil es sein erster Langfilm ist und sie zu teuer oder zu kompliziert sind, oder sich nicht finden lassen. Wenn Geschichte sich zum Beispiel nach den Motiven richtet und nicht umgekehrt. Dann kann ich an Locations herankommen, die teuer ausschauen aber in Wirklichkeit nicht sind. Wenn ich mich auf etwas versteife, oder aufgrund eines verbindlichen Drehbuchs etwas möglich machen muss, dann muss ich auch mit dementsprechenden Kosten zum Beispiel für das Szenenbild rechnen und in der Lage sein jeglichen notwendigen Aufwand zu betreiben, den man im Film vielleicht gar nicht sieht obwohl es ein Vermögen gekostet hat.

Es klingt so, dass nicht nur das Geld für dieses Projekt sehr knapp war, sondern auch der zeitliche Rahmen?
Daniel Hoesl: Zeit ist ja auch eine Frage des Budgets. Zeit kann man sich mit einem höheren Budget erkaufen. Wir hatten 25 Drehtage im Zeitraum von sechs bis sieben Wochen in denen der Dreh über die Bühne gehen musste. Ich finde, wir waren hocheffizient, gemessen daran, wie wenig Leute insgesamt und wie viele Laien daran beteiligt waren.

Gerald Kerkletz: Auch im Hinblick auf die Kameraarbeit war uns wichtig, das die wenige Technik, das kleinstmögliche Team und das arbeiten ohne Drehbuch, in keinerlei Widerspruch dazu steht, einen fotografisch gestalteten, genauen und formal überlegten, vielleicht sogar einen visuell ausgeklügelten Film zu machen. Es ging uns nie um eine dokumentarische Ästhetik.

Auch die Dialoge klingen nicht so, als wären sie kurzfristig improvisiert?
Daniel Hoesl: Die Dialoge sind improvisierter als sie klingen, weil Johanna Orsini-Rosenbergs Sprache von Natur aus einem Schönbrunner Deutsch entspricht, das in dieser Form leider kaum mehr existiert. Die Sprach-Bastarde werden ja immer mehr zugunsten einer Hochsprache ausgeschaltet, was die Uniformierung in der Gesellschaft sehr gut widerspiegelt. Im Milieu, dem Johanna entstammt, spricht man landläufig künstlich und das gefällt mir auch. Ich bereue nicht, dass es nicht noch künstlicher ist, aber es hätte auch noch künstlicher sein können.

Hat es trotz des starken Fokus auf der Biografie Ihrerseits eine Vorgabe gegeben, mit der die Schauspielerinnen an die Arbeit gegangen sind?
Daniel Hoesl: Wir haben geprobt und wir haben auch an der Sprache gearbeitet. Johanna Orsini-Rosenbergs ist ein anderer Mensch als Fanni im Film, aber sie konnte natürlich auf ein Repertoire in ihrer Biographie zurückgreifen und wusste auch, wie es Leuten geht, die viel Geld haben und alles verlieren. Das ist ganz wesentlich, dass sie den Bezugspunkt zu Menschen mit dieser Geschichte hat, dass es irgendwann aus war mit dem Geld. Das trifft viele. Es führt uns, auf den Songtext zurückgreifend, zum Thema: Dass man von dort aufbricht, wo man sich eingeschlossen fühlt und zum anderen, das trifft jetzt vor allem auf die Frau in der Stadt zu, dass die Gesellschaft Kriterien für Erfolg und vor allem auch Werte festlegt. Bei der Frau am Bauernhof geht es eher darum, sich von Dominanz zu lösen, aus Gefügen auszubrechen. Unser Erzählgrundsatz im ganz klaren aufklärerischen, rousseauschen Sinn lautete: Tu nicht das, was du nicht tun willst.

Gerald Kerkletz: Gerade weil es keine vorab durchdachte und bis ins jede Detail überprüfte Geschichte gibt ist es umso wichtiger, dass die Rollen klar definiert sind. Wir wussten ja alle gemeinsam bis eine Woche vor Drehschluss nicht, wie der Film ausgehen würde. Aber so hatten wir auch bis zum Schluss die Möglichkeit auf alles bis dahin gedrehte zu reagieren. Die Schauspieler müssen sehr genau wissen, wer sie im Film sind, um dann spontan, auf manchmal beim Frühstück vor dem Dreh, am Set oder beim Mittagessen entstandene Wendungen reagieren zu können.

