INTERVIEW

Timo Novotny über TRAINS OF THOUGHTS.

 

Urbanität fasziniert mich einfach und meine Bilder sind sehr architekturbezogen. Ich habe mehr Affinität zur Architektur als zum Menschen. Gerade im Dokumentarfilm halte ich Stadt für den spannendsten Schauplatz. Timo Novotny über Trains of Thoughts.


Die in der U-Bahn verbrachte Zeit ist eine müßige oder „verlorene“ Zeit, in der man in Gedanken abschweifen kann, philosophisch werden kann und gleichzeitig repräsentiert nichts besser als die U-Bahn den Alltag, das Banale, das man täglich braucht. Haben Sie Ihren Zugang zwischen dem Fortbewegungsmittel und der Metapher für die dunklen, geheimnisvollen Zonen der Stadt und der Menschen gesucht?
Timo Novotny: Was mich wirklich zum Projekt geführt hat, ist die Architektur. Wenn ich in einer Stadt von einem Spaziergang nach Hause komme und die Bilder auf meinem Fotoapparat anschaue, dann gibt es ca. hundert Bilder von der U-Bahn und eines von der Stadt. Die Prager U-Bahn hat mich in diesem Zusammenhang besonders inspiriert. In der New Yorker U-Bahn sind die Leute wirklich abgeschottet und dieses Nicht-Wissen, wo und wie man sich bewegt, hat Vor-  und Nachteile. Es gibt Menschen, die sagen, es ist die wichtigste Zeit des Tages, weil niemand sie erreichen kann, sie zwar mit Millionen Menschen in diesem Blechkübel sind, aber in Wirklichkeit es die Zeit ist, die sie sich für sich nehmen und auf die sie sich ein bisschen freuen. Generell gesehen bedeutete es auch Mäuse in Labyrinthe stecken und schauen, wenn nach hundert Jahren die Labyrinthe anders gebaut sind, ob auch die Mäuse anders geworden sind. Die U-Bahn reflektiert auch das Stadtbild und erklärt, warum Menschen in Tokyo so sind, wie sie sind oder New York so ist, wie es ist. Wichtig war mir immer, die Musik und das urbane Treiben, das uns bewegt, zu erfassen. Ich wollte keinen bedeutungsschwangeren, philosophischen Film machen, das liegt mir nicht. Ich wollte mich aber auch nicht nur mit dem banalen Aspekt des täglichen Transports auseinandersetzen. Einsteigen und Aussteigen allen wäre zu wenig. Es geht darum, einen Spannungsbogen zu erhalten und auch einzelne Städte zu charakterisieren. Daher war mir auch diese Bewegung von Ost nach West sehr wichtig, wir bewegen uns kontinuierlich Richtung Westen. Dazwischen gibt es die Wien-Pausen, die gut vom Stress wegführen und auch erzählen, dass U-Bahn etwas Ruhiges und Poetisches sein darf .

Haben Ihre Reisen Sie auf die Idee gebracht, die U-Bahnen näher zu beobachten?
Timo Novotny: Es war im Besonderen eine Reise nach Prag und eine nach München, wo ich ein sehr starkes Architekturerlebnis empfunden habe. Natürlich habe ich durch meine Tourneereisen mit den Sofa Surfers und den Reisen für Dreharbeiten immer eine Affinität zu U-Bahnen entdeckt. Ich bin sehr fasziniert vom Reisen im Zug und von dieser Unwissenheit, mit der man sich durch den unterirdischen Raum bewegt. Es gibt in Florenz eine kurz Strecke, wo man mit der U-Bahn einen Hügel überqueren muss. Die U-Bahn macht dafür ein 360°-Loop, um zu beschleunigen, um über den Hügel zu kommen. Diese Schleife ist aber im Plan nicht verzeichnet, man macht täglich eine Art Achterbahnfahrt, ohne etwas davon mitzubekommen. Das finde ich amüsant. Ich wollte kein Loblied auf die U-Bahn singen, aber es gefällt mir, dass sie auch mit Emotionen verbunden ist, wie z.B. bei den Russen, die so einen Stolz für ihre U-Bahn in Moskau hegen.

