INTERVIEW

«Die Wut auf das eigene Bild.»

Manch historische Quelle spricht von 45 Zentimetern. Mehr brauchte angeblich ein Band nicht zu messen, um die gesamte Taille der Habsburger-Kaiserin Elisabeth zu umschließen. Den Atem nahmen der legendären Schönheit am Wiener Hof allerdings nicht nur ihre aufs Äußerste geschnürten Korsette, sondern Haltung und Regelwerk bei Hof, die der Frau des Kaisers nicht mehr zugestanden, als an der Seite des Monarchen ein schönes Bild abzugeben. Marie Kreutzer fokussiert auf Elisabeths 40. Geburtstag als einen Wendepunkt, der sie dazu bringt, sich nach und nach der erdrückenden Enge zu entziehen. In CORSAGE lässt sie das Portrait einer Frau entstehen, deren Potenzial alle Rahmen ihrer Zeit sprengte. 
 
 
Sie haben in Ihrem letzten Film Der Boden unter den Füßen die Geschichte einer modernen Frau erzählt, die im beruflichen und sozialen Druck von außen weder Zeit noch Raum für sich selbst hat. Was hat Sie ins späte 19. Jahrhundert zur First Lady des zerfallenden Habsburger Reiches – Kaiserin Elisabeth und ihrem Schicksal geführt, in dem man – der Zeit entsprechend – ähnliche Züge wahrnehmen kann?
 
MARIE KREUTZER: Die Punkte, die Sie in der Frage ansprechen, waren letztlich ausschlaggebend dafür, dass es mich gereizt hat, mich mit Kaiserin Elisabeth zu beschäftigen. Ich fand es spannend zu hinterfragen, wie groß dieser Druck auf sie gewesen sein muss und auf welch für ihre Zeit ungewöhnliche Weise sie damit umgegangen ist. Den Anstoß zum Thema hat aber Vicky Krieps selbst gegeben, die mich vor Jahren auf unserer Premierentouren zu Was hat uns bloß so ruiniert darauf angesprochen hat, ob wir nicht gemeinsam einen Film über Kaiserin Elisabeth machen sollten. Damals hat mich Elisabeth als Figur gar nicht interessiert, gewiss auch deshalb, weil wir in Österreich am Klischee zu nahe dran sind. Irgendwann habe ich eine Historikerin gefragt, was sie angesichts des vorhandenen Übermaßes an Literatur zur Lektüre empfehlen würde. So habe ich begonnen, mich einzulesen, mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass sich vielleicht ein interessanter Ansatzpunkt ergeben könnte. Hängen geblieben bin ich dann bei Elisabeth im Alter um die 40, wo ich Dinge entdeckte, die mir nicht bekannt waren. In diesem Alter hat sie begonnen, sich gewissen Zwängen zu verweigern. 
 
 
In der ersten Szene ist Elisabeth in der Badewanne unter Wasser. Sie trainiert, möglichst lange mit ihrer Luft auszukommen. Es wird später vor allem mit dem titelgebenden Korsett immer wieder um Situationen der Beengtheit gehen, die ihr die Luft zum Atmen genommen haben. Wie fanden Sie über das verborgene Kleidungsstück des Korsetts zur Metapher der Atemnot, die für Elisabeths Lebenssituation steht?
 
MARIE KREUTZER: Oft ist das ja keine intellektuelle Entscheidung. Um sehr persönlich zu antworten, ich kenne aufgrund einer Angststörung dieses Gefühl, keine Luft mehr bekommen. Menschen, die Panikattacken haben, kennen das auch und viele Covid-Erkrankte haben geschildert, dass das ihre schlimmste Erfahrung war. Ich bin überzeugt, dass der Körper irgendwann widerspiegelt, was wir erleben. Nüchtern betrachtet lebt Elisabeth zu dieser Zeit so gut wie man nur kann; man möchte meinen, dass sie genug Spielraum hat, aber ihre Bewegungsfreiheit war sehr begrenzt. Ihre ganz stark zusammengeschnürte Taille ist ein ganz typisches Sisi-Klischee, das auch der Wahrheit entspricht. Sie hat sich da richtig hineingesteigert und fast eine Mode kreiert. Mich hat eine Frau interessiert, die, obwohl sie über nichts mehr die Kontrolle hat, über ihren Körper die Kontrolle behält. Über ihren Körper versucht sie herauszufinden, wie weit sie gehen, wie viel sie sich zumuten und doch noch aufrecht stehen kann.
 