Welchen Feldzug führt Soldate Jeannette, in welchen Krieg zieht sie?
Katharina Posch: Äh, wer ist denn Jeannette überhaupt?

Gelächter...

Gerald Kerkletz: Durch die Anfangs bereits erwähnten drei Frauen aus der Filmgeschichte habe ich das Gefühl, dass die Fährte gelegt ist, dass jede Frau Soldate Jeannette sein könnte.

Daniel Hoesl: Es kommt auch die Musik von GUSTAV vor. Auf dem Album Verlass die Stadt gibt es ein Lied, das heißt Soldat_in oder Veteran und das Lied, das im Film vorkommt heißt Alles renkt sich wieder ein. GUSTAV ist nicht nur eine Musikerin, sondern auch eine Kämpferin für ihre Freiheit. So banal es klingt, so schwierig ist es dieses Gefecht in Angriff zu nehmen.

Katharina Posch: Was durch die Musik von Eva Jantschitsch, der Musikerin hinter GUSTAV passiert, ist ein gutes Beispiel dafür, was uns bei diesem Projekt eigentlich ständig widerfahren ist. Dadurch dass wir nichts wollten, wurden wir regelmäßig beschenkt. Und ganz besonders gilt das eben auch für die Musik von Eva Jantschitsch. Die nicht wie die anderen Musiken am Beginn schon klar waren. Erst als der Film kurz vor Fertigstellung stand, hat uns dieser tolle Song gefunden und den musikalischen Kreis geschlossen.

Daniel Hoesl: Aus dem Kampf dieser Frauen, auch dem von Künstlerinnen wie GUSTAV oder Bettina Köster ergibt sich eine Kohärenz. In diesem Kampf geht es darum, Alternativen gegen gegebene Lebensumstände zu finden. Man ist nicht per se glücklich, wenn man reich geboren ist und man ist es auch nicht, wenn man auf einem Bauernhof wohnt. Wahrscheinlich geht es nur darum, den Arsch hochzukriegen. Es war mir wichtig, wenn wir vom Freiheitsdrang reden, dass wir nicht wie im klassischen mitteleuropäischen Autorenkino zeigen, wie die Protagonisten daran scheitern und sich abkämpfen, sondern ich wollte zwei Prophetinnen zeigen, die aufstehen und einen Weg gehen, der neue Möglichkeiten eröffnet. Man soll aus dem Film herausgehen und sich sagen können: „Das kann ich auch.“

Mut zur Rebellion sozusagen.
Katharina Posch: Rebellion klingt jetzt im akustischen Sinn wahnsinnig laut. Was mir an dem Film und an dem Weg, den Fanni und Anna wählen, so gefällt, ist, dass er so leise aber deswegen nicht weniger rebellisch ist.

Daniel Hoesl: „Chuzpe“ ist ein Wort, das ich auf einer Tafel bei mir zu Hause ganz groß stehen hatte. Ich denke, das kann man sich wirklich auf die Fahnen schreiben. Fanni lebt das und es hat auch etwas Amüsantes. Mit Chuzpe kommt man sehr weit und es ist ganz wesentlich zu wissen, dass Chuzpe erlaubt ist, aber sie wird überhaupt nicht angewendet, weil wir so was von domestiziert durch die Straßen bewegen, dass die Chuzpe ausstirbt. Chuzpe war auch für den Produktionsprozess unerlässlich. Ohne meine Telefonate mit den Motivgebern, die uns in der Regel auch dankenswerter zusagten und auch dank der langen Erfahrung, die ich auf diesem Gebiet habe, haben wir die Drehorte bekommen, die sonst in weiter Ferne wären. Ähnliches gilt für die Darsteller. Wenn ich mir überlege, welche Leute sind plausibel als Schuh-Verkäufer? Wer ist wirklich ein Dandy? Der Freundschaftsfaktor spielt in der Besetzung wie in der Produktion eine Rolle. Ich musste ja ganz schnell in der Situation jemanden finden, der passt. Die Leute aus der Kultur- und Filmszene waren einfach da in dem Moment, wo wir sie brauchten. Eine Freundin der Schauspielerin war gerade auf Urlaub, sodass wir in der Wohnung drehen konnten. Der Gruppenfaktor ist sehr wichtig, ich bin stark beeindruckt und beeinflusst davon, wie Alain Tanner und Michel Sutter in den frühen siebziger mit der Groupe 5 in der Westschweiz Filme gemacht haben. Als dort noch kein Filmförderungssystem etabliert war, konnten sie völlig unbürokratisch von Télévision Suisse Romande Geld bekommen, um Filme mit kleinem Budget zu drehen. So konnten sich Regisseure künstlerisch entwickeln, indem sie schlichtweg arbeiten konnten. Es waren nicht alle Filme gut, aber viele waren gut. Ich will nicht das Fördersystem hier in Frage stellen. Es ist gut und ich profitiere auch davon, wenn ich bei einem anderen Projekt Regieassistenz mache. Aber ich glaube dennoch, dass es auch andere Wege gibt, Filme zu machen. Wir haben zuvor von der Sprache und vom Verschwinden der Dialekte gesprochen. Es kommt aber auch zu einer Uniformität der Produktionsprozesse und in der Folge des Filmschaffens. Diese Uniformität hat natürlich den Sinn, Formate zu erfüllen, aber es bringt den Künstler und den individuellen Geist und den Geist des independent Kinos um, dessen Grundsatz ja ein „independent thinking“ sein muss. Das ist ein Kampf, den wir gerne führen. Allerdings wir hätten den Film auch ganz ohne Geld gemacht.