Stellt die U-Bahn d a s Symbol für Urbanität für Sie dar?
Timo Novotny: Für einen Europäer, ja. Ich finde, das merkt man am besten in L.A. Dort erfüllt die U-Bahn einen reinen Repräsentationszweck, damit die Stadt den Eindruck von urbanem Raum erweckt. Die meisten Einwohner von L.A. wissen gar nichts von der Existenz der U-Bahn, während für uns Europäer die U-Bahn ein Hinweis für Urbanität ist. Umgekehrt hat eine kleine Stadt wie Hannover eine U-Bahn, die ihre Besucher vom Flughafen zur Cebit oder in die Altstadt bringt, was bei den Menschen den Eindruck erweckt, massive Distanzen zu überwinden. Obwohl man die Distanzen mit dem Rad oder zu Fuß bewältigen könnte, entsteht der Eindruck, Hannover sei eine Weltstadt. Die U-Bahn hat etwas, was einen Raum zur Stadt macht.

Wie haben Sie die Städteauswahl getroffen?
Timo Novotny: Es gibt weltweit 160 U-Bahn-Systeme. Das Ehrlichste wäre natürlich, 160 Dokus zu machen, in meinem Fall war die Prämisse das Kino und diese Welt über Kinobilder erfahrbar zu machen. Deswegen stand ich vor der Frage der Auswahl. Es ist gewiss ein Manko, dass Paris, London, Buenos Aires oder Mexico City fehlen. Man muss sich leider beschränken und ich finde, New York hat etwas Emblematisches, es ist die älteste U-Bahn Amerikas. Das Tolle daran ist, dass dort nichts funktioniert, es kommt auch vor, dass Leute stecken bleiben, dass die Leute mitten im Tunnel aussteigen und weiterwandern müssen und so auch miteinander ins Gespräch kommen. Dann kommt man nach L.A., in diese Anti-Stadt. Für mich ist L.A. der Inbegriff von Anti-Stadt, die dank Hollywood jedem ein Begriff ist. Es machte mir Spaß, dort unter der Oberfläche zu filmen, an Orten, die bisher kaum verfilmt worden sind. Von L.A. aus bot es sich natürlich an, nach Lateinamerika zu gehen, ich wollte mich aber weiter Richtung Westen bewegen. Der Kapitalismus und wie er sich in Tokyo durchgesetzt hat, repräsentiert für mich Zukunft. Tokyo ist der Ort, wo die Sonne aufgeht, und wo Menschen schon vielleicht in einer Zukunftsform funktionieren. Ich könnte mir vorstellen, dass wir alle einmal so werden, wie die Menschen in Tokyo. Ich habe dort ein Gesellschaftsbild wahrgenommen, das bestimmt ist vom Arbeiten, Nicht-mehr-Schauen, von Ordnung und Regeln. Ich habe das Gefühl, unsere Gesellschaften bewegen sich dorthin, etwas frisst sich hinein und irgendwann sind die Menschen innerlich kaputt, aber nach außen hin funktioniert alles. Die Bewegung geht weiter Richtung Westen und landet über den Mittelweg zwischen Kapitalismus und Kommunismus - Hongkong - im Altkommunismus in Moskau. Die Grundidee war die, Sozialsysteme zu analysieren und auch „varieties“ zu schaffen. Wir beginnen in Wien und enden in Wien, landen aber erst zum Schluss mit Moskau wieder in Europa. Es gibt Zwischenelemente, die in Wien spielen, die eine gewisse beruhigende Funktion haben sollen und die eine schöne Brücke zur nächsten Stadt bilden.