 
Sie situieren Ihre Erzählung im Jahr 1877/78, beginnend mit Elisabeths 40. Geburtstag und beschränken sie auf einen kurzen Zeitraum. Warum haben Sie dieses zeitliche Fenster gewählt?
 
MARIE KREUTZER: Ich wollte keinen klassisch historischen Film mit einer Aneinanderreihung biografischer Episoden machen. Biografien, die ein ganzes Leben abdecken, finde ich filmisch nur in seltenen Fällen geglückt. Der Zeitpunkt, wo Elisabeth aus der Phase der „schönen jungen Kaiserin“ in eine neue Phase getreten ist und damit auch gehadert hat, empfand ich das als eine interessante Zäsur. Damals lag die durchschnittliche Lebenserwartung einer Frau des Volkes bei 40 Jahren. Es war auch das Jahr, in dem ihr Sohn ausgezogen ist, um auf die Militärakademie zu gehen. Zwischen Rudolph und Elisabeth bestand eine für damalige Verhältnisse ungewohnt nahe Mutter-Sohn-Beziehung, die damit auch zu Ende ging. Ich habe auch eine ziemlich zerlesene Elisabeth-Biografie aus den sechziger Jahren bekommen, eine Zeit, wo man vieles anderes gesehen und auch geschildert hat, als wir es heute tun würden. Es war in der Recherche sehr interessant zu sehen, dass die Geschichtsschreibung sehr viel mit der Zeit zu tun hat, in der sie geschieht und nicht nur mit der, die ihr Gegenstand ist. In dieser Biografie war jedes Lebensjahr minutiös dargestellt, Monat für Monat wie ein Logbuch. Was auch in diesem Jahr vorkam, war die Begegnung mit dem Reitlehrer in England. Ich hatte das Gefühl, dass sich in dem Zeitausschnitt, den ich gewählt hatte, einiges ereignet hat, das das unterstützt hat, was ich erzählen wollte. 
 
 
Das Bild von Kaiserin Elisabeth ist unweigerlich von Klischees und einer bestimmten, wohl eher militärgeschichtlichen Geschichtsschreibung geprägt. Wie haben Sie sich, bevor Sie zu schreiben begonnen haben, Ihr Bild von Elisabeth geschaffen? 
 
MARIE KREUTZER: Ich habe sehr viel gelesen und hatte ausführliche Gespräche mit zwei Historikerinnen und auch der langjährigen Kuratorin des Sisi-Museums. Mit ihr zu sprechen war besonders aufschlussreich, weil sie vieles wusste, was man nicht unbedingt in den Büchern findet. Im Museum gibt es auch eine Menge Objekte, die gar nicht ausgestellt werden, weil viel zu viele vorhanden sind. Ab einem gewissen Punkt habe ich mir auch gesagt, dass CORSAGE kein Film werden musste, der von vorne bis hinten alles „richtig“ erzählt. Das Interessante an historischen Figuren ist der Umstand, dass jede Geschichtsschreibung bis zu einem gewissen Grad Fiktion ist. Niemand von uns war dabei. Es gibt immer Leerstellen, die niemand befüllen kann. So kam ich auf den Plot des Films: Elisabeth hat ab einem gewissen Zeitpunkt aufgehört sich zu zeigen oder wenn, dann nur mit einem verschleierten Gesicht. Sie ließ sich nicht mehr malen, die Maler mussten aus bestehenden Gemälden neue erfinden. Dass eine so präsente und bekannte Persönlichkeit vor aller Augen verschwunden ist, das fand ich unheimlich spannend und auch irgendwie gruselig. 
 
 
Das Korsett der historischen Wahrheit war demnach kein sehr eng geschnürtes? Welchen Anreiz eröffnet das Erzählen in einem vergangenen Kontext, für den es keine Zeug:innen mehr gibt.
 
MARIE KREUTZER: So ist es. Sobald man sich eine historische Figur zum Thema wählt, ist man angreifbar, in dem Sinne, dass es immer jemanden geben wird, der einem sagt, dass es ganz anders gewesen ist. Das muss einem egal sein. 
Ein interessanter Punkt ist der, dass es abgesehen von Ernst Marischkas Sissi-Trilogie keine relevanten Filme zu Kaiserin Elisabeth gibt. Jetzt plötzlich gibt es zwei Serien und zwei Kinofilme, man fragt sich, warum gerade jetzt, obwohl keine runden Jubiläen nahen? Ich habe im Sisi-Museum immer eine lange Schlange erlebt, die Kuratorin hat erzählt, dass das Museum Anfragen aus der ganzen Welt von Student:innen und Autor:innen bekommt, die Bücher oder Diplomarbeiten über sie schreiben. Aus vielerlei Gründen scheint sie eine sehr attraktive Projektionsfläche zu sein. Ich fand es auch interessant, dass Kaiserin Elisabeth so etwas wie Allgemeineigentum zu sein scheint. Ich erzähle meine Version von ihr. 
 