Wer hat den Film unterstützt?
Katharina Posch: Der Film wurde von bm:ukk und Land Niederösterreich, Cine Art Steiermark und Stadt Wien Kulturabteilung gefördert, das Gesamtbudget belief sich auf € 65.000,-. Nicht jedes Projekt bedarf der gleichen Form der Umsetzung und dieses Projekt ist nicht als weißes Blatt Papier bei der Förderstelle angekommen, sondern wir hatten Main Cast, Locations, Mood, Szenenablauf und eine argumentierbare Arbeitsweise in einem Dossier dargelegt, das auch die Sicherheit vermittelt hat, auf welches Ergebnis wir hinarbeiteten. Gleichzeitig war es, aufgrund der Arbeitsweise bei diesem Film und aufgrund des Rahmens den wir uns selbst gesteckt haben, eben auch möglich mit dem schon sehr geringen Budget auszukommen. Aber Selbstausbeutung ist ja nicht das Ziel, auch bei so einem Film nicht. In unserem Fall war es nicht anders möglich, weil wir etwas anderes versuchen wollten.

Gerald Kerkletz: Ein verbindliches Drehbuch, mehr oder weniger übliche Arbeitsweisen und Produktionsbedingungen geben allen Beteiligten Sicherheit und sind bei den meisten Förderstellen eine Bedingung, die sich etabliert hat. Oft unabhängig davon, ob sich ein Projekt durch eine anderen Zugang stimmiger oder auch billiger verwirklichen ließe. Ich persönlich glaube, dass es einer Filmlandschaft gut tut, je unterschiedlicher sie ist, und das gilt nicht nur für die fertigen Filme, sondern auch für ihre Herstellungsgeschichten. Ich finde, man könnte in diesem Sinne ruhig noch öfter gemeinsam etwas riskieren.

Daniel Hoesl: Ich habe schon Drehbücher geschrieben und werde auch nicht aufhören, Drehbücher zu schreiben. Es sollte aber auch die Möglichkeit geben, Filme anders zu realisieren, als Alternative, weil wir ja diese Philosophie des Kochens verfolgen. Soldate Jeannette brauchte kein Drehbuch.

Steht die Form für den Inhalt?
Daniel Hoesl: Das geht Hand in Hand. Ich hoffe, dass das eine für das andere spricht. Das war jedenfalls unser Plan. Es braucht eine Philosophie, so zu arbeiten und die Notwendigkeit zu verstehen, dass es neben dem Regime auch die Freiheit gibt, diese Freiheit muss man sich nehmen und sie zollt ihren Preis. Diese Art der Produktion führt zum Inhalt und man wird so reich mit Möglichkeiten an Inhalt beschenkt. Wenn es um Ausstattung, Kostüm, Casting geht, dann steht man mit einer Carte blanche da, die einem völlige Freiheit lässt. Ein Drehbuch zu haben, hat natürlich wieder andere Vorteile...