Es gibt in diesen Wiener Zwischensequenzen einen Fotografen, der durch die Gänge führt, und etwas von einem Lotsen in die dunkle Welt hinunter hat. Ist er auch ein Alter Ego von Ihnen?
Timo Novotny: Ich wollte jemanden zeigen, der eine Art Guerilla-Fotograf ist oder auch eine Art Alter Ego von mir sein könnte. Ich wollte damit auch U-Bahn als Schauplatz zeigen, dass man sie auch anders nutzen kann, vielleicht illegal, durch die Tunnel wandert und man dort seine Ruhe, seinen Lebensausgleich findet. Ich habe erst während des Drehs erfahren, dass das Wiener U-Bahnsystem eine Hochburg für die Sprayer ist. Es gibt hier einen wahren Sprayer-Tourismus, weil man sehr schnell in die Gänge rein und wieder raus kann. Es hat mich aber nicht besonders gereizt, die Graffitis zu zeigen, ich wollte einen Fotografen haben, weil es mich mehr fasziniert, dass da jemand runter gehen will, um seine Ruhe zu suchen und den Raum wahrnehmen und belichten will.

Die U-Bahn ist ein System, wo alles „auf Schienen“ und kontrolliert ist, die Sicherheit eine große Rolle spielt und gleichzeitig sagt einer deiner Interviewpartner, dass U-Bahn für ihn der Ort ist, wo man jeder Orientierung in Raum und Zeit verliert. Sehen Sie die U-Bahn als einen Ort der Widersprüche in vielerlei Hinsicht.
Timo Novotny: Ja, ganz gewiss. Wir bewegen uns ja in den fünf Städten immer im Bereich des Legalen und Kontrollierbaren. Mit dem Fotografen in den Wiener U-Bahngängen hat man vielleicht das einzige Mal im Film auch Momente der Spannung, weil sich jemand auf Wege begibt, die man normalerweise nicht betreten darf ? er geht den ganz anderen Weg und der ist eine Möglichkeit in jeder Stadt. Dieser Spannungsaufbau veranschaulicht ein bisschen mehr mein Denken.

Können Sie die fünf Städte kurz charakterisieren?
Timo Novotny: Beginnt man in New York, dann ist der interessante Punkt der, dass New York einem den Eindruck vermittelt, dass dort alles möglich ist, dass es aber eine abgeschnittene Welt ist. Es gefällt mir, dass der Ort auch zweckentfremdet verwendet wird, dass er von Künstlern bespielt wird. Ich finde es großartig, dass die Möglichkeit besteht, dass das Ding stecken bleibt. Alles kann passieren und die Menschen bleiben unheimlich freundlich, weil sie miteinander kommunizieren müssen. In New York wird man selten unfreundlich angegangen. In Wien haben wir sofort ein Problem bekommen, sodass ich aussteigen musste. In New York ist alles möglich: die Kommunikation funktioniert bestens. Andererseits ist die U-Bahn ganz schön schlecht beisammen, es schneit hinein, es rinnt das Wasser runter. Sie repräsentiert die Stadt und das Leben dort. Die Wände sind außen genauso dünn gebaut wie unterirdisch. Wenn du unten bist, kannst du fühlen, wie es oben sein muss. In L.A. gibt es ein schönes Wechselspiel mit der Kamera. Wir haben einen Typen gewählt, der mit allen reden kann, der die U-Bahn kennt und sie auch benutzt. In L.A. gibt es unglaublich viele Menschen, die nie wussten, dass es eine U-Bahn gibt. Die Leute dort schauen alle gerne in die Kamera, es gibt einen Dialog, ein Spiel mit der Kamera und es geht um Repräsentation, Hollywood ist spürbar. Es ist aber auch ganz klar ersichtlich, wer in L.A. kein Auto hat und die U-Bahn nehmen muss, der liegt am unteren Ende der Gesellschaftskette.
In Tokyo wird viel erklärt, weil es auch am schwierigsten zu verstehen ist. Wir haben eine Figur, der wir folgen. Sehr treffend ist die Aussage: Die Japaner sind so pünktlich, weil die Züge pünktlich sind. Unsere Produktionsleiterein war jeden Tag auf die Minute hier, das habe ich in keiner anderen Stadt erlebt. Für mich war es absurd, zu erfahren, dass es auch noch als Höflichkeit empfunden wird, dass man in den überfüllten Zug hineingedrückt wird oder dass eine Familie stolz auf ihren Vater ist, der Selbstmord begangen hat. Dort ist alles zweischneidig und schwer verständlich, daher der Sprecher. In Tokyo ist man immer in Bewegung. Es gibt in der U-Bahn keine Künstler, kein Stehenbleiben, immer nur Funktionieren, leise, gesittet, ohne viel Aufhebens.