 
Was bedeutet es in der Praxis, einen historischen Film zu erzählen?
 
MARIE KREUTZER: Einen historischen Film zu drehen war natürlich viel mehr Arbeit mit einem viel größeren Team und nicht zuletzt auch einem viel größeren Budget. Beim Dreh selbst hat sich nichts geändert, aber der Apparat an Menschen, die involviert waren, die mitgeredet haben war viel größer. Es gab nicht nur vier Produktionsfirmen, sondern auch einen Weltvertrieb und einen Verleih, die sehr viel früher eingebunden waren als ich es bisher gewohnt war. Wir haben während der Pandemie gedreht und der einzige Corona-Fall, den wir hatten, hat mir auch das Ausmaß der Produktion bewusst gemacht, denn ich kannte die betroffene Person, die in der Komparsen-Maske gearbeitet hat, gar nicht. Normalerweise ist es mir ein großes Anliegen, dass ich mit allen am Set in Kontakt bin und dass sich alle wohlfühlen. Dass ich auf einem Set arbeite, wo ich nicht allen „Guten Morgen“ sagen kann, das war wirklich eine neue Erfahrung. Das muss ich nicht zwingend in Zukunft immer so haben. 
 
 
Hat sich Vicky Krieps, nachdem sie den Anstoß zu diesem Filmprojekt geliefert hat, auch in die Gestaltung der Figur eingebracht?
 
MARIE KREUTZER: Sie hat sich natürlich eingelesen und Wissen zu Elisabeth angeeignet. Was sie aber richtig in die Rolle versetzt hat, war meiner Meinung nach die physische Vorbereitung. Wir hatten sehr viele Kostüm- und Korsettproben. Vor allem aber hat Vicky sehr viel trainieren müssen: Eisschwimmen (eine Szene, die in der Montage leider rausgefallen ist), reiten im Damensitz, fechten und Ungarisch. Sie war tatsächlich zwei Monate vor Drehbeginn schon in Wien und Tag und Nacht mit Elisabeth beschäftigt. Wenn sie nicht gerade in einem Training war, dann haben wir uns getroffen. Mein Eindruck ist, dass sie durch diese physischen Erfahrungen stark hineingewachsen ist und dass sie das Korsett ganz besonders stark beeinflusst hat. Es hat die Körperhaltung extrem beeinflusst und sie in der Bewegungsfreiheit unheimlich eingeschränkt. Darüber hinaus hat sie das Korsett auch psychisch sehr belastet. Wenn sie das Korsett getragen hat, konnte sie kaum eine Teetasse heben und tagsüber auch nur Flüssignahrung zu sich nehmen. Es war unser gemeinsamer Wunsch, dass sie als Figur Elisabeth tatsächlich durch diese Erfahrung des Korsetts geht und sie wurde zwischen fünf und acht Zentimetern eingeschnürt. Ich habe mir im Laufe der Dreharbeiten immer wieder Gewissensbisse gemacht, weil es echte Gewalt war, die ihrem Körper zugefügt wurde. Man sieht an der Haut, wenn man das Korsett öffnet, dass der Körper richtig geschunden wird. Vicky hat uns während des Drehs immer wieder gesagt, dass sie total traurig wurde, wenn das Korsett zugeschnürt wurde. 
 
 
Wie früh verlangte dieser Stoff eine Zusammenarbeit mit dem Kostümdepartment? 
 