Es gibt sehr interessante Elemente in der Bildgestaltung und im Rhythmus. Das untätige Warten im Safe-Raum ist wahrscheinlich länger als die Verführung und die Liebesnacht. Figuren werden nur als pars pro toto gezeigt (Fuß im Schuh. Nacken mit Perlenkette), eine Szene im Zug wird zur Gänze im Off gesprochen, während die Kamera fix auf den Gleisen bleibt. Wie sahen die Prämissen in der Bildgestaltung aus?
Gerald Kerkletz: Es ist mir erst jetzt im Nachhinein bewusst geworden, dass unser formaler Umgang mit Bildern und Erzählung im Film auch wieder ein Spiegel unser Arbeitsweise und der Drehbedingungen ist. Es ging in der Auflösung darum, die Dinge aufs Minimum runterzubrechen. Keine Establishing Shots, Gegenschüsse nur, wenn man sie wirklich braucht. Wenn man vor der Entscheidung stand, eine Totale oder ein extremes Close-Up zu machen, dann entschieden wir uns für eines von beiden schon Vorort und überließen die Entscheidung nicht dem Schnitt. Um wieder auf die Kochsprache zurückzugreifen: Solange gewährleistet war, dass die Geschichte vorangetrieben wird, galt es, sich nicht in einem Meer an Gewürzen oder exotischen  Zutaten, die man aus aller Welt importieren oder aufwändig suchen muss, zu verlieren, sondern mit den fünf, sechs, sieben – sieben war uns da eine wichtige Zahl, darüber wollten wir nicht hinaus gehen – wesentlichen Dingen auskommen. Unser Team bestand auch nie aus mehr als sieben Leuten.

Wenn also Ernst Fanni zum ersten Mal begegnet, dann gibt es keinen Gegenschuss. Wurde dieser Gegenschuss auch gar nicht gedreht oder im Schnitt ausgelassen?
Gerald Kerkletz: Den hat es nicht gegeben. Es haben sich natürlich im Schnitt noch Dinge verändert, innerhalb der Szenen ist aber selten noch was weggefallen.

Wir hören eine ganze Dialogszene in einem Zug, sehen den Zug aber in einer Totalen von schräg oben...

Kathi Posch: Dass wir die Zugszene so gedreht haben, wie sie jetzt im Film ist, hat dagegen auch einen produktionstechnischen Grund.

Daniel Hoesl: Vorgeschichte ist die, dass wir es uns nicht leisten konnten, mit der ÖBB zu drehen. Ohne Geld gerät man in recht kafkaeske Situationen und so landeten wir bei dieser Lösung, die mir letztendlich viel lieber ist, weil es formal ein konsequenter Umgang ist. Kürzer kann man es nicht erzählen. Es ist schon anspruchsvoll nur mitzuhören, aber es macht auch Spaß das Publikum zu fordern.

Gerald Kerkletz: Diese Szene ist also durch eine Ablehnung zustande gekommen, die man retrospektiv auch wieder als Geschenk bezeichnen kann. Auf die Idee es so zu machen, kommt man nicht, wenn man nicht dazu gezwungen wird.

Daniel Hoesl: Die Stadt im ersten Teil des Films bildet sich so ab, wie sich die Stadt darbietet. In Rechtecken, plan, mit Wänden und rechten Winkeln, Enge: man fühlt sich eher in die Enge getrieben. Deshalb gibt es nur starre Einstellungen. Den ersten Schwenk gibt es im Wald. Kameramäßig teilt sich der Film für mich in drei Teile: in den Stadtteil, in den Waldteil, und den Landteil. Dort also, dann der Bauernhof, der mehrere Dinge vereinte. Da ist zunächst ein Bruch durch die erste Handkameraszene, dann bietet der Bauernhof durch seine Architektur und auch die Architektur der Bewirtschaftung eines Hofes eine Reihe von Möglichkeiten. Und dann bricht die Landschaft ein. Das verändert den Kamerablick.

Gerald Kerkletz: Die Frühstücksszene, die nur aus Großaufnahmen besteht, ist auch noch ein gutes Beispiel für effizientes Drehen. Die Totale haben wir gar nie gedreht. Später im Film wiederum gibt es ein Willkommensfest für Fanni, das zur Gänze aus nur einer Totalen besteht. Da haben wir keine Close-Ups gedreht. Es ging für mich sehr stark darum, das kleine Team, das wenige Geld, die knappe Zeit nicht als Nachteil zu empfinden, sondern als eine Herausforderung sich auf das wesentliche zu konzentrieren.