Die U-Bahn in Hongkong repräsentiert für mich den total absurde Umstand, das U-Bahn nicht öffentlich ist, sondern im Besitz einer Privatfirma. Diese Firma kauft leere Orte, baut Riesenblöcke und die U-Bahn gleich mit. Das führt dazu, dass völlige nichtssagendes Brachland plötzlich zu einem teuren Lebensraum wird. Es kann vorkommen, dass man an die gleiche Firma seine Miete bezahlt, ihre U-Bahn benützt und in einem ihrer Shops arbeitet. Es kann sein, dass sie komplett deinen Lebensinhalt bestimmt. Wir haben gottseidank Gesprächspartner gefunden, die dazu eine kritische Haltung haben. Diese Firma expandiert und steht meines Erachtens für Kapitalismus in Höchstform. Diese Firma bestimmt den gesamten Herzrhythmus der Stadt und die Kontrolle über die Menschen ist total. Moskau kämpft mit den Resten des Kommunismus. Die Leute dort erzählen mit voller Überzeugung, dass sie die schönste U-Bahn der Welt haben, obwohl sie keine andere kennen. Man hat es ihnen nur lange genug eingebläut. Der Nationalstolz scheint mir sehr charakteristisch und der kommt über die U-Bahn sehr gut zum Ausdruck. Und dann sind in Moskau die Distanzen zwischen den Stationen endlos, einmal beging ich den Irrtum, an der Peripherie eine zu früh auszusteigen und bin dann eineinhalb Stunden gegangen.

Haben Sie in der Recherche auch andere Städte besucht, wo Sie schließlich nicht gedreht haben?
Timo Novotny: Ja, ich habe auch Seoul, Paris und London besucht. Ich wollte zwei asiatische, zwei amerikanische, zwei europäische U-Bahnen. Wien und Moskau könnten nicht unterschiedlicher sein. Die asiatischen U-Bahnen sind einander von der Anlage her sehr ähnlich, Tokyo und Hong Kong sind allerdings von der Denkweise sehr unterschiedlich. Wenn ich jetzt kritisch sein möchte, dann ist es schade, dass ich Buenos Aires oder Mexico City nicht einbezogen habe, aber L.A. als Anti-Stadt war mir einfach zu wichtig. Ich wollte, dass es nicht nur urbane Städte gibt, sondern dass es auch diese eine Stadt gibt, wo man ankommt und es wird so getan, als hätten sie ein Transportsystem. Ich habe drei Monate für die Recherche eine Weltreise gemacht, dann habe ich in New York sieben Woche gedreht, was ein Ausnahmefall war, ansonsten waren es meist zwei Wochen.

Ist Filmen in der U-Bahn überall erlaubt?
Timo Novotny: In New York ist da die Auslegung des Gesetzes sehr schwammig. Filmen ist eigentlich verboten, videografieren ist erlaubt. Worin immer der Unterschied liegen mag. In den anderen Städten hatten wir Genehmigungen. Und wenn man so nahe am Menschen dran ist, muss man natürlich fragen, ob man filmen darf und eine Unterschrift einholen.