MARIE KREUTZER: Wir haben mit der Kostümarbeit sehr früh begonnen, weil es viel zu tun gab. Monika Buttinger hat ein großes Wissen und hat sehr genau recherchiert. Mein Ziel war bei den Räumen wie in der Kleidung eine möglichst starke Reduktion und eine Konzentration auf die Silhouetten. Ich habe auch entschieden, dass alle anderen Figuren nur ein Kostüm hatten. Das hatte im ersten Moment etwas mit Sparsamkeit und Kostenreduktion zu tun, es hilft aber auch unheimlich in der Erkennbarkeit und verstärkt die Klarheit der Figuren. Nur Elisabeth feiert sozusagen Kostümball und hat immer wieder etwas anderes an. 
Für die Anfertigung des Korsetts hatten wir eine Spezialistin, die nichts anderes herstellt und auch selbst immer eines trägt. Es gibt also auch Fans. Mir war wichtig, dass das Korsett keinesfalls ein schönes oder gar erotisch anmutendes Teil ist, sondern ein sehr technisches. Ich wollte, dass es aussah als käme es aus einem Geschäft für Gesundheitsbedarf. Alles unterhalb der Oberfläche sollte ganz praktisch sein: hautfarben, wie ein Werkzeug, das dazu diente, die Taille schmal zu machen. Die Schauspielerinnen, die die Zofen darstellten, mussten auch die Technik des Schnürens lernen. Es haben alle Frauenfiguren ein Korsett getragen, nur nicht so eng wie Elisabeth. In den Quellen ist immer von einem Taillenumfang Elisabeths von 45 cm die Rede. Man hat ja damals begonnen, bereits bei pubertierenden Mädchen zu schnüren, sodass die Organe sehr früh begannen, sich anders anzuordnen. Durch diese fortlaufende Degeneration des Oberkörpers war so ein Maß erreichbar. 
 
 
Ein weiteres Schönheitssymbol sind die Haare, die sich von einer geflochtenen Krone weg zu einer immer wirreren Haarpracht bewegen. Welche Arbeit und welche Reflexionen haben die Entwicklung der Frisur beeinflusst? 
 
MARIE KREUTZER: Uns war wichtig, dass wir tatsächlich sehr, sehr lange Haare haben. Es war coronabedingt schwierig, diese Haare, die natürlich echte Haare sein mussten, rechtzeitig zu bekommen. Sie mussten dann gefärbt und geknüpft werden, was ein sehr renommierter Perückenmacher in Deutschland gemacht hat. Wir hatten mehrere Perücken, die mit den offenen Haaren war unheimlich schwer. Auch das ist für eine Schauspielerin physisch sehr anstrengend. Ich wollte, dass die Haare nie zu perfekt sind, sondern dass immer etwas raussteht, dass zusammen mit der Tatsache, dass Elisabeth nicht geschminkt ist, ein sehr natürlicher Eindruck entsteht. Wenn die Haare offen waren, war mein Gedanke der, dass sie auch etwas Animalisches hatten. Diese Haarmenge ist ja nicht nur „schön“, sie hat ja auch etwas Furchterregendes. 
 
 
Wie hat sich beim Dreh selbst für Sie als Regisseurin die Zusammenarbeit mit Vicky Krieps gestaltet?
 
MARIE KREUTZER: Das Tolle an Vicky Krieps ist, dass sie ein sehr großes Vertrauen in die Kamera hat und auch in mich als Regisseurin. Sie ist keine Schauspielerin, die sich selbst beobachtet oder versucht, über etwas die Kontrolle zu behalten. Das macht aus meiner Sicht gutes Schauspiel aus, dass man diese Kontrolle abgibt. Vicky Krieps kann sich fallen lassen und ist ganz im Moment. Sie wusste in der Früh oft nicht, was auf dem Drehplan stand, aber sie lässt sich total ein, improvisiert und überrascht. Sie ist auch keine Schauspielerin, die, wenn man vier Takes macht, das eben Gespielte immer wieder reproduziert, sondern mit ihr ist jeder Take dann anders. Sie lässt sich extrem auf das Gegenüber ein, greift Inspiration von allen Seiten auf und verwendet sie sehr intuitiv. Andererseits hatte sie einige Wünsche: so wollte sie z.B. ein paar Gegenstände haben, um sich mit ihrer Figur anzufreunden. Eine ihrer Ideen war, dass sie immer ein Notizbuch an ihrem Gürtel hängen hatte. Solche Dinge braucht sie, dass sie sozusagen „Ihres“ irgendwie einbringen kann. Was mich am meisten unter Stress setzte, war, dass ich gespürt habe, dass es ihr in dem Korsett nicht gut ging. Wir haben natürlich versucht, es zeitlich zu begrenzen, allerdings war es auch nicht gut, das Korsett zwischendurch aufzumachen und dann wieder zuzuschnüren. Es war immer ein Balanceakt zu wissen, wie lange man ihr das zumuten konnte. 
 
 
Etwas, was auch mit Klischees behaftet ist, ist Elisabeths Beziehung zu ihrem Mann, Kaiser Franz Joseph. Welche Überlegungen haben Sie zur Darstellung des kaiserlichen Ehepaars angestellt?
 