Für dieses Interview haben Sie spontan den Wunsch geäußert, dass Sie als drei tragende Kräfte dieses Projekts gemeinsam über diese Gemeinschaftsproduktion sprechen wollten. Wie kam das Zusammenwirkten zustande, was steht hinter European Film Conspiracy Kollektiv?
Katharina Posch: Ich begegnete Gerald Kerkletz über die Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion, in der ich in der Produktion arbeite. Er hat mir im Mai 2011 kurz von Daniel erzählt und mir zwei Kurzfilme von ihm geschickt. The Madness of the Day hat mich sehr angesprochen, ich kam gerade aus Mittelamerika zurück und war über meine Arbeit dort sehr intensiv mit dem amerikanischen Independent Kino in Berührung. Alles was zu jenem Zeitpunkt feststand, war, wir wollten im Herbst 2011 einen Film drehen, was so kurzfristig über normale Förderungswege nicht möglich gewesen wäre. Das Zeitfenster mussten wir allerdings den Schauspielern gegenüber einhalten. So begannen wir, Locations zu suchen, ein Team zusammenzustellen, Förderungsunterlagen zu erstellen. Der Film war mir eine Herzensangelegenheit, selbst wenn es mitunter schwierig war sich das zeitlich und finanziell leisten zu können.

Gerald Kerkletz: Ich habe mich aus Freude am Experiment auf dieses Projekt eingelassen, und weil ich wusste, wofür Daniel steht. In einer Idee von Komplizenschaft haben sich Menschen gefunden, die etwas probieren wollten, obwohl ihnen davon abgeraten wurde. Ab dem Moment, wo wir den Film in der Projektion sahen und es den Film für uns gab, hatten wir das Gefühl, es geschafft zu haben, ganz unabhängig von dieser Anerkennung von außen. Alles, was sich dann mit Rotterdam und Sundance ergab und was vielleicht noch kommen wird, das tut uns gut. Es bleibt aber der Film, das Experiment, auf das wir davor schon stolz waren.

Daniel Hoesl: Ich bleibe bei meiner künstlerischen Starrköpfigkeit. Hätte niemand diesen Film gesehen, hätte es auf mich keinen Einfluss. Nicht weil ich mich nicht für die Öffentlichkeit interessiere, aber weil ich weiß, dass ich, wenn ich mich verbiege, zerbreche. Wenn der nächste Film nichts wird, dann ist es so. Ich hab auch schon Filme gemacht, die keine Premiere hatten. Sie sind dennoch großartige Filme, ohne die wir nicht zusammengearbeitet hätten, wenn Gerald und Katharina sie nicht gesehen hätten. Auch wenn diese Filme nicht auf Festivals gezeigt wurden, bleiben sie wegbereitende Filme für eine ganz unabhängige Art zu denken. European Film Conspiracy ist keine Firma, sondern eine Philosophie. Sie ist ein Kollektiv wie die Groupe 5, ihre Philosophie besteht darin, dass man mit dem Minimum arbeitet, dass man zusammenarbeitet, dass es nur um den künstlerischen Anspruch geht.

Gerald Kerkletz: Die European Film Conspiracy steht für mich für die Idee, ab und an mit einem Freundeskreis filmische Wege einzuschlagen, die nicht auf den Karten eingezeichnet sind. Für so manches Ziel, macht die Sicherheit des bewährten Weges Sinn. In einem Film wie Michael von Markus Schleinzer zum Beispiel war ich sehr dankbar dafür. Aber das war auch ein ganz, ganz anderer Film. Wenn Daniel ein Drehbuch schreibt, das klassische Finanzierungs- und Herstellungsbedingungen braucht, dann wird es kein European Film Conspiracy Film sein denke ich. Wenn wir aber wieder Lust bekommen, abseits des Weges etwas auszuprobieren dann hätten wir die Möglichkeit, diese Küche zu verfeinern. Ich hoffe aber dann doch mit einem bisschen mehr Geld. An der European Film Conspiracy Philosophie dürfte das aber nichts ändern.

Wer hat während des Drehs gekocht?
Kathi Posch: Barbara Wilding hat sehr gut gekocht. Ihr und all den anderen MitstreiterInnen  gebührt ein großer Credit, ohne sie wäre der Film nicht möglich gewesen.

Daniel Hoesl: Es ist ganz wesentlich, wenn man eine Gemeinschaft ist (im Gegensatz zu unserer Gesellschaft), dass man füreinander da ist, kocht, sich hinsetzt und sich die Zeit nimmt, um die Dinge nicht nur zu konsumieren, sie gemeinsam gestaltet, auch durch das gemeinsame Essen.

 

Interview: Karin Schiefer

Dezember 2012