Wie kann man im engen Raum der U-Bahn überhaupt drehen?
Timo Novotny: In New York war es mir sehr wichtig, mit möglichst vielen Menschen zu reden. Wir haben bei diesen Gesprächen oft gleich gefragt, ob wir mit der Kamera mitfahren dürfen und ließen den Leuten offen, was sie tun wollten ? schlafen, lesen, dasitzen. Die New Yorker waren sehr offen. In Tokyo und Hong Kong haben wir ähnlich gearbeitet, allerdings mit dem Trick, dass wir zwei Übersetzerinnen mit einer Kamera vorausgeschickt haben und uns zu zweit noch mit einem Teleobjektiv im Hintergrund hielten. Wenn die beiden sich bedankten und die Gesprächspartner sich wieder entspannten, konnten wir mit unserem Objektiv noch diesen Moment der Entspanntheit mitfilmen. Das sind oft die ehrlichsten Momente, weil das Wissen ums Gefilmt-Werden immer eine Natürlichkeit nimmt. So haben wir eine Lösung gefunden, die rechtlich in Ordnung war und der Natürlichkeit eine Chance bot.
Das Team war immer sehr klein, wir brauchten natürlich ÜbersetzerInnen, aber da Stative und Licht nicht verwendet werden durften und große Kameras ja auch abschrecken, waren wir nur wenige Leute. Ich habe auf diese japanische Spiegelreflexkamera gewartet, sofort bestellt und dann ging es sofort los. Diese Kamera war die Rettung, amn hält sie wie einen Fotoapparat. Wir haben immer wieder versucht, wie als Touristenpaar aufzutauchen, um so wenig störend wie möglich zu wirken. Ich verstehe ja auch, dass man sich in der U-Bahn in der Privatsphäre gestört fühlt. Gerade in New York, wo, wie ich schon erzählt habe, die U-Bahn-Fahrt oft der einzige Moment des Tages ist, in dem sich die Menschen auf sich selbst zurückziehen können. Ich finde, der Film ist sehr ehrlich geworden, es gibt keine Szene, wo ich sagen musste, mach das noch einmal oder wo ich jemandem Anweisungen gegeben habe, wo er sich hinstellen soll. In Moskau haben wir immer darauf geachtet, dass wir nicht im Weg stehen.
50% der Kamera habe ich selber gemacht, für die andere Hälfte hatte ich mehrere Kameraleute. Beim Schnitt stand dann nur die Frage im Vordergrund, wie etwas zusammenpasst, wie sich ein Film daraus bildet, der der Bewegung der U-Bahn und ihrem Rhythmus Rechnung trägt und der ein Gefühl für den Raum vermittelt.

Musik ist ja ein essentieller Teil Ihrer Arbeit. Hat jede U-Bahn ihren eigenen Klang und Rhythmus?
Timo Novotny: Ja, ich finde schon. Natürlich sind Stimmung und Geruch auch nicht wegzudenken. Den Sound kann ich nicht isoliert betrachten, weil gerade in New York der Geruch so ein wesentliches Element ist. Aber ich finde schon, dass sie Klänge und Tempi haben. In Moskau fahren die Züge ganz schnell, wenn man dort den Ipod auf volle Lautstärke stellt, hört man die Musik kaum, würde man das in Tokyo machen, würde man seine Nachbarn unglaublich stören. Dort ist auch das Verwenden des Telefons ein Riesen-Tabu. Auch da ist Tokyo anderen Städten voraus. Tempi und Sounds sind sehr charakteristisch und ich hatte immer gleich im Kopf, wem von den Sofa Surfers ich welche Stadt für die Musik überantworten würde. Ich arbeite schon so lange mit ihnen und kenne sie so genau und wusste daher, wer wofür gut sein könnte. Ich selbst mache keine Musik bei den Sofa Surfers, es kann sein, dass ich aus den Stücken der anderen Loops bastle, Stimmen oder Sounds noch dazu mische, aber ich darf mich nicht als Musiker bezeichnen. Ich bin live auf der Bühne mit den Sofa Surfers nur als Visualist tätig und mache die Musikvideos, Covers ? eben alles, was visuell ist. Ich erlebe allerdings die Musik sehr nahe und da ich so viele Live-Bilder bastle, kann ich auch sehr gut mit Rhythmik und Bildmaterial umgehen. Das war bei diesem Film sehr hilfreich.