MARIE KREUTZER: Die Besetzung der Rolle des Kaisers mit Florian Teichtmeister stand für mich schon beim Schreiben des Drehbuchs fest, weil ich einerseits finde, dass er ihm in gewisser Weise ähnlich sieht und weil ich ihn für einen ausgezeichneten Schauspieler halte. Er wiederum arbeitet ganz anders als Vicky Krieps, darin liegt aber auch einer der Reize für mich als Regisseurin, herauszufinden, was jede/r Schauspieler:in braucht. Beim Lesen der Literatur, vor allem auch der Korrespondenz zwischen Elisabeth und Franz Joseph, entstand für mich das Gefühl, dass er ihr in gewisser Weise nicht gewachsen ist. Er hat sie nicht in den Griff bekommen, so wie er sich das vorgestellt hat oder wie es der Konvention gemäß hätte sein sollen. Ich fand es reizvoll, dass sie ihm irgendwie überlegen ist. Daher war mir auch diese Besetzung wichtig: Vicky ist tatsächlich größer als Florian, Elisabeth war größer als ihr Mann, was auf keinem einzigen Gemälde so dargestellt wurde. Ich sah darin ein interessantes Spiel, dass sie immer wieder versucht, ihren Platz einzunehmen, für den sie in jeder Hinsicht zu groß ist. Mir war wichtig zu zeigen, dass Franz Joseph sich sehr bemüht, es richtig zu machen. Ich wollte ihn nicht als den unfähigen Ehemann schildern, sondern ihm eine Tiefe geben und gleichzeitig zeigen, dass sie zusammen eine schwierige Konstellation darstellen. Dann gibt es auch spannende Details aus den Biografien, die wir auch verwendet haben, wie z.B. seine Sparsamkeit und auch sein respektvolles Verhalten den Bediensteten am Hof gegenüber, ganz im Gegensatz zu Elisabeth. Das waren Kleinigkeiten, die sowohl Florian als auch mir sehr wichtig waren, sie zu erzählen. Vicky und Florian haben sich vielleicht nicht immer perfekt am Set verstanden, aber sie hat am Ende gesagt, dass sie dieses Gefühl von Miteinander-Spielen bisher nur mit Daniel Day-Lewis hatte. Ein großes Kompliment. 
 
 
Eine wichtige Rolle im Schatten Elisabeths kommt ihren Hofdamen zu, insbesondere Marie Festetics, die ihren Wunsch nach einem eigenständigen Leben Elisabeth zuliebe aufgibt. Wie wichtig waren die Hofdamen in der Erzählung?
 
MARIE KREUTZER: Die Tagebücher der Marie Festetics gehören zu den interessantesten Lektüren zum Thema. Die Hofdamen haben wesentlich mehr Zeit mir ihr verbracht und waren wesentlich näher an ihr dran als der Ehemann oder die eigenen Kinder. Ein Aspekt, der heute schwer vorstellbar ist, ist der, dass diese Frau nie allein war. Es war immer jemand da. Ich hatte das Gefühl, dass Elisabeth zu ihren Hofdamen ein sehr inniges Verhältnis hatte, die viel über sie wussten. Vergleichbar mit einer Gruppe von Freundinnen im besten Fall. Ich habe zu den drei Darstellerinnen der Hofdamen gesagt, „ihr seid die Band“ – immer im Hintergrund, aber bei jedem Auftritt dabei. Auch für die Loyalität, die bis zur Selbstaufgabe gehen konnte, gibt es in den Biografien und Tagebüchern Anhaltspunkte. Marie Festetics hat in der Tat mehrere Heiratsanträge abgelehnt, weil Elisabeth nicht wollte, dass sie sie verlässt. Es gab keine verheiratete erste Hofdame. Heirat hatte zu dieser Zeit eine andere Bedeutung, es ging um einen gesellschaftlichen Status, wenig um emotionale Befindlichkeit. Und die Hofdamen wussten auch, dass sie, wenn sie bei der Kaiserin im Dienst standen, abgesichert waren. 
 
 
Worin war es Ihnen grundsätzlich wichtig, Modernität in Form eines sichtlichen Bruchs mit der historischen Authentizität in ihre Darstellung des Hofs zu bringen?
 