TRAINS OF THOUGHTS ist nach Life in Loops Ihr zweiter Langfilm. Die Stadt steht in beiden Filmen als Thema im Zentrum.
Timo Novotny: Megacities von Michael Glawogger habe ich mit 25 im Metrokino gesehen. Es war der einzige österreichische Film, der bei mir wie ein Blitz eingeschlagen hat. Stadt interessiert mich generell. Ich bin zwar im Urlaub gerne nur am Strand. Generell bewege ich mich gerne nur in Städten, Urbanität fasziniert mich einfach und meine Bilder sind sehr architekturbezogen. Ich habe mehr Affinität zur Architektur als zum Menschen. Mein nächstes geplantes Projekt, Wien war Moskau und Paris, beschäftigt sich mit 100 Jahren Wien im Film. Da werde ich mich mit Archiven beschäftigen und es wird um das Bild von Wien im Film gehen.
Gerade im Dokumentarfilm halte ich Stadt für den spannendsten Schauplatz.

Würden Sie TRAINS OF THOUGHTS auch durch die vielen Off-Stimmen mit ihren Reflexionen zur Fortbewegung unter Tag eher als Essay oder eher als Dokumentarfilm bezeichnen?
Timo Novotny: Ich halte ihn für einen Dokumentarfilm, insofern er ein sehr ehrlicher Film ist, abgesehen von Montage und Musik. Von den Aufnahmen her ist alles echt und puristisch, wie es meiner Meinung nach sein soll, andererseits ist es natürlich ein visueller Essay über die U-Bahn. Die Off-Stimmen wollte ich, das entsprach dem Konzept, das ich mit meinem Regieassistenten Jakob Barth entwickelt hatte. Lange hat es nicht funktioniert, weil wir den Fehler machten, dass wir zuviele Architekturaufnahmen mit Stimmen im Hintergrund hatten. Wir haben erst im Laufe des Schnitts herausgefunden, dass es den Menschen, der in der U-Bahn sitzt braucht, um besser die Off-Stimme hören zu können. Wir haben uns sehr lange darum bemüht, einen rein architektonischen Film zu machen mit vielen emotionalen, persönlichen Gedankenebenen. Ich wollte die Menschen nicht zeigen, sondern nur hören und spüren. Es überanstrengt aber den Zuschauer, noch einen Ort zu sehen, während man einen Gedankengang hört und das Bild erzielt auch nicht seine Wirkung. Es war von der Idee her wichtig, dass es nur Off-Stimmen sind. Mir war es auch wichtig, dass der Zugang zu jeder Stadt anders ist. In New York wollte ich, dass wir nur über Off funktionieren, in L.A. gab es den Entertainer, in Moskau haben wir die Reisegruppe. Es ging mir darum zu variieren und das Stadterlebnis, wie man es als Europäer empfindet, nahbar und erfahrbar zu machen. In L.A. war es wichtig, jemanden zu haben, der die Stadt kennt, denn da unten hatte ich Angst, auch wenn das gar nicht rüberkommt. Alleine in L.A. unterirdisch unterwegs zu sein, war immer unangenehm. Ein Klischee, das sich dort allerdings erfüllt. Heinz ist dort geboren und großgeworden, der konnte mit diesen Situationen umgehen und er hatte vor Waffen keine Angst.

Wie kamen Sie auf den Titel TRAINS OF THOUGHTS?
Timo Novotny: Der entstand nach einer langen Suche und dann ich entdeckte ich diese schöne Doppelbedeutung von „train of thought“, der doppelte Plural ist ja im Englischen wiederum nicht korrekt, da gibt es nur trains of thought. Mir ging es um den Zug und die Schienen und ganz viele Gedanken und ich fand, dass das in diesem Bild so schön zueinander fand. Ich habe die Texte von Marc Auge zu den Nicht-Orten und zur Metro gelesen. Ich wollte nicht, dass es zu philosophisch und intellektuell im Zugang wird. Kino sollte schon auch Entertainment sein. Ich habe versucht, einen Mittelweg zu gehen, wo man die Stimmung mitbekommt, ohne mit Fakten und Zahlen gelangweilt zu werden.

Interview: Karin Schiefer

Juni 2012