MARIE KREUTZER: Ich wollte wie gesagt keinen konventionellen historischen Film machen, daher war klar, dass es keinen klassischen, getragenen Score geben würde. Ich höre beim Schreiben immer sehr viel Musik; die Songs, die im Film vorkommen, waren zum Teil schon im Drehbuch. Es kam immer wieder die Frage von den Fördergebern und den Sendern, ob es moderne Musik wie bei Marie Antoinette geben würde. Die Assoziation zu Sophia Coppolas Film wollte ich auf alle Fälle vermeiden. Mein Ansatz ist der, dass ich Songs aus unserer Zeit so verwende, als könnten sie durch Interpretation und Instrumentierung aus der Epoche des Films stammen. Bei Ausstattung und Kostüm war die Idee, alles, was moderner ist, so einzubauen, dass es theoretisch schon existiert haben könnte. Es gibt viele Elemente im Film, bei denen man es gar nicht merken würde, dass sie nicht historisch sind. Da ich es optisch grundsätzlich schlichter sein wollte, mussten wir bei gewissen Dingen in der Zeit etwas nach vorne gehen. Im späten 19. Jh. war bei Hof alles pompös, ich wollte aber ein Bild von einer Monarchie am Ende vermitteln. 
 
 
Elisabeth lebte auch schon im Bewusstsein, dass ihr Status und Lebensweise nicht mehr zeitgemäß waren. Es blitzen nicht nur visuell, sondern auch in der sozialen Haltung Momente auf, die zeigen, dass hier etwas am Aufbrechen ist. Wie sehr wollten sie dem auch gerecht werden? 
 
MARIE KREUTZER: Es gibt eine Szene in CORSAGE, wo Rudolph sagt, „Es geht mit der Monarchie zu Ende“ und Elisabeth erwidert: „Lass das nicht deinen Vater hören“. Die beiden wissen das schon und Elisabeth hat das auch oft in ihren Tagebüchern und Briefen analysiert. Ihr war klar, dass die Monarchie ein überholtes Konzept war. Franz Joseph war in vieler Hinsicht bemüht, am Alten festzuhalten. Es gab schon lange Strom und fließendes Wasser, allerdings nicht bei Hof. Er hat sogar mit der Hermesvilla, die er Elisabeth geschenkt hat, ein Haus neu bauen lassen und keine Elektrizität vorgesehen, obwohl es in jedem bürgerlichen Haushalt schon Standard war. Diese Ablehnung von allem Modernen hatte auch mit seinem Wunsch zu tun, seine Bescheidenheit und sein Ethos als Diener des Volkes zu demonstrieren. Ich fand es auch in einem Bezug zum Heute interessant, wo wir auch an allen Ecken und Enden spüren, dass es so nicht weitergehen wird, aber auch nicht genau wissen, wohin es führen wird. Den Aspekt des Endes einer Ära immer so leicht mitschwingen zu lassen, fand ich sehr reizvoll. 
 
 
Wie sehen Sie die starke Ambivalenz in Elisabeth, die einerseits nach Freiheit und Eigenständigkeit gestrebt hat, unter den Zwängen des Hofes/ihrer Rolle gelitten hat, aber aus ihrer Angst vor dem Verlust der Schönheit und dem Alter bereit war, sich harten körperlichen Zwängen zu unterwerfen. 
 
MARIE KREUTZER: Ich wollte Elisabeth genau an dieser Schwelle erzählen, wo sie so stark an ihrem Aussehen festhält, als dem einzigen, das sie noch hat. In allen anderen Belangen wird sie immer in ihre Schranken verwiesen: darf sich politisch nicht äußern und keine andere Funktion zu erfüllen, als die, die schöne Kaiserin zu sein. Ihre Schönheit ist alles, was sie hat und andererseits wächst die Wut auf das eigene Bild, die Wut, dass sie nur dieses Bild sein darf: Bin das ich? Bin ich sonst nichts? Aus meiner Sicht befindet sie sich gerade am Kipppunkt, wo es ihr nicht mehr reicht, die Bestätigung zu bekommen, dass sie schön ist. Sie sagt mal zu ihrer Hofdame „Du bist die einzige, die mich liebt, so wie ich bin.“ Es gibt niemanden, der sie als das sieht, was sie ist. Dieses Bewusstsein übersetzt sich in Handlung und in Entscheidungen: das wollte ich erzählen. Ihre Angst, ihre Schönheit zu verlieren ist ein Faktum, weil es der einzige Wert ist, den sie hat.


Interview: Karin Schiefer
Mai 2022

 
 
 
 
«Ihre Schönheit ist alles, was sie hat und andererseits wächst die Wut auf das eigene Bild, die Wut, dass sie nur dieses Bild sein darf: Bin das ich? Bin ich sonst nichts?»